4. Februar, Großbritannien,
Nordirland,
in der Nähe der Dundrum Bay, 07.42 Uhr
Rainal Righley hatte vom Ende seiner Frau gehört. Jetzt war er Witwer und nicht sehr traurig oder furchtbar betroffen. Sie hatte gewusst, auf was sie sich einließ.
Keine Stunde nach ihrem Tod hatte er den Anruf von einem Bekannten erhalten, dass in Wirklichkeit die Scharfrichterin seine Lisica ausgeschaltet hätte. Zwar lautete die offizielle Version, dass seine Frau zuerst auf den Wichser McFinley geschossen hatte, aber niemand glaubte diese Erklärung. Boída de Cao hatte gerichtet, wie es ihre Art und Aufgabe war. Er nahm es ihr nicht einmal übel. So lief das Spiel eben. Aber dass die Scharfrichterin nach ihrem Aufenthalt im TeaRoom noch lebte, das ließ ihn staunen.
Rainal hatte sein Haus verlassen und befand sich auf der Straße nach Dundrum. Es war sicher, dass er als Nächster auf ihrer Liste stand, aber sie würde keinen Haken hinter seinen Namen machen!
Er musste sich wegen des heftigen Regens auf den Verkehr konzentrieren, dazu war er damit beschäftigt, bereits Ausweichpläne und Allianzen zu schmieden, die ihn vor dem Tod bewahren sollten. Fuchswandler waren keine guten Kämpfer, ihre Stärke lag eindeutig in der List.
Aber ausgerechnet heute sperrte sich sein Einfallsreichtum gegen jede Anstrengung und Mühe, die er unternahm. Sein Kopf war wechselweise leer oder knallvoll. Mit beidem konnte er nicht umgehen.
Rainal telefonierte unterwegs einen Kontakt nach dem anderen ab, die Lisica vor ihrem Tod bereits klargemacht und zum Wechseln gebracht hatte: Zwei Dutzend Wettbuden, zwei Bordelle und eine Zehnerpackung Großdealer gehörten neuerdings zu seinem Netzwerk, das er Redheads nannte. Als Nächster stand Mirror auf seiner Liste, der von England aus operierte. Eine Luftveränderung konnte nicht schaden.
Es läutete, dann wurde abgenommen, ohne dass sich jemand meldete. Das Atmen verriet, dass ein Mensch auf der anderen Seite war.
»Hier ist Righley«, sagte er und setzte den Blinker. Es ging nach Südosten, unmittelbar auf die Fähre. Die Idee mit dem Wechsel nach England erschien ihm mehr als vernünftig. »Ist da Mirror?«
»Wer soll es sonst sein?«, erwiderte der Mann. »Warte mal fünf Sekunden.«
»Ich …«
»Schnauze!« Es klickte mehrmals, dann ein freudiger Aufschrei. »Hooray! So, das waren die vierten zehn Riesen, die ich gemacht habe. Mit nur drei Rennen! Was sagst du dazu?« Mirror lachte, und es patschte, als hätte er sich auf die Schenkel geschlagen.
»Dass ich mich auf meinen Anteil freue«, gab Rainal zurück. »Ich brauche dringend ein sicheres Schlupfloch. Kannst du mich unterbringen?«
Mirrors Lachen endete augenblicklich. »Bullen oder was anderes?«
Rainal konnte ihm nicht sagen, was es wahrhaftig mit seinem Abtauchen auf sich hatte. Mirror war ein Mensch, der nichts von Wandlern wusste und es auch nicht wissen sollte. »Was anderes«, gab er vage zurück.
»Das macht die Sache natürlich teurer. Bullen haben Gesetzesgrenzen, die anderen nicht«, fasste Mirror geschäftsmäßig zusammen. »Ich würde sagen: dein Anteil von den vier mal zehn Riesen, die ich heute gemacht habe.«
Rainal knurrte leise. Die Nackenhaare richteten sich auf, doch seine Stimme blieb gespielt dankbar, als er zustimmte. Es würden wieder andere Zeiten kommen, in denen er die Oberhand hatte. »Einverstanden.«
»Wo bist du?«
»Noch in Irland. Ich nehme die nächste Fähre in Dundrum.«
»Willst du ein Versteck in Wales oder tiefer in England?« Mirror war ein Profi.
Rainal überlegte kurz. »Na, in der Nähe wäre schon gut, falls ich wieder rüber muss, um Dinge zu regeln.«
»Wie du willst. Es ist dein Arsch. Ich rufe dich wieder an, sagen wir, in einer Stunde?« Eine rhetorische Frage. »Ich suche dir was Nettes. Mit Bett.«
»Bestens.« Rainal legte auf. Ihm fiel ein, dass Mirror nicht nach Lisica gefragt hatte. Ihr attraktiver Körper, ihr rotes, duftendes Haar mit der weißen Strähne – das würde ihm fehlen.
Lisica hatte viele Männer gefickt, meistens in seinem Auftrag. Aus taktischen Gründen. Er hatte ihr nur die Sache mit Alan übelgenommen, diesem Sportlehrer, auf den sie einfach nur scharf gewesen war. Das Letzte, was Rainal vor seiner Abreise erledigt hatte, war Alan. Als verspätete Rache an dem Kerl. Da es Lisica nicht mehr gab, musste er auch keine Rücksicht nehmen.
