3. Februar, Großbritannien,
Nordirland, Omagh, 22.23 Uhr
Boída runzelte die Stirn und drückte auf dem Menüsteuerknopf des Handys herum.
Sie saß in ihrem Mini Cooper und hatte rasch noch ein Gespräch führen wollen, aber das Telefon machte so gut wie nichts mehr. Die Anzeige bestand aus wirren Funktionssymbolen. Die Batterie war von ihr schon zweimal aus- und wieder eingebaut worden, doch es hatte keinen Erfolg gezeigt. Somit kam sie auch nicht an die Bilder, die sie im TeaRoom geschossen hatte. Nichts ging mehr.
Es konnte natürlich Zufall sein, dass das Handy ausgerechnet jetzt eine Fehlfunktion hatte …
Sie sah über die Straße zum Eingang des Shamerock, dann verließ sie den Wagen und ging auf die Tür zu. Zwei Oenach waren am Eingang postiert, die kurz den Kopf neigten, als sie zwischen ihnen durchschritt und den Gastraum betrat.
Der Pub war brechend voll, Frauen suchte man fast vergebens. Lautstark und sehr maskulin wurde dem Geschehen auf einem Großbildfernseher zugejubelt, wo vier Sender gleichzeitig in kleinen Kästchen liefen. Frame in Frame lautete der Begriff für den technischen Trick. Natürlich waren es zwei Fußballspiele, ein Pferde- und ein Hunderennen. McFinley unterhielt ein unregistriertes Wettbüro, der dritte Mann an der Theke nahm die Einsätze entgegen oder zahlte unauffällig in Form von sogenanntem Wechselgeld aus. Für Uneingeweihte ging das Geschäft unbemerkt über die Bühne.
Boída grüßte den Barkeeper und trat durch die Tür zum Nebenraum, vorbei an zwei weiteren Oenach, die ihre Mac-Schnellfeuerpistolen an einem Gurt trugen und einsatzbereit an der Hüfte baumeln hatten. Auch sie entboten ihr den respektvollen Gruß.
»Er ist nicht alleine«, raunte ihr einer der Männer zu, als sie für Sekunden auf gleicher Höhe waren.
Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu und öffnete die Bürotür, ohne anzuklopfen.
Der kleine, dicke McFinley zuckte in seinem Stuhl zusammen, die Sporthose aus grüner Ballonseide hatte er samt Unterwäsche runtergestreift. Die Linke streckte sich nach einer Pistole aus, die neben ihm auf der Ablage ruhte. Zwischen seinen Beinen war ein rotschopfiger Frauenhinterkopf zu sehen, der eine letzte Aufwärtsbewegung machte, bevor sich die Dame zu ihr drehte; eine silberne Strähne hob sich von dem Rot deutlich ab.
»Hallo, Misses Righley«, grüßte Boída amüsiert. »Wir sehen uns aber rasch wieder.«
Lisica streifte die herabgerutschten Träger des BHs nach oben, McFinley fummelte sich im Schritt herum und bedeckte seine Blöße mit einem Zipfel seiner Trainingsjacke, dann zog er die Hose hoch. Righley erhob sich und zurrte das Kleid zurecht.
»Fuck!«, schrie er Boída an. »Was soll das, de Cao?«
»Das könnte ich fragen. Ein Rí darf vieles. Aber sich mal eben von einer Füchsin einen blasen zu lassen, ich weiß nicht, ob mir das sehr royal vorkommt. Und standesgemäß ist es keinesfalls.« Sie schlenderte in den Raum, die Augen richteten sich auf Righley. »Sind Sie hier, weil Sie Ihr Mann geschickt hat. Oder lutschen Sie hässlichen Männern einfach nur gerne den …«
»Fuck, halt’s Maul!«, tobte McFinley. »Du beschissene …«
Boída zischte ihn an und zeigte ihm ihre vielen spitzen Zähne, ihre blaue, geschlitzte Zunge schnellte hervor. Der Mann verstummte, als hätte er einen Peitschenschlag auf den Mund bekommen. »Misses Righley, ich weiß, dass Füchse clevere Manipulatoren sind. Sie ficken mit dem Typen, weil Sie und Ihr Mann sich was davon versprechen, habe ich recht?«
»Sie hat gesagt, sie liebt mich.« McFinley klang wie ein bockiges Kind, das entdeckt hatte, dass jemand sein Lieblingsspielzeug benutzen wollte.
