5
Trilby schlang sich den verschlissenen lila Quilt um die Schultern und lehnte sich an die gepolsterte Bordwand. Sie spürte die leichte Vibration des interstellaren Hyperantriebs, ein beruhigendes und vertrautes Geräusch. Das konnte sie jetzt brauchen. Der eine lausige Schluck Gin, den sie herunterbekommen hatte, war kein großer Trost gewesen. Das hohe Glas stand auf dem Nachttisch. Kondenswassertropfen auf der Außenseite funkelten wie in die Länge gezogene Sterne. Die Eiswürfel schwammen sanft klirrend und knacksend darin herum.
Der Signalgong ihrer Kabinentür. Die Überwachungskamera war nicht in Betrieb. Da sonst nur Dezi und sie an Bord waren, hatte sie das Personenüberwachungssystem nie aktiviert – nicht mal, als es noch intakt war. Und als Jagan hier war, war ihre Kabine ohnehin auch seine gewesen.
Hier hingegen hatten wir offenbar ihren zafharischen Lieutenant, es konnte sich allerdings genauso gut um Dezi handeln.
Ihr zafharischer Lieutenant? Er war nicht ihrer, schimpfte sie mit sich selbst, als sie zur Tür wankte. Mit an aller Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit war er der Lieutenant irgendeiner zafharischen Frau. Einer Frau, zu der er eiligst zurückwollte. Vermutlich empfand er ihre Unpässlichkeit als reine Verzögerungstaktik.
Sie drückte auf den Türöffner an der Wand. Die Tür glitt nach links. Das hellere Licht des Korridors ließ sie kurz blinzeln. Groß. Breite Schultern. Definitiv der zafharische Lieutenant.
Sie wollte ihn lieber nicht mehr als ihren bezeichnen.
Sie trat ein Stück zurück und verfing sich mit dem Absatz in einer Ecke des Quilts. Sie stolperte rückwärts, wedelte mit den Armen und wurde im Fallen von starken Händen abgefangen und an eine wohlbekannte Jacke und ein weißes Hemd herangezogen. Als seine Arme sie schützend umschlossen, fragte sie sich kurz, ob das jetzt immer so weitergehen sollte, ob sie den Rest ihres Lebens mit der Nase an der Brust dieses Mannes verbringen würde.
Normalerweise warfen sich die Frauen Rhis nicht gerade in die Arme. Rafi wäre beeindruckt gewesen von der sanften Art, mit der er sie aufgefangen und an sich gezogen hatte, und hätte dringend geraten, jetzt am Ball zu bleiben.
Aber Rhis war Realist. Nicht seinem Charme, sondern einem lila Quilt, der sich um ihre Stiefelabsätze gewickelt hatte, verdankte er diese erneute Umarmung.
»Sind Sie in Ordnung?«
Sie drückte sich von ihm ab und starrte den verkrumpelten Quilt an. »Ich bin nicht betrunken, falls Sie das denken … eher ungeschickt. Ein wenig …« Sie brach ab. Dann seufzte sie laut. »Ein wenig aus dem Gleichgewicht, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Aber nein, betrunken bin ich nicht.« Sie zeigte auf das Glas auf dem Nachttisch. »Einen Schluck hab ich runtergekriegt. Ich konnte ihn nur mühsam überreden, unten zu bleiben.«
»Ich denke nicht … Sie müssen sich nicht entschuldigen, selbst wenn Sie betrunken wären.« Rhis hatte die Verteidigungshaltung in ihrem Tonfall bemerkt, und sie bestürzte ihn, was selten vorkam. Was irgendwer empfand, war normalerweise gänzlich ohne Belang für ihn. Aber das hier war nicht irgendwer. Das hier war Trilby Elliot. »Es ist nicht leicht, schlechte Nachrichten über jemanden wegzustecken, den man praktisch sein Leben lang kennt.« Er schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um. Neben ihr auf dem Bett sah es sehr einladend aus. Genau deshalb verwarf er den Gedanken. Er hatte immer noch das akute Bedürfnis, diese kleine, lila verpackte Form zurück in seine Arme zu ziehen.
