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Beim Einsteigen in
die lange, dunkelblaue Limousine fiel sein Blick sofort auf die
Handbremse. Bei diesem Wagen war sie ungewöhnlich weit drüben beim
Beifahrersitz. Er hätte also Leskovs breiten Körper beim Lösen des
Hebels über dem Abgrund unweigerlich berühren müssen. Es gab ihm
ein Gefühl der Hilflosigkeit, daß diese Vorstellung ihn minutenlang
gefangenhielt, obwohl sie doch überholt war und keinerlei
praktische Bedeutung mehr besaß. Schließlich gelang es ihm, sie
abzuschütteln, und er entfaltete die Karte.
Für einen frontalen
Zusammenstoß mit einem Lastwagen, bei dem sonst niemand Schaden
nehmen durfte, kam die Küstenstraße nicht in Frage. Große Laster
würden dort kaum fahren, und wiederum galt, daß es zu der
fraglichen Zeit viel zuviel Verkehr gab. Es blieb auch für diesen
Plan nur die Straße über Molassana nach Chiávari. Er mußte darauf
setzen, daß an einem Montag nachmittag dort auch Lastwagen fuhren.
Es war ihm unangenehm, daß er damit in seinem schrecklichen
Vorhaben von anderen Leuten und ihren zeitlichen Plänen abhing.
Unmittelbar bevor sie in Dunkel und Stille verschwand, würde sich
seine eigene Zeit auf diese Weise mit der Zeit der anderen kreuzen
müssen. Als er die Karte neben sich auf den Sitz legte und eine
Zigarette anzündete, überkam ihn ein Ekel vor der hemmungslosen
Selbstbezogenheit, die in diesen Gedanken zum Ausdruck
kam.
Die Handbremse war
fest angezogen und löste sich erst beim dritten Druck auf den
Knopf. Wie im Traum, dachte er, als er
den Wagen unsicher aus dem Parkplatz hinaussteuerte. Er fuhr wie
ein Anfänger, und noch bevor er richtig unterwegs war, hatte er
einen Bordstein gestreift und jemandem die Vorfahrt
abgeschnitten.
Nach der Karte zu
urteilen kam die Abzweigung nach Molassana erst östlich vom
Zentrum, und so fuhr er zunächst an den Industrieanlagen und dann
am Hafen entlang, auf einer menschenleeren Straße mit verfallenen
Häusern, toten Baustellen und Bergen von Schutt. Trotz des
strahlenden Wetters war es eine beklemmende Kulisse, und er fuhr so
schnell über das unebene Pflaster und die vielen Schlaglöcher, daß
es ihm mehrmals das Steuer aus der Hand schlug. Er sah keinen
Hinweis auf das Zentrum, und als ihm die Sache allmählich spanisch
vorkam, entdeckte er, daß er bereits auf dem Weg nach Genova Nervi
war. Er fing an zu schwitzen und zog die Jacke aus. So schlimm war
es doch gar nicht; er hatte nur etwa eine Viertelstunde verloren,
höchstens zwanzig Minuten. Er wendete und nahm die nächste Straße,
die mehr in die Häusergegend hineinführte.«Immer geradeaus», sagte
der mürrische Tankwart, den er nach dem Weg fragte.
Unvermittelt, wie
ihm schien, fand er sich auf einem der Plätze, an denen er – es war
eine Ewigkeit her – auf der Fahrt zum Plattengeschäft
vorbeigekommen war. Zögernd fuhr er weiter, bog aufs Geratewohl in
die nächste Straße ein, mußte wegen des Einbahnverkehrs eine
Schleife fahren und landete wieder auf demselben Platz. Das
Stadtzentrum war an diesem Sonntag mittag eigentümlich still, von
der Industriemesse war nichts zu merken, und er mußte den wenigen
Passanten hinterherlaufen, um sie nach dem Weg zu
fragen.
«Immer am Fluß
entlang», sagte ihm schließlich ein alter Mann, der wie für den
Kirchgang angezogen war und mit seinem Stock an den dunklen
Schaufenstern vorbeischlich. Jetzt erst sah Perlmann den Fluß auf
der Karte. Verärgert über sich fuhr er in die angegebene Richtung.
Bei einer Endstation für Busse fragte er einen Fahrer.
«Molassana ist ein
bekanntes Viertel von Genua, ein Vorort, da braucht niemand ein
Hinweisschild», erwiderte der Fahrer auf Perlmanns vorwurfsvolle
Bemerkung und sah ihn an, als sei er hinter dem Mond zu
Hause.
Perlmann fluchte
hinter dem Steuer über die irreführende Darstellung auf der Karte
und beruhigte sich erst, als er den Fluß überquerte, wo es dann
doch ein Hinweisschild gab. Er hatte gerade richtig Gas gegeben, da
bremste er wieder ab und fuhr rechts ran. Ich
darf mich morgen nicht verfahren. Das wäre die Hölle. Eine
Weile versuchte er, die direkte Route hierher im Kopf zu
rekonstruieren, indem er die verschiedenen Umwege abschnitt. Aber
es gelang nicht, das Hin und Her war zu verwirrend gewesen. Fünf
nach eins. In genau sechsundzwanzig Stunden
landet er. Er rauchte hastig ein paar Züge, warf die
Zigarette zum Fenster hinaus und fuhr zurück bis zur
Hafenstraße.
