9

Lieutenant Gurdan war ein dünner Mann, fast so groß wie Rhis, mit sandbraunen Haaren. Trilby hielt in ihrem Gespräch mit einem der Dockarbeiter auf Degvar inne und sah die beiden Männer voreinander salutieren. Sie hätte erwartet, dass Freunde sich die Hände abklatschten und sich ein paar Mal auf die Schultern klopften. Aber Rhis hatte ja auch nur gesagt, er kenne Gurdan. Und der offenbar bedeutende Gurdan war hier.

Ach ja, das Militär. Trilby drehte sich kopfschüttelnd um und wandte sich wieder dem Problem zu, ein Schiff konklavischer Bauart, zu allem Überfluss auch noch ein ziviles, in ein imperiales System eindocken zu müssen.

»Ich glaub, jetzt sitzt sie«, sagte sie dem Dockarbeiter, als endlich alle Rampenkontrollleuchten grün blinkten.

»Fein, dass ich Ihnen behilflich sein konnte.« Sein rundes Gesicht lachte freundlich. Sein Akzent war breiter als der von Rhis. Er deutete auf ihr Schiff, verankert in einer Bucht des Außenpostens. Sie betrachteten die Venture auf den großen viereckigen Ansichtsschirmen. »Sie entspricht nicht mehr ganz dem heutigen Standard, oder? Hat schon viele Jahre auf dem Buckel, vad?«

Sie wollen wissen, wie ich diesen Schrotthaufen auf interstellaren Bahnen halte? Sie erinnerte sich, wie sie genau das zu Rhis gesagt hatte. Ein Scherz, den sie hin und wieder machte. »Sie ist ein gutes altes Mädchen, nicht schnell, aber zuverlässig.«

»Nicht gerade das, was er gewöhnt ist«, erklärte der Dockarbeiter und deutete mit dem Kinn rüber zu Rhis, der mit Gurdan sprach. Trilby blickte in Rhis’ Richtung, der sich im selben Augenblick zu ihr umdrehte. Er nickte ihr zu und hielt kurz seinen Zeigefinger hoch. Er wollte, dass sie wartete.

Gerne. Sie hätte auch gar nicht gewusst, wo sie jetzt hingehen sollte. Sie musste ihre Nachricht an Neadi schicken, aber jedes verdammte Schild hier war auf Zafharisch. Sie konnte genauso gut auf dem Kommissariat landen statt in der Kommunikation.

Was hatte der Dockarbeiter eben noch über Rhis gesagt? Der Mann wusste vermutlich, dass Rhis auf der Razalka stationiert war. »Sich mal unters gemeine Volk zu mischen, hat doch auch was.«

»Gemeines Volk? Diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört.«

Sie grinste. »Das heißt … ach vergessen Sie’s, Hauptsache, wir haben es geschafft. Er hat es geschafft.«

»Selbstverständlich hat er es geschafft!«

Imperiale Arroganz, dachte Trilby und loggte sich aus der Rampenkonsole aus. Wahrscheinlich kippten sie irgendeinen Zusatz in ihr Trinkwasser.

Sie hörte Rhis Lieutenant Gurdan noch etwas zurufen, während er bereits auf sie zugerannt kam. Der Dockarbeiter beendete seine Arbeit, stand stramm und salutierte.

Rhis erwiderte den Salut knapp und merklich desinteressiert. Der kleinere Mann schien das in Ordnung zu finden und machte, dass er davonkam. Ach ja, das Militär.

»Hat alles geklappt?«, fragte er und warf einem kurzen Blick zur Rampe und zur Venture.

