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Trilby zwängte ihren Kopf durch den Kragen ihres dunkelgrünen T-Shirts und stocherte mit den Armen nach den Armlöchern. Aber helfende Hände kamen hinzu und zogen es ihr stramm über den Oberkörper, um dann langsam, den Konturen ihrer Brüste folgend, aufwärtszugleiten.
Sie atmete scharf ein und lachte nervös.
»Hmm?« Rhis’ warmes Gesicht war schon wieder an ihrem Hals. Seine Finger hatten den Seitenbund ihres Schlüpfers entdeckt und rieben ihn sanft über ihrem Hüftbein hin und her. »Irgendeinen Termin?«
»Ich sollte bei Dezi auf der Brücke sein«, sagte sie. Vor einer Stunde hätte ich ihn ablösen müssen. Sie blickte auf die in der Wand eingelassene Uhr. Vor zwei Stunden. Verflucht!
Rhis schlang seine Arme um ihre Hüften. Sie konnte die Wärme seiner nackten Haut an ihrem Rücken spüren, durch das T-Shirt und an ihren nackten Beinen.
Dieses Gefühl erregte und verängstigte sie zugleich. Was bei allen guten Göttern hatte sie bloß getan?
Oh, sie wusste ziemlich genau, was sie getan hatte. Und es war vorzüglich gewesen. Sie verstand nur nicht ganz ihren Trieb, es unbedingt tun zu müssen.
Er war ein Fremder! Ein Zafharier. Sie wusste praktisch nichts über ihn, außer dass er Lieutenant auf der Razalka war – ihr Magen verkrampfte sich schon bei dem Namen – und dass er einen fantastischen Körper besaß, den sie gerade mindestens zwei Stunden lang eingehend erforscht hatte.
»Trilby-Chenka?«
Die Hälfte der Zeit sprach er nicht mal Standard! Die ganzen aufregenden Worte waren vielleicht nur irgendwelche dahergeplapperten Checklisten. Oder er hatte seinen großartigen Stammbaum runtergeleiert. Zafharier waren ja berüchtigt für ihren Familienstolz.
Familienstolz. Sie schloss für einen Moment die Augen. Oh, Göttin. Vielleicht war er sogar verheiratet!
Sie löste sich aus seiner wärmenden Umarmung. Ihre Hose lag zerknüllt auf dem Boden. Sie griff danach. »Ich muss jetzt wirklich –«
»Du möchtest das hier mit mir nicht, stimmt’s?« Seine Stimme klang so sanft. Sie hatte das Gefühl, ein verzagter Unterton schwang darin mit.
Mist!
Sie sah ihn an. Er saß auf der Bettkante, das schwarze Haar verstrubbelt, das Bettlaken halb um die Taille gewickelt. Er sah umwerfend aus.
»Nein. Ich wollte …« Dann fiel ihr wieder ein, was sie wirklich wollte. Und was er wollte. Und er hatte es ihr auf Zafharisch beigebracht.
Yav cheron. Sie ließ ihre Hose aus den Fingern gleiten, kam näher und setzte sich neben ihn aufs Bett. »Nein, ich will das hier mit dir. Ich hätte es bloß gerne unter anderen Umständen erlebt.«
Er berührte ihr Gesicht. »Ich auch. Aber manchmal gehorcht das Universum einfach nicht. Nicht mal mir.« Er schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Du hast Angst.«
Sie nickte.
»Ich auch.«
Sein Eingeständnis bremste den Fall ihrer schwindenden Zuversicht. Sie musste einfach zurücklächeln. »Du wirkst auf mich nicht wie jemand, der jemals vor irgendwas Angst hat.«
Er streichelte ihre Wange. »Hatte ich auch nicht. Bis jetzt nicht. Aber das hier … das …« Er schüttelte den Kopf. »Das hier lässt mir dravda gera mevnahr. Ihr würdet wohl sagen: den Arsch auf Grundeis gehen.«
»Weil?«
»Weil, wenn du mit all den Leuten sprechen würdest, die mich kennen, und ihnen sagen würdest, dass ich diese wunderschöne Funkenfee in meinem Bett hatte und dass ich nicht aufhören kann, an sie zu denken, sie zu berühren, kein Mensch würde dir glauben.«
»Rhis?«
»Hmm?«
»Bist du verheiratet?«
Dunkle Brauen senkten sich über erschrocken blickende Augen. Die Finger, die ihre Wange streichelten, verharrten bewegungslos. »Nein.«
Ah, das gefürchtete H-Wort. Das versetzt sie alle in Panik.