Auf der erneuten
Fahrt nach Molassana hielt er immer wieder an und prägte sich die
kritischen Stellen genau ein. Da waren zunächst die beiden
Eisenwarenhandlungen, die sich aufs Haar glichen: gleich groß,
beide an einer Ecke, beide mit rostigen Rolläden. Bog man bereits
bei der ersten ab, so zwang einen der Einbahnverkehr wieder zurück
zum Hafen, während eine ähnlich unauffällige Abzweigung bei der
zweiten in Richtung Zentrum führte. Auf keinen
Fall schon bei der ersten abbiegen. Als nächstes mußte er
aufpassen, daß er an dem Platz, wo das Gebäude mit dem Säulenvorbau
stand, nicht, wie vorhin, der Straßenbahntrasse nach rechts folgte,
sondern die Kurve nach links nahm. Bei der Baustelle mit der
Umleitung verfuhr er sich zweimal: Man mußte wirklich unmittelbar
hinter der Bäckerei wieder abbiegen, um zurück auf die Hauptstraße
zu gelangen. Und schließlich war die Stelle mit den vielen
Bushaltestellen kritisch: Man durfte nicht der dreispurigen Straße
in die Unterführung folgen, sondern mußte sich ganz links einordnen
und in einem spitzen Winkel zur Hauptverkehrsader auf dem
Kopfsteinpflaster weiterfahren. Es war immer noch eine ziemlich
umständliche Route, dachte er, wahrscheinlich gab es eine
einfachere. Aber mehr Zeit durfte er nicht mehr
verlieren.
Um zwei Uhr war er
wieder am Fluß, wo er gedreht hatte. Auf der fast leeren Straße
fuhr er viel zu schnell. Zwar fürchtete er sich davor, an eine
Stelle zu kommen, wo es sich machen ließ; aber noch schlimmer war
die Ungewißheit, und mit jedem Kilometer, der nicht in Frage kam,
wurde sie unerträglicher. Er würde vielleicht länger auf einen
Lastwagen zu warten haben. An der fraglichen Stelle mußte es
deshalb eine Ausbuchtung geben, wo er neben der Straße parken
konnte. Den Laster mußte man bereits weit hinten auftauchen sehen,
so daß Zeit genug blieb, um loszufahren, zu beschleunigen und den
Wagen im letzten Moment nach links hinüberzureißen. Ferner mußte es
für den Fahrer unmöglich sein auszuweichen. Am besten, auf seiner
Seite der Straße war Fels.
Auf dem steilen
Stück vor dem Tunnel, der die Schleife ins Gebirge hinauf abschnitt
und den Scheitelpunkt der Strecke bildete, kam eine solche Stelle.
Perlmann hielt mit klopfendem Herzen. Nein, hier ging es nicht,
dachte er, als er die feuchten Hände mit dem Taschentuch
abtrocknete. Wo er nun zwischen sich und dem Lastwagen diesen
langen, stabilen Kühler hatte, kam alles auf hohe Geschwindigkeit
an, und die war am Berg selbst mit diesem Wagen nicht zu erreichen.
Außerdem konnten die Bremsen des Lastwagens durch den Aufprall
beschädigt werden, und dann würde er, das Wrack des Lancias vor
sich herschiebend, hinunterrollen, mit wachsender Geschwindigkeit
und unabsehbaren Folgen.
Nach dem Tunnel
kamen einige Stellen, die vom Straßenverlauf her in Frage gekommen
wären. Aber dort gab es Häuser mit Leuten, die gaffend in den
Fenstern lehnten. Solche Leute würde es auch morgen geben, und es
war unmöglich, es unter ihren Augen zu tun. Überhaupt gab es viel
zu viele Häuser, ein Dorf folgte auf das andere. Und überall Leute
in den Fenstern, Hunderte von ihnen, wie es Perlmann schien. So
hatte er sich das nicht vorgestellt; auf der Karte sah man von
diesen Nestern nichts.
Weit über die Hälfte
der Strecke hatte er schon hinter sich, als ein Straßenstück von
der richtigen Länge kam, gerade und leicht abfallend, auf der
anderen Seite eine Stützmauer. Genau dort, wo er sich den Aufprall
vorstellte, stand ein Ortsschild, schwarz auf weiß: Pian dei Ratti. Am Ende, dort, wo der Lastwagen aus
der Kurve auftauchen würde, stand ein Haus, aber die Rolläden waren
heruntergelassen, es sah unbewohnt aus. In der Kurve, aus der er
selbst kam, gab es linker Hand eine offene Werkstatt, in der
Schieferplatten geschnitten und geschliffen wurden. Morgen würden
sie dort arbeiten. Perlmann fuhr bis zu dem Punkt, an dem man ihn
von der Werkstatt aus wegen der Bäume nicht mehr sehen konnte. Die
restliche Strecke war immer noch lang genug. Nur das Anhalten war
ein Problem. Rechts ging es senkrecht hinunter zum Fluß, und er
konnte trotz der beschädigten Leitplanke nur etwa mit der Hälfte
des großen Wagens auf die schmale Grasnarbe fahren. Trotzdem,
dachte er, ließ es sich hier machen. Nur mußte er sich die Vorboten
dieser Stelle genau merken, damit er sie morgen nicht
verpaßte.