»Vad.« Sie grinste ihn von unten an. »Und das ist auch schon alles, was ich von deiner Sprache noch weiß, müde, wie ich bin.«

»Ich hab noch ein paar Stunden mit Gurdan vor mir. Dann bin ich wieder da. Aber du musst nicht aufbleiben. Warum legst du –«

»Ich muss Neadi benachrichtigen. Kann ich die Computer benutzen, oder ist das verboten?«

»Es ist verboten, aber ich sorg dafür, dass du sie benutzen darfst.«

»Hast du noch etwas Zeit?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte, Trilby-Chenka. Aber im Sektor haben während des letzten Trike außergewöhnlich viele ’Sko-Bewegungen stattgefunden. Sehr ernstzunehmende Bewegungen. Die Information ist brandaktuell.«

Sie wusste, was es bedeutete, wenn die ’Sko sich zur Offensive sammelten. Eine Vorstellung, die sie sich nicht näher ausmalen wollte.

»Geh und tu, was du mit Lieutenant Gurdan zu tun hast. Ich werde warten.«

»Nein. Ich lass dich von jemandem rüber zur Kommunikation bringen. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür, dass du in deiner Nachricht an Neadi nicht zu sehr ins Detail gehen darfst. Unser System ist durchaus sicher, aber nicht idiotensicher.«

»Sie soll einfach nur wissen, dass ich in Sicherheit bin. Besonders jetzt, wegen Carina und der Bellas Dream

Rhis zögerte und schaute kurz rüber zu Gurdan, der mit zwei Offizieren sprach. »Trilby-Chenka, ich muss dir noch etwas sagen, aber ich –« Das Piepen seines Combuttons unterbrach ihn.

Trilby war verwirrt. Sie hatte den Metallknopf an seiner Jacke noch gar nicht bemerkt. Gurdan musste ihm das Ding angesteckt haben.

Rhis hatte sofort auf den Button getippt und hörte nun einem kurzen Fluss zafharischer Worte zu. Er antwortete knapp, schaltete ab und wandte sich wieder Trilby zu. »Verzeih. Es ist dringend. Geh, und schick Neadi deine Nachricht.«

Lautes Fußgetrampel war zu hören. Hinter Rhis tauchten Gurdan und die beiden Offiziere auf.

»Ich bin in zwei oder drei Stunden zurück, ja?« Er wollte sie gerade berühren, als Gurdan etwas rief. Er richtete seine Hand stattdessen auf Gurdan und antwortete auf Gurdans Erläuterungen mit ein paar kurzen Befehlen.

Er drehte sich noch mal kurz zu ihr um. »Major Mitkanos wird gleich hier sein und dich in die Kommunikation begleiten. Ich muss los.«

Sie lehnte sich an die Rampenkonsole und sah ihm nach, wie er den Korridor hinuntersprintete, die beiden Offiziere im Schlepptau. Yav cheron, flüsterte sie leise. In ein paar Stunden werde ich dir das persönlich ins Ohr flüstern.

Major Mitkanos war ein bulliger Mann in grauer Uniform. Sein kurz geschorenes schwarzes Haar war mit silbernen Sprenkeln durchsetzt. Sein Kinn war unsanft eckig, und seine Nase machte einen Bogen, der von mehr als nur ein paar Faustkämpfen kündete. Eine abweisende Erscheinung, bis er lachte und sein breiter Mund die harten Kanten seines Gesichts weicher wirken ließ.

Er begrüßte Trilby mit einem kräftigen Handschlag. »Freue mich, Ihnen helfen zu dürfen. Hab einiges über Ihr Abenteuer gehört. Er stahl den Tark. Er nahm Ihr Schiff. Und nun sind Ihnen auch noch die ’Sko auf den Fersen.«

Er hat mein Schiff nicht genommen, nicht so, wollte Trilby sagen. Das war mehr so was wie Zusammenarbeit in gegenseitiger Übereinstimmung. Aber dann fiel ihr ein, wie sehr sich Geschichten veränderten, die mehr als einmal weitererzählt wurden. Sie zuckte die Achseln.

»Es war etwas beängstigend«, bestätigte sie seine Zusammenfassung der Ereignisse und folgte ihm den Korridor hinunter. Abgesehen von den Schildern auf Zafharisch sah Degvar nicht anders aus als die meisten Posten und Stationen, die sie kannte. Vielleicht etwas zweckmäßiger. Das dauernde Geblinke und Geflimmer, Gezirpe und Gebrabbel von Kontrollgeräten und Durchsagen, was die Hauptkorridore der meisten konklavischen Stationen durchzog, fehlte hier weitgehend.

