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Als er am nächsten
Morgen gegen sieben Uhr aufwachte, dachte Perlmann zuerst, seine
Halsschmerzen rührten vom wütenden Brüllen im Büro des Rektors her.
Nur ganz allmählich wurde ihm klar, daß das trockene Kratzen vom
Atmen mit offenem Mund kommen mußte, da seine Erregung offenbar
einer Traumgestalt gegolten hatte. Zuletzt hatte es sich um den
Rektor gehandelt. Doch nach und nach erinnerte er sich, daß diese
Gestalt ursprünglich aus dem Kellner entstanden war. Ihn hatte er
in Gegenwart der anderen abgekanzelt. Er war dazu aufgestanden,
hatte sein kaltes Essen auf das makellose Tischtuch gekippt und
hatte, indem er jedes Wort mit einer schneidenden Handbewegung
begleitete, sein kleines, unbeholfenes Repertoire von italienischen
Schimpfwörtern immer von neuem wiederholt, wobei die Wahrnehmung
der engen sprachlichen Grenzen seine Wut zusätzlich schürte. Je
länger es dauerte, desto unförmiger wurde der Kellner, und die
Gestalt war Leskov immer ähnlicher geworden. In einem Raum, der
nicht mehr der Speisesaal war, hatte Perlmann ihm vorgehalten, daß
er von seinem Text keine Kopie gemacht habe, wobei seine Vorwürfe
lauter und lauter wurden, da Leskov den Eindruck machte, als höre
er überhaupt nicht zu. Aus dem stillen, unerreichbaren Leskov war
dann eine blasse, beinahe gesichtslose Figur geworden, die aber
trotz ihrer Schemenhaftigkeit eindeutig der Rektor war. Perlmann
hatte so gnadenlos und gründlich mit ihm abgerechnet wie noch mit
keinem Menschen zuvor. Mit hämmerndem Herzen hatte er Anklage nach
Anklage hinausgeschrien, bis ihm die Stimme versagte. Er machte den
Rektor verantwortlich für alles Papierene und Tote in der Welt der
Universität, er rechnete ihm das Mißtrauen, die Mißgunst und die
Angst vor, die in jener Welt regierten, er beschimpfte ihn als den
Urheber aller Wichtigtuerei, und schließlich machte er ihn auch
noch persönlich haftbar für die Jahrzehnte des Lebens, die er durch
seinen Beruf verloren habe. In dem Moment, wo er ihm die Frage
entgegenschleuderte, warum er ihn daran gehindert habe, Dolmetscher
zu werden, merkte er, daß gar niemand mehr im Raum war und daß
seine heiseren Worte in einer gespenstischen Leere verhallten. Über
dem Gefühl der Ohnmacht, das ihn daraufhin überfiel, war er
schließlich aufgewacht.
Er bestellte Kaffee
und setzte sich nach dem Duschen an den Schreibtisch. Waren seine
Briefe an den Rektor gestern immer kürzer geworden, so geschah
heute das Umgekehrte. Zwar stemmte er sich mit Macht gegen die
Bitterkeit und Erregung, die auch jetzt noch in ihm nachhallten. Er
wollte nicht, daß sein Kündigungsschreiben von diesen Empfindungen
bestimmt sei – daß es gewissermaßen eine verspätete Episode
innerhalb des Traums sei. Jedes scharfe Wort strich er sofort
wieder aus und ersetzte es durch einen Ausdruck von betonter
Neutralität und Nüchternheit. Auf diese Weise kamen Texte zustande,
deren Tonfall immer mehr demjenigen der Aktensprache glich. Und
dennoch konnte er nicht verhindern, daß sie zu Anklageschriften
gerieten, zu langen und immer längeren Begründungen, in denen Beleg
auf Beleg getürmt wurde für die Behauptung, daß ein Leben, das sich
durch die Wissenschaft und ihren Betrieb bestimmen lasse,
zwangsläufig zu einem entfremdeten Leben werden müsse, einem Leben,
das sich verfehle. Wie ein Süchtiger schrieb er immer weiter, und
jeder neue Entwurf war noch ausgreifender und weitläufiger als der
letzte.
