Kapitel 6

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Die Tür des Büros war geschlossen. Ich drückte probeweise dagegen, und zu meinem Erstaunen ließ sie sich einfach aufschieben. Wenn ich mir die Umgebung des Hauses so ansah, war ich überrascht über die Gutgläubigkeit von Kay und Feng. Kaum hatte ich jedoch einen Fuß über die Schwelle gesetzt, dröhnte mir eine Stimme in den Ohren. »Das ist meine Tür, meine Tür, meine meine meine Tür!«

Ich presste die Hände auf die Ohren, aber die Stimme war in meinem Kopf. Meine Ohren abzudecken war nutzlos.

»Halt die Klappe!«, schrie ich gegen den Lärm in meinem Hirn an, aber die Stimme steigerte sich zu einem hohen Kreischen. Ich musste die Augen schließen, denn alles um mich herum verschwamm. Noch eine Sekunde mehr und ich würde wahnsinnig werden.

»Ich bin’s, Feline! Feng schickt mich!«, schrie ich in einem letzten Versuch, den Lärm abzustellen und tatsächlich – die Stimme verstummte.

Ich öffnete die Augen und ließ meine Hände sinken. Im Büro war niemand außer mir. »Hallo?«, fragte ich, aber mir antwortete nur Stille.

Ich schüttelte den Kopf und erkundete zum ersten Mal das gesamte »Triskelion«-Büro. Neben dem Vorraum, den ich bisher für Kays Raum gehalten hatte, war tatsächlich nichts weiter als ein Empfang. Das eigentliche Büro befand sich eine Tür weiter. Es war klein, aber mit einer riesigen Fensterfront mit Blick auf das Wasser versehen. Es gab viele Grünpflanzen und ich sah Kays Jackett über dem Garderobenhaken hängen. Daneben befand sich der Konferenzraum und noch weiter war Fengs Raum. Das Interieur war dasselbe, das sich auch auf dem Flur wiederfand. Feng mochte wohl Rot.

Auf der Suche nach einer Toilette oder – in vollendeter Dekadenz – einer Küche oder einer Kaffeemaschine, kam ich wieder durch den Vorraum. Dort stand plötzlich jemand.

Ich schrie. Er ebenfalls.

»Was wollen Sie hier?«, entfuhr es mir, gleich nachdem ich bereits das zweite Mal in sehr peinlicher Art und Weise geschrien hatte.

Der Mann war leger gekleidet, mit einem weißen T-Shirt und einer einfachen schwarzen Weste darüber. Er hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Es war nur gerade niemand hier.«

»Und wie sind Sie hier hereingekommen?« Das Kreischen des Türhüters musste er doch gehört haben. Und wieso war das kleine Mistding nicht bei ihm angesprungen?!

Er beugte sich zu mir und ich sah eine schmale Falte zwischen seinen Augenbrauen auftauchen. Schöne tiefschwarze Augenbrauen. Noch dunkler als seine Augen. Der leichte Bartschatten auf seinem Gesicht hatte dieselbe Farbe. Aftershave hüllte mich ein. Normalerweise musste ich bei zu viel parfümiertem Wasser husten, aber jetzt weckte der Duft das Bedürfnis nachzuprüfen, ob der Rest des Mannes auch so köstlich roch.

»Offiziell habt Ihr geöffnet«, knurrte er mich liebenswürdig an.

Ich blinzelte und versuchte den Duft abzuschütteln.

»Ich war auch nur … ich bin neu hier«, endete ich lahm.

Er richtete sich wieder auf und grinste. »Dann fröhlichen Einstand. Kannst Du mir trotzdem weiterhelfen?«

Ich setzte mich hinter den Schreibtisch. Eigentlich Kays Position, aber da ich ja ohnehin als Sekretärin hier war und er ein eigenes Büro hatte, ging ich davon aus, dass das hier in Zukunft meine Domäne sein würde.

»Gern. Was kann ich für Sie tun?« So wie er da stand, wären mir auf der Stelle tausend Sachen eingefallen, die ich gerne für ihn getan hätte. Er war der bestaussehendste Mann, der mir in letzter Zeit begegnet war. Besser als Kay und Feng nackt. Naja, das vielleicht nicht. Aber die Art, wie sich die Jeans über seinem trainierten Po spannte, ließ meine Gedanken doch arg abschweifen.

