6. Februar, Großbritannien,
Nordirland,
Newry, 10.01 Uhr
Boída de Cao hatte die rechte Hand an die Stirn gelegt, die andere hielt den Hörer. Die pochenden Kopfschmerzen wollten nicht verschwinden, seit ihr der Deutsche eine Ladung Silber durch den Schädel geblasen hatte.
Dass er mehr als gut war und den gefährlichsten Gegenspieler darstellte, dem sie jemals begegnet war, ließ sich nicht leugnen. Dazu war er noch ein exzellenter Schütze. Die Verluste unter den HellDogs hatten sich als überraschend hoch erwiesen.
»Nein«, wiederholte sie zum vierten Mal ins Telefon. »Ich weiß nicht, wohin er verschwunden ist.«
»Aber es ist wichtig«, beharrte der Mann mit der rauchigen, eindringlichen Stimme auf der anderen Seite des Hörers. »Er zieht eine Blutspur durch Irland. Sollte es nicht gelingen, ihn aufzuhalten, dann …«
»Du musst es nicht sagen. Ich war dabei, als er ausgeteilt hat.« Boída kämpfte gegen die plötzliche Übelkeit. Zwar besaß das Silber keine tödliche Wirkung auf sie, aber die winzigen Stückchen, die sich in ihrem Fleisch und in den Knochen festgesetzt hatten, reizten sie. Es waren unterschwellige Schmerzen, die man im Ruhezustand spürte, wie beim Warten, beim Einschlafen, beim Rumsitzen – und unvermittelt wurden sie nervig und machten sie gereizt. »Wir haben unsere Augen und Ohren alarmiert. Jeder Tuatha hat sein Bild von mir bekommen.«
»Und was wirst du unternehmen, meine Scharfrichterin?«, säuselte er.
»Das Gleiche wie alle anderen: Ich halte meine Augen offen.«
»Was mir aber nicht ausreicht!«, brüllte er, und es krachte. Anscheinend hatte er mit der Faust auf den Tisch geschlagen oder etwas gegen die Wand geworfen. »Früher oder später wird er auf mich kommen!«
»Du weißt, wie unwahrscheinlich das ist.« Boída wünschte sich die Kopfschmerzen davon. »Zudem kann er dir doch nichts anhaben.«
»Darum geht es nicht«, schnarrte er. »Ich habe mein Geheimnis bisher bewahren können und will es nicht durch einen Zweiten gelüftet wissen. Außerdem ist von Kastell ein Deutscher. Die haben diese beschissene Gründlichkeit, wenn es darum geht, eine Sache zu Ende zu bringen. Er wird nicht lockerlassen, bis er herausgefunden hat, wie man mich umbringen kann.«
Boída fand die Panikmache übertrieben, doch sie hielt sich zurück. Es stand ihr nicht zu, an seinen Worten und seiner Erfahrung zu zweifeln. »Wir haben ein Telefonat aus dem Haus der abtrünnigen Panther abgehört. Anscheinend war Kastell bei ihnen und hat sie fertiggemacht. Danach hat er die Telefonnummer eines Sídhe angewählt, mit dem er gesprochen hat.«
»Mit den Vampiren?«
»Ja. Aber leider nichts Verwertbares, was uns voranbringt. Es kann sein, dass sie sich treffen, Kastell und der Sídhe. Da ich weiß, mit wem Kastell gesprochen hat, werde ich den entsprechenden Sídhe überwachen und mir danach beide vornehmen.«
»Gut.« Der Mann klang versöhnt. »Mach das. Bring mir den Sídhe lebend, damit wir ein Geständnis aus ihm pressen, das uns einen Grund liefert, gegen seine Art in den Krieg zu ziehen. Es müssen gute Gründe sein. Wenn ich den ersten Stein werfe, soll er so schwer sein, dass er alle von ihnen unter sich begräbt. Es darf keinen Zweifel am Verrat der Sídhe geben.«
»Ja, Ard Rí. Noch etwas, was ich für dich tun kann?«
Es blieb kurz still. »Ja. Pass auf dich auf«, sagte er dann bekümmert. »Ich vermisse dich.«
»Das tue ich, Geliebter.« Boída legte auf und erhob sich. Sie musste die Überwachung angehen, die ihr einen Kriegsgrund und Kastell liefern würde. Die Trauer wegen der Trennung vom Ard Rí schob sie beiseite.