»Keine Angst. Ich suche keinen Mann zum Heiraten.« Sie rückte von ihm ab und griff wieder nach ihrer Hose. »Also lauf nicht gleich weg.« Sie schob ihren Fuß durch ein Hosenbein. »Allerdings suche ich auch keinen Mann, der verheiratet ist.«
Sie riskierte einen vorsichtigen Blick in seine Richtung. Er hatte die Hände über seine Knie gestülpt und lächelte verlegen.
Sie fädelte den zweiten Fuß durchs andere Hosenbein und stand auf. »Hast du meine Strümpfe gesehen?«
Sie schaute unter den Stuhl. Er hob die Bettdecke hoch, die auf den Boden gerutscht war. Seine Socken waren da. Ihre nicht.
Er langte nach den Kopfkissen und hob sie an. Dann drehte er sich wieder um. »Nein. Sind sie vielleicht in deinen Schuhen?«
Wenn es um herumfliegende Klamotten ging, hatte sie ein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen. Weder sie noch er hatten sich die Zeit genommen, Socken in Schuhe zu stopfen. Sie schnitt eine Grimasse.
Er kicherte.
Sie nahm ihre Schuhe und tastete hinein, nur um sicher zu gehen. »Ich werde garantiert nicht barfuß auf der Brücke aufschlagen. Wir sehen uns oben in fünf?«
Er stand auf, das Tuch um seine Hüfte geknotet. »In fünf«, sagte er, packte sie und zog sie zu sich heran. Er küsste sie leidenschaftlich. Einen Augenblick lang schmolz sie in der Wärme seiner Umarmung dahin. Aber dann drückte sie sich seufzend von ihm ab.
»Weißt du, wenn du das neulich in der Krankenstation gleich mit mir gemacht hättest«, sagte sie und ging zur Tür, »statt mir erst mal an die Gurgel zu gehen, dann wären die letzten Tage bedeutend lustiger gewesen.«
»Bestätigung. Geloggt und abgehakt, Captain.«
Sie grinste, als sie zur ihrer Kabine eilte. Captain. Zum ersten Mal hatte er ihren Titel mit einem gewissen Respekt ausgesprochen. Das wurde ja immer besser.
Rhis stand in der Mitte der Kabine und schloss die Augen. Der Duft des Parfüms oder Puders stieg ihm wie ein Nachhall von seiner Haut entgegen. Das Tuch löste sich aus der Verknotung und fiel von seiner Hüfte. Bewusst langsam atmete er aus. Dann holte er ebenso langsam tief Luft.
Sein klopfendes Herz, die vor Energie zuckenden Muskeln seines Körpers und die immer noch vor Lust taumelnden Gedanken konnten nur eines bedeuten: Es war tatsächlich wahr.
Er war verrückt. Eindeutig und unleugbar verrückt. Er hatte den Verstand verloren. Er hatte die Kontrolle verloren. Seine ganze Disziplin war zum Teufel.
Und es war ihm vollkommen egal.
Er schlug die Augenlider auf und drehte den Kopf, bis er sich ein wenig im Spiegel sehen konnte.
Er sah aus wie immer. Abgesehen von dem Honigkuchenpferdgrinsen quer übers ganze Gesicht. Das war neu. Das war …
Trilby, seine Funkenfee. Seine mutige, kleine, unbedarfte Närrin, die ihn zur Weißglut gebracht, ihn bezaubert und betäubt hatte. Die ihm Lust bereitet hatte.
Als sie zögernd Yav cheron gesagt hatte, dachte er, sein Herz würde explodieren.
Was vor allem das Imperium erschüttert hätte, gingen die meisten dort doch davon aus, dass er kein Herz hatte.
Er hatte kein Herz. Er hatte es Trilby geschenkt. Was, so gestand er sich beim Anziehen zögernd ein, vermutlich die beste Idee seines bisherigen Lebens gewesen war.
