Kapitel 3
Um acht Uhr stand ich wieder im Triskelion Büro, diesmal pünktlich. Zu meiner Überraschung war die Glastür weit geöffnet; nur von Kay war weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen stand sein Partner vor mir. Sein Anblick irritierte mich noch immer. Die Touristen, denen ich ab und zu in die Arme lief, und die aus Asien kamen, waren nicht einmal halb so muskulös und attraktiv wie er.
Feng telefonierte und ich setzte mich derweil wieder vor den Schreibtisch.
»Diese ›großer böser Bodybuilder‹ Nummer wird mir langsam zu viel«, knurrte Feng in das Handy, das in seinen Händen wie ein Spielzeug aussah. »Wenn du das nächste Mal etwas zum Einschüchtern brauchst, kauf dir einen Hund.« Sein Gesprächspartner schien wohl länger etwas zu erklären, denn Feng schwieg und nickte abwesend. »Okay«, sagte er schließlich, legte auf und steckte das flache Mobiltelefon in die Hosentasche.
Ich wusste nicht recht, ob ich aufstehen oder sitzen bleiben sollte, aber Feng wies mich mit einer Kopfbewegung an, ihm in Richtung Tür zu folgen. »Ich dachte, Sie sollen mir erklären, worum es in diesem Job geht?«, fragte ich, als wir im Aufzug standen und darauf wartete, dass er losfuhr.
»Das tue ich auch.« Er steckte die Hände in die Seitentaschen seiner Lederjacke. »Können wir uns duzen? Die Nacht wird schwierig genug, da möchte ich unnötige Komplikationen gern gleich aus dem Weg räumen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du willst.«
Er nickte zufrieden. Diesmal hielt der Aufzug nicht im Eingangsflur, sondern ein Stockwerk tiefer. Als sich die Metalltüren auseinander schoben, schlug mir modrige Luft entgegen. Eine Tiefgarage.
Feng steuerte einen alten Volvo an, der so gar nicht zu seiner Aufmachung passte. Ich hätte eher auf einen amerikanischen, schwarzen Schlitten gewettet, mit großen Reifen und einem Spritverbrauch, dessen Kosten sich locker mit meiner Monatsmiete vergleichen ließ. Aber so wie es aussah, schien mein zukünftiger Arbeitgeber gerne mit dem ein oder anderen Klischee zu spielen. Gerade hatte ich mich mit dem Modell »Zwei Meter Rockerasiate« angefreundet, kehrte er den sparsamen Autofahrer heraus.
Als wir stumm aus der Garage herausfuhren, erwies er sich auch noch als äußerst umsichtiger Fahrer. Ich musste schmunzeln. Feng, der das wohl aus den Augenwinkeln mitbekommen hatte, lächelte ebenfalls.
»Du hattest mit etwas anderem gerechnet?«
»Schon«, gab ich zu. »Du wirkst nicht wie…«
»Wie ein Volvo-Fahrer?«, fragte er unschuldig, und die dunklen Augen funkelten.
»Genau.« Meine Wangen wurden warm.
Er grinste breit und ich erschrak etwas, als ich spitze Eckzähne bemerkte.
Wir fuhren durch das Stadtzentrum und dann in Richtung der Vororte mit den brachliegenden Zechen und Fabriken.
»Was genau soll das heute werden?«
Feng schaltete höher, als wir auf die Stadtautobahn fuhren. Trotz seines Aussehens schnurrte der Volvo tadellos. Dieses Auto wurde geliebt. »Wie gut verstehst du dich mit deiner Mutter?«
Innerlich stöhnte ich auf. Was hatten heute nur alle mit meiner Mutter? »Wir haben verschiedene Ansichten zu diversen Dingen, aber ansonsten gibt es keine Probleme.«
»Du glaubst mir also, wenn ich dir sage, dass sie niemals etwas tun würde, dass dir schaden könnte?«
Ich hob die Brauen. »Soll mir das irgendetwas sagen?«
Feng schüttelte den Kopf. »Du solltest es heute Nacht nur nicht vergessen.«
Nach etwa einer halben Stunde Fahrt hielt Feng auf einem großen Parkplatz. Unweit davon war mittels Fertigbauteilen eine Großraumdisco errichtet worden, auf die wir nun zusteuerten. In meinem förmlichen Kostüm, das ich wegen einer, vermeintlich harmlosen Jobeinführung trug und neben dem legeren Feng kam, ich mir unglaublich deplatziert vor.