Rasch suchte er eine Alternative. Er war noch nie in ihrer Kabine gewesen. Sie war kaum größer als die Kabine, die sie ihm gegeben hatte. Mit einem Doppelbett an der Rückwand. Regalborde, Schubfächer und ein Schrank waren links in die Wand integriert. Ihr Quartier war genauso spartanisch ausgestattet wie der Rest des Schiffs.
In diesem nüchternen Kontext wirkte der lila Quilt wie purer Luxus. Das gedämpfte Licht einer kleinen Nachttischlampe und das Flimmern ihres Computerbildschirms ließen die Flickendecke sanft glänzen, sie sah aus wie ein um sie gewickelter Schutzkokon. Das aus dem Flur als Rechteck einfallende Licht machte die durchgewetzten Stellen in dem dünnen Fußbodenbelag sichtbar. Als seine Augen sich endgültig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erspähte er ein deutlich größeres katzenähnliches Plüschtier, das auf ihrem Bett an die Seite geschoben war. Und da, in der Ecke, stand ein einsamer schwarzer Metallklappstuhl in einer Bodenhalterung. Er trat auf den Haltebügel, um die Sperre zu lösen, hob den Stuhl vom Boden, klappte ihn auf und stellte ihn vor sie hin.
»Wir werden keine Zeit verlieren, falls Sie das befürchten.« Sie zog ihre Knie unters Kinn. »Ich kann es mir nicht leisten, nach Carina zu suchen. Oder den ’Sko. Wir werden pünktlich in Port Rumor sein.«
»Deshalb bin ich nicht heruntergekommen. Ich wollte mit Ihnen reden. Erzählen Sie mir von Carina.«
»Warum? Kennen Sie sie vielleicht oder so was?«
Er schüttelte langsam den Kopf und entgegnete: »Ich glaube, es tut Ihnen gut, wenn Sie über sie reden.«
Sie schwieg. Er sah das Misstrauen in ihrem Blick. Ohne Zweifel fragte sie sich, wer denn wohl Rhis Vanur zum Chefpsychologen vom Dienst gekürt hatte.
»Ich kenne Carina schon viele Jahre. Aber das wissen Sie ja längst, nicht wahr?« Wieder schwieg sie und dachte kurz nach, dann zuckte sie die Achseln. »Dezi«, murmelte sie wissend.
»Auf etwas in dieser Richtung wäre ich vermutlich auch alleine gekommen.«
»Nun ja, wie dem auch sei. Carina jedenfalls ist genau der Typ, den Dezi zur Kategorie meiner ›wilderen‹ Freundinnen zählt.«
Rhis erinnerte sich unwillkürlich, wie Dezi die zusammengesunkene Frau vor ihm bezeichnet hatte: Sie ist ein gutes Mädchen, das ist sie wirklich. Vielleicht manchmal ein bisschen wild …
»Wilder als Sie?«
»Allerdings! Wilder als ich. Und auch ein par Jahre jünger als ich. Sie ist ein fantastisches Mädchen. Eine fantastische Frau«, verbesserte sie sich. Sie griff in die Nachttischschublade und wühlte darin herum. »Das ist sie«, sie reichte ihm eine kleine Holografie und stellte das Licht so ein, dass er besser sehen konnte.