»Mein Name ist Samhiel. Ich suche Kay.«

»Der ist zurzeit leider unterwegs. Kann ich ihm etwas ausrichten?«, fragte ich und prägte mir seinen Namen ein. Seltsam, wie Feng schien auch er keinen Nachnamen zu haben.

»Nein. Das mache ich lieber persönlich.«

Ich seufzte nur bedauernd, nickte aber. Das schien ihn zum Lachen zu animieren. »Macht dich das so traurig?«

»Nein. Nein, ich dachte nur… ich bekomme etwas zu tun.« Was redete ich da eigentlich?

Er grinste und beugte sich so schnell über den Tisch, dass ich die Bewegung gar nicht mitbekam. Aber plötzlich war sein Gesicht nah vor meinem und ich konnte nicht wegsehen. Sein Blick hielt mich förmlich fest und fast konnte ich die Wärme seiner Lippen spüren. Sein Haar fiel ihm über die Schulter. Er hatte es zu einem Zopf zusammengebunden. Wesentlich kürzer und wilder als Kays ordentliche Mähne. Samhiels Duft war überall. »Wenn du etwas zu tun haben möchtest«, raunte er leise, »komm doch heute Abend ins ›Behemoth‹, Kätzchen.«

Ich sah ihn nur groß an und versuchte meinen Herzschlag zu kontrollieren. Ich kannte ihn vielleicht fünf Minuten und fühlte mich bereits wie ein Fisch am Haken. Ein sehr hilfloser Fisch. Das Gefühl gefiel mir ganz und gar nicht, und ich versuchte es durch mein übliches Verhalten loszuwerden. Ich schob meinen Stuhl zurück um mich außerhalb der Reichweite seines betörenden Duftes zu bringen und zwinkerte, um meinen Kopf freizubekommen. »Ich bin niemandes ›Kätzchen‹«, knurrte ich. »Und ich werde mit Sicherheit nicht ins ›Behemoth‹ kommen!«

Samhiel richtete sich wieder auf. Er lächelte amüsiert, als hätte ich ihm einen guten Witz erzählt. Mein kindisches Keifen kommentierte er nicht, sondern zog nur eine Visitenkarte aus der Hosentasche. »Hier ist die Adresse. Bis heute Abend.« Er nickte mir zu und verschwand einfach durch die Tür.

Natürlich würde ich niemals wild ins Blaue hinausfahren, nur weil ein gutaussehender Kerl mir seine Karte vor die Nase hielt. Das war unter meiner Würde. Ich würde lediglich ein wenig recherchieren. Das war doch immerhin mein Job, oder? Das sagte ich mir zumindest immer wieder, als ich mit meinem Auto zur Adresse auf der Karte fuhr. Keine Gegend mit besonders gutem Ruf. Eigentlich sogar mit einem ziemlich miesen Ruf…

Als ich ausstieg, schloss ich den Wagen sorgfältig ab. Ich sah auf die Karte und dann wieder auf das Gebäude vor dem ich gehalten hatte. Hausnummer 4. Die Adresse stimmte, dennoch war ich unsicher, ob ich hier wirklich richtig war. Das Lokal im Erdgeschoss des Hauses war mit Rollläden – vor den Fenstern und dem Eingang – verschlossen und seltsame Graffiti prangten auf Verschlüssen darauf. Ich war schlicht und ergreifend einem blöden Scherz aufgesessen. Typisch, schoss es mir durch den Kopf, kaum tauchte ein hübsches Gesicht auf, konnte ich mir sicher sein, jegliches rationales Denken an den Nagel zu hängen.

Ich wollte mich gerade umdrehen, als mich eine Gestalt hart anrempelte.

»Was soll das?!«, fuhr ich auf, aber die Frau beachtete mich gar nicht und lief stur weiter. Ich wollte ihr etwas hinterherrufen, als mein Blick auf etwas fiel, das auf ihrer Stirn, unter den dichten Haaren hervorlugte. Es war ein gewundenes Horn. Anstatt mich wieder ins Auto zu setzen, folgte ich ihr. Vielleicht hatte ich mich auch nur verguckt, aber nach dem kleinen Zwischenfall im »Sheol«, war ich mir da nicht so sicher.

Die Fremde lief schnell, sah weder nach links noch nach rechts. Anscheinend hatte sie es sehr eilig. Den Mantel fest um sich gezogen, lief sie in eine schmale Seitengasse zwischen dem Lokal und einem Sex-Shop. Ich ließ mich weiter zurückfallen, ehe ich ebenfalls in die, nach Urin und altem Müll stinkende, Gasse schlüpfte. Sie war nicht sehr lang und ich war froh, dass ich am anderen Ende wieder frische Luft atmen konnte. Zumindest frischere als in der Gasse.