Vor dem Eingang standen einige Leute. Manche in meinem Alter, andere wesentlich jünger. Ein oder zwei Blicke folgten Feng und mir, als wir uns an ihnen vorbeischoben, um hineinzugehen.
Von Innen schlug mir die bekannte Mischung aus pumpenden Bässen, Gelächter und dem Geruch von zu vielen Körpern, die schwitzten und nebenbei Alkohol tranken, entgegen. Uns hielt niemand auf, als wir eintraten. Kein Kassenhäuschen, keine Garderobe, kein Türsteher. Seltsamer Club.
Feng sah nicht nach links oder rechts, sondern ging an den verschiedenen Hallen vorbei. Ich folgte ihm einfach, bis er einen Zahn zulegte. Immer mehr Leute drängten sich zwischen uns. Irgendwann hatte ich Feng trotz seiner Größe vollkommen aus den Augen verloren.
Fluchend quetschte ich mich durch die Menge und versuchte, wenigstens den Weg zurück zum Ausgang zu finden. Aber auch das erwies sich als unmöglich. Ich bin nicht zwingend klein, aber aus irgendeinem Grund, schien mich jeder der Anwesenden um mindestens einen Kopf zu überragen. Ich sah mich um, um vielleicht irgendeinen Hinweis auf meinen jetzigen Standort zu finden, aber alles was ich sah, waren tanzende Discogänger.
Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Ich sah hoch und blickte in ein paar roter Augen.
»Ich denke, du bist hier falsch«, sagte mein Gegenüber und lächelte.
Ich schluckte beim Anblick der beiden Fangzähne, die deutlich über die Unterlippe ragten.
»Wie bitte?«, stammelte ich verwirrt.
»Der Club ist für dich nicht geeignet. Außer, du bist auf der Suche nach ein bisschen Nervenkitzel.«
»Du wirst mir doch jetzt keine Drogen anbieten, oder?«, brummte ich, nachdem ich meinen ersten Schreck angesichts dieses monströsen Gebisses überwunden hatte.
Er beugte sich näher zu mir; so nah, dass ich die schwarzen Haarwurzeln in seinen antoupierten blondierten Haaren sehen konnte. »Ich kann dir etwas viel besseres anbieten.«
Ich schob ihn energisch zurück. »Danke, ich lebe sowohl vegan, als auch sexlos. Zumindest bis zur Ehe. Bis dann.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und boxte mich weiter in die andere Richtung, egal ob nun näher zum Ausgang oder nicht. Hauptsache fort von diesem Spinner.
Diesmal war ich diejenige, die jemanden anrempelte. Der Kerl vor mir drehte sich um und ich machte erschrocken einen Schritt zurück. Wenn der Freak mit den angeklebten Vampirzähnen mich schon erschrocken hatte, dann war dieser Knabe zum Fürchten. Er hatte eine Halbglatze, fahle Haut, die grau wirkte, und nahezu obszön fleischige Lippen. Sie verliehen seinem Gesicht den Ausdruck eines Entenschnabels.
»Was soll das?«, schnarrte der Entenmann und ich winkte nervös ab.
»Tschuldigung!«
Er kniff die Augen zusammen und schnüffelte. Es klang widerlich. Die dicken Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, das ein paar sehr langer und spitzer Zähne entblößte.
Ich merkte förmlich, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Der Entenmann machte Anstalten, sich auf mich zu stürzen, ungeachtet der Leute um mich herum, die nichts davon mitbekamen – oder so taten als ob.
Doch bevor er sich bewegen konnte, tauchte Fengs massige Gestalt vor mir auf. Er fixierte den Entenmann und ich dachte, er würde jetzt ausholen und ihm seine Faust ins Gesicht schlagen. Stattdessen ließ er die Arme hängen und verneigte sich.
Meine Augen wurden groß, als ich sah, dass der Entenkerl es ihm nachtat. Mir entfuhr ein leiser Schrei, als sich in der Bewegung die Halbglatze des unheimliche Kerls löste und auf dem Boden aufschlug. Sie zerplatzte und es klang wie ein Wasserballon. Der Entenmann heulte auf. Feng packte meinen Arm und zerrte mich weg. Das Letzte, was ich von dem Entenmann sah, war, wie er sich suchend durch die Menge drängte und dabei seine Finger mit langen Nägeln zu Klauen ballte.
