Kapitel 14

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Etwas später saß Kay konzentriert über einigen Seiten Papierausdruck gebeugt, während Feng telefonierte. Als Feline das Büro betrat, sahen beide auf. Sie trug eine Topfpflanze unter dem Arm. Vorsichtig stellte sie den Topf auf den Tisch.

»Wird das jetzt der weibliche Touch im Büro?«, fragte Feng.

Feline erwiderte nichts, sondern setzte sich zu ihnen an den Tisch. Irgendetwas stimmte an ihr nicht. Als sie in Kays Richtung sah, war da auch keine Wut mehr oder Hass. Weder schien sie ihm seinen Ausbruch vor einigen Stunden übel zu nehmen, noch die Tatsache, dass er ein Fey war. Die blauen Augen wirkten eher flehend.

»Was ist?«, fragte er, als sie stumm am Konferenztisch saß.

Feline antwortete nicht mit Worten. Stattdessen öffnete sie den Mund und Kay sah, wie Fengs Augen groß wurden. Kein Wunder; anstatt eines menschlichen Gebisses hatte sie die Zähne eines Vampirs. Aber da war noch etwas anderes.

Feline schloss den Mund wieder. »Das habe ich bekommen, nachdem Samhiel heute bei mir war.«

»Ich dachte, er sei ein Engel, kein Vampir«, erwiderte Feng.

Feline nickte. »Das dachte ich auch. Aber anscheinend haben wir uns alle geirrt. Sogar das paranormale Netz. Oder seit neustem gehört es auch zu den himmlischen Aufgaben, jungen Frauen Reißzähne zu verpassen.«

»Hast du schon nach Bissmalen gesucht?« Feng schien zwischen Galgenhumor und Besorgnis zu schwanken.

Sie schob den Kragen ihres Pullovers tiefer. »Da ist nichts.«

»Vampire beißen lieber an anderen, wärmeren, gut durchbluteten Stellen«, grinste Feng. Das hatte er sich einfach nicht verkneifen können.

»Das ist kein Porno!«

Kay überließ die beiden ihrem Geplänkel und schloss die Augen, um ihre Stimmen und die Anwesenheit des Hausgeistes auszusperren. Das kleine Bäumchen war jung und hinter seinen Lidern sah er dessen Präsenz wie ein goldenes Schimmern aufleuchten. Arien hatte es aufgezogen und ihre Macht hatte sie von einem Seelie-Sidhe erhalten. Kein Wunder, dass es für Kay sehr einfach zu sehen war. Selbst wenn er versuchte, es zu ignorieren. Als er seine Aufmerksamkeit Feline zuwandte, riss er erstaunt die Augen auf. Er hatte bei ihrem Eintreten etwas geahnt, aber es wirklich vor sich zu sehen, war etwas anderes. Abermals schloss er die Augen, um sicher zu gehen. Tatsächlich, da war es wieder; das leise Glühen von Fey-Magie. Seelie-Magie, um genau zu sein. Nicht so stark ausgeprägt wie bei dem Ficus, aber sie war da.

Er öffnete die Augen und stand auf. Feline und Feng verstummten und sahen ihn überrascht an, als er hinter Felines Stuhl trat und seine Hände auf ihre legte. Da er sich dabei vorbeugen musste, war sein Gesicht mit ihrem auf gleicher Höhe. Ihre blauen Augen sahen ihn fragend an.

»Denk an Licht, Feline«, sagte er sanft. »Denk an den Garten, den ich dir gezeigt habe.«

»Warum?«

»Frag nicht, bitte tu es einfach.«

Sie war wohl zu überrascht, um zu widersprechen. Von einem Augenblick auf den nächsten verschwand der Konferenzraum und Kay spürte die vertraute Nähe seines eigenen Reiches. Das Gefühl hielt nur den Bruchteil einer Sekunde an, dann verschwand es wieder und sie saßen noch immer im Büro am Hafen.

Fengs Mund stand offen. Kay ließ Felines Hände los. Es war nur sehr wenig gewesen, aber es hatte genügt um seine Theorie zu untermauern.

»Was war das?«, brachte Feline schließlich hervor und Kay setzte sich wieder an seinen Platz.

