Ente (Blutente)
Um diese Ente ranken sich unglaublich viele Gerüchte. Das hat mich natürlich neugierig gemacht. Zum ersten Mal bin ich diesem Ententier in einem französischen Spielfilm mit Philippe Noiret in der Hauptrolle begegnet; es ging um unerklärliche Morde an Sterneköchen, wenn mich nicht alles täuscht. Da wurde eine Ente »mit Haut und Haaren« in eine Presse gesteckt. Über ihre Weiterverarbeitung wurde in dem Film der Mantel des Schweigens gebreitet. Und dann hörte ich, dass es in Paris ein Restaurant gäbe, dessen Spezialität diese »Blutente« sei. Jeder, der sie bestellt, bekommt ein nummeriertes Zertifikat, damit er weiß, der wie vielte Esser dieser Rarität er ist. Gezählt wird wohl von Anbeginn, eben seit dieses Gericht zum ersten Mal serviert wurde. Stimmt das? Ich wüsste zu gern, was es mit dieser Zubereitungsart auf sich hat.
Überhaupt umgibt die Ente – küchentechnisch gesehen – so manches Rätsel. Stimmt es beispielsweise, dass die weibliche Entenbrust zarter und wohlschmeckender ist als die männliche? Etwas anderes hatte ich eigentlich auch nicht erwartet. Und dass deshalb nur sie es »verdient«, in Cognac eingelegt zu werden? Und welchen Trick wenden die Köche in chinesischen Restaurants an, um die Haut der Ente dermaßen knusprig zu kriegen? Zur berühmten Ente à l’Orange gibt es übrigens eine interessante Salat-Variante: Geschälte Orangen in dünne Scheiben schneiden, hauchdünn geschnittene Zwiebelringe dazu geben und dann mit einer Vinaigrette zum Salat »mutieren« lassen. Eine wunderbare Salat-Beilage, die traumhaft schmeckt und hervorragend zu jeder Sorte dunklen Fleisches passt.
Ente à l’Orange, das war sozusagen das Fusion Food unserer Urgroßväter. Federvieh und Zitrusfrucht fanden nur über geografische Umwege zueinander. Enten wurden im England des 15. Jahrhunderts gezüchtet, über Spanien gelangten die Flügeltiere an den Hof von Sonnenkönig Ludwig XIV. Dort hatte der königliche Hofgärtner La Quintinie schon eine recht säuerliche Orangensorte gepflanzt. Das Urrezept wird dem legendären Antonin Carême (1784–1833) zugeschrieben und beruht auf zwei verführerischen Ideen: Einerseits waren Orangen damals selten und teuer, also eine Delikatesse. Andererseits gleichen sie mit ihrer erfrischenden Säure ein wenig das Fett der Ente aus. Denn eine schützende Fettschicht tragen die Enten auch dann noch unter der Haut, wenn sie schon seit Generationen domestiziert leben.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Ente à l’Orange schon auf dem Weg zum Klassiker: Gernesser Alexandre Dumas, Autor der »Drei Musketiere«, nahm sie in sein kulinarisches Wörterbuch auf und empfahl zur Krickente ausdrücklich »eine noch grüne Orange«. Im noblen Restaurant »Les Frères Provençaux« wurde die köstliche »Canard aux perles«, die Ente mit Perlen, serviert. Dieses Gericht wurde 1833 nach einem Essen mit Prinz Gallitzin, einem russischen Adligen im offenbar ganz komfortablen Exil, von Roger de Beauvoir so beschrieben: »Stellen Sie sich eine gebratene Ente vor, jedoch bereichert durch eine Farce aus Coulis von Flusskrebsen, Périgord-Trüffeln und Pilzen. Sie präsentiert sich unseren Augen mit einem Rosenkranz von Perlen, die um ihren Hals, rund um den Körper und den Schwanz festonnieren. Das ist ein origineller Effekt, nicht wahr?«
Das Entengeheimnis kann nur lüften, wer sich weniger von Effekten beeindrucken lässt und zuerst die verschiedenen Entensorten und -arten betrachtet. Schon Dumas hat sich ja ausdrücklich auf die Krickente, in Frankreich Sarcelle genannt, bezogen. Da gibt es zunächst mal Wildvögel, die in der Nähe von Wasser mit Hunden gejagt werden: Gründelenten wie Stock- und Krickenten, Tauchenten und Meerenten sollten nur geschossen werden, wenn für den Jäger die Farbe des Schnabels deutlich erkennbar ist. Damit soll sowohl das »Anbleien«, die bloße Schussverletzung der Tiere, als auch Schüsse auf geschützte Arten vermieden werden. Wer Enten an ihren Schlafgewässern erwartet, der jagt übrigens auf dem »Entenstrich«, so der Jargon der Waidmänner.