Er drehte und fuhr
zum nächsten Ortsschild zurück: Piana
also hieß der Ort. Nach dem Schild kam ein größeres Fabrikgebäude,
das einen verlassenen Eindruck machte, dann zwei gepflegte Häuser
und hinter ihnen, in der beginnenden Kurve, drei Pinien, wo ein
großes Plakat hing, das für den Kundendienst von RENAULT warb. Wenn
er das Plakat passierte, war er bereits in der Kurve mit der
Werkstatt, er konnte das Schild mit Pian dei
Ratti sehen, und dann waren es nur noch etwa fünfzig
Meter.
Dieses Stück wollte
er ganz langsam abfahren, um es möglichst scharf und detailliert
ins Gedächtnis einzuritzen. Aber ein Auto mit einem Brautpaar und
einem Schwanz von scheppernden Blechbüchsen hupte hinter ihm wie
verrückt, so daß er nachher den Eindruck hatte, sich nicht auf die
Erinnerung verlassen zu können. Er fuhr zurück, wendete im Hof der
Fabrik und wiederholte das Ganze. Aber sein Gedächtnis schien die
Bilder einfach nicht aufnehmen zu wollen. Es war wie verhext:
Jedesmal, wenn er wieder Pian dei Ratti
las, war das soeben Gesehene wie weggewischt.
Er brauchte eine
längere Vorwarnzeit und mehr Anhaltspunkte. Schwitzend fuhr er zwei
Dörfer zurück und starrte jedesmal auf die Schilder, bis ihm die
Augen weh taten: Zuerst würde er morgen Monleone passieren und dann Pianezza, das direkt in Piana überging. Dann die Pinien und das Plakat,
schließlich Pian dei
Ratti.
An der fraglichen
Stelle hielt er und zündete erschöpft eine Zigarette an. Als er
nach vorn blickte, um die Distanz noch einmal abzuschätzen, sah er,
daß an dem Haus bei der Kurve ein Rolladen hochgezogen war. Erneut
fing er an zu schwitzen. Hatte er das vorhin übersehen? Oder war
inzwischen jemand nach Hause gekommen? Er stellte die Brille
schräg, konnte aber trotzdem nicht erkennen, ob jemand am Fenster
stand. Vielleicht waren die Leute nur heute weg, und morgen, wenn
er mit Leskov um die Kurve bog, lehnten sie im Fenster. Sie würden
sehen, wie der Lancia an dieser unnatürlichen Stelle hielt, wer
weiß wie lange, und wie er dann in genau dem Moment losraste, in
dem von unten ein Lastwagen kam. Und sie würden sehen, wie der
Wagen plötzlich herumgerissen wurde. Perlmann nahm in Gedanken die
Position dort am Fenster ein: Es müßte für jeden Beobachter nach
Absicht aussehen. Da gab es gar keinen Zweifel.
Es war schwer, den
Ärger über die Vergeblichkeit der letzten halben Stunde in Schach
zu halten. Aber er gab sich Mühe und fuhr mit beherrschter Ruhe
weiter. Zwanzig Minuten später kamen bereits die mondänen Villen
von Chiávari in Sicht, und er hatte nicht eine einzige Stelle
gesehen, die in Frage kam: Entweder war die Straße zu kurvenreich,
oder man konnte nicht anhalten, oder es gab Häuser, immer wieder
Häuser. Perlmann fuhr auf den ersten Parkplatz am Rande von
Chiávari und stieg aus. Halb vier. Sein Magen krampfte sich vor
Hunger und Anspannung zusammen. Er ging die paar Schritte bis zur
nächsten Bar, aß ein Sandwich und bat die verwunderte Kellnerin um
ein großes Glas lauwarmes Wasser.
Der Tunnel; ich muβ es im Tunnel machen. Der
Gedanke kam ihm, nachdem er eine Weile mit vollständig leerem Kopf
dagestanden und offenbar sogar die Bitte um Feuer überhört hatte,
die unmittelbar neben ihm geäußert wurde. Hastig legte er einen
Geldschein auf die Theke, rannte zum Wagen und fuhr los.
Ich habe nicht darauf geachtet, aber auch
dieser Tunnel muβ Ausweichstellen haben, wo man halten kann, alle
Tunnel haben das, es ist Vorschrift, dachte er immer von
neuem, als er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zurückfuhr.