Die Schottenwände von Degvar waren in einem unscheinbaren Grau gehalten, die Decke war ebenfalls grau. Die Türrahmen auf dem Dock waren rot. Als sie drei Stockwerke höher den Lift verließen, waren die Türrahmen gelb. Die Schlosspads waren größer und hatten zusätzlich kleine Tastenfelder. Auf diesem Deck gab es auffallend mehr bewaffnetes Personal.

In Grau die meisten, wie Mitkanos. Nur wenige trugen Schwarz wie Rhis und sein Team.

Sie war kurz davor nachzufragen, warum das so war, als Mitkanos vor einer großen Doppeltür mit einem gelben Kreis darauf stehen blieb. Er legte die Hand auf das Pad, dann drückte er mit dem Daumen ein paar Mal auf das Tastenfeld. Die Türen öffneten sich.

Zwei Offiziere in grauen Uniformen, ein Mann und eine Frau, saßen an den Konsolen. Die Frau drehte sich um, nickte Mitkanos zu und sagte etwas auf Zafharisch.

Er lachte und klopfte ihr freundlich auf die Schulter.

»Korporal Rimanava wird Ihnen behilflich sein«, erklärte er Trilby. Er bedeutete ihr, sich neben eine junge Frau zu setzen, deren langes schwarzes Haare zu einem dicken Zopf nach hinten geflochten war. Mitkanos wandte sich an den anderen Offizier, stütze sich auf dessen Rückenlehne ab und begann eine leise Unterhaltung.

»Korporal Rimanava?« Trilby streckte ihr die Hand entgegen, bevor sie sich auf den Stuhl setzte. »Mein Name ist Trilby Elliot. Captain der Careless Venture

»Farra Rimanava.« Sie erwiderte Trilbys Händedruck mit einem breiten Lächeln. »Setzen Sie sich bitte. Ich habe verstanden, Sie müssen eine Nachricht nach Gensiira schicken. Auf Konklavisch, vad?« Sie sprach etwas stockend, als ob sie nach den passenden Worten in Standard suchte.

Trilby reichte ihr Neadis Übermittlungscode. Dass Farra Rimanava oder besser gesagt das Imperium die Generalcodes für Gensiira und Port Rumor hatte, überraschte sie nicht wirklich.

Farra zeigte Trilby, wie sie die Holokamera auf der Konsole steuern konnte, was sich nur marginal von der Bedienung anderer Kommsysteme, die sie kannte, unterschied. Wie gesagt, lediglich die zafharischen Bezeichnungen …

»So beenden Sie die Aufzeichnung«, erklärte Farra und zeigte auf ein quadratisches Pad. »Falls Sie mögen, kann ich Ihnen inzwischen gerne einen Tee zubereiten. Dann haben Sie etwas mehr Privatsphäre, vad?«

»Das geht schon in Ordnung.« Trilby winkte mit der Hand ab. »Es wird nur eine kurze Nachricht.«

»Dann warte ich, und wir können gemeinsam mit Yavo einen Tee nehmen, wenn Sie fertig sind. Meine Schicht ist gleich zu Ende.«

Trilby aktivierte die Holocam und begann, ihre Nachricht aufzuzeichnen. Es gebe gute und schlechte Neuigkeiten, sagte sie Neadi. Dass sie in ein ’Sko-Nest getreten sei, jetzt aber in Sicherheit hinter der Grenze in Yanir wäre.

»Ich werde in zwei Minuten mit zwei imperialen Offizieren meinen Tee nehmen«, sagte sie und lächelte Farra kurz an. »Also ist vorerst alles in Ordnung. Lasst bitte Leonids Cousin meinen Bagrond-Auftrag ausführen.« Sie nannte Kontaktnamen und Vertragsdetails.

