3. Februar, Republik
Irland,
Kerry, 10.11 Uhr
David saß in schwarzen Unterhosen am Tisch, las die Zeitung auf dem großen Display seines Laptops; nebenbei rührte er im Tee und sah schließlich durch die Scheibe hinaus auf die Straße. Heute war er in einer seiner Wohnungen erwacht, die er besonders mochte: hoch gebaut, Platz für Licht und Luft und für die Gedanken. Die Blicke konnten ungehindert schweifen. Das war wichtig: David lebte von seinen Einfällen, sonst wäre er nicht Mister Undertake.
Die Schlagzeilen wurden vom Tod des ehrenwerten Senators Baxter beherrscht. Die Presse hatte reißerische Fotos vom Tatort gemacht und sie leicht verpixelt neben die Aufnahmen gestellt, die verschiedene Stationen des Senators zeigten. Ein Saubermann war unsauber gestorben.
David hatte kurz darüber nachgedacht, Baxters Hose herunterzustreifen und ihn neben den Junkie zu legen, damit es aussah, als wäre ein Liebesdienst vorangegangen, aber er hatte sich dagegen entschieden. Die Empörung war groß genug.
Er nahm einen Schluck Tee und roch einen leichten Hauch von Lydias Smegma an seinen Fingern. Lydia hatte er die Wohnung untervermietet, und sie ließ sich jedes Mal gerne von ihm ficken, wenn er auftauchte. Die Stewardess war unglaublich gut im Bett, vermutlich hatte sie es schon mit allen Piloten der Luftflotte getrieben.
Das war David egal. In den Stunden, in denen er sie vögelte, gab sie ihm das Gefühl, dass es keinen anderen gab, der in sie durfte, als ihn. Er lächelte und roch an den Fingern. Vermutlich blieb er eine Nacht länger.
Dann scrollte er weiter, sichtete weitere Überschriften. Die Nachrufe über Baxter waren wie erwartet positiv, alle vermissten den Senator jetzt schon.
Nur eine kleine Zeitschrift, die Irish Folk, stellte schon im gleichen Atemzug die Frage nach der Nachfolge. Sie forderten den Präsidenten auf, jemanden Adäquates auszuwählen.
Seine gute Laune stieg, als er den Namen las, den der Verfasser ins Spiel brachte: Kaitlin Webster. Das war die Frau, die von ihm vorgesehen war.
Seine nächste Aufgabe wartete auf ihn. Mister To-Do hatte den Job, ein Abendessen mit dem Präsidenten vorzubereiten, um ein paar Dinge klarzustellen. Vermutlich kämen auch irische Kindergartenkinder zur Sprache. Und Mister Cormick erwartete sicher immer noch seinen Anruf, der Verräter aus dem Parlament.
David hatte beschlossen, ihn am Leben zu lassen. Die Anzahl der Toten im Ober- und Unterhaus sollte vorerst nicht weiter ansteigen, sonst könnte es den falschen Leuten auffallen. Zwar kannte er viele Zeitungsmacher persönlich und etliche der Chefredakteure, aber oftmals waren es die Kleinauflagenblätter wie Irish Folk, die nervig wurden und die Internet-Blogger aufstachelten, bevor ihm eine Gegenmaßnahme eingefallen war. Die Gefahr für die Unternehmung lauerte im Detail.
Damit blieb es zunächst bei zwei Selbstmorden, drei Unfällen, vier unerwarteten Todesfällen und jetzt dem Raubmord in einem Jahr. David hatte ein paar Mal durchgreifen müssen, um Ordnung in die Reihen der Volksvertreter zu bekommen. Die anderen Ableben in Irland, die er veranlasst hatte, fielen nicht weiter auf; die Erklärungen waren wasserdicht und hielten kritischen Stimmen sowie den Ermittlungen stand. Die Figuren auf dem Schachfeld gingen in Stellung, nur dass er mit mehr als sechzehn auflaufen würde; ein paar zusätzliche Damen würden den Spielverlauf sicherlich zu seinen Gunsten beeinflussen. So machte Schach Spaß.