Hinter dem Lokal öffnete sich ein Hof, gerade groß genug um einem kleinen Laster Platz zum Ausladen zu geben. Meine Freundin mit dem Horn stand unweit von mir an einer Tür, die in das Lokal führte. Vielleicht hatte Samhiel mich doch nicht verschaukelt, sondern ich war einfach nur zu blöd gewesen, den Eingang zu finden?

Die Fremde sprach mit einem zierlichen Mann, der sich nach einigen Augenblicken respektvoll verneigte und sie dann einließ.

Ich atmete tief ein und ging ebenfalls zur Tür. Der Mann sah auf, als ich auf ihn zukam. Sein Blick hatte etwas raubtierhaftes an sich, und für einen Sekundenbruchteil flackerte das Bild einer zum Sprung geduckten Raubkatze vor meinem inneren Auge auf.

»Ja?«, fragte er.

»Ich suche Samhiel«, sagte ich. Das Gesicht des Raubkatzenmannes verzog sich zu einem Grinsen. »Das tun heute Abend alle. Hast du eine Eintrittskarte?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, davon war nie die Rede. Er sagte mir nur, dass ich heute Abend hierherkommen soll.«

Er beugte sich vor. Erst dachte ich, dass er mich wegstoßen wollte, aber zu meiner Überraschung schnupperte er deutlich hörbar an meinem Hals und meinen Haaren. Ich war zu perplex um einen Schritt nach hinten zu machen. Mit einem Schmunzeln richtete er sich wieder auf. »Ah, du bist das. Geh einfach durch, es fängt gleich an.«

Meine Verwirrung steigerte sich, aber der Türsteher hatte es eilig, die Tür zu schließen, weswegen er mich in das Innere des Lokals zog und nach vorne schob. Der Türbereich war mit einem schweren Vorhang abgegrenzt, den ich zur Seite schob. Die Luft war schwer und ich roch künstlichen Trockeneisnebel. Ein Aroma wie Maggi.

Vor mir breitete sich ein Zuschauerraum mit einer verdunkelten Bühne aus. Mehrere Tische waren im Raum verteilt, an denen drei bis vier Personen saßen und auf den Beginn der Show zu warten schienen. Die meisten waren weiblich, soweit ich das auf den ersten Blick beurteilen konnte. Die Art des Publikums erinnerte mich an das »Sheol«. Mit menschlichem Aussehen hatten die Wenigsten zu tun. Ich sah Fangzähne, Fell, und auch meine Zufallsbegegnung von draußen. Mein Blick hatte mich nicht getäuscht. Sie hatte das Haar aus der Stirn geschoben und entblößte dadurch ein Paar brauner Hörner. Ihr Blick lag ebenso begierig auf der dunklen Bühne, wie die der anderen.

»Etwas zu trinken?«

Ich drehte mich um und sah den Türsteher. Im Halbdunkel glitzerten seine Augen.

»Ich … ja«, erwiderte ich unbeholfen.

Er nickte, als hätte er so eine Antwort erwartet und führte mich an zu einer Theke direkt gegenüber der Bühne. Während ich auf den Barhocker kletterte, fluchte ich, da ich einen Rock angezogen hatte. Ich hasste diese Dinger – zum Sitzen völlig ungeeignet.

Als ich den Gipfel-Sitzplatz endlich erklommen hatte, schob mir der Türsteher ein Glas Wasser hin. Ich dankte ihm und trank einen Schluck.

Er nickte und hielt mir seine Hand entgegen. »Ich heiße Miki«, sagte er. Ich ergriff seine Hand und zuckte zusammen als ich weiches Fell auf der Innenfläche spürte. Er grinste. »Unangenehm?«

»Eher ungewohnt. Mein Name ist Feline Rot. Ich bin…«

»Wegen Samhiel hier, das sagtest du bereits. Er hat gesagt, dass du kommst«, unterbrach er mich und in seiner Stimme lag ein raues Schnurren.