»Wach auf, Rí! Wann hast du zum letzten Mal in den Spiegel geschaut?« Boída schüttelte den Kopf. »Dabei hättest du ein paar nette Weiber bei den BlackDogs. Warum bist du nicht bei denen geblieben? Ach ja: Sie wollten nicht.«
Lisica hatte inzwischen ihre Kleidung in Ordnung gebracht und steckte sich einen Kaugummi in den Mund, ging langsam auf den Ausgang zu, ohne sich einzumischen. Sie bewegte sich unauffällig und geschmeidig. Sie versuchte, sich wie ein Ladendieb vorbei an den Kaufhausdetektiven zu schummeln, die einen Kumpel geschnappt hatten.
»Warten Sie, Misses. Sie sind mir noch eine Antwort schuldig. Ich würde gerne verstehen, was Ihr Spiel mit dem Rí soll.« Tänzerinnenhaft umrundete sie die Wandlerin, um ihr zu zeigen, dass auch sie wendig war. »Ihr Mann hat mich nach Maghera geschickt, in einen Club, wo es Silber von der Decke regnet.« Boída zeigte auf McFinley. »Ihn hätte das sicherlich das Leben gekostet. Was haben die Righleys wohl vor, wenn sie die Scharfrichterin eliminieren wollen?«
»Das …« Es roch nach Erdbeere, als sie den Mund aufmachte. Der Kaugummi. Lisica sah sie an, dann wanderten ihre Augen kurz nach oben links. Ein Indiz für eine Lüge. Sie dachte sich auf die Schnelle eine Geschichte aus. »Ich habe mit den Plänen meines Mannes nichts am Hut.«
Boída bemerkte, dass sich McFinley die Pistole gegriffen hatte. »Ich finde schon, dass Sie etwas wissen. Ihr Geruch«, die gespaltene Zunge schoss zwischen den Lippen hervor und berührte Lisicas Wange, »ist verräterisch.«
»Du dumme, rothaarige Bitch!«, brüllte der Hundewandler los. »Du hast mich angelogen!« Er richtete die Pistole auf ihren Kopf, mit schnellen Schritten flog er heran und baute sich neben ihr auf. Es sah ulkig aus, da er wesentlich kleiner war als sie. »Du und dein verfickter Fuchsstecher, ihr habt mir den Typen von der IRA auf den Hals gehetzt! Ihr wolltet mich abknallen, damit …« Ihm fiel kein Argument ein. »… damit …« Unsicher blickte er zu Boída. »Dein Mann soll Rí werden!«
Lisica glotzte ihn ungläubig an. »Hast du das eben wirklich gesagt? Scheiße, bist du blöd«, entfuhr es ihr, und Boída musste auflachen – bis McFinley abdrückte und der Fuchswandlerin eine Kugel durch den Schädel jagte. Das würde sie nicht umbringen, aber für einige Zeit ausschalten, bis das Gewebe und die Knochen sich regeneriert hatten.
Die Treibladung malte schwarze Pünktchen in ihr Gesicht. Lisica fiel gegen den Stuhl und blieb mit dem Oberkörper darauf liegen, die Arme hingen herab. Blut lief aus der Wunde, das faustgroße Austrittsloch war kein schöner Anblick.