Pian dei Ratti. Er fuhr langsamer,
drehte sich um und sah zum Haus hoch: Alles unverändert, ein
einziger Rolladen hochgezogen. Auf der letzten Steigung, wo die
Straße breiter wurde, fuhr er über hundert und bremste erst im
Tunneleingang ab. Ja, es gab auf beiden Seiten mehrere
Wartebuchten, das sah er sofort.
Wieder draußen, fuhr
er noch ein Stück weiter und wendete erst dann. Auch hier wollte er
sich Dinge einprägen, die ihm die Stelle ankündigten. Aber es war
eigentlich ganz leicht: Zuerst kam ein Übersichtsschild, das
anzeigte, wie es links hinauf nach Piacenza ging und rechts weiter
nach Chiävari, und dann, kurz vor dem Tunnel, kam die Kreuzung mit
den einzelnen Pfeilen. Perlmann fuhr auf den Kiesplatz rechts vor
dem Tunneleingang und stellte den Motor ab.
Die getönte
Fensterscheibe glitt auf Knopfdruck mit einem leisen Surren nach
unten. Er legte den Ellbogen auf den Rahmen und zündete sich eine
Zigarette an. Als er nach einer kurzen Erschöpfungspause wieder
ganz bei sich war, drückte er die Zigarette aus und nahm den Arm
vom Fensterrahmen. Diese bequeme, saloppe Haltung kam ihm hier, vor
dem tödlichen Tunnel, obszön vor. Es war eine Empfindung wie
gestern morgen am Geländer hinter dem Felsvorsprung. Nur ist jetzt alles schlimmer, viel schlimmer. Nun
wußte er auf einmal nicht mehr, wohin er mit den Händen sollte.
Schließlich klemmte er sie zwischen die Knie und starrte
zusammengekauert, knapp über das Steuer hinweg, nach vorn in den
Tunnel.
Lang genug war er,
es mochten zwei Kilometer sein. Freilich konnte er den Anlauf nicht
hier draußen beginnen. Wenn man auf dem Kiesplatz stand, sah man
nicht weit genug hinein, und wenn man die Sicht verbessern wollte,
mußte man eine unnatürliche, auffällige Position halb auf der
Straße einnehmen. Es konnte morgen ziemlich lange dauern, und auch
hier in der Nähe gab es Häuser mit Leuten, die in den Fenstern
lehnen und die teure Limousine beobachten würden. Überhaupt fühlte
Perlmann sich vom Tunnel angezogen, weil dann alles, das Warten
ebenso wie der Zusammenprall, im verborgenen geschehen
konnte.
Er fuhr hinein und
hielt auf dem hellen Lehm, mit dem die erste Ausweichstelle bedeckt
war. Jetzt sah er bis zum Tunnelende, und im Außenspiegel konnte
er, ohne den Kopf auffällig drehen zu müssen, feststellen, ob
hinten alles frei war. Hier hatte bequem noch ein zweites Auto
Platz. Er mußte sich morgen so hinstellen, daß niemand auf die Idee
kam anzuhalten und seine Hilfe anzubieten. Am besten, er stellte
sich schräg zu dem Lehmhaufen, in dem die Schaufel steckte. Er
konnte nur hoffen, daß keine Polizei vorbeikam. Bei diesem Gedanken
zuckte er zusammen und fuhr weiter. Er wagte nicht, im leeren
Tunnel zu wenden, sondern fuhr hinaus und dann wieder zurück zum
Kiesplatz. Wie vorhin kauerte er sich zusammen und stützte die
Stirn aufs Lenkrad.
Das erste, was er
von dem Lastwagen sehen würde, waren seine Lichter, größer als die
eines Personenwagens und höher angebracht. Er würde erst losfahren,
wenn die Fahrerkabine deutlich zu erkennen war, damit er sicher
sein konnte, daß es sich um einen großen, stabilen Wagen handelte.
Am besten wäre einer dieser amerikanischen Laster, die regelrechte
Bollwerke waren. Was er dann tun mußte, ganz genau, bis in die
einzelnen Bewegungen hinein, war viel unklarer, als er bisher
angenommen hatte.
Um die Gewißheit zu
haben, daß sie beide getötet würden, mußte er ganz frontal auf den
Laster treffen. Dazu war es erforderlich, frühzeitig und
vollständig auf die Gegenfahrbahn zu wechseln, so, als wolle er
überholen. Damit aber würde für jeden, der es sah, mindestens also
für den Lastwagenfahrer, klar, daß es Absicht war. Und natürlich
würde Leskov in den entsetzlichen Sekunden, in denen die Front des
Lasters rasend schnell auf sie zukam, erkennen, daß er einen Mörder
neben sich hatte, einen Mörder und Selbstmörder, er würde ihm
womöglich ins Steuer fallen, und es gäbe einen Kampf, einen Kampf
mit ungewissem Ausgang. Auch das wie im
Traum.