Derart gejagte Enten sind echte Wildvögel, schmecken aber nicht immer. Sie ernähren sich von kleinen Fischen, Krebsen, Krabben, Würmern. Und danach können sie schmecken. Ihre Keulen sind oft zäh. Bleibt die Brust, die gegrillt werden kann.
Enten gehören also zu den wenigen Tieren, wo die Zucht eine Reihe von Sorten hervorgebracht hat, die geschmackvoller sind als das wild lebende »Original«. Eine Zuchtvariante der Stockente zum Beispiel hat in Frankreich unter dem Beinamen »colvert« die besten Restaurants erobert. Zuchtfarmen gönnen den Vögeln auch Zugang zu Wasser und ernähren sie mit Mais und Mehl.
In Deutschland bekannt und beliebt ist die Barbarie-Ente, eine magere Sorte mit rotem, festem Fleisch. Drei Kilo und mehr wiegt das männliche Tier, zwischen 1,8 und zwei Kilo das schmackhaftere Weibchen. Auf Deutsch heißt das Tier übrigens wenig schmeichelhaft »Warzenente«.
Pekingenten sind domestizierte Stockenten. Mit ihrem weißen Gefieder und dem gelben Schnabel entspricht sie sozusagen dem »Modell Donald Duck«. Züchter mögen sie, weil sie nicht nur viel Fleisch auf die Waage bringt, sondern auch ordentlich Eier legt. Diverse Züchtungen der Pekingente bevölkern die Geflügelregale unserer Supermärkte und Kaufhäuser.
Die Vierländer Ente ist eine norddeutsche Züchtung aus Peking- und Stockente, die es über Jahre nur in einem Hamburger Spitzenrestaurant gab. Es handelt sich also nicht um eine alte, traditionelle Sorte. Aylesbury-Enten trifft man hierzulande eher selten auf dem Teller. Besonders die Erpel können mit über fünf Kilo ziemlich gewichtig ausfallen. Diese weiße Mastente nimmt schnell an Gewicht zu. Ein Mulard ist eine Kreuzung aus männlicher Barbarie-Ente und weiblicher Peking-Ente. Dieser Hybrid wird leicht fünf Kilo schwer und 80 cm lang. Außerdem ist der Mulard als »Foie gras-Ente« beliebt.
Enten mit Herkunftsbezeichnung, wie z. B. Challans-Enten, Nantaiser Enten oder Enten aus Rouen stammen oft aus Regionen, die eine lange Tradition in der Entenzucht haben, und verfügen manchmal über ein staatliches, also offizielles Label (etwa: Label Rouge). Auch sie schmecken alle unterschiedlich.
Generell gelten bei den Enten die weiblichen Tiere als schmackhafter. Für den Hausgebrauch sollten die Enten nicht zu fett ausfallen, dann nämlich haben sie wenig Fleisch. Außerdem sollte das Geflügel keine Flecken aufweisen: Flecken auf der Haut erscheinen, wenn die Enten durch viele Hände gehen.
Schließlich gibt es noch die Magrets oder Stopfentenbrüste. Sie stammen ausschließlich von Enten, die zur Herstellung von Foie gras (siehe dort) gestopft wurden. Solche Magrets sind tiefrot und werden mitsamt Haut und Fett verkauft: Fehlt die Fettschicht, könnte es sich um »normale« Entenbrust handeln, die auch in feine Scheiben geschnitten angeboten wird.
Weil das Magret im vakuumierten Plastikbeutel zum Kunden kommt, erschließt sich die Qualität erst beim Öffnen. Die Fettschicht sollte durch eine Pappe geschützt sein. Bei direktem Kontakt mit dem Kunststoff nimmt Fett nämlich schnell den Plastikgeruch an oder entwickelt eine säuerliche Note. Wichtig außerdem: Das Fett muss frisch riechen. Ranzige, saure oder stechende Gerüche sind Alarmzeichen.
