Andouillette (Innereienwurst)

Wer so wie ich aus einem Wurstparadies kommt – nirgendwo gibt es so viele Wurstsorten wie in Bayern, Österreich und Ungarn –, dessen Geschmacksknospen haben wie selbstverständlich ein vielfältiges Wurst-Feeling programmiert. Zumal die Namen einem europäischen Städteführer zur Ehre gereichen würden: Tiroler, Krakauer, Lyoner, Frankfurter – in Deutschland Wiener genannt –, Krainer, Debreziner, um nur ein paar zu nennen. Und die Wiener Würstlstände sind berühmt für Exoten wie Käsekrainer und »Burenhäutl«, denen der Volksmund so deftige Namen gegeben hat, dass man sie hier keinesfalls nennen kann. Außer in der Blut- und Leberwurst (mit Sauerkraut und gedünsteten, karamellisierten Apfelspalten ein Hochgenuss) wird jedoch meines Wissens und zu meiner Erleichterung eher selten mit Innereien gearbeitet. Die ja auch nicht jedermanns Sache sind. Da sind die Franzosen wohl mutiger als wir. Schließlich gibt es in Frankreich auch diesen hochgeschätzten Fisch, der – milde ausgedrückt – in Abwässern lebt und dessen Name mir einfach nicht mehr einfällt.

Hat diese französische Wurstspezialität irgendetwas mit dem von Kanzler Kohl international promoteten, berühmten »pfälzischen Saumagen« gemein?

Mit Saumagen nicht, aber immerhin mit Politik. Eine recht treffende Charakterisierung stammt vom französischen Politiker Édouard Herriot, Bürgermeister von Lyon. »Die Politik ist wie Andouilletes«, meinte er, »man muss den Dreck riechen können – nur nicht allzu kräftig.« Nur hat er eigentlich nicht Dreck gesagt, sondern ein Wort mit »Sch« am Anfang, das in Büchern über Essen weniger oft verkommt.

Das ist kein Wunder, denn die wichtigsten Bestandteile der Andouillette stammen heute allesamt aus Körperteilen des Schweins, die lebenslang mit Verdaubarem in Berührung kamen: Es sind sorgfältig gereinigte Schweinsdärme und/oder in Streifen geschnittene Schweinemägen. Früher wurden auch Innereien vom Kalb verwurstet, mit Aufkommen des Rinderwahnsinns hat man diese Praxis inzwischen mit einem Verbot belegt. Nur eine Ausnahme gibt es: den Rinderpansen.

All diese Innereien werden mit Zwiebeln, Petersilie, Salz und Pfeffer und eventuell anderen Kräutern gewürzt, gerollt und mithilfe eines Fadens wiederum in einen Schweinsdarm »gefädelt«. Danach kochen sie gute fünf Stunden in einer Court-Bouillon. Die Andouillettes werden meist gegrillt oder gebraten und oft in einer Senfsauce serviert. Zuweilen schmurgelt man sie auch in Rot- oder Weißwein.

Tatsächlich riecht so eine Andouillette oft gewöhnungsbedürftig herb. Allerdings schmeckt es keinesfalls nach Dreck, sondern streng nach Schwein, manchmal auch ein wenig rauchig.

Mir ist das Konzept der Andouillette sympathisch: Es geht darum, das ganze Tier, auch die weniger »edlen« Stücke einer sinnvollen und wohlschmeckenden Verwendung zuzuführen. In Deutschland sehen wir nur saftige Steaks und Koteletts in den Läden, nach Möglichkeit in Plastik verpackt, damit nichts uns daran erinnert, dass dieses Stück Fleisch von einem Lebewesen stammt. Wir alle können uns freilich darauf verlassen, dass die anderen Stücke nicht weggeworfen werden, sondern irgendwo versteckt untergemischt, meist in Würsten. Da ziehe ich doch die französische Mentalität vor: Die Andouillette ist eine Wurst aus Innereien, und dort, wo sie hergestellt wird, ist man darauf stolz.

Ansonsten ist es mit der Andouillette wie mit anderen Vertretern der Gattung Wurst, egal, wie sie heißen: Wurst ist nicht gleich Wurst.

Das »Atelier« eines der letzten legendären Andouillette-Metzger, »Vater« Duval aus Drancy, wurde 2007 an eine Wurstfabrik verkauft. Doch Nachwuchs steht bereit, jede ordentliche Metzgerei braucht eine Andouillette, über dessen Qualität die AAAAA wacht, die »Association amicale des amateurs d’andouillette authentique«, also die »freundschaftliche Vereinigung von Liebhabern authentischer Andouillettes«. Eine wirklich gute Andouillette bietet Bigot (15, place de l’Hôtel de ville, 60350 Pierrefonds, Frankreich).

Übrigens hat die Andouillette eine sympathische Cousine: Die Andouille, eine weitere Innereienwurst, die aber meist kalt verzehrt wird. Es gibt sie in verschiedensten Varianten. Fast wie Jahresringe im Baum wirkt die sorgfältig gerollte Andouille de Guémené aus der Bretagne. Sie wird über Eichen- und Buchenholz geräuchert und schließlich neun Monate getrocknet. Eine mittelständische Wurstfabrik in Plélan le Grand erzeugt eine besonders feine Variante: Die Guémenoise de l’Argoat à l’Ancienne ist eine besonders schlanke Innereienwurst mit einem »Herz« aus saftigem Speck. Schon wegen des verringerten Durchmessers wirkt dieses Stück Charcuterie deutlich weniger rustikal als andere Exemplare dieser Gattung. Es ist sozusagen die Einstiegsdroge in die Welt dieser Würste. Und es könnte all die Genießer überzeugen, die sich beim Lesen dieses Texts geschüttelt haben und das Zitat von Herriot partout nicht aus dem Kopf bekommen.

100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
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