Jetzt musste er nur noch die zivilisierte Welt von den ’Sko befreien, und das Leben würde wundervoll werden.
»Ich muss Neadi benachrichtigen, wo ich stecke«, sagte Trilby, als Rhis neben ihr in den Pilotensessel rutschte. Er zog sich den Gurt über die Brust und rastete ihn ein.
»Außerdem«, fuhr sie fort, »muss ich jemanden auftreiben, der oder die meinen Bagrond-Job übernimmt.«
Er lehnte sich zu ihr rüber, nahm ihre Hand und legte sie in seine. Ihre Wangen röteten sich. Das freute ihn. »Ich stimme mit dir überein. Beides muss erledigt werden, aber nicht jetzt und nicht hier. Der Schutz deiner Kommunikationssysteme ist nicht …«, er zögerte. Sie mochte seine Geliebte sein, aber es war ihr Schiff, an dem er etwas auszusetzen hatte. Gerade Liebende sollten in diesen Dingen sehr umsichtig sein.
»Nicht der allerbeste?«, fragte sie. »Ich stimme auch ›nicht vorhanden‹ zu. Dies ist ein Frachter, kein Schlachtschiff.«
Er drückte ihre Hand. »Sag ich doch. Und wir hatten gerade erst eine Begegnung mit den ’Sko. Aber meine Grenze nach Yanir ist nur zwei Stunden entfernt. Wenn wir erst auf der Razalka sind –«
»Du klingst so sicher, dass wir sie finden.«
Er nickte. »Das bin ich, allerdings.« Er kannte die Standardprozedur, die nach seinem Verschwinden in Gang gesetzt worden war. Er kannte die möglichen Kontaktpunkte, an denen sie sich positionieren konnte. Die Razalka ausfindig zu machen erforderte lediglich, die Strichliste abzuhaken.
»Und eine imperiale Patrouille schießt mir nicht das Schiff unterm Hintern weg, wenn wir die Grenze überqueren?« Sie zog ihre Hand weg, formte sie zu einer Pistole und legte mit zwei Fingern auf ihn an.
»Nein. Dezi, hast du das Programm aufgespielt, das ich geschrieben habe?«
»Jawohl, Lieutenant.« Dezis Metallfinger flogen über eine Reihe Tasten auf dem Stationspult. Daten huschten über einen kleinen Monitor zu seiner Linken. »Wir beginnen das Senden des imperialen ID-Signals auf den festgelegten Frequenzen vierzig Minuten vor der Grenze nach Yanir.«
Lieutenant? Einen Moment lang dachte er, er habe sich verhört. Dann fiel es ihm wieder ein. Er hatte Dezi nichts gesagt, weil er erst Trilby einweihen wollte. Aber er war noch nicht dazu gekommen, mit Trilby darüber zu sprechen.
Er drehte sich zu ihr um. Schlechtes Timing. Er suchte gerade nach einem Anfang, doch sie starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. »Du hast dich in mein System gehackt!« Ihr Ton war anklagend, aber sie schmunzelte.
Das war jetzt wirklich nicht der Punkt, über den er sprechen wollte. Doch irgendetwas an ihrer Belustigung kitzelte sein Ego. Den Teil, der stolz darauf war, Kettenkarusselle programmieren zu können. Und sie war die Königin aller Kettenkarusselle. »Öh, ja, ich meine, nein. Aber, Trilby, ich habe …«
»Was meinst du mit Nein? Du kannst nicht einfach das ID-Signal meines Schiffs umetikettieren. Das ist illegal. Das ist ein geschütztes Programm. Wie um alles in der Welt hast du dich da einfach reingehackt?«
»Ich hab mich nicht ›einfach reingehackt‹.« Ein leicht hochmütiger Ton kehrte in seine Stimme zurück. »Es ist Teil meines Berufs, Systemcodes zu verbessern, damit sie auf einem optimalen Level arbeiten.«
Sie streckte den Arm aus und boxte ihn spielerisch in die Seite. »Du hattest mir versprochen, mich mit Kettenkarussellen zu verschonen!«
»Kettenkarusselle sind es doch nur, solange du nicht weißt, dass es sie gibt. Verstehst du? Also zeig ich dir, wie man das macht, und wie man es wieder wegmacht. Fair?«
Sie nickte. »Fair.«
Er freute sich schon darauf. Mit ihr zu arbeiten, sie herauszufordern, ihr etwas beizubringen. Von ihr zu lernen. Es gab da ein paar Sicherheitsfehler auf der Razalka, die genauerer Begutachtung bedurften. Er würde ihr das gern zeigen, um zu sehen, was ihr dazu einfiel.