Auf dem Bild waren fünf Personen, es war in einem Lokal aufgenommen worden. Neadis Pub, vermutete er, als er das kaffeebraune Gesicht der Frau hinter dem Tresen wiedererkannte. Ein großer, dunkelhaariger Mann stand links neben ihr. Topfpflanzen türmten sich auf einem Regal über ihren Köpfen und schaukelten sanft die Wedel. Blattwerk mit verschiedenfarbigen Blüten rankte sich auf der rechten Seite hinunter und berührte fast die Schulter eines korpulenten, rotbärtigen Kerls mit leuchtend blauen Augen. Der Mann trug ein T-Shirt mit dem Logo von GGA auf der Brust. Neben ihm, auf einen Stuhl gefläzt, saß Trilby und versuchte, die Hand einer wunderschönen, exotisch anmutenden Frau wegzuschlagen, die ihr aus einem Glas eine klare Flüssigkeit über den Kopf gießen wollte.
Diese Frau musste Carina sein. Ihr glänzendes braunes Haar fiel ihr in langen Locken über die Schultern und weiter bis fast zu den Hüften, als sie sich bewegte. Ohne die hohen Wangenknochen und den vollen Mund hätte ihr Gesicht wohl leicht zu schmal wirken können. Aber in dieser Kombination und mit den großen, mandelförmigen, dunklen Augen umgab sie eine geheimnisvolle, fast majestätische Aura.
Er verdächtigte sie sofort der Arroganz, obwohl er überhaupt keinen Grund dazu hatte. Aber irgendetwas in ihrem Gesicht erinnerte ihn an Malika. Die Art, wie sie die anderen Leute in ihrer Umgebung ansah, wirkte abschätzend und einordnend, als käme jeder in eine Schublade.
Auch ihre Schönheit erinnerte an Malika, dunkel und sinnlich. Trilby wirkte daneben wie das absolute Gegenteil. Wie ein heller Lichtstrahl, oder ein heller Mond in einer dunklen Nacht.
Nein, Trilby sprühte. Als er sie auf der Krankenstation noch unter Schmerzen das erste Mal gesehen hatte, fand er sie hübsch. Süß irgendwie.
Aber jetzt, so musste er widerstrebend zugeben, war sie viel mehr. Sie war bezaubernd. Bezaubernd schön.
Angenehme Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Schnell brachte er das Gespräch wieder auf Carina.
»Carina ist eine Unruhestifterin, stimmt’s?«
»Carina ist eine Unruhestifterin, stimmt«, sie machte seinen Akzent nach, rollte das R und zog das I lang. »Vad«, fügte sie auf Zafharisch hinzu.
Seine Verblüffung war nicht gespielt. »Sie sprechen …«
»Nur ja, nein und bitte noch ein Bier. Außerdem noch ein paar nützliche Flüche.« Sie grinste. »Halt alles, was man so braucht, dank Leo.« Sie tippte auf den dunkelhaarigen Mann neben Neadi.
Jetzt lächelte sie entspannt. Der Quilt war ihr von den Schultern gerutscht, und sie presste auch nicht mehr die Knie zusammen. Wieder meldete sich das warme Gefühl in seiner Brust. Er hatte dafür gesorgt, dass es ihr besser ging. Wie seltsam nur, dass es ihm plötzlich auch besser ging.
»Was hatte denn Dasja Carina mit dem Glas vor?«, fragte er, um die Aufmerksamkeit wieder auf das Holo zu lenken.
»Dasja heißt Frau?«
»Lady. Aber als Titel, nicht als Geschlechterbezeichnung. Es kann ein Titel aufgrund der Herkunft oder besonderer Ehrerbietung sein.« Er war nicht besonders geübt darin, anderen seine Sprache zu erklären. »Eine hoch angesehene Frau«, präzisierte er schließlich. »Dasjon bedeutet das Gleiche bei Männern. Lord. Ehrenmann.«
Trilby nickte. »Dasja Carina würde sich ganz bestimmt scheckig lachen, wenn Sie sie als Lady bezeichneten. Sie wollte mich gießen, damit ich wachse.« Sie deutete auf die üppigen Grünpflanzen. »Sie hat Neadi und Leo immer Pflanzen mitgebracht. Sie betreibt eine wunderbare Plantage auf ihrem Schiff, der Dream –« Sie brach abrupt ab. »Die Plantage ist jetzt sicher auch hinüber.«
Das sanfte Leuchten auf ihrem Gesicht verschwand. Rhis spürte, wie sich die Wärme in ihm zurückzog, und wünschte, sie würde wiederkehren.
