7. Februar, Großbritannien,
Nordirland,
Craigavon, 09.43 Uhr
Eric hatte wirklich mit dem Gedanken gespielt, sich einen Topf Honig zu beschaffen, um den Bären anzulocken – natürlich als Gag. Aber der Wandler würde die Aussicht, erschossen zu werden, nicht witzig finden. Der Witz mit dem Honig könnte das Fass vor dem entscheidenden Schuss zum Überlaufen bringen und Barnaby Fitzpatrick mehr in Rage versetzen, als notwendig war.
Rein, raus, fertig. Er wollte sich nicht lange aufhalten. Bären waren die stärksten Landraubtiere der Welt, und so wäre es am besten, wenn er den Koloss aus sicherer Entfernung eliminieren könnte. Was er auch getan hätte.
Dummerweise wollten sie Informationen über den Ard Rí. Und die gab es nur aus nächster Entfernung.
Ich werde bei der Idee mit dem Deal bleiben: Infos gegen sein Leben. Kann sein, dass mein Name hilft, ihn zu beeindrucken.
Er hielt den Touareg Hybrid eine Querstraße entfernt vom Wohnort des Bären an. Wenn er Barnaby Fitzpatrick richtig einschätzte, verteidigte er sein Revier und würde sein Haus als Höhle betrachten. Zwar unterlagen Wandler nicht dem Drang zum Winterschlaf, aber die dunkleren Monate machten sie träger. Leider auch gereizter.
Eric prüfte alle seine Waffen und stieg anschließend aus, näherte sich dem Haus mit einem großen neutralen Karton in der Hand, den er sich im Supermarkt organisiert hatte. Mal schauen, ob der alte Trick mit dem Paketdienst funktioniert. Einfach, aber gut.
Die Straße war schnell erreicht, das Haus sah er schon von weitem.
Davor stand ein hochgewachsener, massiger Mann in einer Latzhose, der eben eine Plane von einem hellroten, verrosteten Pick-up zog. Aus der Motorhaube ragten verkratzte, ramponierte Luftansauger, ein sicheres Zeichen, dass der Wagen vor langer Zeit mit einer stärkeren Maschine ausgestattet worden war.
Ja, das ist mein dicker Brummbär. Eric stellte sich vor, wie der Fahrer mit zweihundert Sachen in eine Schafherde bretterte und die Wolle sich im Ansaugstutzen verfing. Das gäbe eine Sauerei. Er grinste.
Der Wandler hatte ihn bemerkt und wandte sich zu ihm um, beobachtete ihn aus kleinen Äuglein heraus, die tief in den Höhlen lagen.
Jetzt bringt mir mein Karton gar nichts mehr. Eric tat so, als suchte er nach einer Hausnummer, dann ging er langsam auf den Bärenwandler zu. »Guten Morgen, Sir. Ich bin von Stand&Deliver und suche Millers, Hausnummer zweiunddreißig, angeblich. Aber da wohnt niemand, der so heißt.«
Fitzpatrick brummte und nickte dabei mit dem Kopf. »Stimmt. Da wohnt keiner, der so heißt.« Er musterte ihn, Pupillen waren wegen der tiefen Augen und den dichten Brauen nicht zu erkennen. Langsam senkte er die Plane. »Wir haben auch keinen in der Straße mit dem Namen.«
»Was mache ich jetzt?« Eric blieb auf Abstand und hielt sich bereit, das Schnellfeuergewehr unter dem Mantel hervorzuziehen; mit einer Hand langte er danach. »Am besten, ich rufe mal die Zentrale an.«
»Viel Erfolg.« Der Wandler widmete sich der Plane und legte sie zusammen. Er schien sich der Gefahr nicht bewusst zu sein, in der er schwebte.
Glück darf ich auch mal haben. Eric stellte den Karton ab und zog in aller Ruhe das Gewehr heraus. »Wir gehen ins Haus. Ich hätte da einige Fragen an Sie, die den Ard Rí betreffen.«
Fitzpatrick ließ die Plane auf die Ladefläche des Pick-ups fallen und drehte sich halb um. »Ich nehme an, dass Sie Silberkugeln benutzen?«
»Jepp.«
»Dann werde ich mich wohl nicht gegen Ihren Vorschlag wehren.« Der Wandler trottete los, zurück zum Haus und sperrte die Tür gemütlich auf, als würde er mit einem Freund nach Hause kommen.