Er schielte auf die Positionsanzeige. Für die biologische Uhr ihrer Körper war es jetzt Nacht. Aber sie hatten noch ein gutes Stückchen vor sich. Frachter waren für ihre Geschwindigkeit ohnehin nicht berühmt, eine alte Circula Zwei schon gar nicht. Seine Funkenfee runter in die Kabine zu schleppen wäre eine wundervolle Art, sich die Zeit zu vertreiben. Aber wie leicht war es, danach einzuschlafen, obwohl es Wichtigeres zu tun gab. Wenn sie erst auf der Razalka waren, konnten sich die Dinge schnell überschlagen. Da brauchte er einen klaren Kopf.
Er drehte den Armlehnenmonitor weg und machte eine wedelnde Handbewegung. »Ich denke, du solltest sehen, was wir von den ’Sko erfahren haben. Außerdem möchte ich das gerne mit der Liste der vermissten Schiffe abgleichen, inklusive der Bellas Dream.«
Und dann war da noch etwas, worüber er mit ihr sprechen musste. Doch dann begannen die Daten, über den Bildschirm zu flackern, die er in ihr Hauptbetriebssystem eingepflegt hatte, und er vergaß alles außer den ’Sko.
Trilby hörte Rhis angestrengt zu, als er die ’Sko-Daten für sie übersetzte, und half ihm, die Ergebnisse mit den Fahrplänen und Koordinaten der vermissten Frachter abzugleichen. Sie war alarmiert von den Übereinstimmungen. Ein Schiff war nicht dabei, aber sonst so ziemlich alle.
Er war schlichtweg brillant, fand sie. Und begnadet. Er erkannte ein Problem vor allen anderen und fühlte sich persönlich verantwortlich, das Universum von den ’Sko zu befreien. Wenn sie auf die Razalka kamen, war er ganz bestimmt keiner, der sich plötzlich nicht mehr von der Truppe unterschied.
Lieutenant Rhis Vanur. Sie strahlte ihn an, ihr Herz machte einen kleinen Hopser. Sie war so froh, dass er nur ein einfacher Lieutenant war. Er wusste, wie es sich anfühlte, auf der Abschussliste irgendwelcher Vorgesetzten zu stehen. Wusste, was es hieß, die meiste Zeit des Lebens von Kräften bestimmt zu werden, die mehr Macht über einen hatten als man selbst.
Mit Rhis konnte sie ihre Verdrossenheit teilen. Jagan prahlte immer mit seiner Macht und damit, wie alle Leute sprangen, wenn er nur mit dem Finger schnippte.
So wie sie.
Aber Rhis war anders. Oh, er hatte diese imperiale Arroganz, aber das hatte sie inzwischen verstanden. Es war Stolz. Keine Herrschsucht. Er schnippte nicht mit den Fingern. Bellte keine Befehle. Bestimmte nicht über das Leben anderer, ohne sie vorher zu fragen.
Er hielt ihre Hand. Arbeitete Seite an Seite mit ihr. Kurz glühte ein Fünkchen Hoffnung in ihr auf. Sie musste an Neadi und Leonid denken. Würde Rhis auch seine Militärkarriere aufgeben und ins Frachtgeschäft einsteigen?
Du gehst mit dir durch, ermahnte sie sich, ließ aber ein Fünkchen Hoffnung weiterglimmen.
Das Signet des »Schwarzen Schwertes« blitzte sie vom Bildschirm aus an. Rhis betrachtete es grübelnd. Sie klopfte leicht mit dem Finger gegen den Bildschirm. »Sicher, dass das was mit mir zu tun hat?«
»Ich wünschte, es wäre nicht so, aber ja.«
»Und dass Rinnaker oder GGA darin verwickelt sind?«
Er schloss kurz die Augen und nickte. »Erzähl mir noch mal alles über Generalsekretär Grantforth. Du hast ihn wie oft getroffen?«
Sie rief sich das schmale Gesicht von Jagans Onkel in Erinnerung. Die Reputation dieses Mannes war makellos. Rhis musste sich irren.