»Und, hat sie Sie gegossen?« Er rang sich zu einem Lächeln durch. »Und der hier? Wer ist der da mit dem Bart?« Jagan Grantforth war es nicht. Wie Grantforth aussah, wusste er, und zwar nicht erst, seit er ihn in Trilbys Nachrichten gesehen hatte. Jagan Grantforths stattliche Figur war hin und wieder im Televid an der Seite seines politisch hochrangigen Onkels Garold zu sehen, der zurzeit stellvertretender Handelsminister der Konklaven war.
»Das ist Chaser. Medizintechniker im GGA Hauptquartier in Bagrond. Er treibt sich manchmal aus Sentimentalität in Rumor herum. Carina, Chaser und ich sind zusammen aufgewachsen. In Port Rumor.« Sie nahm ihm das Holo aus der Hand und betrachtete es eingehend. »Das ist schon ewig lange her. Dass wir zusammen aufwuchsen, meine ich. Nicht das Holo. Das ist erst ein paar Monate alt.«
»Ein Geburtstag?«, mutmaßte Rhis und versuchte im Geiste, das Holo irgendwo zwischen Trilbys J-Dateien unterzubringen.
»Hm, eher nicht. Ich hatte gerade … ach, es war einfach nur eine wilde Party von vielen.«
Er bemerkte die Unterbrechung mitten im Satz genauso wie die gespielte Leichtigkeit ihres Tonfalls. Für diese Party hatte es einen Anlass gegeben, über den sie nicht sprechen wollte. Er ahnte, dass es um Grantforth gegangen war. Oder, genauer gesagt, um Grantforths Abwesenheit.
»Wo war Dezi?«
»Bier zapfen für den Nachschub, wo sonst.«
»Dasja Neadi lässt einen Droiden hinter die Bar?«
»Dasjon Leonid hat Dezi sogar in die Küche geschleift und ihm Kochen beigebracht. Oder vielmehr noch nicht ganz, das Projekt läuft noch. Vermutlich ist Ihnen aufgefallen, dass ich mich meistens ums Kochen an Bord kümmere.«
»Ein Speisereplikator wäre eine Erleichterung, oder?«
»Ein Speisereplikator wäre ein teurer Spaß.« Sie hielt die Hand hoch und zählte an den Fingern ab: »Ich brauche einen neuen Tiefenraumsensor, einen optischen Diffuser, neue Kurzraumlinsen, und meine Bordseiten-Scanner scannen auf dem letzten Pixel. Ich habe nur einen einzigen halbwegs intakten Kristallschweißer …«
»Das ist mir nicht entgangen«, bemerkte Rhis trocken.
»… und die Hauptladeklappe muss ausgehängt und wieder richtig eingehängt werden, weil letzten Monat irgendein Trottel seinen Gabelstapler in meine Seite gesteuert hat. Wenn ich die Klappe bei meinem Transport nach Bagrond verliere, sehe ich nämlich ziemlich alt aus. Meine Transport-Scooter müssen komplett überholt werden und brauchen dringend neue Gestelle, und«, sie warf ihm einen skeptischen Blick zu, »das sollte ich Ihnen wohl besser gar nicht erzählen, es funktioniert nur eins meiner Lasergewehre, und meine Ionen-Kanone läuft nur noch mit halber Kraft. Und Sie schlagen mir die Anschaffung eines Replikators vor?« Sie lachte kurz auf. »Rhis, mein Junge, erzählen Sie mir lieber von einer gut geladenen Lady-Fünf. Dann hör ich auf, über meine Ionen-Kanone zu jammern.«
Ihm war klar, dass die Venture in keinem guten Zustand war. Aber die mangelnde Ausstattung ihres Verteidigungssystems alarmierte ihn. Nur ein funktionierendes Lasergewehr und eine sterbende alte Ionen-Kanone. »Ich dachte, die Konklaven haben die Lady-F-Torpedos gleich nach dem Krieg verboten.«
»Ja, sicher haben sie das. Die müssen ja auch nicht ständig hier draußen rumkurven. Aber ich schon. Und nachdem sie bei den Gensiira-Patrouillen alle möglichen Mittel- und Personalkürzungen durchgesetzt haben …«
Sie musste den Satz gar nicht beenden. Rhis verstand schon. Die Konklaven hatten einem Gebiet den Rücken gekehrt, in dem es kein Geld zu holen und kein Vergnügen zu erleben gab. Im Gegensatz zu den inneren Welten wie Quivera oder Bagrond alles Teile des Lissade-Quadranten. Lissade war die Basis und somit der Dreh- und Angelpunkt des Vereinigten Intergalaktischen Konklaviens. Und Lissade unterschied sich von Gensiira etwa so wie die Razalka von der Venture.