Es war schon nach
halb neun, als er erschöpft und zittrig innehielt. Eine Weile stand
er am Fenster und blickte in den strömenden Regen hinaus. Noch zwei
Tage. In fünfzig Stunden war er am Flughafen und wartete auf den
Heimflug. Und morgen war er den halben Tag unterwegs, da ging die
Zeit schneller vorbei. Mit Wartelisten beim Fliegen hatte er bisher
stets Glück gehabt.
Er überflog die
letzte Seite, die er geschrieben hatte. Dann schob er die vielen
Blätter zusammen und warf den ganzen Stoß in den Papierkorb. Es war
kein allgemeines Problem von Wissenschaftlern, oder gar ein Problem
der Wissenschaft überhaupt. Es war ein Problem seiner ganz
besonderen Lebensgeschichte. Weiter nichts. Daraus eine Ideologie
zu machen, war Unfug. Im Grunde war ihm das auch immer klargewesen.
Letztlich war die ganze Schreiberei heute morgen eben doch zu einer
Verlängerung des Traums geworden. Und jetzt hatte er sich auch noch
um das Frühstück gebracht, zu dem er, wie er verwundert dachte,
heute ganz gerne gegangen wäre.
Giorgio Silvestris
Sitzung war ein einziges Chaos. Es begann damit, daß er die Hälfte
seiner Unterlagen im Zimmer vergessen hatte und noch einmal hinauf
mußte. Als er sich dann in seiner Unordnung endlich zurechtgefunden
hatte, begann er mit einem Vortrag, der keinen Aufbau hatte und
lange Zeit auch kein Ziel zu haben schien. Er sprach über typische
Sprachstörungen bei Schizophrenen, in denen Denkstörungen zum
Ausdruck kamen. Sein technischer Wortschatz, so hatte man den
Eindruck, war selbstgestrickt und eigenbrötlerisch, und er gab sich
nicht die geringste Mühe, ihn einzuführen. Zwar war nach einiger
Zeit ziemlich leicht zu erkennen, wie man ihn in gewohnte Begriffe
übersetzen konnte. Aber daß man das selbst herausfinden mußte,
machte einen gereizt. Hinzu kam, daß Silvestris englische
Aussprache an diesem Morgen viel schlechter war als sonst;
irgendwie schien ihm der Mund nicht recht zu gehorchen. Das war
besonders störend bei den Beispielsätzen, die er nur italienisch
vor sich hatte und aus dem Stegreif übersetzte. Man wußte oft
nicht, wieviel von ihrem sonderbaren Klang wirklich auf die
Patienten zurückging, was an Silvestris stockender Art des
Vorlesens lag, und ob nicht zusätzliche Verzerrungen durch das
Übersetzen des schwierigen sprachlichen Materials entstanden. Bald
fingen die Kollegen an, Ornamente in ihre Notizbücher zu malen, und
selbst Evelyn Mistral, die am Anfang aus Sympathie für Silvestri
über das Chaotische des Vortrags gelächelt hatte, begann Ungeduld
zu zeigen.
Wieder einmal war es
soweit, dachte Perlmann: Er fühlte sich von jemandem, an dem er
sich innerlich festgehalten hatte, im Stich gelassen. Silvestri –
das war doch der Mann mit dem wichtigen und ehrlichen Beruf, der
ihm die nötige innere Distanz gab, so daß er mit der Zeitung über
dem Kopf im Liegestuhl sitzen und während der Sitzungen auf dem
Stuhl balancieren konnte; der Mann, der ihm geraten hatte, das
Ganze nicht so wichtig zu nehmen; und schließlich auch der Mann,
der mit seinen Aufzeichnungen etwas hatte anfangen können. Und nun
saß er da vorn, drehte schon zum zweitenmal die leere Kaffeekanne
um und warf immer öfter unsichere Blicke in die Runde. Seine
Bartstoppeln waren mit einemmal nicht mehr Ausdruck von
Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit, sie wirkten nur noch
ungepflegt, die Haut kam Perlmann noch bleicher vor als sonst, und
jetzt entdeckte er zum erstenmal einen kleinen Furunkel an seinem
Kinn. Dein Konsum an Helden, hörte er
Agnes sagen, und er wußte nicht, über wen er sich mehr ärgern
sollte: über sie oder über diesen Italiener, der ihr wieder einmal
recht zu geben schien.