Riß er, auf der
anderen Seite, das Steuer erst unmittelbar vor dem Aufprall herum,
so würde, wenn er es einen Moment zu spät tat, die Stoßstange des
Lasters nur die linke Seite des Lancias treffen, er selbst würde
vielleicht getötet, Leskov aber bliebe am Leben und könnte den
Mordversuch bezeugen. Tat er es hingegen etwas früher, so daß der
Lancia in seiner ganzen Länge auf der Gegenfahrbahn, schräg vor dem
Laster, zu liegen kam, so würden zuerst der rechte Kotflügel und
dann die rechte Tür eingedrückt, Leskov würde getötet und gegen ihn
gedrückt, sein fetter Körper wäre der Schutzschild, der ihm selbst
das Leben rettete, und so, unter Leskovs Leiche begraben, würde er
spüren, wie der Lastwagen den zusammengestauchten Lancia noch eine
Weile vor sich herschob, bevor er mit einem Schnaufen der
hydraulischen Bremsen zum Stillstand kam.
Perlmann erschrak
über die makabre Genauigkeit seiner Phantasie. Er versuchte, sich
gegen den Sog der vorgestellten Einzelheiten zu wehren und stellte
das Radio an, um die Macht der Vorstellungsbilder zu brechen. Als
das nichts half, stieg er aus und ging mechanisch auf dem Kiesplatz
hin und her, wobei er manchmal am Rande stehenblieb, mit leerem
Blick auf den Abfall starrte und in die kalten Hände
hauchte.
Wenn er nur wüßte,
wie der Verkehr hier werktags war. Daß heute nur wenige Autos kamen
und bisher nicht ein einziger Lastwagen, bedeutete gar nichts. Was
war, wenn es morgen Autokolonnen gab, so daß es sich ohne
Gefährdung der anderen gar nicht bewerkstelligen ließ? Aber das ist die einzige Möglichkeit. Und aufgeben kann
ich das Ganze nicht. Ich kann die Universität nicht tagtäglich
betreten als ein entlarvter Betrüger, ein geächteter
Mann.
Zwanzig vor fünf. An
der Küste draußen war es jetzt noch hell, aber hier hinten im Tal
begann es bereits zu dämmern. Etwa um diese Zeit würden sie morgen
hier ankommen. Bis Leskov mit dem Gepäck durch den Zoll war, konnte
es leicht halb vier werden. Man konnte morgen zügiger fahren als
heute, es galt ja nichts mehr zu suchen und zu memorieren,
andererseits war in Genua viel mehr Verkehr als heute, das hatte er
ja damals beim Plattenkauf gesehen. Unter einer Stunde war es bis
hierher kaum zu schaffen. Eine entsetzliche, eine endlose Stunde,
in der er mit Leskov reden mußte, als sei alles in Ordnung und
freue er sich über seine Ankunft. Um dann mit Vollgas ins
weißglühende Scheinwerferlicht eines Lastwagens zu
rasen.
Mehr Verkehr könnte
auch eine Hilfe sein, dachte er, nun wieder hinter dem Steuer.
Statt nur die Linie zu fahren, die man bei einem Überholmanöver
führe, könnte er es wie einen Unfall bei einem wirklichen
Überholmanöver aussehen lassen. Das kam ja oft vor: daß einer
ausscherte und auf der Gegenfahrbahn mit einem entgegenkommenden
Wagen frontal zusammenstieß. Damit es glaubwürdig war, mußte dem
Fahrer des ausscherenden Wagens die Sicht auf den Gegenverkehr
verdeckt sein. Da sein Gegenverkehr ein großer Laster war, durfte
vor ihm also kein Personenwagen sein. Er mußte hinter einem anderen
Lastwagen oder einem Bus herfahren, dann aus dessen Windschatten
heraus mit Vollgas auf die andere Seite, und das genau in dem
Moment, in dem der fragliche Laster anrollte. Das Ganze müßte so
berechnet sein, daß der vorausfahrende Laster oder Bus, damit er
nicht in Mitleidenschaft gezogen würde, am anrollenden Wagen
bereits vorbei wäre, wenn der Aufprall erfolgte. Nein, ein Bus
durfte es nicht sein, jedenfalls keiner mit Passagieren.
Das also ist das letzte, was ich in meinem
Leben tue: die Geschwindigkeit physikalischer Körper abschätzen,
die sich gegeneinander bewegen.
Er verwarf auch
diesen Plan. Zu vieles müßte zusammenkommen: ein geeigneter Laster,
der entgegenkam; einer, hinter dem er für einen Moment herfahren
konnte; und sonst ein leerer Tunnel. Diese Konstellation war viel
zu unwahrscheinlich, darauf konnte er nicht setzen. Hinzu kam, daß
in einem Tunnel mit Gegenverkehr eigentlich niemand überholte, die
doppelt gezogene Linie in der Mitte wurde in einem Tunnel selbst
von Leuten respektiert, die sonst tollkühn fuhren. Es wäre kein
Beweis, aber erstaunt wäre man schon, daß Perlmann wie ein Rowdy
gefahren war.