Ihm fiel ein, dass ihm an Neadis Nachricht etwas seltsam vorgekommen war. »Wieso konnte Dasja Neadi Sie und die Bellas Dream überhaupt warnen? Ich weiß, in einer Bar auf den Docks schnappt man viel auf. Aber das waren doch sehr genaue Angaben.«
»Was glauben Sie, wie Port Rumor zu seinem Namen gekommen ist? Bestimmt nicht wegen Neadis kleinem Pub, der übrigens Flyboy heißt. Nein, sondern weil wir hier direkt am Weltendreieck sind, direkt an den Grenzen von Gensiira, Ihrem eigenen Yanir-System und der an beides angrenzenden ’Sko-Enklave Eilni. Konklaven. Zafharier. Ycsko.« Sie markierte für jeden Namen einen imaginären Punkt auf einer gedachten Luftkarte. »Eine Konstellation, die nur einmal im Universum vorkommt, und zwar hier. Und weit und breit ist Port Rumor der einzige Ort, wo man ein kühles Bierchen ergattern kann. Da rumoren die Gerüchte.«
Sternenkarten tauchten vor Rhis’ innerem Auge auf und bestätigten die Dreiwelten-Konstellation. Und soweit er ihre Schiffskarten richtig erinnerte, konnte er sich auch Handelsrouten ausmalen, die ihm bisher niemals in den Sinn gekommen wären.
»In Port Rumor finden sogar ausgewanderte ’Sko eine Zuflucht – zugegeben, es sind nicht viele«, fuhr Trilby fort. »Hingegen leben hier deutlich mehr Zafharier, die die Abneigung gegen die Drangsalierungen Ihres Imperiums zusammenschweißt. Und dann gibt es natürlich noch den üblichen Abschaum, der über einen schwappt, wenn man es in den Klauen der Konklaven aushalten muss. Sie denken vermutlich, Ihr Imperium sei ja weit, weit weg, sicher auf Verahznar. Aber glauben Sie mir, Rhis, alles, was sie dort wissen, wissen wir früher oder später auch hier in Rumor. Meistens früher. Frachter überbringen nicht nur Lasten, Sie verstehen?«
Das tat er. Besser konnte man es nicht auf den Punkt bringen. »Und deshalb wusste Neadi …«
»Was Quivera und andere Herrschaften des Polit-Establishments im Moment bestimmt nicht an die große Glocke hängen würden. Oder überhaupt zugeben würden. Und sie hat erfahren, dass es bei den Konklaven Pläne gibt, die Profitrate skrupellos hochzutreiben. Dazu gehört das Abwürgen der Kleintransporterbranche, zu der auch ich gehöre. Die ’Sko waren offenbar so entgegenkommend, die Ausführung zu übernehmen.«
Rhis setzte sich aufrecht hin und umklammerte kaum merklich die Stuhlkante. Sein Pflichtbewusstsein deckte sich endlich wieder mit seinen sehr persönlichen Interessen. »Bitte, erzählen Sie«, sagte er mit ernster, leiser Stimme. »Erzählen Sie mir ganz genau, was Dasja Neadi gesagt hat.«
Rhis saß in der Lounge und hörte dem Wasserkocher beim Sieden zu. Ein Leben ohne Replikator. Ein Leben ohne bequemes Bett und ohne weichen, dicken Kabinenteppich unter den Füßen. Ein Leben mit gestückelter Kommunikation, nur gelegentlich funktionierenden Scannern und bloß einer einzigen Ionen-Kanone, die zudem im Sterben lag.