»Dreimal. Drei unterschiedliche Anlässe. Einmal auf Bagrond, die anderen beiden Male auf Quivera.«
Er hob eine Augenbraue. Beide Welten platzten vor Geld.
»Aber ich war wegen Jagan dort. Nicht wegen Garold Grantforth.«
»Dann sollten wir vielleicht bei Jagan beginnen. Wie hast du ihn kennengelernt?«
Der Gedanke, Jagan könnte irgendwie mit den ’Sko unter einer Decke stecken, kam ihr weiterhin abwegig vor. Er mochte ein Flegel und ein Schürzenjäger sein, aber sie war sicher, er hasste die ’Sko genauso wie sie. Sie konnte sich in ganz Konklavien niemanden vorstellen, der das nicht tat.
»Ich stand in Crescent City auf Bagrond für drei Monate bei Norvind unter Vertrag. Das ist jetzt etwas über anderthalb Jahre her. Grantforth unterhält ein Frachtgutdepot in Crescent. Eines Tages tauchte Jagan auf der Laderampe meines Anlegers im Dock auf.« Sie zuckte die Achseln.
»Und?«
»Und wir kamen ins Gespräch. Geplauder. Was weiß ich. Schätze, er hat mich mit irgend so einem blöden Satz angequatscht. ›Was macht denn ein so hübsches Mädchen …‹« Sie wedelte mit der Hand. »Du weißt schon.«
Es klang jetzt wirklich total blöd. Wieso nur hatte sie es damals nett gefunden? Vermutlich, weil es Jagan Grantforth gewesen war, der den Satz von sich gegeben hatte. Der Jagan Grantforth. Sie schwor sich, sich nie wieder mit einem Mann einzulassen, der als Vorvornamen den Titel der trug.
»Und er hat dich – was? Zum Abendessen ausgeführt?«
»Mittagessen. Im Klub für Führungskräfte bei GGA.«
»Und er hat dir nicht verraten, was er von dir wollte?«
Was für eine dämliche Anmerkung von jemandem, der sich gerade zwei Stunden lang an ihrem Körper ausgetobt hatte. Schon klar, er wollte Jagans wirklichen Motiven auf die Spur kommen. Aber diese Frage pikte. Sie sah ihn an.
»Trilby-Chenka.« Er nahm wieder ihre Hand.
Später musste sie unbedingt in Erfahrung bringen, was diese Chenka-Nummer eigentlich bedeuten sollte. Jetzt wollte sie erst mal sehen, wie er sich da herauszuwinden gedachte.
Sie wartete.
»Missversteh mich doch nicht absichtlich«, sagte er. »Aber ich kenne Jagan Grantforths Ruf. Und ja, ich möchte wissen, was eine schöne Frau wie du und einer wie er zusammen gemacht haben.«
»Ich weiß. Entschuldige.« Sie drückte seine Hand, dann zog sie sie fort. »Und ja, ich musste auch schon darüber nachdenken, obwohl ich es viel lieber nicht getan hätte. Ich war wohl einfach vollkommen von der Rolle, weil sich der Jagan Grantforth für mich interessierte. Mir nette Dinge sagte. Sagte, dass er mich liebt.« Sie blickte ihn verstohlen an, lauerte auf seine Reaktion. Er blickte mürrisch drein. Gut.
»Ich fand dann heraus, dass das nicht stimmte. Zumindest nehme ich das an, nachdem er eine andere geheiratet hat.«
»Zalia Auberon.«
»Woher weißt du das?«
Er zuckte kurz die Achseln. »Irgendjemand hat es mal erwähnt. Wir schauen ab und an mal hin, was bei GGA so vor sich geht.«
»Na gut, er hat Zalia geheiratet. Aber das macht ihn noch nicht zum Verräter oder zu einem Spion der ’Sko.« Jetzt musste sie an seine Nachrichten in ihren Ordnern denken. Eigentlich hatte sie sich gerade dazu entschlossen, sie endlich zu löschen. Aber vielleicht fand sich in ihnen noch irgendwas, was jetzt einen neuen Sinn bekommen hatte. Vielleicht hatten seine Mitarbeiter, Assistenten, wer auch immer ihre Nachrichten an ihn gelesen. Sie zog in Betracht, dass Jagan eher der überhebliche Typ war, der das Büro verließ und nicht mal seine Mailbox schloss. Sie musste die Nachrichtendateien noch mal durchgehen, aber allein. Von ihr hing schon mehr als genug Schmutzwäsche über der Leine.