»Was war das?«, keuchte ich, während ich weitergezogen wurde und die Protestschreie um mich herum ignorierte, wenn Feng jemanden aus dem Weg stieß.
»Später«, knurrte er und zog mich weiter.
Irgendwie behielt er den Überblick, denn kurz darauf fand ich mich vor einer Tür wieder, die er aufstieß.
Als ich hineinstolperte, stoppte die laute Musik ruckartig. Feng war mir gefolgt und hatte die Tür hinter sich wieder geschlossen. Die Beleuchtung war unruhig, die einzige Glühbirne an der Decke wirkte als würde sie jeden Moment in den Ruhestand treten.
»Die Treppe hoch«, wies Feng mich an und deutete auf das Eisengeländer vor mir. Die Treppe war nicht sehr hoch, vielleicht zwanzig Stufen. Oben angekommen, stand ich vor einer weiteren Tür. Diesmal wartete ich gar nicht erst auf Fengs Anweisung, sondern öffnete sie selbst. Dahinter befand sich ein Raum mit einer riesigen Glasscheibe, durch die man direkt auf die Halle schauen konnte. Ich sah mich um. Ein Schreibtisch, einige Aktenschränke, ein paar Stühle. Ein zweckmäßiges Büro.
»Setz dich.«
Ich tat es. »Deins?«, fragte ich mit einem Fingerzeig in das Büro.
Feng schüttelte den Kopf. »Neftek, ein Freund, der hier arbeitet, hat mir erzählt, dass es öfter mal frei ist.« Er nahm sich einen weiteren Stuhl und zog ihn heran, so dass er vor mir saß und mich ansehen konnte. Seinem Ton nach zu urteilen, ging ich davon aus, dass er mir eine Standpauke halten würde. Weswegen wusste ich zwar nicht, aber der Asiate wirkte alles andere als glücklich. Ich wappnete mich schon mal vor der Schelte. Die kam aber nicht.
»Entschuldige«, sagte er ruhig.
»Wie bitte!?«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so leicht verloren gehst.«
»Normalerweise tue ich das auch nicht«, gab ich zurück. »Zumindest nicht, wenn ich weiß, wo ich hingeschleppt werde.«
Feng hob die Hände, als wolle er sich vor meinen Worten schützen. »Du hast ja Recht. Ich muss mich nur daran gewöhnen, wie wenig du weißt.«
Ich lehnte mich zurück und schlug die Beine übereinander. »Ich kann mir wirklich keine Arbeitsstelle vorstellen, die es wert ist, dass ich nachts in irgendeiner Vorstadtdisco von Freaks mit Halbglatze und rotglühenden Augen angemacht werde.«
Feng lächelte entschuldigend. »In Ordnung, jetzt stell die Eiskönigin einmal beiseite. Ich versuche auch, mich mit solchen Äußerungen zurückzuhalten.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Erklär mir einfach, was das hier soll«, antwortete ich ruhiger.
Feng sah zur Seite, raus auf die Menge, die sich im Rhythmus der Musik bewegte. Er seufzte. »Das ist vielleicht nicht gerade der beste Zeitpunkt, dich einzuweihen. Aber anscheinend ist es wichtig, wenn deine Mutter darauf besteht, nachdem sie dich dreißig Jahre derart behütet hat.«
»Neunundzwanzig«, murmelte ich.
»Wie bitte?«
»Ich bin neunundzwanzig.«
»Entschuldige.« Feng seufzte abermals. »Du befindest dich gerade in einer heiklen Zeit. Es herrscht Frieden, aber noch nicht sehr lange.«
»Was für ein Frieden?«
»Zwischen den Fey und den Grenzgängern.«
»Den was?« Ich beugte mich vor. »Sind das irgendwelche Sekten oder Gangs?«
»Nein, eher das, was du als Fabelwesen kennst.«
Mein Blick wirkte wohl skeptisch genug, denn Feng wand sich darunter.