Jetzt schob
Silvestri die Blätter beiseite, zündete eine neue Zigarette an und
begann, die Grundgedanken seiner Untersuchung zu erläutern. Er war
kein Redner, und es wurde kein flüssiger, suggestiver Vortrag.
Trotzdem merkte Perlmann mit wachsender Erleichterung, daß dieser
Mann etwas zu sagen hatte. Auch Leskov, der bisher unglücklich
ausgesehen und mehrmals leise geseufzt hatte, entspannte sich, und
Laura Sand begann, Notizen zu machen. Es steckten viele Jahre
Arbeit mit Schizophrenen hinter dem, was Silvestri entwickelte, und
eine schier unerschöpfliche Geduld im Zuhören. Sein weißes Gesicht
mit den dunklen Augen war jetzt sehr konzentriert, und als er mit
Bewunderung von Gaetano Benedetti sprach, den er für den
bedeutendsten Schizophrenieforscher hielt, spürte man, mit was für
einer Leidenschaft er bei der Arbeit war.
Das Geräusch von
reißendem Papier zerschnitt die Stille, die eingetreten war, als
Silvestri nach einem Zitat von Benedetti suchte. Millar hatte einen
Zettel aus seinem Notizbuch gerissen, schrieb jetzt etwas und schob
ihn dann mit einer flapsigen Handbewegung zu Ruge hinüber, der
heute einen Platz weiter hinten saß als gewohnt. Im letzten
Augenblick mußte er gespürt haben, daß er sich danebenbenahm, denn
sein Arm zuckte, als wolle er den Zettel aufhalten. Aber es war zu
spät, der Zettel rutschte zur Tischkante und segelte zu Boden, wo
er vor Silvestris Augen liegenblieb. Perlmann mußte den Hals ein
bißchen verrenken, dann konnte er es lesen: De
Benedetti?!
Silvestri, der das
Blatt mit dem Zitat endlich gefunden hatte, sah auf, folgte den
Blicken der anderen und las den Zettel. Augenblicklich erstarrte
er, sein Gesicht verfärbte sich, und er schloß die Augen. Niemand
rührte sich. Millar sah vor sich auf die Tischplatte. Eigentlich,
dachte Perlmann, war es nur ein Schnack, ein pennälerhafter Unfug.
Aber in diesem besonderen Moment mußte Silvestri es wie einen
Schlag ins Gesicht empfinden: Vor kurzem hatte Carlo De Benedetti,
der Präsident von Olivetti, wegen seiner früheren Verwicklung in
eine Bankpleite vor Gericht gestanden. Wenn man das wußte, so ließ
der rötliche Zettel auf dem glänzenden Parkett die Welt des Geldes,
der Macht und der Korruption vor einem entstehen. Es war nur ein
Scherz und auch nicht im entferntesten eine heimtückische
Anspielung. Soviel war sicher auch Silvestri klar. Aber es war in
diesem Augenblick bereits zuviel für ihn, daß jemand, während von
Gaetano Benedettis aufopferungsvoller Arbeit, von seinem
großartigen Lebenswerk die Rede war, in Gedanken in jene andere,
häßliche Welt wanderte, auch wenn die Assoziation auf denkbar
einfache, harmlose Weise zustande gekommen war. Offenbar erlebte er
das geradezu als einen persönlichen Angriff – so, als würde damit
indirekt auch sein eigenes Engagement mißachtet oder gar lächerlich
gemacht.
Silvestri hatte
nicht gesehen, woher der Zettel kam. Er mußte, überlegte Perlmann,
Millars Handschrift erkannt haben, denn als er nun die Augen hob,
galt sein erster Blick ihm. Er fixierte ihn für einige Sekunden,
und die steilen Stirnfalten über der Nase gaben dem hageren,
hohlwangigen Gesicht einen bösen, unversöhnlichen Ausdruck. Während
er den Blick, der jetzt etwas Verschlagenes angenommen hatte,
erneut auf den Zettel richtete, nahm er den Kugelschreiber in die
Hand und ließ die Mine langsam ein- und ausklikken. Er wiederholte
das einige Male, der Rhythmus war gedehnt wie auf der Tonspur einer
Zeitlupe, und die einzelnen Klickgeräusche schienen durch die
beklommene Stille zu peitschen wie Schüsse. Perlmann hielt
unwillkürlich den Atem an. Jetzt lehnte sich Silvestri zurück,
verschränkte die Hände auf dem Kopf und sah, während er Atem holte,
Millar voll ins Gesicht. Obwohl er nicht ihm galt, zuckte Perlmann
unter der Härte des dunklen Blicks zusammen. Silvestris Stimme
würde schneidend sein.
