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Er wusste, wo er war. Er erkannte die korrodierten Metallwände und den verdreckten Steinboden. Seine Zelle auf Szedcafar.
Aber diesmal saß Rafi da, in voller Uniform. Goldborte auf der Schulter, glänzende Medaillen auf der Brust. Und Malika, aufreizend in hautengem schwarzen Catsuit. Edelsteinschmuck baumelte an ihren Ohren und tanzte um ihre Handgelenke.
Und eine andere Frau, kleiner als Malika. Silberblondes Haar, verwaschener grüner Overall. Sie trug keine glitzernden Medaillen, keinen Schmuck. Doch neben ihrer Schlichtheit wirkte Rafi prahlerisch und Malika grell und aufgedonnert.
Das rote Glühen des Kraftfeldes pulsierte um sie herum. Sie waren Gefangene. Er wusste, dass sie fliehen mussten, aber Malika wollte nichts davon hören. Sie lachte ihn aus und streichelte neckend sein Gesicht.
Er schlug verärgert ihre Hand weg, dann sah er wieder die Frau in Grün. Sie stand auf der anderen Seite einer tiefen Schlucht, die mitten durch den Fußboden führte, und griff nach ihm. Sie erinnerte ihn an eine der Feen aus seinen Kindergeschichten. Oder an die Gelfaia-Elfen aus den Faytari-Legenden der Funkenwelten, angebetet von den ’Sko wegen ihrer fragilen Schönheit.
Er rief ihr etwas zu, aber sie schien ihn nicht zu hören. Jetzt wollte sie ihm helfen. Irgendwie spürte er das. Er versuchte an den Rand der Schlucht zu gelangen, aber Malika hielt ihn am Arm fest.
»Sie ist gewöhnlich«, zischte sie böse. »Von niederer Herkunft. Verunreinige dich nicht durch Berührung.«
»Sie kann helfen«, sagte er zu Malika und sah Rafi flehend an. Aber Rafi zuckte nur mit den Achseln und schaute weg.
Plötzlich waren die Ycsko da, sieben an der Zahl. Sie wirkten wie Skelette im Gegensatz zu ihren sich aufblähenden Umhängen. Die Funkenfee rief ihm kurz etwas zu. Es klang wie eine Warnung.
Neben ihm begann Malika erneut zu lachen, höher diesmal, fast hysterisch. Sie drückte dem rot gewandeten Ycsko irgendetwas in die Hand. Einen Zylinder. Ein Hypospray.
Er sah es näher kommen und wusste, wenn es erst mal seinen Nacken berührte, würden die Schmerzen beginnen, sich in seinem ganzen Körper ausbreiten und ihm schließlich den Verstand rauben. Er wollte, dass es aufhörte, mit der ganzen Kraft seines Willens stemmte er sich dagegen …
Er riss die Augen auf. Das gleißende Weiß der Wände drang auf ihn ein, blendete ihn. Er krümmte sich vor Schmerz, aber lautlos. Immer schön lautlos.
Dann verschlang ihn die Dunkelheit, und er schlief.
Einige Zeit später flatterten erneut seine Lider, diesmal behutsamer, sodass die Pupillen sich langsam an die Helligkeit gewöhnen konnten. Das Licht wirkte jetzt nicht mehr so grell wie vorhin, bohrte sich aber dennoch wie tausend Stecknadeln in sein Hirn.
Er zwang sich, alle Regungen seines langsam munter werdenden Körpers zu unterdrücken und nur Wahrnehmungen durchzulassen. Die Erinnerung an die kurze Gefangenschaft bei den ’Sko kehrte zurück, mit all den Schmerzen, den Drogen und Verhören. Dann nahmen seine Ohren ein tiefes Rauschen und Summen um ihn herum wahr. Das klang nicht nach dem hohen, hell erleuchteten Verhörzimmer, an das er sich erinnern konnte.