Wie vor drei Stunden
am Bahnhof übermannte ihn für eine Weile eine betäubende
Gleichgültigkeit. Er war versucht, einfach ins Hotel zu fahren und
sich, ohne noch länger an irgend etwas zu denken, ins Bett zu
legen. Mitten in dieser gleichgültigen Müdigkeit, welche die Welt
einige Schritte zurückweichen ließ und sie mit einem matten Grau
überzog, tauchte aus dem Tunnel ein Lastwagen auf. Perlmann war mit
einem Schlag hellwach, stieg aus und starrte, auf die offene Tür
gestützt, gebannt auf den mit Kies beladenen Wagen, von dessen
Ladefläche es heruntertropfte. Die vordere Stoßstange hing auf der
einen Seite herunter und war mit einem Seil nur notdürftig
befestigt. Er war von diesem Anblick wie hypnotisiert und sah
nicht, daß ihm der Fahrer zuwinkte, als er an ihm vorbeifuhr.
Danach blickte er der feuchten Spur nach und versuchte, sich der
Wahrnehmung bewußt zu werden, die ihn zu quälen begann.
Der Benzintank. Bei diesem alten,
klapprigen Lastwagen saß er weit vorne, der Füllstutzen kam direkt
nach dem Vorderrad, und es hatte ausgesehen, als erstrecke sich der
Tank hinter dem Rad noch weiter nach vorn. Ein Wagen wie dieser
ginge sofort in Flammen auf, für den Fahrer wäre es der sichere
Tod.
Am Hafen war es
gewesen, wo er am Freitag, vom Schiff aus, die vielen Lastwagen
gesehen hatte, die auf die gelöschte Ware warteten. Es mußte sich
um die Gegend handeln, wo er heute mittag die frisch asphaltierte
Straße gesehen hatte, die direkt auf das Hafengelände führte. Dort
konnte er sich vergewissern, daß der Tank bei modernen Fahrzeugen
weiter hinten und besser geschützt angebracht war. Aber er konnte
hier nicht weg, bevor er Klarheit über den gesamten Verlauf des
vorgetäuschten Unfalls hatte, über die letzten Bewegungen, die er
in seinem Leben vollziehen würde. Er stieg wieder ein, ließ das
Fenster hochgleiten und stellte die Standheizung an. Die Musik aus
dem Radio machte er hastig wieder aus, als er die Tränen spürte.
Einer, der so etwas vorhatte wie er, hatte das Recht auf Musik
verwirkt, und auch das Recht auf Tränen.
Er starrte in die
Dämmerung hinaus, wo der Lichtkontrast zwischen dem Tunnelinneren
und der Welt draußen langsam schwächer wurde. Ja, das war es: Er
würde dem auftauchenden Lastwagen zunächst ganz normal
entgegenfahren und dann, noch etwa zwei-, dreihundert Meter von ihm
entfernt, in dem leeren Tunnel zu schlingern beginnen, so daß der
Fahrer und die Polizei annehmen mußten, er habe plötzlich einen
Lenkungsdefekt gehabt. Gleichgültig, ob der Fahrer noch versuchte,
ihm auszuweichen, oder ob er einfach auf die Bremse trat: Mit einem
letzten Schlenker würde er den Lancia genau auf den Kühler des
Lasters ausrichten. Einen Verdacht auf Alkohol würde die Autopsie
ausräumen.
Würde Leskov ihm
aber nicht auch bei dieser Variante ins Steuer fallen? Tat einer
das überhaupt, der selbst nicht Auto fuhr? Er würde es tun, wenn er
eine Absicht erkannte, es wäre wie ein Reflex. Aber er würde es
nicht tun, wenn Perlmann ihm ein Versagen der Lenkung vorspielte –
wenn er tat, als versuche er krampfhaft, den Wagen unter Kontrolle
zu bringen. Er mußte das durch eine verzweifelte Bemerkung, durch
einen Fluch unterstreichen. In Gedanken ging er einige durch.
Also wird die letzte Szene meines Lebens
Theater sein, ein billiges Täuschungsmanöver, eine
Schmierenkomödie. Bei diesem Gedanken hatte er einen Moment
den Eindruck, daß das Schlimmste an seinem Plan nicht die
Rücksichtslosigkeit und unbarmherzige Kälte war, nicht einmal die
Brutalität, sondern die fürchterliche Schäbigkeit einem Mann
gegenüber, der im Gefängnis gesessen hatte, unter viel härteren
Bedingungen leben mußte als er und nun das erste Mal mit großen
Erwartungen zu bewunderten Kollegen in den Westen
reiste.
Er wünschte, er
könnte es jetzt gleich tun und auf der Stelle alles hinter sich
bringen. Doch da war zunächst noch ein Abendessen zu durchleben,
und dieses Mal genügte es nicht, es nur schweigend über sich
ergehen zu lassen. Wegen des Empfangs morgen würde auch Angelini
dabei sein. Man würde über Leskov reden, und jetzt, wo seine
Ankunft bevorstand, würden die anderen mehr wissen wollen als
seinerzeit, als es nur um die Absage ging. Er mußte auf natürliche,
ungezwungene Weise Auskunft geben, denn dies war ein Gespräch, an
das sich die anderen erinnern würden, wenn die Nachricht vom Unfall
eintraf. Der Eindruck, den er hinterließ, mußte so sein, daß jeder
einzelne, sollte ihm doch ein heimlicher Verdacht kommen, sich
sagen mußte: Nein, unmöglich, dann hätte er
nicht gestern abend noch so über Leskov reden
können.
