Roquefort

Im Gegensatz zu dem appetitlichen weißen »Samtfellchen« vom Camembert, habe ich den Blauschimmelkäsesorten gegenüber immer einen Heidenrespekt. Ich habe zwar gelernt, dass ein Käsewagen ohne diese Käsesorten nicht komplett ist – ja sogar von einem Mangel an Kennerschaft zeugt –, und ich weiß auch aus Erfahrung, die durch Überwindung gewonnen wurde, dass er in der richtigen Kombination hervorragend schmeckt. Aber ohne Trauben, ohne Weißbrot mit Butter und schon gar ohne einen guten Rot- oder Portwein ist mir Roquefort zu streng. Trotzdem habe ich die Warnung vor giftigem Schimmel nie ganz aus dem Hinterkopf bekommen. Da tauchen gleich noch weitere Bilder von schimmeligem Brot vor meinem geistigen Auge auf, samt der gewissen Sorgfalt und Hektik, mit der der Brotkasten dann gesäubert und desinfiziert wurde. Und ist es nicht auch ein Pilz, der chronische Gastritis hervorruft? Aber damit sind meine Fantasien nicht erschöpft, da kommt gleich noch der Schimmel und die Entdeckung des Penicillin und natürlich die Erinnerung an den wunderbaren Film »Der dritte Mann«. Zu viele ungeklärte Gedankengänge, um sich wirklich dem Schmecken hingeben zu können. Vielleicht kann ich jetzt meine Vorbehalte endlich loswerden und diesen Blauschimmel beruhigt und unabgelenkt genießen lernen?

Lange war mir der Blauschimmelkäse auch nicht geheuer. Es muss mit der deutschen Erziehung zusammenhängen: Was schimmelt, das ist für uns verdorben und als Lebensmittel unbrauchbar. Dann aber kam der Tag, als mit leisem Schnarren ein besonders gut bestückter Käsewagen heranrollte. Ich war zu Nouvelle-Cuisine-Erfinder Michel Guérard nach Eugénie-les-Bains gepilgert; Langustinos in Zitronenblütensauce, geräucherten Hummer und Petersfisch in Früchtebouillon hatte ich gerade genossen. Jetzt verkündete der Maître d’Hôtel die Ankunft des »Fromage«: sorgsam getrocknete Ziegenkäse, bestens gereifter Camembert, würziger Epoisses … Doch ganz oben lenken gleich drei große, runde, von blaugrünen Adern durchzogene Käselaibe aller Augen auf sich. »Le Roquefort«, erklärte der Mann in Schwarz stolz: »Drei Monate gereift, das Mindestalter, jung und frisch … Fünf Monate, seine Blütezeit … Und hier die ältere Variante, kräftiger, pikanter, würziger, etwas für Liebhaber.« Ich wand mich noch ein wenig und bekam, während Monsieur mir schon etwas Camembert auflegte, eine Käselektion: Der Mann erzählte, dass schon Plinius der Ältere einen Käse erwähnt, bei dem es sich um Roquefort handeln könnte. Dass Roquefort ab Juni erstklassig schmeckt, weil die Schafe angeblich im März die beste Milch geben und der Käse drei Monate lang reift. Dass gute Roqueforts glatt und gleichmäßig »geädert« sind, während schlechte Exemplare krümelig ausfallen. Oder dass bereits Karl dem Großen während einer Roquefort-Probe die rechten Tischmanieren beigebracht wurden: Bei einem Halt im Kloster von Vabres wollte er kurzerhand die blauen Adern aus dem Käse schneiden, als ihn ein gestrenger Mönch belehrte: »Sire, Ihr seid im Begriff, das Beste zu entfernen!«