Boída schaute nach, ob sie Spritzer abbekommen hatte. »Hier ist einer so blöd wie der andere«, murmelte sie. Wie konnte man einem cholerischen Deppen wie McFinley die Wahrheit sagen, wenn er eine Waffe hielt? Die Oenach, die hereingerannt kamen, schickte sie mit einem Blick wieder hinaus. »Das war dämlich, Rí. Jetzt müssen wir warten, bis sie zu sich gekommen ist.«
»Die Schlampe hat die Schmerzen verdient!«, zeterte er und trat mit ausholenden Bewegungen auf die Liegende ein. Knochen brachen und würden bald wieder zusammengewachsen sein. »Fuck, ihr beschissenen Füchse! Ihr bekommt meinen Platz nicht!«
»McFinley! Beruhig dich wieder! Die BlackDogs würden niemals einen Fuchs als Oberhaupt akzeptieren, das weißt du doch.« Boída schubste ihn von Lisica weg. »Setz dich in deinen Sessel, verstanden? Und dann erzähl mir, was Miss Righley für Gefälligkeiten eingefordert hatte.«
»Fürs Blasen?« Der Mann setzte sich und trat gegen den Tisch. »Fuck! Wenn ich daran denke, dass die Schlampe mein Ding …«
»Und wenn ich daran denke, muss ich kotzen«, unterbrach sie ihn harsch. »Was hast du ihr gegeben?«
McFinley stierte die Bewusstlose an, mordlüstern und doch gierig. Er öffnete eine Schublade und nahm eine Whiskeyflasche hervor, setzte sie an die Lippen und ließ den Alkohol in sich laufen; erst nach einem Viertel hörte er auf. »Nichts.«
»Nichts?«
»Na, kein Geld oder so was.« Seine Laune bewegte sich weiter abwärts. »Ich habe sie nur ein paar Leuten vorgestellt.«
»Welchen Leuten?«
Er trank wieder. »Anderen Typen, mit denen ich Geschäfte mache«, sagte er knurrend.
Für Boída wurde die Sache klarer. Die Füchse hatten wirklich vorgehabt, die Macht an sich zu reißen – zumindest was die kriminellen Geschäfte des Rí anging. Vermutlich hatte Lisica jedem von McFinleys Freunden einen geblasen oder mehr getan, um den Boden für die Übernahme vorzubereiten. »Ich möchte Namen und Telefonnummern.«
An seinem dicklichen Gesicht konnte sie ablesen, dass McFinley allmählich dämmerte, was gelaufen war. »Fuck!«, schrie er und warf die Flasche nach Lisica, verfehlte sie aber bezeichnenderweise. »Du und dein Arschlochfuchsmann wolltet mich ausbooten!«
Boída nahm an, dass es schon lange geschehen war. »Die Namen, Rí«, sprach sie betont ruhig und leise, was zusammen mit dem leisen Zischen sehr gefährlich klang. »Schreib sie auf. JETZT!«
Er zuckte zusammen, suchte Papier und Stift und kritzelte drauflos.
Lisica ächzte irgendwann, die Finger zuckten, und dann hustete sie. Der Heilungsprozess schritt voran. Die Löcher im Schädel hatten sich schon geschlossen, Hirngewebe wuchs nach, Synapsen verbanden sich neu. Kein bisschen Erinnerung würde durch den Schaden einer normalen Kugel verlorengehen.
Nach ein paar Minuten hatte McFinley die Liste fertig und reichte sie Boída, die gewartet und Lisica beim Regenerieren zugeschaut hatte. Ein schmerzhafter Prozess war es trotz allem. »Hier. Was willst du damit?«
»Das entscheide ich noch. In erster Linie geht es darum, den Schaden zu begrenzen.« Sie stellte sich neben Lisica und zog eine Pistole aus dem Hosenbund, schraubte einen Schalldämpfer auf. »Damit habe ich die Infos, die ich brauche. Und was die umtriebige Geschäftsfrau mit den flotten Lippen angeht: Strafe muss sein.« Boída lud durch, während sich die Füchsin langsam aufrichtete und genau in die Mündung sah. Zwei Kugeln sandte sie durch Lisicas Kopf, der dieses Mal regelrecht aufplatzte. Die Arme wurden wieder kraftlos, der Kadaver plumpste mit einem dumpfen Geräusch auf die Dielen.
»Fuck, de Cao!«, schrie McFinley, dessen Jogginganzug voller Blutschlieren war. »Wie sehe ich denn jetzt aus?«
»Das spielt keine Rolle.« Boídas Arm ruckte herum, der Zeigefinger krümmte sich dreimal schnell hintereinander. Die Dum-dum-Silberkugeln jagten in Brust, Hals und Kopf. Lebenssaft, Gewebefetzen und Knochensplitter flogen gegen die Wand.
McFinley wankte zur Seite, röchelte und stürzte nieder. Rauchfahnen aus Lisicas und seinem Körper stiegen auf und mischten sich unter der Decke zu einem stinkenden Gemisch. Der Rí der BlackDogs war tot.