»Daher die Riechprozedur an der Tür?«

Er lächelte wieder. »Du bist der einzige Mensch im ›Behemoth‹. Und es ist besser, wenn das unter uns bleibt.«

Ich sah mich ein wenig um. Vor mir ertönte ein Seufzen und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu. Das Licht begann heller zu werden, stoppte aber, als es auf einer angenehm gedämmten Stufe war. Ein Schauer rann mir über den Rücken. Ein tiefer Bass setzte ein, und unterstützte den Effekt des Lichtes.

Nach einer Weile wurde der Bass etwas leiser, pochte in meinem Hinterkopf weiter. Nicht störend, gerade laut genug, so dass ich ihn noch spürte. Die Musik dazu veränderte sich. Anfangs noch hart und rhythmisch, wandelte sie sich zu etwas, was man vielleicht Nachts hörte, in dem kleinen Moment, indem man noch nicht ganz erwacht war und in die Dunkelheit lauschte.

Ich schloss meine Augen und ließ den Rhythmus auf mich wirken. Es war angenehm und ich bemerkte, dass ich mich leicht hin und her wiegte. Sofort hörte ich auf und nippte an meinem Getränk. In diesem Moment sah ich eine Gestalt auf der Bühne stehen. Sie bewegte sich nicht, blieb einfach im Halbdunkel des Bühnenrandes und sah ins Publikum.

Ein kurzes Raunen erhob sich, wurde lauter, als die Gestalt einen Schritt nach vorne machte. Man konnte den Mann jetzt deutlich sehen; das Licht war perfekt auf ihn ausgerichtet. Samhiel. Er trug das Haar offen, es reichte ihm bis auf den Rücken. Tiefschwarz, schillernd und schien das Licht einzufangen. Sein Körper war muskulös, geschmeidig und man sah viel davon, denn außer einer einfachen Hose aus Leder trug er nichts weiter. Wollte ich meinem kurzen Blick in seinen Schritt glauben, auch keine Unterwäsche.

Sein Lächeln, als er die Menge musterte, war gefährlich und mir wurde warm. Ein leichtes Hochziehen des linken Mundwinkels, spöttisch – das war alles, was er tat. Dennoch sah ich um mich herum einige Wangen röter werden.

Normalerweise hätte ich die Augen verdreht – den Großteil des Publikums machten zwar Frauen aus, aber ich wettete keine von ihnen war ein solches errötendes Unschuldslamm – aber in diesem Fall tat ich es nicht. Auch ich war gefangen von Samhiels Ausstrahlung. Seine dunklen Augen zwinkerten und brachen den Bann, in dem er sein Publikum hielt. Mit einer einzigen Bewegung aus der Hüfte heraus fand er sich in die Musik ein, folgte ihren Höhen ihren Tiefen, nur mit seinem wiegenden Körper. Die bronzene Haut fing immer wieder Tropfen von Licht, ließen sie aufschimmern und gleich wieder verschwinden, kaum, dass Samhiel sich weiterbewegt hatte. Die Musik wurde schneller, die Bässe treibender und so wurden es auch die Bewegungen des Mannes auf der Bühne. Sein offenes, langes Haar folgte ihm wie ein dunkler Schatten, als Samhiel sich um sich selbst drehte, einen Arm ausgestreckt. Immer lauter dröhnten die Bässe, rauschten in meinem Ohren, aber weder hielt ich sie mir zu, noch wandte ich den Blick von der tanzenden Gestalt auf der Bühne ab.

Samhiel drehte sich noch einmal um sich selbst, stand plötzlich am Rand der Bühne, der Körper eine einfache gerade Linie. Nur seine Arme waren ausgebreitet, als wollten sie uns alle umarmen. Das Licht wurde mit einem Schlag vollends gelöscht. Die Musik verklang nicht, sondern verschwand so urplötzlich, dass die Stille laut in den Ohren hämmerte.

Dann erklang es. Ein leises Rauschen. Ein Geräusch, so leise und doch so laut, dass jeder im Raum es hören konnte. Blätter? Wasser an Klippen?

In der Dunkelheit um mich herum, schien es leise meinen Namen zu murmeln und ich spürte, wie Federn und Schwingen mich umfingen, mir etwas sagten, was ich nicht verstand. Aber es war egal. Das Gefühl, das sie auslösten, war ekstatisch. Sie strichen über meinen Körper und ich stöhnte unbewusst auf.