Dermaßen überzeugt, kostete ich mich durch die Käse aller Alterungsstufen, von cremig-würzig bis herzhaft, mit einem ganz leichten metallischen Nachgeschmack. Da wusste ich, wieso diese Aromenkugel schon Voltaire, Casanova und Rabelais die Papillen tanzen ließ. Roquefort kommt – woher sonst? – aus Roquefort. Genauer gesagt: Aus Roquefort-sur-Soulzon, 702 Einwohner, ein winziges Nest mit einem Archäologiemuseum und zwei Menhiren. Die Region ist karg, die wenigen Häuser klein und massig, aus solidem Stein errichtet. Zwischen den kuriosen Felsformationen möchte man eigentlich zum Schaf werden: Rundum nur aromatische Wildkräuter, ab und an ein Busch, überall Gras, auch wenn’s ein bisschen dürr wirkt. Die Steinzäune sind mit einem beherzten Hüpfer übersprungen, der Hirte lässt sich nur gelegentlich sehen. In den Futtertrog darf keine genmanipulierte Kost und erst recht kein Tiermehl. Selbst die Gefahr, auf irgendeinem Teller zu landen, ist relativ gering: Lammfleisch gibt es überall. Aber nur die Schafe der etwa 2500 Züchter aus den Causses und Larzac, also Roquefort und Umgebung, sollen die Milch für den König der Käse liefern. »Wie er seit undenklichen Zeiten in den Grotten des Dorfes erzeugt wird«, so heißt es schon in einem Dokument Karls des VI., das dem Dorf das Roquefort-Monopol sicherte. Eine ernst gemeinte Warnung: Wer seine Käse anderswo als in den ebenso berühmten wie feuchten Grotten von Cambalou reifen ließ, hatte im 17. Jahrhundert vor dem Gericht von Toulouse mit der drakonischen Geldstrafe von 1000 Pfund zu rechnen: Les Grottes, das sind natürliche Höhlen im Kalkstein-Massiv von Cambalou (von campus bellum, Schlachtfeld), zwei Kilometer lang und gerade mal 300 Meter breit, belüftet durch die »Fleurines«genannten Felsrisse. Ob Regen, Schnee oder Sonnenschein, in den klösterlich anmutenden Gewölbekellern schwanken die Temperaturen etwa zwischen acht und zehn Grad. Ein idealer Platz nicht nur für Käseruhe, sondern auch ein wahres Paradies für einen winzigen Pilz namens Penicillium roqueforti. Das ist tatsächlich ein Schimmelpilz, den man unter normalen Umständen eigentlich nicht auf seinem Teller haben will. Doch was anderswo jedes Gericht ungenießbar macht, hilft dem lokalen Fromage erst zum richtigen Aroma: Traditionell werden Roggenbrote zum Schimmeln ausgelegt. Der Schimmelflaum wird anschließend getrocknet und dem Käse zugegeben. »Genauso wird es schon in der Roquefort-Legende geschildert«, erklären Jean-Pierre und Emanuel Laur, Käsemacher in fünfter Generation. »Ein junger Hirte ließ seine Schafe vor einer Grotte im Hochland der Causses grasen und vergaß beim Anblick seiner Liebsten seinen Proviant: Dickgelegte Milch und etwas Schwarzbrot hatte der Monsieur im Marschgepäck – und als er ein paar Tage später zurückkehrte, fand er anstelle der Milch einen von blauen Adern durchzogenen Käse vor. Mutig und zweifelsohne auch hungrig, biss er hinein – und fand den neuen »fromage« einfach köstlich.« Voilà le Roquefort! Die beiden Laurs sind Kleine in der Käsezunft – auch wenn sie anerkanntermaßen zu den Besten gehören. »Unser Großvater Gabriel Coulon wollte 1872 eigentlich einen Weinkeller errichten, als er in seinem Haus auf Fleurines stieß. Kurzerhand wurde er Käsemacher.« 1872 klingt nach langer Tradition. Aber in Roquefort ist die Familie fast ein Newcomer. Schon 30 Jahre früher hatten einige Kleinbauern »La Société« gegründet. La Société hat heute die schönsten Keller im Kloster-Look mit Gewölbekellern und imposanten Regalen. »La Rue des Caves«, die Kellerstraße, wurden sie genannt. Ein Postkartenmotiv, das Touristen anzieht und gelegentlich sogar in der fernen Hauptstadt Paris plakatiert wird. In Fernsehspots führt ein Herr mit Zwirbelschnäuzer durch die Roquefort-Grotten. »La Société« kennt man in ganz Frankreich, die Region drum herum rückte nur zweimal ins Blickfeld der Öffentlichkeit: Nach der 1968er Revolte wurde im Larzac gegen ein Militärgelände protestiert, zugezogene Studenten aus der Hauptstadt bezogen Quartier neben den eigenbrötlerischen Hirten. Das Zusammenleben der jungen Intellektuellen mit den erdverbundenen Bauern erwies sich als überraschend problemfrei sowie recht ertragreich in Sachen Schafsmilch. Ganz offensichtlich konnten sich beide Gruppen mit der Parole »Schafe statt Kanonen« anfreunden. Außerdem hatten sie über 30 Jahre Zeit, gemeinsam den Sinn für kleine und große Revolutionen zu schärfen. Kein Wunder also, dass 1999 ein inzwischen weltbekannter Larzac-Landwirt namens José Bové zusammen mit ein paar Freunden im nahen Millau einen im Bau befindlichen McDonald’s zerlegte. Aus Protest gegen »la Malbouffe«, frei übersetzt: den Drecksfraß. Und weil die USA Roquefort-Importe mit Strafzöllen belegen. Die Sache eskalierte, kam vor Gericht, Bové verteilte in Seattle eingeschmuggelten Roquefort und wettert nun weltweit gegen die Globalisierung.

Der Kampf der Käsehüter gegen Weltkonzerne mag für Außenstehende wie Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen wirken. Für die Leute der Region ist es ein Kampf um ihre Lebensweise, ihre Tradition. Der Roquefort ist ein Stück davon.

100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
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