»Wie gut kennst du dich in Mythologie aus? Elfen, Feen, Vampire, Werwölfe?«
»Das, was ich so durch Bram Stokers Dracula erfahren habe und vielleicht noch…«, ich stockte. Das war wirklich zu albern. »Willst du mir erzählen, dass du ernstlich glaubst, da draußen führen irgendwelche Vampire und Werwölfe Krieg?«
»Eigentlich waren die beiden früher auf der derselben Seite und Krieg wird schon länger nicht mehr geführt, aber im Prinzip, ja.«
Ich stand auf. Das war zu viel des Guten.
»Feline!«
»Schönen Dank auch, Feng, aber nach reiflicher Überlegung bin ich der Meinung, dass ich auf die angebotene Stelle verzichten kann«, zischte ich.
Ich war schon auf dem Weg zur Tür, als die Welt sich plötzlich verschob. Es war als würde ein Erdbeben in meinem Innern stattfinden und ich wankte. Meine Hand stützte sich an der Tür ab, damit ich nicht fiel und ich schloss die Augen, um mich auf einen festen Punkt zu konzentrieren. Ich hätte schreien sollen oder mich flach auf den Boden werfen. Was man im Falle eines Erdbebens tat, wusste ich nur aus dem Fernsehen. In Deutschland gehört das nicht zum Schulunterricht.
Langsam ebbte das Beben ab und ich richtete mich wieder auf.
»Feng, alles in…?« Als ich mich umdrehte, blieb mir die Frage im Hals stecken. Dort, wo Feng gestanden hatte, schlängelte sich… nun ja… ein Etwas.
Ich schluckte und blinzelte. Das Bild veränderte sich nicht. Vor mir stand ein Drache mit glänzenden gelben Schuppen. Ich hatte diese Abbildung schon gesehen. Die stilisierte Form hatte ich sprichwörtlich mit Füßen getreten – auf dem Teppich, der im Triskelion Büro auslag.
Ein chinesischer Drache, dessen Körper sich so anmutig bewegte, als befände er sich unter Wasser oder in der Luft. Die langen fühlerähnlichen Fortsätze an seinem Maul bewegten sich leicht und auch der Haarkamm auf seinem Rücken schwankte wie Seegras.
Der langgezogene Körper füllte fast das gesamte Büro aus und schimmerte im stumpfen Licht der Deckenlampe. Es klickte als er mit seinen Krallen über den Metallboden auf mich zukam. Ich wich zur Tür zurück.
»Geh zum Fenster«, sagte er. Die Stimme dröhnte mir in den Ohren und ohne mein Zutun bewegten sich meine Füße zur Panoramascheibe. Ich atmete erschrocken ein, als ich das Bild der Halle unter mir sah.
Nicht nur das Büro hatte sich verändert, auch die Tanzenden waren kaum wieder zu erkennen. Ich sah Fell, Zähne, Schuppen. Noch immer tanzten diese Gestalten, als wäre nichts geschehen. Vielleicht war es das auch nicht. Vielleicht wurde ich einfach verrückt?
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich den Entenmann. Seine Haut war nicht mehr grau, sondern grün, und seine Lippen hatten sich zu einem authentischen Schnabel verzogen.
Ich wandte mich abrupt um, nur um den großen Drachenkopf vor mir zu sehen. Die goldenen Augen waren so groß wie Äpfel.
»Wirst du mir endlich zuhören?«
Ich knirschte mit den Zähnen, aber Feng schien das zu überhören. Ich schwankte. In diesem Augenblick schossen mir soviele Gedanken durch den Kopf, dass ich kaum wusste, was ich von alldem halten sollte. Etwas in mir wollte einfach nur schreien, zur Tür rennen und diese Disco, diese Agentur, diese gesamte Sache einfach hinter sich lassen. Der Rest von mir hatte das Gefühl, sich nie wieder von diesem Platz rühren zu können. Nicht aus Angst. Vielmehr aus schierer Ehrfurcht und Verwunderung.
Vor mir stand tatsächlich ein Drache, eines der Wesen, das in den Geschichten meiner Mutter vorkam – aber niemals in einer kleinen Discothek am Freitagabend. Ich schluckte und bemerkte, wie mein Arm sich selbstständig machte. Er hob sich und streckte sich der langen, pferdeähnlichen Schnauze entgegen. Feng schnaubte amüsiert und ich zuckte zusammen, hielt den Arm aber ausgestreckt. Für einen unbeteiligten Zuschauer hätte es wie ein verunglückter Gruß wirken können.