In diesem Moment
ging die Tür auf, und Signora Morelli betrat mit einem Zettel in
der Hand die Veranda. Die Stille im Raum mußte ihr sonderbar
vorgekommen sein, denn sie stutzte und ließ die Hand auf der
Klinke, bevor sie sich mit einem «Scusatemi» einen Ruck gab und auf Perlmann
zuging.
«Ich dachte, Sie
möchten das vielleicht sofort wissen», sagte sie, als sie sich zu
ihm hinunterbeugte und ihm den Zettel gab.
Sie hatte es leise
gesagt, und doch war der italienische Satz im ganzen Raum zu hören
gewesen. Anruf Reisebüro: Flug Frankfurt-Genua
morgen 17.00 bestätigt, stand auf dem Zettel.
«Grazie», sagte Perlmann heiser, faltete den Zettel
und ließ ihn in die Jackentasche gleiten. Er wagte nicht, Leskov
neben sich anzusehen, und wußte deshalb nicht, ob es vielleicht nur
Einbildung war, daß er den Kopf erst jetzt wegdrehte.
Erst als die Tür ins
Schloß fiel, bemerkte Perlmann, daß Silvestri aufgestanden und
offenbar auf und ab gegangen war. Jetzt drückte der Italiener die
Zigarette aus, zögerte einen Moment und schwang sich dann, auf der
Tischplatte sitzend, in die Mitte des Hufeisens. Mit einer eckigen
Bewegung hob er den rötlichen Zettel auf, stellte sich vor Millar
hin und ließ das Papier wortlos und ohne ihn anzublicken behutsam
auf den Tisch gleiten. Dann schwang er sich erneut über den Tisch,
rückte den Stuhl peinlich genau zurecht und fuhr im Vortrag fort.
Nach wenigen Sätzen ging sein Atem wieder normal. Laura Sand atmete
hörbar aus.
Als die Diskussion
begann, putzte Millar zunächst minutenlang die Brille. Später dann,
während Silvestri mit Leskovs Fragen kämpfte, die heute viel
unklarer waren als sonst, starrte er mit konzentriertem, aber
leerem Blick hinaus zum Schwimmbecken, wo die schweren Regentropfen
das Wasser hoch aufspritzen ließen. Hin und wieder warf ihm
Silvestri aus den Augenwinkeln einen schnellen Blick zu. Im übrigen
aber schien seine Aufregung abgeklungen zu sein, und er erwies sich
auch hier als ein guter Zuhörer, der den Gesprächspartner durch ein
knappes Nicken und die Andeutung eines Lächelns dazu ermunterte,
den begonnenen Gedanken weiterzuspinnen.
Worum ihn Perlmann
besonders beneidete, war die viele Zeit, die er sich nahm, bevor er
auf eine Frage antwortete. Er würde sich, so hatte man den
Eindruck, durch keine Frage der Welt unter Druck setzen lassen.
Fragen waren nicht etwas, wodurch er sich genötigt fühlte. Sie
waren in erster Linie ein Anlaß nachzudenken, gleichgültig, wie
lange das dauerte. Kein Wunder, daß Kirsten
ihn sofort mochte. Wieder einmal verbarg Perlmann das
Gesicht hinter den verschränkten Händen und versuchte innerlich zu
ertasten, wie das Lebensgefühl eines Menschen sein mußte, der so
wenig Angst vor den anderen und ihren Fragen hatte. Es wurde ihm
beinahe schwindlig, als er sich mit äußerster Anstrengung auf den
fiktiven Punkt des Erlebens konzentrierte, der zu erreichen wäre,
wenn es ihm gelingen sollte, das Gefüge seiner Angst Stück für
Stück abzubauen und in eine andere Art des Empfindens
umzuwandeln.