Samhiels Duft, der, den ich schon im Triskelion Büro so intensiv erlebt hatte, umfing mich plötzlich. Seine Stimme mischte sich unter das Flüstern, und auch sie sagte meinen Namen. Weiche Haarsträhnen kitzelten meine Wange, ebenso weiche, hitzige Lippen folgten ihnen, wanderten weiter zu meinem Mund. Es war ein Kuss, in dem ich mich selbst vergaß. Mein Körper war für diesen Mann ein Instrument, das er ohne jegliche Übung zu spielen verstand. Er nahm mir den Atem, schenkte mir seinen und ich gab mich ihm hin. Hitze fuhr durch jedes einzelne meiner Glieder. Ich spürte ihn bei mir, an mir und schließlich in mir. Es war eine hitzige Vereinigung. Keine Stelle meines Körper blieb ungeküsst oder unberührt. Sein Duft, seine Berührungen und immer wieder die Federn, die meine Haut streiften. Das alles war mehr, als ich in diesem Augenblick ertragen konnte. Die Welt um mich löste sich auf. Alles was zählte, war das zarte Streicheln, diese Schwingen in denen ich mich verlor.

Plötzlich ging das Licht wieder an und desorientiert sah ich mich um. Wie mir war es auch den anderen gegangen – mein Gefühl der Verwirrung und der Sehnsucht spiegelte sich in den Gesichtern um mich herum.

Irgendjemand klatschte und nach und nach fielen die anderen ein, bis es sich anhörte wie ein Orkan. Pure Begeisterung.

Miki führte mich hinter die Bühne. Samhiel trocknete sich dort gerade mit einem Handtuch die schweißnasse Brust ab und ich leckte mir bei dem Anblick unwillkürlich über die Lippen.

Als er mich sah, lächelte er. »Du bist ja doch gekommen, Kätzchen«, sagte er nicht sonderlich überrascht.

Ich nickte leicht. Die Katze nahm ich ihm nach dem Erlebnis im Zuschauerraum nicht mehr übel. Allerdings ging mir die Frage, ob er wirklich bei mir gewesen war oder nicht, nicht mehr aus dem Kopf. »Ich muss zugeben, ich war neugierig. Dass du strippst hätte ich aber nicht erwartet.«

Er lachte und setzte sich auf eine Truhe. Nach seiner Aufforderung setzte ich mich neben ihn. »Ich habe meine Hose anbehalten, oder?«

»Klar«, schnaubte ich. »Aber… du hast etwas anderes gemacht.«

Er lächelte. Wieder dieses leicht ironische Hochziehen des linken Mundwinkels. »Ich habe meine Flügel ausgebreitet.«

»Flügel?« Ich lachte. Das konnte er unmöglich ernst meinen. Samhiel aber blieb ernst. »Ja, meine Flügel.«

»Nur Engel haben Flügel.«

»Ich habe nie behauptet, keiner zu sein.« Er schlang sich das Handtuch um den Nacken, während ich ihn noch anstarrte. Das konnte er nicht ernst meinen! Dennoch, so etwas wie eben, hatte ich noch nie erlebt. War das ein Trick gewesen oder sprach er die Wahrheit?

»Nehmen wir an, du hast Recht. Was soll ein Engel in einer Stripbar für Grenzgänger und Elfen?« Ob das »Behemoth« das wirklich war, wusste ich natürlich nicht. Aber nach Samhiels Auftritt war ich mir fast sicher.

Er stand auf und winkte mich mit einem Fingerzeig heran. Ich kam zu ihm. Er öffnete ein Guckloch im Vorhang und ließ mich hindurchsehen. Mein Blick fiel auf eine Frau mit grüner Haut und ebensolchen Haaren. »Das ist Lady Eileen«, sagte Samhiel und ich spürte seinen erhitzten Körper nah bei mir. Es fiel mir schwer, mich auf die Frau vor mir zu konzentrieren, aber ich riss mich zusammen. »Sie hat in dreitausend Jahren Lebenszeit bisher jeden Mann bekommen, den sie haben wollte. Fey, Menschen, sogar Grenzgänger. Die Jagd ist ihr langweilig geworden, deswegen sucht sie das, was sie nicht haben kann.«

»Dich?«

»Mich«, schmunzelte er.

»Die anderen Frauen da draußen auch?«

Er nickte. Ein leises Klingeln ertönte und Samhiel zog sich das Handtuch vom Nacken. Seine Hand streifte mein Kinn und für einen Augenblick waren seine Lippen so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte. »Ich muss gehen, Kätzchen. Schön, dass du da warst.« Und schon war er wieder verschwunden, um unsterblichen Frauen zu zeigen, was sie nicht haben konnten.

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