»Ich habe keine genauen Angaben zu meiner Rückkehr. Hier gibt es große Anteilnahme am Schicksal von Carina. Sie gehen davon aus, dass das Nest, in das ich getreten bin, etwas damit zu tun hat.« Mehr wollte sie nicht preisgeben.

»Ich melde mich wieder. Mach dir keine Sorgen. Sag Leonid und Chaser, mir geht’s gut. Liebe Grüße auch von Dezi.«

Sie war müde, aber der Tee war exzellent, stark mit würzigem Aroma. Das vertrieb ein wenig die Spinnweben aus ihrem Kopf und brachte ihren Blutdruck etwas auf Trab. Bis Rhis wiederkam, würde es noch ein paar Stunden dauern. Falls er seine dringende Sitzung früher beendete, würde ihm sicher jemand sagen können, wo sie zu finden war.

Sie saß mit Farra und Yavo Mitkanos an einem Tisch in einer Ecke der Offizierslounge, einem langen Raum, der sich um den äußeren Ring der Station legte. Die Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, gewährten Aussicht auf das unendliche Schwarz des Universums. Sie sah grade noch die Blinklichter eines kleinen Raumfahrzeugs aus dem Sichtfeld gleiten.

Sonst war niemand in der Lounge. Sie zählte elf Tische und sechs Stühle an der Bar. Daneben das Buffet mit einigen Nahrungs- und Getränkereplikatoren.

Der Tee war ganz frisch aufgebrüht. Sie nippte genussvoll und fragte Mitkanos, was es mit den grauen Uniformen auf sich hatte.

»Bodentruppen«, sagte er und tippte gegen das Abzeichen mit den beiden gekreuzten Schwertern auf seiner Brust. »Wir selbst bezeichnen uns als Stegzarda. Stegzarda bedeutet in Ihrer Sprache vielleicht so was wie Schlagkräftige. Wir unterstützen die imperiale Flotte, wenn es zu Grenzkonflikten kommt.«

Farra nickte zustimmend. »Ganz besonders, wenn es wie jüngst zu jhavedzga kommt.«

»Übergriffen«, übersetzte Mitkanos.

»Vad. Übergriffen der Ycsko. Deshalb ist Gurdan mit seinen Leuten hier. Und bald kommt die Razalka

Mitkanos schnaubte verächtlich.

»Onkel!« Farra schlug ihm spielerisch auf den Arm.

»Nichte!«, antwortete er und lachte.

Trilby entdeckte den gleichen breiten Mund und die gleichen Kinnlinien bei Farra, die ihr schon bei Yavo Mitkanos aufgefallen waren. »Er ist Ihr Onkel?«, fragte sie.

»Vad. Ja. Und der Grund, weshalb ich hier bin.« Sie schickte ihm einen Luftkuss.

»Glauben Sie, ich überlasse das Kind meiner Schwester einfach der Flotte? Und warte ab, was meine Farra-Chenka bei der Flotte lernt? Lernt sie Denken? Nein. Nur Befehlen zu gehorchen. Den Befehlen Tivahrs des Teuflischen. Oder sie muss sich vor den Nachstellungen irgendeines Admiralssöhnchens retten, der seine Finger nicht von Frauen lassen kann.«

»Es gibt Hunderte von Schiffen. Die Flotte ist groß.« Farra bemühte sich, ernst zu klingen, doch sie musste zwischendurch immer wieder kichern. »Mein geliebter Onkel Yavo. Er hat’s nicht so mit der Flotte.«

»Arrogante Prahlhansel!« Mitkanos machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann deutete er auf Trilby. »Frag sie, sie hat es gerade erlebt. Ich vermute, der Herr betrat ihr Schiff und hat sich erst mal lautstark über alles beschwert.«

»Er betrat es nicht, er wurde getragen«, sagte Trilby mit einer gewissen Belustigung. Vielleicht kam Rhis’ Arroganz ja wirklich von irgendeinem Zusatz, den die Flotte ins Trinkwasser kippte. Mitkanos hatte auf jeden Fall auch ein paar Schluck davon abbekommen. Höchstwahrscheinlich lag das an den Rivalitäten innerhalb des Militärapparats. Branchenkrieg sozusagen. Sie erinnerte ähnliche Verbalscharmützel zwischen den Leuten von Norvind und GGA.