Es war Ruges
glucksendes Lachen, das ihn aus seiner Betrachtung riß. Es galt
offenbar der Art, wie sich Silvestri gegen Zweifel an seiner
Methode verteidigte. Er hatte sich so lange und so hingebungsvoll
mit seinen Patienten beschäftigt, daß er die unumstößliche
Gewißheit besaß, das Muster ihrer Sprach- und Denkstörungen in der
Tiefe verstanden zu haben. Was ihn, wissenschaftlich gesehen,
angreifbar machte, war die Weigerung, sich bei der Arbeit von
irgend jemandem über die Schulter gucken und kontrollieren zu
lassen. Einen theoretischen Zusammenhang gab es da nicht, dachte
Perlmann, aber irgendwie konnte diese Weigerung niemanden
überraschen, der das gefährliche Glitzern kannte, das in Silvestris
Augen trat, wenn von verriegelten Anstaltstüren die Rede war.
Dieser Mann war ein Einzelgänger und Unabhängigkeitsfanatiker, der
in einer Klinik wie ein Anarchist wirken mußte, ein Anarchist
freilich, in dessen Büro das Licht auch dann noch brannte, wenn die
Kollegen vom Teamwork längst zu Hause waren. Deine heldensüchtige Phantasie. Agnes war stolz auf
diese Wortschöpfung gewesen.
«Vielen dieser
Menschen habe ich jahrelang zugehört», sagte Silvestri mit
unerschütterlicher Ruhe.«Ich weiß, wie sie sprechen und denken. Ich
weiß es genau. Wirklich ganz genau. »
Rüge gab seufzend
auf, und es trat eine unbehagliche Pause ein, so daß Silvestri
seine Sachen zusammenzupacken begann. Da setzte sich Millar
demonstrativ auf dem Stuhl zurecht, stützte sich mit beiden
Ellbogen auf den Tisch und wartete, bis Silvestri seinem Blick
begegnete.
«Look, Giorgio...»,
begann er, und die Verwendung des Vornamens klang wie Hohn. Und
dann belehrte er Silvestri über die Sicherung und Auswertung von
Daten, über Fehlerquellen und die Gefahr von Artefakten, über
Verfahren der Mehrfachüberprüfung und schließlich über die Idee der
Objektivität. Immer mehr verfiel er in den Ton von jemandem, der in
einem Kurs für Erstsemester das Abc des wissenschaftlichen
Arbeitens erläutert und bei seinen Zuhörern höchstens mit einer
durchschnittlichen Intelligenz rechnet.
Silvestri blickte
über die Tischkante hinaus aufs Parkett, dorthin, wo vorhin der
Zettel gelegen hatte. In seinem Gesicht arbeitete es. Der
anfängliche Ausdruck des Ärgers und der Indignation wurde von
verschiedenen Schattierungen der Belustigung und sogar des
Übermuts, aber auch der Ironie und Verachtung abgelöst, die
bruchlos und ohne feste Ordnung ineinander übergingen. Dann, als er
merkte, daß Millar bald fertig sein würde, zog er sich ganz aus
seinem Gesicht zurück, rückte mit einer zerstreuten Bewegung noch
einmal die Papiere zurecht und setzte sich auf die äußerste Kante
des Stuhls. Seine langen, weißen Finger zitterten leicht, als er
das Feuerzeug zur Zigarette führte. Evelyn Mistral schlug die Hände
vors Gesicht wie jemand, der dem Anblick einer unabwendbaren
Katastrophe entfliehen will.
«Ich glaube, Herr
Professor Millar», sagte er leise und in einer Aussprache, die
jetzt einwandfrei war,«ich habe Sie genau verstanden. Sie wollen
wiederholbare Experimente. Laborbedingungen mit ruhigen, stabilen
Objekten. Kontrollierbare Variablen. Irre ich mich, oder möchten
Sie auch diese Menschen am liebsten auf dem Stuhl festschnallen?
»Er drückte die kaum angerauchte Zigarette aus, nahm seine Sachen
und war mit wenigen Schritten draußen.
Millar hatte rote
Flecken im Gesicht und wirkte einen Moment lang wie betäubt.
«Well», sagte er dann mit künstlicher
Munterkeit und erhob sich. Seine Gummisohlen quietschten laut auf
dem Parkett, als er mit energischen Schritten
hinausging.
Erst jetzt rührten
sich die anderen.