»Wie oft ist er denn mit dir zusammen gewesen? Und wie oft wart ihr gemeinsam bei Neadi im Pub?«
»Er war bestimmt zehnmal bei mir auf der Venture. Ein paar Mal hat er mir auch ein GGA-Taxi geschickt, und wir waren bei ihm.«
»Er hat mit dir gearbeitet?«
Gearbeitet? Nein, Jagan arbeitete nicht. »Er hat sich ab und an einen Trike gegönnt und manchmal auch nur einen Tag, wenn …« Ihr versagte die Stimme. Sie fühlte sich gar nicht gut damit, ihre zurückliegenden sexuellen Eskapaden ausgerechnet mit dem Mann zu erörtern, mit dem sie sich eben zwei Stunden innig geliebt hatte. Aber hier ging es um mehr.
Sie wich seinem Blick aus und spielte mit dem heraushängenden Ende ihres Sicherheitsgurtes. »Du musst verstehen, Jagan und ich waren ganz glücklich zusammen. Ich meine, schön, vielleicht war das dumm, aber es gab Momente in unserer Beziehung, da hab ich wirklich an eine gemeinsame Zukunft geglaubt. Eine echte gemeinsame Zukunft.«
Sie atmete langsam aus.
»Aber unsere Pläne passten nicht zusammen.« Verflucht, ihre ganze Lebensart hatte nicht zusammengepasst. Aber das wollte sie damals nicht einsehen. »Also war er manchmal für ein paar Tage bei mir an Bord. Aber er hat sich niemals wirklich mit dem Ablauf meines Geschäftes vertraut gemacht. Er war nur hier wegen … meiner Gesellschaft.« Sie sah ihn verlegen an.
»Das kann ich nachvollziehen«, sagte er schnell.
»Ja, das kann ich auch, und auch wieder nicht. Er hatte diese scheußliche Art, weißt du. Ich bin etwas Besseres. Ich weiß alles. Er war auf dem Weg nach oben«, sagte sie und reckte ihre Hand nach oben, »und ich auf dem Weg nach unten. Am Schluss hat er mir genau das klargemacht.«
Rhis wollte etwas sagen, doch Trilby drehte sich weg. Das Gespräch mit Rhis hatte einen Punkt getroffen, den sie selbst für längst nicht mehr so wund gehalten hatte. »Hey, Dez. Bitte check doch mal das Logbuch. Wie oft war Jagan insgesamt an Bord?«
»Sofort, Captain.« Der Droide checkte sich ins Logbuch ein. »Sechzehnmal in den letzten einundzwanzig Monaten.«
»Schick mir die Log-Einträge bitte auf mein Terminal.« Sie wandte sich wieder Rhis zu. »Schräger Gedanke, dass seine Mitarbeiter und Assistenten immer wussten, wann er bei mir war. So muss es gewesen sein. Vielleicht ist ja auch einer von denen der Kontaktmann, nach dem ihr sucht.« Ihrer Ansicht nach ergab das viel mehr Sinn. »Lass uns die Daten mit den Plänen der Fahrten vergleichen, die von Rumor abgehen. Und während du das machst, versuche ich zusammenzubekommen, wie oft ich mit Jagan bei Neadi im Flyboy gewesen bin.«
Rhis nickte. »Vielleicht kommen wir dadurch ein Stück weiter. Aber die Schiffe sind nicht über die ganze Dauer eurer Beziehung verschwunden, sondern erst in den letzten zwei Monaten.«
»Stimmt, aber sollten sie tatsächlich Zugang zu meinen Nachrichten an ihn gehabt haben, sollten wir ein Muster erkennen können. Ich hab ihm meine Fahrpläne immer rechtzeitig genug gegeben. Und wir haben manchmal getratscht wie die Marktweiber.«
Rhis erwiderte für einen Moment ihren Blick. »Sehr schöne Formulierung.« Er klang belustigt.