Und dann die
Zeremonie im Rathaus, bei der er, unterwegs zu seiner schrecklichen
Tat, zum Ehrenbürger der Stadt gemacht würde. Er wurde von einer
zitternden Wut überspült, in die sich Übelkeit mischte, einer Wut
auf diesen Carlo Angelini, der ihn mit der ganzen Sache überfahren
und dadurch in tödliche Bedrängnis gebracht hatte, und der nun zu
allem Überfluß auch noch dieses lächerliche Ritual arrangiert
hatte, diese leere Hülse einer übertriebenen Höflichkeit, dieses
konventionelle Nichts. Perlmann sah ihn vor sich, den schlanken
Italiener im taillierten Jackett, die Krawatte gekonnt locker
geknotet. Sein ganzes Aussehen und Auftreten, um das er ihn
insgeheim beneidet hatte, kam ihm jetzt nur noch geleckt, pomadig
und abstoßend vor. Er krallte sich am Steuer fest und schlug die
Stirn dagegen, bis ihn das eigene Hupen zur Besinnung
brachte.
Das Klicken des
einrastenden Sicherheitsgurts war bereits Erinnerung, und er hatte
die Hand schon am Zündschlüssel, als es ihm einfiel. Der Sicherheitsgurt, ich muß Leskovs Gurt unbrauchbar
machen. Er löste den eigenen Gurt, schaltete die
Innenbeleuchtung ein und lehnte sich über den Beifahrersitz, um den
kleinen Kasten in Augenschein zu nehmen, in dem sich die Rolle des
Gurts befand. Die einzig unauffällige Manipulation bestand darin,
den schmalen Schlitz, durch den das Band lief, zu blockieren. Aus
der Jackentasche holte er eine Handvoll italienischer Münzen. Am
ehesten kamen die Einhundert-Lire-Stücke in Frage. Aber sie saßen
zwischen Gurt und Kastenwand nur scheinbar fest; wenn man am Gurt
zog, kamen sie entweder mit heraus oder, was häufiger passierte,
sie rutschten in den Kasten hinein. Perlmanns Bewegungen wurden
immer hektischer, er verbrauchte Münze um Münze, und schließlich
schob er, hilflos und sich selbst entgleitend wie ein Süchtiger,
auch noch all diejenigen Münzen nach, die von vornherein ungeeignet
erschienen. Von den vielen Münzen im Kasten schepperte es jetzt ein
bißchen, wenn er am Gurt zog; aber das Band lief nach wie vor
ungehindert durch den Schlitz.
Perlmann richtete
sich auf, legte den Kopf auf die Nackenstütze und zwang sich durch
langsames Atmen zur Ruhe. In der Gesäßtasche spürte er den
Geldbeutel, in dem er immer noch das deutsche Geld mitschleppte,
obwohl er sich oft vorgenommen hatte, es wegzupacken. Er holte ihn
hervor. Die beiden Fünfmarkstücke fühlten sich massiver und dicker
an als das italienische Geld, und als er das eine probierte, saß es
auch fester und hielt einem ersten Ziehen stand. Doch beim zweiten,
etwas energischeren Ruck fiel auch es mit einem leisen Klimpern in
den Kasten auf die anderen Münzen.
Als er in der
Jackentasche nach dem Feuerzeug griff, spürte er eine letzte
übriggebliebene Münze. Es war ein schmales Zweihundert-Lire-Stück.
Er nahm die Zigarette aus dem Mund und legte die halb geschwärzte
Münze aus Messing auf das zweite Fünfmarkstück. Von Hand ließen
sich die beiden Geldstücke nicht gleichzeitig in den Schlitz
pressen, aber es fehlte nicht viel. Perlmann stieg aus und sah im
Kofferraum das Werkzeug durch. Dann öffnete er die Beifahrertür,
setzte die beiden Münzen mit Daumen und Ringfinger der linken Hand
auf den Schlitz und hielt mit Zeige- und Mittelfinger die Spitze
eines Schraubenziehers darüber, auf den er mit einem englischen
Schlüssel vorsichtig einschlug. Leichte Schläge blieben ohne
Wirkung; wenn er aber fester zuschlug, rutschte der Schraubenzieher
ab, und einmal wäre ihm die Messingmünze beinahe in den Schlitz
gefallen. Als er sich einmal aufrichtete und den schmerzenden
Rücken streckte, kam ein Radfahrer in Arbeiterkleidung und
Schirmmütze vorbei, der mit der einen Hand einen Pickel auf der
Schulter festhielt. «Buona sera», sagte
er mit neugierigem Blick. «Buona sera»,
wollte Perlmann erwidern, aber er war sich nachher nicht sicher, ob
er es tatsächlich ausgesprochen oder nur gedacht
hatte.