Eric folgte ihm und lauerte auf jede noch so kleine Regung, die auf einen Angriff schließen ließ. Er hatte nicht vor, Bekanntschaft mit den Fängen und Tatzen des Bären zu machen. Bislang verhielt sich Fitzpatrick ruhig.
»Wollen Sie eine heiße Milch mit Honig?« Er führte Eric in die Küche. »Es ist sehr leckerer Honig. Aus dem Nektar von Orangenblüten gewonnen.«
Er erfüllt zumindest das Klischee. »Nein danke.« Er lauschte, konnte aber nichts hören, was auf weitere Bewohner schließen ließ. Er sah zu, wie sich der Wandler Milch auf dem Herd erhitzte und einen Löffel der goldfarbenen Flüssigkeit hineinlaufen ließ. »Was hat es mit dem Ard Rí auf sich, Mister Fitzpatrick?«
»Sind Sie ein Jäger? Und wenn ja: für wen? Für sich selbst, oder sind Sie ein bezahlter Killer?« Er lachte dunkel und sah Eric an, die dichten Augenbrauen zogen sich zusammen. »Sie sind entweder auch ein Wandler oder jemand, der durch einen von uns eingeweiht wurde. Dass Sie ausgerechnet zu mir kommen, das ist schon lustig.«
Eric rechnete jederzeit mit einem Angriff. Fitzpatrick täuschte den Gutmütigen vor, das spürte er. In dem Wandler herrschte größte Anspannung, weil er wusste, dass eine Salve Silberprojektile gegen ihn effektiv waren wie nichts anderes. Der Tod machte gerade einen Hausbesuch bei ihm. »Wieso ist das lustig? Sind Sie der Ard Rí?«
Fitzpatrick schüttelte den Kopf, goss sich die dampfende Milch in einen Becher und setzte sich an den Küchentisch; der Stuhl knarrte laut unter seinem Gewicht. »Nein, sicherlich nicht. Aber ich war der Erste, der alle anderen vor ihm gewarnt hat.«
»Gewarnt bedeutet was?« Eric blieb an der Tür stehen, den Finger am Abzug. Selbst im Sitzen war der Wandler fast so groß wie er, und sein Gewicht schätzte er auf um die einhundertfünfzig Kilogramm. Viel Fett und noch mehr Muskeln.
Fitzpatrick schlürfte an seiner Milch und lächelte selig wie ein kleiner Junge. »Ich habe den Rís gesagt, dass er Probleme machen wird«, brummelte er, »mit seiner selbstherrlichen Art und seiner selbstverständlichen Erfüllungserwartung: Was er sagt, das muss getan werden.«
»Wenn ihn niemand leiden mag, warum haben die Rís ihn dann akzeptiert?«
Fitzpatrick zeigte auf Erics Gewehr. »Warum sitze ich hier und rede mit Ihnen? Richtig: Sie sind im Vorteil. Genau das ist auch der Ard Rí. Er vermag mehr als die sonstigen Wandler, er ist mächtiger und gefährlicher, und deswegen kann er alle für sich arbeiten lassen. Seit er diese Schlange an seiner Seite hat …«
»Boída de Cao?«
»Seine Scharfrichterin und Bettgespielin, ja«, sagte Fitzpatrick. »Durch sie hat er einen Trumpf in die Hand bekommen, gegen den kein anderer Rí anstinken kann. Sie kuschen vor ihm.«
Das sind doch mal News. Eric hob die Augenbrauen. »Welchen Gegenwert bringt er? Ich meine, wenn Sie und die irischen Wandler sich einfach zusammenschließen würden, um ihm in den Arsch zu treten …«
Fitzpatrick schlürfte wieder am Becher, und zwar so laut, dass er Eric damit unterbrach. »Niemand kann ihn besiegen. Das ist meine feste Überzeugung. Glauben Sie mir, es haben schon welche versucht, aber von denen habe ich keinen lebend mehr gesehen.« Er schmatzte und schloss sekundenlang die Lider, wohl um den Geschmack seines Getränks zu genießen. »Eine Sache kann er sich anrechnen: Er hat die Fehden unter den Wandlern beendet. Früher haben sie sich selbst zerfleischt, die Tuatha der Hundewandler, die Selkies, die Füchse und Katzen. Sie kämpften gegeneinander.«