David sah auf die Uhr. »Ein wenig Körperertüchtigung wäre angebracht.« Er erhob sich und ging ins Schlafzimmer, wo neben der Kommode ein schottisches Breitschwert mit aufwendigem Hüllengriff in einer Halterung an der Wand befestigt war und von einer Lampe beleuchtet wurde. Lydia hielt es für ein wertvolles Sammlerstück, das einen anachronistischen Widerspruch zum modern eingerichteten Raum bildete.
Es war mehr als das.
David nahm es in die Hand und musterte sich kurz im Spiegel. Sein Körper war trainiert, schlank, aber nicht übermuskulös, und eine schwachgraue Tätowierung hob sich auf der linken Brust kaum merklich ab. Für Uneingeweihte war es nicht mehr als ein Fantasytattoo. Er hob das Schwert und führte einen Probeschlag. Golf und Fechten hatten mehr miteinander zu tun, als manche dachten.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er mehr Platz für seine Übungen hatte. David zelebrierte sie. Täglich.
Eine Stunde lang vollführte er Angriffs- und Abwehrmanöver, Finten und Ausfälle, mal streng nach Bewegungsabläufen von Fechtschulen, mal nach seiner eigenen Entwicklung. David hatte Lehrgeld in Form von Schmerzen und tiefen Schnittwunden bezahlt, bis er die richtigen Attacken und Paraden beherrschte, mit denen er andere Kämpfer beeindruckte. Und immer öfter besiegte.
Seit einem Monat gehörte er der union des lames an, einer geheimen internationalen Fechtvereinigung, die illegale Duelle mit scharfen Waffen veranstaltete. Es ging um die sportliche Herausforderung, den Reiz an der Sache, die Ehre und die Plazierung auf der internen Rangliste, aktuell stand David auf Nummer dreiundzwanzig. Er hatte noch einiges zu lernen, und es machte ihm Spaß. Vor den Verletzungen fürchtete er sich nicht.
Danach stieg David unter die Dusche, nicht ohne vorher das Breitschwert zurück in die Halterung gehängt zu haben.
Dass die union ihn nach einem Fechtturnier seines Clubs eingeladen hatte, hatte er zuerst für einen Zufall gehalten – bis er den Professor getroffen hatte. Der Deutsche war zuständig für das Versorgen der Wunden. Die beiden ungleichen Männer verband eine Besonderheit, wie David rasch herausgefunden hatte; seitdem hielten sie lockeren Kontakt und besprachen sich. Ihm gefiel es, dass er trotz des guten Kontakts zu dem mit mehrfachen Doktor- und Professorentiteln ausgezeichneten Arzt keine gesonderte Behandlung erfuhr und sich nach oben kämpfen musste wie alle anderen auch.
David stieg aus der Kabine und trocknete sich ab, als er das leise Signal aus dem Wohnzimmer vernahm: Eine Kommunikationsanfrage kam auf seinem PC rein. Schnell eilte er im Bademantel ins Zimmer und sah, dass Graeme Hutchinson, der Präsident des Golfclubs, Kontakt mit ihm aufnehmen wollte.
David aktivierte die eingebaute Kamera und öffnete den Kanal. »Graeme, wie schön, dich zu sehen«, sagte er in die Linse, neben der ein grünes Licht leuchtete.