Vorschriftsmäßig und keinesfalls auch nur eine Meile zu schnell näherte er sich der Küste.
Rainal sinnierte darüber nach, wie es de Cao gelungen war, in den TeaRoom und wieder hinauszugelangen. Sie war eine besondere Wandlerin, die einzige Schlange auf Irlands Boden. Womöglich bedurfte es eines heiligen Patricks, um die Schlitzzunge zu vertreiben. Silber konnte ihr entweder nichts anhaben, oder sie war besonders tough.
Er hatte den TeaRoom durch einen Zufall gefunden und es mit Mühe nach vier Sekunden Aufenthalt wieder hinausgeschafft. Eine Woche lang hatte er Blut gehustet. Die perfekte Falle für jedes Wandelwesen – außer für die Scharfrichterin.
Nach seiner Erholung hatte Rainal die Fuchsneugier zurück zu diesem merkwürdigen Haus getrieben. Er hatte sich mit ein paar Sicherheitsvorkehrungen eingeschlichen, um mehr darüber zu erfahren, und ein interessantes Gespräch belauscht. Der Begriff Nachtkelte war mehrmals gefallen. Leider fehlte ihm dank seiner Flucht die Gelegenheit, etwas daraus zu machen. Und die beiden Trottel, die er zum Spionieren ausgesandt hatte, meldeten sich nicht mehr.
»Dumm. Echt dumm.« Sobald Rainal in seinem Schlupfloch sein würde, musste er mehr über Schlangenwandler herausfinden. Lateinamerika. Südamerika. Er wusste nicht einmal, welche Schlange sich hinter de Cao verbarg. Gut, sie war eine Würgeschlange. Die Kraft, die sie besaß, sprach für sich. Aber welche Art genau, das blieb im Dunkeln.
Es war nur logisch, dass es auch an ihr eine Schwachstelle geben musste. Sozusagen ein Notaus, das ein jedes dämonische Wesen besaß.
Vielleicht war es bei einer Schlangenwandlerin Holz anstelle von Silber, irgendetwas Tropisches? Oder einfach nur ein anderes Metall? Die Auswahl, das wusste Rainal genau, war zu gewaltig, um aufs Geratewohl etwas auszuprobieren. Bei de Cao bekam man eine Chance, sie zu erledigen, und die hatte er vermasselt. Danach nutzte sie ihre Gelegenheit. Ihre Erfolgsquote bei Attacken lag, soweit er wusste, bei einhundert Prozent. Daher hatte Rainal nicht vor, sich ihrem Angriff auszusetzen.
Ein Polizeifahrzeug der Garda erschien auf seiner Höhe. Das Fenster wurde runtergedreht, eine Kelle erschien, die ihm zu verstehen gab, links ranzufahren.
»Eine Verkehrskontrolle, klar«, grummelte er vor sich hin. Er sah auf die Uhr. Bis zum Ablegen der Fähre blieben ihm knappe vierzig Minuten. Je nach Verzögerung konnte es knapp werden, und er müsste mehr als zwei Stunden warten, bis das nächste Schiff ablegte. Einhundertzwanzig Minuten, die für die Scharfrichterin liefen. Falls es schiefging.
Rainal steuerte den Polo an die Seite.
Es regnete in Strömen, wie man es in Irland gewohnt war. Entsprechend ausstaffiert verließen die Polizisten einer nach dem anderen den Wagen, wadenlange Ponchos mit Kapuze schützten sie vor dem Nass. Beide trugen MPs. Einer hielt die Waffe lässig im Halbanschlag, während sein Kollege auf die Fahrerseite kam, grüßte und sich nach unten beugte.
»Hallo, Officer.« Rainal lächelte sein schönes Fuchslächeln – dabei schlug sein Herz seit der Sekunde, als er die Maschinenpistolen erblickt hatte, doppelt so schnell. Die Garda war traditionell nicht bewaffnet, abgesehen von einem Schlagstock. Die echte Garda.
Ein greller Lichtschein blendete ihn. »Hallo, Sir. Mein Kompliment, Sie fahren vorbildlich.«
»Haben Sie mich deshalb angehalten?« Er hatte den Gang aus Intuition nicht rausgenommen. Fuchsfähigkeit. »Bekomme ich ein Geschenk?« Der Strahl leuchtete ihm nach wie vor in die empfindlichen Augen; er würde lange nichts sehen außer einem großen Fleck.
»Kommt darauf an. Steigen Sie bitte aus.«
»Warum?« Rainal wusste, dass er mit der Gegenfrage schon den Verdacht gegen sich erweckt hatte. Normalerweise hätte er Lisica eingesetzt, um für Ablenkung zu sorgen, und bei heterosexuellen Männern hatte sie immer funktioniert. Vermutlich nicht bei der falschen Garda.
»Weil Officer Zeffrany sonst das Feuer eröffnet.« Es klickte, die Tür wurde geöffnet. »Verstehen Sie es als Ehre: Sídhe möchte mit Ihnen sprechen.«