Sie griente. »Fiel mir grad so ein.«
»Das muss an meinem Einfluss liegen.«
Sie stöhnte, dann schwenkte sie den Armlehnenmonitor ihres Datacomps zurück und machte sich daran, ihre Ordner mit dem Nachrichtenwechsel zwischen Jagan und ihr aufzurufen.
Ungefähr zweieinhalb Stunden später, auf Trilbys biologischer Uhr war es kurz nach Mitternacht, meldete die Careless Venture Kontakt mit einem imperialen Außenposten. Sie blickte auf das Zeit- und Datumsfeld am oberen Bildschirmrand, während fremde zafharische Worte über den Bildschirm rollten. Jetzt kannte sie Rhis Vanur schon fünf Tage.
Full Hand, wie man auf Lingo sagt.
Fünf Tage, in denen ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt worden war.
Rhis’ Finger tanzten über die Konsole. »Es sollte doch wohl möglich sein, Hörkontakt herzu– ah, ja.« Eine Lämpchenreihe in der Mitte des Schaltbords hatte im selben Augenblick von Rot auf Grün gewechselt.
Aus den Lautsprechern drang eine männliche Stimme. Vermutlich identifizierten sie sich erst einmal gegenseitig. Von der folgenden Konversation zwischen Rhis und dem Außenposten verstand sie nichts, erkannte höchstens ein paar vads und navs und ein paar Allgemeinbegriffe wie Dock oder Fahrplan. Und Razalka. Diesen Namen hörte sie und die Namen Tivahr und Vanushavor, die mehrmals fielen.
Aber keine Chance, daraus irgendetwas Sinnvolles abzuleiten. Also lehnte sie sich gemütlich zurück und wartete ab.
Rhis schien erleichtert, entspannter, als er die Kommunikation beendete. »Das ist gut.« Er nickte, aber er nickte nicht ihr zu, sondern der Dunkelheit auf den Ansichtsschirmen der Brücke. »Zufall. Ein taktisches Einsatzteam befindet sich den letzten Trike über auf Posten Degvar. Lieutenant Gurdan ist der Commander. Ich kenne ihn.«
»Du hast doch nicht vor, sofort was gegen die ’Sko zu unternehmen? Ich denke, du solltest auf die Razalka warten.«
»Sicher, sicher. Aber Gurdan ist erfahren, und mit den Möglichkeiten auf Degvar könnte ich vielleicht schon mal mit unseren Problemen weiterkommen.« Er trommelte sich mit den Fingern nachdenklich ans Kinn.
So weit, dass Carina vielleicht gerettet wird? Schweren Herzens gestand Trilby sich ein, dass sie da kaum noch Hoffnung hatte. Die imperiale Flotte würde natürlich nach Verbindungen und Mustern zwischen diesem »Schwarzen Schwert« und den ’Sko suchen, doch der Verlust von Carina kümmerte sie wohl herzlich wenig. Und sie bezweifelte, dass die Flotte auf einen einfachen Lieutenant hören würde, der versuchte, sie von etwas anderem zu überzeugen.
Nein. Die suchten jetzt nach Antworten auf Fragen wie: wer, wann und wo.
Das wiederum würde sie auch gerne wissen. Und eigentlich würde sie gerne auch noch wissen, was eigentlich mit Trilby Elliot und der Careless Venture geschehen sollte, wenn Rhis auf die Razalka zurückkehrte.
Der Krieg war vorbei. Sie musste nicht befürchten, in Gefangenschaft zu geraten. Das bedeutete unterm Strich nur eines: Sie würden sich auf Degvar voneinander verabschieden. Sie würde frei sein und konnte ihrer Wege ziehen.
Aber sie wusste, ein Teil von ihr würde für immer im Imperium bei einem gewissen einfachen Lieutenant zurückbleiben. So viel zum Thema »Wer’s findet, darf’s behalten«. Sie hatte ihn gefunden, ja, aber sie hatte keine Chance, ihn zu behalten.