»Getragen? Das hat er zugelassen?« Mitkanos riss verwundert die Augen auf.

»Er war bewusstlos. Lag kopfüber im Sumpf, mitten im Dschungel. Aber stimmt, als er aufwachte, stellte er sofort klar, was für eine Zumutung mein elender Schrotthaufen ist und dass er so was nicht gewohnt sei.«

Sie grinste. Das ganze Theater, das Rhis veranstaltet und womit er sie in Rage gebracht hatte, kam ihr aus jetziger Sicht fast liebenswert vor.

»Auf einem Schiff wie der Razalka wird man eben leicht zum verwöhnten Kind«, sagte Farra verständnisvoll.

Mitkanos schnaubte. »Die Razalka ist kein Schiff. Das ist ein Königreich. Tivahrs Königreich. Er ist der Herrscher und gelegentlich – ja, auch das – der Vollstrecker.«

Trilby bemerkte die Entrüstung in seiner Stimme. Wie hatte er den Captain der Razalka genannt? Tivahr den Teuflischen. Kein Wunder, dass Rhis so lange gebraucht hatte, um locker zu werden und auch mal zu lachen. »Aber er ist doch nur der Kapitän«, sagte sie.

»Commodore«, berichtigte Mitkanos. »Die meisten Admiräle fürchten ihn. Aus gutem Grund.«

»Wieso machen sie das mit? Wenn er ein solcher Tyrann –«

»Sie haben ihn erschaffen.« Mitkanos legte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich zu Trilby vor.

Farra schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.

»Sie haben ihn vor vierzig … nein … vor zweiundvierzig Jahren erschaffen. Ich weiß, entsprechende Gerüchte machten auch bei den Konklaven die Runde. Er ist … wie nennen Sie das? Wie kam die Jungfrau zum Kinde? Er ist ein Experiment! Ausgebrütet in den Genlaboren, zusammengekocht nach irgendeinem Rezept, wie eine Boulashka

Trilby nickte. Sie konnte sich dunkel an irgendwelches Gerede während des Kriegs erinnern. Tivahr wurde nachgesagt, eine Art Supermensch zu sein. Stärker. Schneller. Schlauer. Inzwischen war Genmanipulation auf beiden Seiten der Zone verboten. Im Imperium war das geradezu eine Todsünde, wie ihr Leonid mal lang und breit erklärt hatte. Familiengeschichte und Stammbaum waren heilig. Ein künstlich erzeugter Mensch, zusammengemixt aus Genen unterschiedlichster Herkunft in einem Reagenzglas, entsprach nicht dem imperialen Ideal eines reinen Stammbaums.

»Einige Leute behaupten, in seinen Adern fließt Vanushavor-Blut. Andere behaupten, auch vanurisches«, fuhr Mitkanos ruhig fort. »Aber die Liste ist noch viel länger, also weiß man nicht wirklich, was er ist. Oder wer er ist. Aber er geriet ihnen stärker und schlauer als gewünscht. Und nun werden sie ihn nicht mehr los.«

»Nicht mal die Ycsko haben ihn kleingekriegt«, merkte Farra an.

»Ich hab x-mal gegen die ’Sko gekämpft und gewonnen«, brüstete sich Mitkanos und klopfte sich auf die Brust. »Die Siege meines Zuges waren glorreich. Die gesamte Stegzarda ist für ihre Tapferkeit berühmt.«

»Genau wie die Flotte. Hier auf Degvar arbeiten wir mit ihr zusammen, Onkel.«

Trilby fragte sich, ob Farra vielleicht auf irgendeinen der schwarz Uniformierten ein Auge geworfen hatte. Trilby kannte das Gefühl nur zu gut. Sie konnte sich vorstellen, dass ihre Freunde zu Hause in Rumor über ihre Liaison mit einem zafharischen Offizier nicht besonders glücklich sein würden. Genauso wenig wie Mitkanos über Farras Affinität zu den schwarz Uniformierten.