Ein Leben mit Trilby Elliot, der Funkenfee mit nur einem einzigen funktionierenden Lasergewehr. Und mit einer vermissten Freundin.
Rhis begann zu verstehen, wie sehr diese Freundin vermisst wurde. Und leider auch, warum.
Er hatte Trilby sehr genau zugehört, als sie Neadis Warnung wörtlich wiedergab. Er hatte, mit ihrer Zustimmung, Neadis Worte wiederholt. Und er hatte ihr ein kleines bisschen von dem erzählt, was er über die ’Sko wusste – was seinen Beitrag zu den in jüngster Zeit aufgekommenen Gerüchten anging, hatte er sich allerdings lieber bedeckt gehalten. Es war besser für sie, wenn sie ihn weiterhin für einen Bruchpiloten hielt, der rein zufällig aufgrund mechanischen Versagens auf ihrer Türschwelle gestrandet war.
Er konnte ihr unmöglich seine Anwesenheit auf Szedcafar erklären. Er dachte an Neadis Frage, wer außer den Zafhariern sich mit den ’Sko ins Bett legen würde. Er wusste es, aber Trilby würde ihm die Geschichte nicht glauben.
Ein Mann allein war nicht in der Lage, die Militärbasis der ’Sko zu knacken.
Folglich war er nicht allein gewesen.
Er war seit drei Tagen zur Rückkehr überfällig gewesen und hatte seinem Team strikte Order gegeben, unter keinen Umständen länger als zwölf Stunden am vereinbarten Treffpunkt auf ihn zu warten.
Er hatte allerdings nicht vorhergesehen, dass die Ycsko ihn von ihrer Stellung auf Szed auf eines der Mutterschiffe verlegten. Rückblickend musste er zugeben, dass er das hätte vorhersehen können. Müssen. Wie hatte Dasjon Admiral Vanushavor dieses Problem noch auf den Punkt gebracht? Er neige in letzter Zeit zu unbedachtem Handeln. Nicht fahrlässig, nein. Nur unbedacht. Als käme es ihm nicht darauf an, ob er am Leben oder tot war.
Es kam ihm nicht darauf an. Und als dann der Beschluss für den Einsatz auf Szed fiel, war ihm der Erfolg der Aktion wichtiger als sein Leben. Und der Einsatz wurde ein Erfolg! Er drang in die Militärbasis vor und übermittelte die gestohlenen Geheimdaten zurück an die Razalka. Was danach geschah, hatte er ausschließlich sich selbst und seinem unbedachten Handeln zuzuschreiben, das ihn schließlich in eine aussichtlose, ja fast unweigerlich tödliche Lage gebracht hatte.
Tödlich, wenn Trilby Elliot nicht gewesen wäre. Avanars Vampirschnecken hätten sicher nicht lange auf sich warten lassen. Er wäre langsam und unaufhaltsam im Sumpf versunken und jetzt nicht hier. Nicht hier und damit beschäftigt, Informationsfetzen zusammenzuklauben, die das, was er auf Szed in Erfahrung gebracht hatte, noch brisanter machten.
Nein, er säße nicht hier und würde auf das Fiepen eines Wasserkessels warten, um eben dieser Trilby Elliot einen Becher mit heißem, frisch aufgegossenen Tee bringen zu können. Trilby Elliot, der Funkenfee, Frachtschifferin und Retterin verschollener zafharischer Offiziere.