»Was war das Mittel für den Frieden?«
»Das älteste der Welt: der Tod.« Der Bärenwandler lachte, sein Bauch wogte dabei. »Er hat sämtliche Rís umgebracht, und die Oenach wählten aus Furcht vor ihm diejenigen aus ihren Reihen zum König, die dem Ard Rí Treue schworen. So ist es bis heute geblieben. Jeder der Rís hat sein zugeteiltes Territorium … nein, sie haben es vom Ard Rí verliehen bekommen. Lehensherrschaft. Wie im Mittelalter.« Fitzpatrick lachte dunkel. »Ein scheiß Freak ist das! Hält sich für einen Lord und macht die anderen zu seinen Knechten.«
Eric war froh, sich den Bärenwandler vorgeknöpft zu haben. Er war durchaus bereit zur Mitarbeit und versorgte ihn mit Informationen, die plausibel klangen. »Sind Sie auch sein Knecht?«
»Nein. Ich mache, was ich will, jedenfalls im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ich habe mich mit den BlackDogs arrangiert. Dafür brauche ich keinen Ard Rí.«
Die alles entscheidende Frage: »Wo finde ich ihn?« Eric zwang sich, die Konzentration nicht sinken zu lassen. Er musste kampfbereit bleiben, falls Fitzpatrick losschlug. Bären waren dafür bekannt, keine Warnsignale vor einem Angriff zu zeigen.
»Er ist meistens in Coleraine. Ihm gehört dort das Hotel GoldenTimes. Das gesamte obere Stockwerk ist sein Reich und gut gesichert.« Die winzigen Augen verschwanden hinter einer Dampfwolke, die aus der Tasse stieg.
»Wie sieht er aus?«
Fitzpatrick lachte brummend. »Malen kann ich ihn nicht. Er macht auch nicht so viel her, würde ich sagen. Schwarze Haare, gelbliche Augen, als wäre … Goldflitter drin. Normale Statur, und … ach ja, die Narbe. Sie reicht auf der rechten Seite von der Stirn senkrecht nach unten bis zum Halsansatz. Sieht aus, als hätte mal jemand versucht, ihm den Schädel zu spalten.«
Eric nickte zufrieden. »Das hört sich ziemlich unverwechselbar an. Unverwundbar ist er demnach nicht?«
»Wie gesagt: Er hat viele Mörder überstanden.« Der Wandler hob die Schultern. »Und was haben Sie dabei, dass Sie denken, ihn umbringen zu können?« Er zeigte mit der Tasse auf Eric. »Raus mit der Sprache: Ich bin neugierig.«
»Silber?«
Fitzpatrick lachte dröhnend auf, und das Bärenhafte in seiner Stimme kam voll zum Tragen. Die Einrichtung vibrierte, die leere Tasse auf dem Tisch hüpfte ein bisschen. »Silber. Das ist gut! Und wer schickt Sie?«
»Muss mich denn jemand schicken?« Eric lauschte auf Geräusche aus der Umgebung, doch sie waren unverändert alleine.
Der Wandler nippte wieder an der Milch. »Wer käme auf die Idee, nach Irland zu reisen und gezielt nach dem Ard Rí zu fragen? Dafür kommen nur wenige Menschen in Betracht. Und SIE sind ein Mensch. Mit Akzent. Ein deutscher, würde ich sagen.« Er schnupperte demonstrativ. »Wobei, da ist eine kleine Note in Ihrem Geruch, die ich nicht einordnen kann.«
»Hat der Kerl auch einen echten Namen?«
»Nein, hat er nicht. Er nannte sich von Anfang an Ard Rí.«
Warum hat er gelacht, als ich Silber erwähnte? Eric erschien die Sache immer mysteriöser. »Woher …«
»Hören Sie, Mister, alles, was ich über ihn weiß, habe ich Ihnen gesagt«, fiel ihm Fitzpatrick grummelnd ins Wort. »Ich wünsche Ihnen für Ihr Unterfangen alles Glück, das man auf dieser Welt haben kann. Darf ich jetzt gehen?« Demonstrativ stellte er den Becher hart auf dem Tisch ab.