Mitkanos sagte etwas auf Zafharisch zu Farra. Trilby kamen ein paar Worte bekannt vor, doch ihr Kopf war zu müde, um sie zu übersetzen.

Er wandte sich ihr mit einem einnehmenden Lachen zu. »Ich entschuldige mich. Ich vergaß, dass Sie mich nicht verstehen können. Ich sagte zu meiner Nichte, dass wir tapfer sind, weil wir … wie lautet das Wort? … eine Einheit sind. Eine Familie. Wir Stegzardas sind durch gegenseitiges Vertrauen miteinander verbunden. Loyalität. Aber die Razalka wird nur durch Angst zusammengehalten. Das ist ein Unterschied, nicht wahr?«

Trilby kam Grantforth Galaktik Amalgam in den Sinn. Sie hatte Jagans Einstellung kennengelernt, nach der man die Angestellten der Familie wie Lakaien zu behandeln hatte. Eine der vielen Marotten, die sie nur schwer ertragen hatte. Deshalb war es ihr letztlich auch gar nicht so schwergefallen, Jagan mitsamt seinen Schmeicheleien und noblen Geschenken den Rücken zu kehren. Die Geschenke hatte sie ihm alle zurückgegeben. Das waren keine schönen Szenen gewesen.

Sie nickte. »Wir haben auch unser Päckchen an Tyrannen zu tragen, Major. Ich versuche ihnen so gut es geht aus dem Weg zu gehen.«

Mitkanos klopfte ihr auf den Handrücken. »Aber zum Glück hatten Sie ja nur kurz mit ihm zu tun. Und jetzt können Sie nach Hause fliegen und all ihren Freunden erzählen, dass Sie vier oder sogar fünf Tage allein mit Tivahr dem Teuflischen auf einem Schiff waren und überlebt haben. Das macht gewiss mächtig Eindruck.«

Aber Tivahr war doch gar nicht …, wollte Trilby ausrufen, doch unvermittelt schwieg sie. Etwas Unheilvolles, Kaltes und Furcht einflößendes legte sich plötzlich um sie wie ein eisiger Hauch. Die Überraschung, mit der Mitkanos darauf reagiert hatte, dass Rhis an Bord der Venture getragen worden war. Und kurz vorher hatte er gesagt: Er nahm ihr Schiff. Es war die Art, wie er Er sagte. Mit einem großen E. Unterstrichen. Hervorgehoben. Als wäre es – genau wie beim der – fester Bestandteil des Namens.

Der Commodore Tivahr. Sie schloss für einen Moment die Augen, ihr Kopf spielte verrückt. Dann spürte sie Mitkanos’ große Hand auf ihrem Arm »Nichte, wir haben sie überanstrengt. Sie hatte viel Stress. Erst hat sie Captain Tivahr an Bord, und jetzt komm ich und mach ihr Angst.«

Tivahr. Auf meinem Schiff. Tivahr.

Sie schlug die Augen auf. »Er sagte, er heiße Vanur.« Ihre Stimme klang dünn. »Nicht … Tivahr. Rhis Vanur.«

Farra und ihr Onkel tauschten kurz Blicke aus. Mitkanos rutschte ein leiser, kehliger Fluch über die Lippen.

Trilby lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Mitkanos zog die Hand fort. Auch ihr schossen ein paar derbe Schimpfworte durch den Kopf, aber sie hatte nicht die Kraft, sie auszusprechen.

»Khyrhis Tivahr«, sagte Mitkanos leise. »Auf meinen Bildschirmen habe ich gesehen, wie er über die Rampe aus Ihrem Schiff kam.«

Farra stellte ihm kurz eine Frage auf Zafharisch.