Wie auf Bestellung ertönten ein paar kurze Fiepser.
Er tat, was zu tun war, und verließ die Lounge. Über die Falltreppe gelangte er auf die Brücke.
Trilby hatte inzwischen wieder das Kommando übernommen. Dezis Scharniere quietschten, als er den Kopilotensitz räumte und an die Navigation zurückkehrte. Rhis reichte ihr ihren dampfenden Tee und stellte seinen Becher in den Getränkehalter an der Kopilotenkonsole.
Sie zeigte auf den Schirm zu seiner Rechten. »Dezi und ich haben eine Liste all der Kleinlastschiffe zusammengestellt, die in den letzten zwei Monaten als vermisst gemeldet wurden – nur die, die nach Neadis Schilderungen infrage kommen. Abflug, Frachtannahme, Fracht, alles vermerkt.«
Es waren sieben – einschließlich der Bellas Dream. Vier Aufträge waren von Rinnaker vergeben worden. Zwei von Grantforth. Einer von Norvind.
Er übertrug die Liste ins Datenraster, welches die Daten in Koordinaten umrechnete und als stecknadelkopfgroße Lichtpunkte im Koordinatensystem der Sternenkarte erscheinen ließ. Auf der Razalka wurde eine Sternenkarte als maßstabsgetreue Holografie auf den großen polierten Tisch im Konferenzraum der oberen Brücke projiziert. Und nun hätten sich die besten strategischen Köpfe des Imperiums darübergebeugt und bis ins kleinste Detail beraten.
Hier hingegen waren Sternenkarten bloß flach auf einem Bildschirm zu sehen. Er legte gedankenverloren den Lichtstift auf den Tisch, prüfte, ob der Tee etwas abgekühlt war, und fragte sich, wie viel er seiner Funkenfee und ihrem Protokolldroiden wohl anvertrauen konnte.
»Also?«, fragte Trilby.
»Ich kann schon nachvollziehen, dass Dasja Neadi besorgt ist.«
»Und?«
Er schüttelte den Kopf und trank bedächtig einen Schluck Tee. Ein guter, kräftiger Aufguss. Fast so gut wie ein zafharischer. »Ich habe mehr Fragen als Antworten, Trilby Elliot.«
»Wir haben noch einen Deuce, bis wir in Port Rumor sind. Neadi wird inzwischen mehr wissen. Im Flyboy ist im Moment bestimmt besonders viel los.«
Rhis sah sie an. Seine Funkenfee hatte wieder ein paar Funken verloren. Nach dem aufmunternden Gespräch in ihrer Kabine hatten die Dinge nun eine ernste Wendung genommen. Eine Wendung, die ihn leider zwang, dieses Kettenkarussell wieder anzuwerfen. Genau wie sie es befürchtet hatte. Genau wie Jagan Grantforth es vorgemacht hatte.
Tatsächlich waren sie nicht zwei Tage von Port Rumor entfernt, sondern drei, vielleicht sogar fünf Tage von der Razalka oder irgendeinem anderen imperialen Stützpunkt – je nachdem, was er zuerst ausfindig machen konnte.
Trilby Elliot würde natürlich nicht gerade in Jubel ausbrechen, wenn er sich das Kommando über ihr Schiff unter den Nagel riss. Seltsamerweise störte ihn der Gedanke.
Aber er musste auf jeden Fall die Kontrolle übernehmen, und dafür blieben ihm höchstens vierundzwanzig Stunden. Die Venture zu annektieren würde deutlich leichter gehen als mit ihrem unberechenbaren Captain fertigzuwerden. Und mit seinen irrationalen Reaktionen auf sie.
Er ahnte schon, dass er in Anbetracht dieser Herausforderungen in der kommenden Nacht nur wenig Schlaf finden würde.