Feng schien meine Verunsicherung bemerkt zu haben, denn er senkte leicht den Kopf, bis meine Handfläche auf seinen Nüstern ruhte. Ich hörte mein Herz überlaut in meiner Brust klopfen. Sie waren weich. Der Atem, der daraus hervorquoll, erschien mir heißer als von jedem anderen Wesen.
»Wirst du mir jetzt zuhören?«, wiederholte der Drache seine Frage mit grollender Stimme und ich nickte zaghaft. Meine Knie wurden weich und ich ließ mich wieder in den Stuhl sinken.
»Kannst du vielleicht wieder, ich meine…«
Er grinste und offenbarte eine beeindruckende Reihe von Zähnen, ehe das zweite Beben einsetzte. Diesmal ging es etwas besser, denn ich saß; beim zweiten Mal wusste ich auch, worauf ich achten musste. Mein Blick ruhte auf Feng, während ich mich an meinem Sitz festhielt. Die Konturen des mächtigen Drachen wandten sich, wurden weicher und lösten sich von ihrer Form. Sie veränderten sich weiter und besaßen mehr und mehr Ähnlichkeit mit züngelnden Flammen, die den großen Körper einhüllten. Er schmolz, wandelte sich selbst zu Feuer. Es wurde hell im Büro und ich musste die Augen zusammenkneifen. Die Flammen wurden dichter, bildeten Muster, verhakten sich ineinander, bis sie eine menschliche Gestalt formten. Urplötzlich erlosch das Licht. Vor mir stand wieder der Mann, mit dem ich hergefahren war, sogar wieder vollständig angezogen. Er setzte sich ebenfalls.
»Da unten tummeln sich die verschiedensten Wesen, von Grenzgängern bis hin zu Fey«, setzte er ein zweites Mal an. Mit dem Unterschied, dass ich diesmal tatsächlich zuhörte. »Du erinnerst dich an Kay. Er ist ein Fey, ein Feenwesen aus der alten Welt, wie sie es nennen.«
»Feenwesen? So kleine Figürchen, mit Glitzerflügeln und Zauberstab?«
Feng schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Kay würde dir den Kopf abreißen, wenn du so etwas jemals in seiner Gegenwart erwähnst. Feenwesen sind Kreaturen, die aus Magie geboren wurden. Wie und woher, weiß keiner. Sie haben ihre eigenen Reiche, halten sich aber oft zum Vergnügen in der menschlichen Welt auf.«
»Bist du auch so etwas?«, fragte ich, während ich mich noch bemühte, das Bild von Kay mit einem funkelnden Tütü zu verdrängen. In Stresssituationen benutzte mein Hirn die seltsamsten Dinge um sich abzulenken.
»Ein Fey? Nein, ich bin ein Grenzgänger.«
»Ich dachte, ihr habt Krieg gegeneinander geführt?«
»Das stimmt auch.« Feng fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die kurzen schwarzen Haare. »Grenzgänger sind Wesen, die an keine bestimmte Welt gebunden sind. Fey können nur ihre eigene und vielleicht noch ein zwei andere Welten betreten. Grenzgänger können überall hin gehen. Nicht nur in die physischen Reiche.«
»Und was heißt das?«
»Das heißt, dass die Fey uns lange Zeit gefürchtet und auch gehasst haben. Weil wir in Bereiche vordringen können, die ihnen verwehrt bleiben. Grenzgänger mochten Fey nicht, weil sie sie für arrogant und machthungrig hielten. Diese Vorurteile wurden zu festen Ansichten und gipfelten schließlich in einem Krieg, der mehrere Jahrhunderte währte.«
Ich runzelte die Stirn und sah aus dem Fenster. Draußen wirkte alles wieder wie ein normaler Freitagabend mit einer Horde Partyhungriger.