Pekingenten kann man daraus nicht machen. Die stammt nämlich von der gleichnamigen Sorte und benötigt eine dünne Haut. In China wird sie deshalb in den letzten beiden Lebenswochen an zu viel Bewegung gehindert. Die Tiere werden gerupft, jedoch nicht ausgenommen, auch Kopf und Füße bleiben. Durch einen Schnitt in der Halsregion wird die Haut straff aufgeblasen. So trennt sie sich vom Fleisch. Innereien entfernt der gute Koch dann durch einen winzigen Schnitt unterhalb des Flügels. Nun werden die Füße entfernt. Die Ente wird abgebrüht, mit Honig, Zucker und Ingwer bestrichen, stundenlang an der Luft getrocknet und schließlich am Halse hängend im Spezialofen gegrillt. Wieder wird die Haut aufgeblasen. Kross und braun wird sie, in feinste Scheiben geschnitten, serviert und in zarte Crêpes eingerollt. Dazu gibt es eine Sauce (z. B. eine Mischung aus Hoisin-Sauce, Sojasauce, schwarzer Sojasauce, Sesamöl und Zucker) mit Frühlingszwiebeln. Echte Pekingente ist ein Gericht aus der Kategorie »Don’t try this at home«. Man muss sie vorbestellen.
Film- und fernsehbekannte Blutenten stammen aus Challans nahe Nantes. Sie werden nicht geschlachtet, sondern erwürgt. Dadurch verbleibt das Blut in der Ente und kann z. B. zur Saucenbasis werden. Eine ähnliche Praxis wendet man auch bei Tauben an, den »Etouffée-Tauben« aus Rouen oder der Vendée; die sind allerdings inzwischen eine echte Rarität.
Das Pariser Lokal »La Tour d’Argent« hat auf seine Blutenten-Spezialität eine Legende gegründet: Am Anfang steht eine sechs bis acht Wochen alter Vogel. Diese Ente wurde traditionell dem Esser erst roh präsentiert. Ein »Zeremonienmeister«, offizieller Titel: Canardier (von canard, Ente), legt die gehackte Entenleber auf ein Silbertablett, gießt etwas alten Madeira, ein wenig Cognac und einen Schuss frischen Zitronensafts darauf. Anschließend trennt er die Keulen ab und schickt sie in die Küche. Dann werden Haut und Filets abgehoben. Die Karkasse wird mit einer Geflügelschere zerschnitten. Der Canardier steckt sie in die Entenpresse und dreht heftig am Rad. Die Ente wird buchstäblich bis auf den letzten Blutstropfen ausgepresst. Dieses Blut kommt zu Filets und Leber auf das Tablett. Bei Tisch brät unser Canardier abschließend die Filets über einem Rechaud und rührt dabei gleichzeitig die Sauce an. Letztere überzieht das Entenfleisch sanft und dunkel, bis es fast wie Geflügel unter Schokoladensauce ausschaut; dazu gibt es soufflierte Kartoffeln. Die gebratenen Keulen kommen als zweiter Gang. Diese »Caneton Tour d’Argent« wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts mehrere hunderttausend Mal zubereitet und von gekrönten Häuptern, Staatschefs, Filmschauspielern und Industriekapitänen dieser Welt verzehrt. Ein gewisser Frédéric, der erste »Entenmeister«, hatte die Idee mit dem werbewirksam nummerierten Zertifikat. Heute spart man sich leider die ganze Zeremonie bei Tisch: Die Ente kommt, die Sauce kommt, die Rechnung kommt (derzeit 130 Euro), und schließlich erhält der Gast eine Art Postkarte nebst Entennummer. Au revoir, ist es nicht schön in Paris?
Doch wie schmeckt sie, die Blutente? Sowohl das Ritual als auch ihr Aroma dürften für die politisch korrekten Esser von heute etwas Animalisches an sich haben. In ihrer Originalversion wartet die Sauce mit einer wonnigen Schwere auf, die Ente nähert sich geschmacklich ein klein wenig einem guten Wildvogel ohne Hautgout von Meerestieren an. Freilich bekommt man das Originalgericht eigentlich nirgends mehr in annehmbarer Qualität, da bleibt nur der heimische Herd. Entenpressen zumindest gibt es auf jedem gut sortierten französischen Flohmarkt, sie werden meist lediglich als dekoratives Mitbringsel erstanden.