Er öffnete die Augen einen winzigen Spalt und erblickte als Erstes die Regenerationsglocke über seinem Körper.
Er war auf einer Krankenstation, einer kleinen. Noch dazu erbärmlich ausgerüstet. Seine Regenerationsliege war die einzige hier.
Er sehnte sich danach, seinen Kopf zu drehen, seine Armmuskeln anzuspannen und das verdammte Dauerjucken von seinen Wunden zu kratzen. Aber seine Sinne warnten ihn, dass noch jemand im Raum war. Er war noch nicht bereit sich zu erkennen zu geben. Nicht, solange er nicht wusste, wo er war und warum.
Jahrelanges Training hatte ihn gelehrt, Schlaf so vorzutäuschen, dass nicht mal die Regenerationsgeräte irgendeine Veränderung seines Herzschlags oder seiner Atmung registrierten. Mittlerweile nahm er seine Umgebung vollständig wahr. Automatisch schätzte er seine Position ab. Von ihm bis zur linken Wand grob geschätzt zwei Meter. Rechts war die Wand vielleicht einen Meter fünfzig entfernt – höchstens fünf Zentimeter mehr. Da hing ein kleines Schiffsdiagramm, Leuchtdioden zeigten Fluchtwege, Erste-Hilfe- und Brandschutzausstattung an.
Er prägte sich das Diagramm gut ein.
Er erkannte eine Türöffnung, eher eine Luke, Entfernung etwa zwei Meter zwanzig von seiner rechten Schulter.
Ein metallhäutiger Droide, ein alter DZ-9 – er musste milde lächeln – stand neben der Luke, ein Lasergewehr fest in der Hand. Seine Gelenke quietschten jedes Mal, wenn er sich umwandte, um aus der Tür in den Korridor oder auf die medizinischen Geräte zu schauen.
Er fragte sich, seit wann Droiden beim Sicherheitsdienst eingesetzt wurden? Und von wem?
Wenn das das einzige Hindernis darstellte … doch da war ein Geräusch. Schnelle Schritte näherten sich – auf einem Metallboden. Der Hall dieser Schritte, Klang für Klang, verriet ihm, das nur eine Person im Anmarsch war. Er nahm keine weiteren Geräusche wahr und keine weiteren Leute außer dem Droiden und dem Herannahenden.
Er konzentrierte sich auf den Rhythmus der Schritte und berechnete ihre Länge. Wer auch immer da gleich auftauchen würde, war eher leicht und von kleiner Gestalt. Vermutlich weiblich.
Das war sie. Als die Frau den Raum betrat, fing sich das Oberlicht in ihren kurzen Haaren und schimmerte golden. Rafi hätte ihr Gesicht als gewinnend beschrieben, lieblich, mit großen Augen und langen Wimpern. Ihr Mund hatte genau diesen gewissen Touch von Trotz. Aber der befehlshabende Captain Rafiello Vanushavor war ja auch ein unverbesserlicher Frauenheld, wohl bewandert im Katalogisieren von weiblichen Reizen.
Im Gegensatz zu Rafi verstand er selbst sich mehr auf Waffen und Strategien. Weibliche Reize waren für ihn unbedeutend. Seine Begegnung mit Malika hatte ihn gelehrt, wie oberflächlich solche Einschätzungen sein konnten. Und wie schmerzhaft falsch.
»Wie geht es ihm heute Morgen?« Die Frage weckte seine Neugier. Sie sprach Standard. Er begriff sofort, dass er sich auf der falschen Seite der Zone befand.