»Das weiß ich doch nicht«, antwortete er auf Standard. »Captain Elliot, es sieht so aus, als habe sich unser Gespräch etwas zu rasch entwickelt. Ich hatte keinerlei Hinweise von ihm«, er blickte kurz zu Farra hinüber, »dass Sie nicht im Bilde waren, wer er ist. Er hat auch während der Gespräche von Ihrem Schiff aus mit unserer Station keinerlei Versuche unternommen, seine Identität zu verbergen. Er hat mehrfach seinen Namen genannt. Ich war selber im Dienst. Ich habe ihn gehört.«

Sie erinnerte sich, wie sie auf der Brücke versucht hatte, dem Gespräch zu folgen. Aber sie hatte kaum was verstanden. Höchstens mal Dock oder Fahrplan. Und Namen: Razalka. Vanushavor. Tivahr.

Sie schüttelte den Kopf. »Er sprach zafharisch.« Sie lächelte matt. »Mehr als vad, nav und dharjas taf oder viek kann ich davon nicht verstehen.« Und natürlich jav cheron, erinnerte sie ein zartes inneres Stimmchen. Sie brachte es sofort zum Verstummen.

Farra fragte wieder irgendetwas auf Zafharisch.

»Nein«, sagte Mitkanos. »Er hat keinerlei Sicherheitsstufen für sie verhängt.«

Trilby runzelte die Stirn. Sie hatte seine Antwort nicht begriffen.

»Meine Nichte dachte, er habe seine Identität vor ihnen verborgen, weil Sie Konklavierin sind. Aber dann hätte man Sie nicht vom Schiff gelassen. Ihnen untersagt, die Station zu betreten. Ihr Status wäre Sicherheitsstufe drei oder höher. Mir hat er gesagt: keine Sicherheitsstufe. Und klar, ich habe mir die Anweisung von ihm bestätigen lassen. Ich bin nicht umsonst seit drei Jahren Sicherheitschef der Stegzarda. Bei so was pass ich auf.«

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Tivahrs Befehl war absolut klar und eindeutig. Keine Sicherheitsstufe für Dasja Captain Elliot.«

»Dann ist doch alles in Ordnung, Onkel.« Farra hob ihre Tasse und trank den Tee aus. »Vielleicht aus Rücksicht. Captain Tivahr wollte sicher vermeiden, dass Captain Elliot sich vor ihm fürchtet.«

»Warum sollte er denn auf Captain Elliots Gefühle Rücksicht nehmen wollen?«, widersprach Mitkanos. »Er lebt doch von der Furcht. Höchstens, weil er annimmt, Sie, Captain Elliot, nur so für seine Pläne gewinnen zu können. Er ist Meister darin, Menschen zu manipulieren. Aber wie auch immer, Sie verdanken ihm auf jeden Fall eine tolle Geschichte zum Weitererzählen. Das ist doch was, nicht wahr?« Er nahm seine und Farras leere Tassen. »Kommen Sie, meine Nichte und ich begleiten Sie hinüber zu Ihrem Schiff, und dabei unterhalten wir uns über erfreulichere Dinge. Tivahr ist jetzt wieder unser Problem. Nicht mehr Ihres. Ihre Schwierigkeiten sind vorbei.«

Sie wickelte sich in den lila Quilt und kroch wie eine Raupe bis ans Kopfende des Bettes. Sie konnte an nichts anderes denken als an das, was sie über Tivahr den Teuflischen erfahren hatte. Herrscher und gelegentlicher Scharfrichter auf seinem eigenen Schiff. Und ein meisterlicher Menschenmanipulator.

Sie starrte den Stuhl an, der auf dem Boden verankert war. Vielleicht fühlte es sich befreiend an, den Stuhl aus der Verankerung zu reißen und gegen irgendetwas krachen zu lassen. Vielleicht gegen die Bordwand.

Oder gegen den Commodore Tivahr. Sollte er es wagen, noch einmal durch diese Kabinentür zu treten.

Das war endlich ein erfreulicher Gedanke, bei dem sie erschöpft einschlief, eingemummelt in den lila Quilt, der die herabrinnenden Zornestränen auffing.