»Und jetzt ist das vorbei?«
»Nicht ganz. Es wurde vor fünfzig Jahren zwar ein Friedensvertrag unterzeichnet, aber alter Hass ist schwer auszuräumen. Es gibt noch immer Wesen auf beiden Seiten, die sich nicht anpassen wollen. Dafür sind wir da.«
»Du und Kay?«
»Ja. Wir vermitteln in heiklen Fällen zwischen den beiden Seiten oder auch zwischen ganz anderen Parteien und Wesen.«
Ich senkte den Blick auf meine Stiefelspitzen und rieb mir über den Nacken. Das war sehr viel Information auf einmal. Paranormale Friedenstruppen. Das klang wie aus einem Film. »Sind alle Grenzgänger Drachen?«
Feng lachte leise. »Nein. Es gibt ebenso viele Arten von Grenzgängern, wie es Fey gibt. Vampire, Drachen, Werwölfe. Wesen, die mindestens zwei Leben teilen.«
»Und wie komme ich ins Spiel? Ich halte mich weder für einen Vampir noch eine Fee.« Ich wedelte mit der Hand, als würde ich einen imaginären Zauberstab schwenken.
»Du hast etwas von beidem in dir. Das hat auf dich selbst keine Auswirkungen, aber zumindest hätte deine Mutter dich darüber aufklären können, dass deine Wurzeln nicht aus der menschlichen Welt stammen.«
»Wozu? Ich war so unwissend ganz glücklich. Und was meinst du mit ›nicht aus der menschlichen Welt‹?«
»Unwissend bist du jetzt nicht mehr. Du solltest das ausnutzen«, erwiderte Feng und ignorierte meine zweite Frage einfach. Ich beschloss, ihn später noch einmal darauf anzusprechen. »Inwiefern?«, fragte ich stattdessen.
Feng zwinkerte. »Das Gehalt als Mittler ist nicht schlecht. Du bist zwar rein menschlich, aber das wäre das, was wir für die Agentur noch brauchen. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, sind Kay und ich in menschlichen Angelegenheiten zuweilen etwas eingeschränkt. Wir würden gern jemanden an Bord haben, der zwar Verbindungen zu unserer Welt hat, sich aber im alltäglichen Leben auskennt.«
»Ein humanoider Reiseführer?«, hakte ich nach.
»Eher ein Counselor.«
»Beruhigend, dass diese Modebegriffe in jeder Welt gebräuchlich sind«, sagte ich und seufzte.
»Also?«
Ich rieb mir über das Ohr. »Ich möchte erst wissen, wie ihr beiden euch das vorstellt? Counselor ist nichts weiter als ein schwammiger neudeutscher Terminus für jemanden, der nicht weiß, warum er bezahlt wird.«
Feng lachte. »Wie ich schon sagte: Wir brauchen jemanden, der für sterbliche Belange da ist. Der Kunden und Besucher empfängt, ohne weiteres bestimmte Orte aufsuchen kann und bei täglichen Dingen hilft.«
»Könnt ihr denn nicht überall dahin gehen, wohin ihr wollt?«
Feng schüttelte den Kopf. »Es gibt für die Fey viele Begrenzungen und Gesetze. Und für uns Grenzgänger gibt es Orte und Bereiche die wir als Territorien abstecken und gegen andere Grenzgänger verteidigen. Werwölfe sind vielleicht Rudeltiere, aber der Mantikor ist ein Einzelgänger. Ein Mensch kann in der sterblichen Welt ohne Schaden das Gebiet eines Mantikors betreten. Kay oder ich könnten das nicht.«
»Sonst noch etwas?«
»Sicher. Aber diese Situation ist für uns ebenso neu wie für dich. Es würde sich von Fall zu Fall unterscheiden, was noch an Aufgaben für dich dazukommt.«
Ich stand auf und fuhr mir mit den gespreizten Fingern durch die Haare. Das klang absurd. Vollkommen absurd. Aber ich hatte Fengs Verwandlung gesehen. Der Drache hat vor mir gestanden und zu mir gesprochen. Er hatte den Vorhang zu einer anderen Realität einen Spaltweit geöffnet. Und jetzt bot er mir an, ihn vollkommen beiseite zu ziehen. Ich musste nur zusagen.
»Mein Gehalt beträgt siebentausend Euro. Brutto. Inklusive Krankenversicherung und aller Informationen über dieses«, ich wedelte wieder mit der Hand, »Ding hier, die ich haben will.«
»Sechstausend Euro«, erwiderte Feng, nicht im Mindesten überrascht.
»Sechstausendfünfhundert.«
»Einverstanden.« Er grinste und stand auf. »Lass uns gehen.«
Als ich ihm hinausfolgte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich meinen Preis zu niedrig angesetzt hatte. Viel zu niedrig.