In aller Ruhe schraubte sie den Schalldämpfer ab und gab die Pistole, die sie aus Mikes Auto genommen hatte, der toten Righley in die Hand. Mehrmals drückte Boída damit noch ab, um Schussgeräusche zu machen, und wartete, bis die Oenach in den Raum stürmten. »Die Füchsin«, sagte sie zu den hereinkommenden Männern, »hat unerwartet den Rí erledigt. Ich habe nichts dagegen unternehmen können, außer sie danach zu erschießen.«
Niemand fragte nach. Auch wenn die Lüge offensichtlich war, wollte sie keiner anzweifeln.
Für einen schlechten Rí setzte keiner seinen Ruf und sein Leben aufs Spiel, das wusste Boída. »Ist Mister Tim Ambshore da?«, fragte sie, und die Oenach verneinten zu ihrer Enttäuschung. »Dann richten Sie dem Mann aus, dass er ein bestens geeigneter Kandidat für das Amt des Rí ist. Sagen Sie ihm außerdem, dass er meine Unterstützung hat.« Sie verließ das blutgesprenkelte Büro, dessen Wände an wahllos eingesetzte Siebdruckkunst erinnerten, und ging hinaus an die Bar.
Dort setzte sie sich an den Tresen, verfolgte ein Hunderennen, um ihre Gedanken für einige Augenblicke treiben zu lassen, und trank einen kleinen Cider, das einzige alkoholische Getränk, das sie in dieser Zeit annehmbar fand. Nach zehn Minuten verließ sie das Shamerock. Milly würde sich freuen, ihren inkompetenten Chef los zu sein. Die BlackDogs auch.
Jetzt begann für Boída die Jagd nach Mister Righley.
Sie konnte sich gut vorstellen, dass er das Ableben seiner Frau einkalkuliert hatte. Ganz nach Fuchsmanier. Dass die Oenach der BlackDogs bei ihrer nächsten Versammlung Tim Ambshore zum Rí wählten, stand außer Frage. Ihre Empfehlung ließ keine andere Möglichkeit zu.
»Ist doch gut gelaufen.« Bevor Boída jedoch ihre Hatz begann, wollte sie ihr Handy funktionstüchtig wissen. Sie stieg in den Wagen, fuhr los und suchte sich eine Tankstelle mit einem angeschlossenen Mobilfunkladen.
Boída hielt an, verließ den Mini und ging direkt durch das Geschäft bis an den Tresen. »Hallo.« Sie legte das Handy vor den Tankwart. »Es funktioniert nicht mehr.«
»Und was ist kaputt?«
»Sie sind doch der Fachmann«, sagte sie lächelnd. »Steht da draußen.«
»Na ja. Ich schaue mal.« Der Mann im nach Benzol stinkenden, grauen Overall schaltete das Handy ein, drückte auf den Tasten herum und machte ein verwundertes Gesicht. »Schöner Scheiß.«
Dann folgte das, was Boída ebenfalls schon versucht hatte: Akku rein und raus, Reset, einen anderen Akku einlegen, Chipkarte tauschen. Schließlich verband er es sogar per Kabel mit einem Computer, um die Fehlerquelle auszulesen. Früher musste der Mann ein Faultier gewesen sein. Jeder Handgriff besaß zeitlupenhafte Geschwindigkeit.
»Nee«, sagte er schließlich gedehnt und löste die Verbindung, gab ihr das Telefon zurück. »Das ist hinüber.«
»Was genau ist hinüber?« Boída fiel es schwer, geduldig zu bleiben.
»Alles. Das Diagnosegerät des Herstellers kann nicht mal zugreifen. Da sind vermutlich die Platinen durchgeschmurgelt.«
»Auch der Memorychip?«
»Nicht mehr lesbar«, sagte der Mann. »Sind Sie an einem starken Elektromagneten vorbeigegangen?«
Boída hatte nichts davon mitbekommen. »Das Handy ist also echt hinüber.«
»Ja. Total.« Beflissen reichte er ihr ein eingeschweißtes Prepaid-Telefon. »Nehmen Sie so eins.«
»Haben Sie auch Wärmepflaster?« Sie kaufte das Handy, damit sie von unterwegs sprechen konnte, und ärgerte sich, weil sie viele wichtige Nummern und Bilder verloren hatte. Diesen Verlust würde Righley auch zu spüren bekommen. »Große, bitte.«
Der Tankwart zeigte zum Ständer mit dem Verbandszeug.