»Hallo, David«, grüßte ihn Hutchinson. »Was macht dein Handicap!? Du hast dich schon lange nicht mehr bei uns blicken lassen. Du fechtest zu viel.«
»Du weißt, wie das ist. Ich habe zu tun.« Er hob die Tasse und roch Lydia. Aromatisierung einmal anders. »Was kann ich für dich tun?«
Hutchinson sah an der Kamera vorbei, tippte mit der anderen Hand auf die Tastatur, und ein kleines Vorhängeschloss erschien in der Monitorecke. »Alles klar. Wir sind sicher und abgeschirmt.« Er räusperte sich. »Hast du die Sache mit dem IRA-Typen mitbekommen, der in Cork auf McFinley geballert hat?«
David fluchte. »Und?«
»Ging gerade noch mal gut. Wir hatten einen Specialist vor Ort, einer vom Spezialkommando, der ihn mit einem Kopfschuss erledigte, damit er schweigt. Wir sollten die Zahlungen an die Polizeispitze erhöhen, um sie abzuwerben. Sie fühlen sich noch den anderen verpflichtet.«
»Nein«, widersprach David unverzüglich. »Wir haben gesagt, wir bleiben dabei, es über den Innenminister zu versuchen. Wir brauchen den Kopf, um die Hände zu kontrollieren, um es mit einem Bild zu sagen.«
»Aber wenn so etwas wieder passiert und zufällig nicht einer von unseren Leuten vor Ort erscheinen kann, der …«
»Bestechungen, die schiefgehen, können wir uns nicht leisten. Damit wecken wir die Aufmerksamkeit der anderen. Der Innenminister gehört so gut wie uns, und damit knacken wir die unteren Ebenen der Polizei schneller. Über ihn bekomme ich meine Leute in sämtliche Positionen. Bis dahin beschränken wir uns auf ein paar unserer Leute in den kleineren Dienstgraden.« Er rief eine verschlüsselte Liste auf. »Ich sende dir die Namen der Gewerkschafter, die ich uns besorgt habe. Das ist wichtig, wenn eine Entlassung oder Umbesetzung auf Widerstand stoßen sollte. Die Gewerkschafter sind so wichtig wie der Posten des Präsidenten.«
»Sehe ich ein, David.« Graeme wirkte überzeugt. »Ich sende dir Namen von Unternehmern, die sich unbedingt mit dir treffen möchten. Sie finden deine Ideen und die Vision eines veränderten Staates sehr interessant.«
»Hast du mir ihre Hintergründe schon besorgt?«
»Steht alles mit drauf.«
»Jemand dabei, den uns jemand geschickt haben könnte, um uns auszuhorchen? Geheimdienst?«
Graeme schüttelte den Kopf. »Ich habe sie persönlich ausgesucht. Die Vitae sind alle in Ordnung. Nicht zu einwandfrei.«
David hob den Daumen. »Gut gemacht, mein Bester. Ich melde mich bei ihnen reihum und gehe schön essen. Bis dahin haben wir ihre wahren Schwachstellen gefunden.« Er sah auf die Uhr. Lydia würde gleich vom Fitnessstudio zurück sein, und dann wartete eine gemeinsame Dusche mit mindestens zwei Nummern auf ihn. Er sah die nackte Stewardess vor sich, wie sie sich für ihn unter dem Strahl räkelte, und hörte sie unter seinen Berührungen stöhnen. »Ich muss weitermachen, Graeme. Bis dann.«
»Bis dann, Mister Undertake.« Das Bild des Mannes erlosch.
Gleich darauf kam die Mail rein, in der illustre Namen der irischen Wirtschaft standen. Vorstandsvorsitzende, Aufsichtsratsmitglieder, Privatbankiers, Unternehmer. Alles in allem siebzehn Personen.
Davids Augen leuchteten. Es gab siebzehn neue fiese, dreckige Geheimnisse zu ergründen, die eklig genug sein mussten, um die Frauen und Männer in sein Team zu zwingen. Die nächsten Fische, die an seinen Haken sollten, wurden angeködert. Meistens fürchteten Wirtschaftsgrößen persönliche Enthüllungen, die immer mit teuren Scheidungen einhergingen.
David hatte in seinem Beruf die Erfahrung gemacht, dass nur zehn Prozent der Mächtigen treu waren. Dem Rest hatte er erfolgreich was angehängt, entweder durch arrangierte oder gefälschte Fotos.
Der Türsummer brummte kurz, dann öffnete Lydia das Schloss mit ihrer elektronischen Karte. »Ich bin wieder da, David«, rief sie fröhlich.
Er schloss die Programme und fuhr den Laptop runter. »Nassgeschwitzt, hoffe ich?«
»Ja.« Sie erschien im Türrahmen und war dabei, ihr Top auszuziehen; darunter trug sie nichts. »Ich muss unbedingt duschen.«
»Ich helfe dir an den Stellen, wo du nicht hinkommst.« David erhob sich und kam auf sie zu, packte sie im Nacken und gab ihr einen langen, intensiven Kuss auf die vollen Lippen. Mit der anderen berührte er ihre nackte, feste Brust und genoss es, sie stöhnen zu hören. Gleich würden sie zusammen abheben.