Kurz darauf, als der
Schraubenzieher erneut abrutschte und den Kasten aus schwarzem
Kunststoff zerkratzte, verlor er die Nerven und schlug beim
nächstenmal mit voller Wucht zu. Als ihm der Schraubenzieher die
Kuppe des Ringfingers quetschte und aufritzte, ließ er alles
fallen, steckte den Finger in den Mund und hüpfte vor Schmerz auf
und ab. Nach einer Weile wickelte er das Taschentuch um den Finger
und machte einen letzten Versuch. Die beiden Münzen griffen, und
nun hämmerte er sie vorsichtig, Millimeter für Millimeter, hinein.
Einmal gab es ein ächzendes Geräusch, als würde der Kasten gleich
zerspringen. Aber er hielt, und am Ende saß der Gurt fest, Perlmann
setzte sich hin und probierte es aus. Die Rundungen der beiden
Geldstücke blieben sichtbar, weiter durfte er sie nicht
hineintreiben, sonst rutschten sie zu den anderen hinunter. Sollte
Leskov, wenn er merkte, daß der Gurt klemmte, genau hinsehen, so
konnte er kopfschüttelnd irgend etwas von Vandalismus
sagen.
Zuerst hatte er die
Landkarte geborgt, dann den Wagen gemietet, und jetzt das. Er
geriet immer tiefer in die Verwirklichung seines Plans hinein,
seine Handlungen wurden von Mal zu Mal gezielter, seine
Überlegungen ausgeklügelter, seine Spuren deutlicher. Und
gleichwohl, dachte er beim Wegpacken des Werkzeugs, fühlte sich
alles wie eine nach innen laufende Spirale an, die sich ganz von
selbst, ohne sein Zutun, immer enger um ihn legte und ihn am Ende
mit seiner eigenen Tat erwürgen würde.
Die Hand noch am
Kofferraumdeckel, sah er, wie eine Frau auf der anderen Seite der
Kreuzung einen Krämerladen aufschloß und Licht machte. Er rannte
hin und betrat den Laden. Das weiße Haar der alten Frau war so fein
und schütter, daß sie fast kahlköpfig zu sein schien. Ihre nach
innen gepreßten Lippen und das vorgeschobene Kinn erinnerten ihn an
die zahnlose Alte am Fenster in Portofino.
«Geschlossen», sagte
sie und schob den spitzen Unterkiefer noch weiter vor.
«Nur eine Frage»,
sagte Perlmann.
Sie sah ihn
mißtrauisch an.
«Verkehren hier
viele Lastwagen?»
«Wie?»
«Ob hier viele
Lastwagen vorbeikommen. Ob es viel Verkehr gibt. Durch den Tunnel,
meine ich. »
«Heute nicht»,
grinste sie und zeigte ihren einzigen Zahnstummel.
«Werktags, meine
ich.»
«Nun – mal mehr, mal
weniger. »
«Wie ist es
Montags?»
«Wie ich schon
sagte: Mal mehr, mal weniger. »
«Wovon hängt es
ab?»Perlmann steckte die Hände in die Taschen, um die Fäuste ballen
zu können.
«Weiß ich nicht. Im
Sommer ist mehr los.»
«Aber es gibt auch
um diese Zeit Lastwagen?»
«Natürlich gibt es
Laster. Machen einen Heidenlärm. Und stinken. Sagen Sie, warum
wollen Sie das denn überhaupt wissen? »
«Wir drehen einen
Film, und da muß es Lastwagen geben», sagte Perlmann. Er hatte
keine Ahnung, woher er das nahm, aber die Auskunft kam ohne
Zögern.
«Einen Film? Hier in
diesem Nest?»Sie lachte krächzend und schob die gerollte
Zungenspitze zwischen die Lippen.
«Wie ist es mit der
Uhrzeit? Ab wann wird der Verkehr abends schwächer?»
«Sie wollen es wohl
ganz genau wissen, wie?»sagte sie und machte jetzt ein neugieriges
Gesicht, als fange sie an, die Geschichte mit dem Film zu
glauben.«Von Piacenza runter kommt nach vier nichts mehr. Und von
Chiávari durch den Tunnel – na ja, ab halb fünf wird’s weniger,
c’è meno.» Und dann fügte sie,
plötzlich ganz erbost, hinzu:«Feierabend – heutzutage machen sie ja
schon ab fünf Feierabend!»
«Nach halb fünf
kommen also nicht mehr viele Lastwagen?»
«Hab’ ich doch
gesagt. »
Perlmann war
versucht, die Frage zu wiederholen, so sinnlos es auch war. Aber er
traute sich nicht.
«Einen wirklichen
Film, eh?»sagte sie, als er sich verabschiedete.
Er hatte das Gefühl,
hier drin gleich zu ersticken, und nickte nur.
«Wer’s glaubt!
»murmelte sie.
Sie sah ihm nach,
als er zum Auto zurückging. Er war froh, daß es jetzt zu dunkel
war, als daß sie Einzelheiten des Wagens hätte erkennen können. Als
er wendete und in Richtung Genua losfuhr, stand sie immer noch
unter der Tür.