Eric hatte ein Problem: Er fand den Wandler nett. Das machte es ihm schwer, den Abzug nach hinten zu drücken und sein Leben zu beenden. Er ist eine Bestie, und ich kann nichts tun, um ihn davon zu heilen. Er wird immer eine Gefahr für die Menschen in seiner Umgebung sein. Ein wildes Tier mit der Gier nach Blut und Fleisch.
Fitzpatrick sah das Zögern. »Was ist, Kumpel? Mehr Infos habe ich echt nicht!« Seine Augen schienen noch kleiner zu werden, und er setzte sich langsam aufrecht hin; seine Hände stützten sich am Tisch ab. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer dich geschickt hat und wie dein Name ist.«
Eric sah den Wechsel der Körperhaltung als Zeichen, dass sich der Wandler zur Attacke bereitmachte. »Eric von Kastell.«
Fitzpatrick packte den Tisch und wollte ihn schleudern.
Zumindest hat er von mir gehört. Er löste das G36 sofort aus und war froh, dass der Bärenwandler ihm einen Grund gegeben hatte.
Mehr als ein Anheben des Möbelstücks wurde daraus nicht mehr. Das schallgedämpfte Gewehr spuckte abwechselnd Vollmantel- und Dumdumgeschosse gegen den Mann und durchlöcherte den breiten Oberkörper. Die massiven, gehärteten Argentumprojektile traten aus dem Rücken wieder aus und jagten in die Küchenzeile.
Kochgeschirr flog umher, Fliesen platzten, und die Dunstabzugshaube erhielt Löcher; gleichzeitig rissen die weicheren Kugeln dicke Löcher in den Körper und ließen das Blut spritzen. Rauch stieg kräuselnd auf.
Fitzpatrick fiel ächzend nach hinten, gegen den Herd, und brachte das Ceranfeld zum Bersten. Noch immer hatte er Kraft, versuchte sich festzuhalten und hinterließ mit den länger werdenden Fingerkrallen lange Rillen in den Schranktüren. Schwarze Glassplitter regneten zu Boden, das Spülbecken riss heraus, Wasser sprudelte aus der gebrochenen Leitung und strömte in den Raum. Backförmchen schwammen gegen Erics Stiefelspitzen, die kleine Welle schwappte weiter in den Flur.
Sorry. Eric sah Fitzpatrick beim Sterben zu, der dabei nicht ausrastete und um sich schlug. Ging nicht anders.
Mehr und mehr entspannte sich der Körper, die Augen verloren das Funkeln und wurden trübe. Der breite Kopf sank zurück in die Pfütze, die sich unter dem Wandler rot färbte. Gemütlich, behäbig hauchte er sein Leben aus. Der Rauch hatte nachgelassen, das Wasser löschte das schwelende Fleisch.
Einer weniger. Eric freute sich nicht über den einfachen Sieg. Der Bär schien ein netter Kerl gewesen zu sein. Er kann aber ebenso gut für ein Dutzend Morde oder Fälle von Verschwundenen verantwortlich gewesen sein. Wenn Eric eins gelernt hatte, dann, dass es keine netten Bestien gibt. Sie haben sich alle etwas zuschulden kommen lassen. Er wusste es am besten.
Was Eric allerdings massiv störte, war die Tatsache, dass er sich als Handlanger fühlte. Als Benutzter. Als Ausputzer von feigen Vampiren, die keinen Deut besser waren als Wandler.
Ich sollte mein Arbeitsfeld erweitern. Er wechselte das Magazin, verstaute das Gewehr wieder unter dem Mantel. Der Wunsch, Sia zu küssen, zu fressen, sie zu besitzen und ihr Fleisch zu essen, erschien nicht mehr abwegig. Blutsauger hatten den Tod ebenso verdient wie die Bestien.
Eric marschierte zur Haustür hinaus und verdrängte den Gedanken. Erst musste er dafür sorgen, dass zwei Unschuldige am Leben blieben: Elena und Emma. Sollte ich dabei massenweise Bestien und Vamps abknallen dürfen, umso besser. Er zog den Ausgang hinter sich zu und sperrte das steigende Wasser ein.
Eric ging zu seinem Auto und fuhr los, um eine Telefonzelle zu suchen. Sia und er hatten einen Ort, wo sie den Ard Rí antreffen konnten.