»Fey-Magie. Ich musste zwar nachhelfen, aber das Übersetzen hast du selbst zustande gebracht.«

Kay spürte sowohl Fengs fragenden Blick auf sich, als auch Felines. Selbst der Ficus schien ihn anzustarren.

Kay fuhr sich über die Schläfe. Er war müde und ausgelaugt aber die Nacht war noch lange nicht zu Ende wie es schien. »Hat Arien dir erzählt, woher ihre Kräfte stammen?«, fragte er Feline.

»Sie sagte, dass sich irgendeine Urahnin mal mit einem Elfen eingelassen hat. Einem Lichtelfen.«

Kay nickte. »Wir haben Arien zugestimmt, als sie uns fragte, ob wir dir einen Job geben könnten, weil du rein von deiner Erbfolge ideal zu uns passt. Dein Vater hat ein wenig von der Grenzgänger-Seite mitgebracht, während Ariens Einfluss etwas von der Fey-Seite in sich trägt.«

»Was mich zum unbeschränkten Menschen macht. Ja, ich weiß«, erwiderte Feline.

Kay überging ihren Ton. »Ich weiß zwar nicht wie, aber auf irgendeine Art und Weise hat sich das alles ins Gegenteil verkehrt. Du bist alles, aber nicht mehr menschlich.«

»Was meinst du damit?« Felines Mienenspiel schwankte zwischen Angst und Neugier. Wäre sie nicht so aufgewühlt gewesen, hätte Kay lächeln können.

»So ein Fall ist mir bisher nicht bekannt gewesen. Dir?«, fragte er an Feng gewandt. Der schüttelte den Kopf. »Du bist sowohl Fey, als auch Grenzgänger. Es ist ungewöhnlich. Sehr sogar«, brummte Feng und konnte seine Augen nicht mehr von Feline nehmen.

Sie vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte dumpf. »Warum nur?«, schrie sie und stand urplötzlich auf. Bevor Kay oder Feng sie aufhalten konnten, war sie schon hinausgelaufen.

»Denkst du, Arien hat so etwas geahnt, als sie Feline zu uns schickte?«, fragte Feng, während seine großen Hände mit einem Kugelschreiber spielten.

Kay sah auf die Papiere vor sich. Sie enthielten Informationen über Roumond. Zumindest das, was sie bisher hatten herausfinden können. Er seufzte und schob die Blätter zur Seite.

»Ich weiß es nicht. Falls ja, war es unverantwortlich und ich werde mit ihr darüber reden müssen, wenn sie wieder auftaucht. Falls nein…«

Feng nickte nur leicht. »Und was ist mit diesem Engel, Samhiel? Es scheint, dass er als Letzter mit ihr zusammen war.«

»Was nicht heißen muss, dass es auch seine Schuld war.«

»Oh, ich bin sicher, dass er es war«, meldete sich der Ficus zum ersten Mal zu Wort.

»Du bist ihr Hausgeist, nicht?«, fragte Kay. Der Ficus schüttelte die Blätter und zwei fielen auf den Boden. Kay hob missbilligend die Braue.

»Du warst dabei?«, hakte Feng nach.

»Ja. Gesehen habe ich nichts. Aber soweit ich es gespürt habe, waren nur sie und er anwesend.«

Feng warf den Kugelschreiber mit einem dumpfen Klappern auf den Tisch. Er tippte auf die Blätter vor Kay. »Also, was sollen wir machen? Uns aufteilen? Ich möchte Feline ungern allein da draußen wissen. Sie hat keine Ahnung von dem, was sie jetzt ist.«

»Wir haben auch keine Ahnung von dem, was sie ist«, murmelte Kay und nahm das Blatt auf, das Roumonds Foto zeigte. Ein sympathisches Gesicht, graumelierte Schläfen, braune Haare. Ein Allerweltsgesicht.

»Aber ich weiß, was du meinst. Vielleicht solltest du sie suchen und ihr helfen. Ich kümmere mich weiter um Roumond.«

Feng nickte und stand auf.

»Und was mache ich?«, fragte der Ficus, als auch Kay Anstalten machte, das Büro zu verlassen.

»Nimm die Anrufe entgegen«, schlug Kay ihm vor.

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