»Immer noch ohne Bewusstsein«, antwortete der Droide. »Aber die Albträume haben aufgehört.«
»Ich versteh nicht, warum er immer noch weggetreten ist. Wann hast du zum letzten Mal die Werte geprüft?«
»Vor zehn Minuten. Aber die innere Diagnostik ist leider wieder offline. Ich kann mit dem Medistat Handmessungen vornehmen, falls Sie genau wissen wollen, was los ist.«
Sie seufzte müde. »Vielleicht sollte ich das.«
Der Droide wandte sich dem Interface mit der kleinen Konsole neben der Tür zu. »Das Medistat wird die Testresultate in dreiundvierzig Sekunden zur Verfügung stellen, Captain.«
Captain? Sie war zu jung, um diesen militärischen Rang zu bekleiden. Irgendwas in den Zwanzigern? Mit fast geschlossenen Augen war es schwierig, ihr richtiges Alter einzuschätzen, aber er konnte ihre Umrisse vor den weißen Wänden des Raumes gut erkennen. Das Uniformhemd bis zur Taille aufgeknöpft, die Ärmel hochgekrempelt. Das ärmellose gerippte T-Shirt darunter umspannte eng ihre Brüste. Die Rundungen ihrer Hüften und ihres Hinterns füllten die ausgebeulte Hose anständig aus. Ein breiter Werkzeuggürtel sackte ihr fast über die schmalen Hüften, heruntergezogen von der schweren Laserpistole und diversen daran baumelnden Ersatzteilen. Das war nicht die Uniform einer Schiffsärztin.
Sie kam näher und betrachtete das Display. Er roch einen süßen, leicht moschusartigen Duft nach Blumen und parfümiertem Puder.
»Wir sollten ihn vielleicht ein bisschen stimulieren. Ich kann hier nichts entdecken, was mir erklärt, warum er noch ohne Bewusstsein ist.«
»Vielleicht hat er übermäßig starke Schmerzen.«
So war es. Er nutzte den Schmerz als Fokussierungspunkt. Er hatte fast sein ganzes Leben mit Schmerzen verbracht, und mit der Disziplin, die das ermöglichte.
Auch seine Macht war ganz selbstverständlich für ihn. Er hatte immer die Kontrolle. Und würde sie bald wieder haben. Sie musste nur noch ein bisschen näher kommen.
Er verlangsamte willkürlich seinen Herzschlag und seine Atmung, so, wie er es vor über dreißig Jahren gelernt hatte. Nur noch ein paar Sekunden, nur noch ein bisschen näher …
Ein Warnlämpchen am Regenerator begann plötzlich rot zu blinken.
»Verdammt, was ist los?« In ihrer Stimme schwang eine Spur Panik mit.
»Eine Herzrhythmusstörung.« Der Droide ging um den Regenerator herum. »Ich kann nicht einschätzen, wie schlimm es ist.«
Plötzlich leuchteten die Warnlampen und Anzeigen alle noch einmal auf, dann schaltete sich die gesamte Regenerationseinheit ab.
»Mist, was hast du gemacht?«
»Ich habe nichts gemacht. Ich wollte bloß die Messungen kalibrieren.«
»Verflucht noch mal, er atmet nicht mehr!« Sie löste die Arretierung der Glocke und schob sie zur Seite.
Er spürte ihre Hand an seinem Hals, ihre Finger tasteten sanft nach seinem Puls. Ihre Stimme klang angespannt in seinen Ohren. »Wage es ja nicht, mir einfach zu krepieren, du undankbarer pillorischer Hurensohn! Ich hab schon genug Ärger am Hals, ich –«
Mit unfehlbarer Präzision griff er zu. Eine Hand packte ihren Hals, mit der anderen schnappte er sich ihr linkes Handgelenk und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie verlor das Gleichgewicht, kippte nach vorne und fiel auf seinen Brustkorb.
Ihr gellender Aufschrei durchfuhr ihn wie eine menschliche Alarmsirene.
»Yagash! Ruhe!« Rasch übersetzte er sein harsches Kommando in ihre Sprache. Solange er sie unter Kontrolle hatte, hatte er auch den Droiden unter Kontrolle. Um den Rest der Besatzung würde er sich später kümmern. Kundig ertastete seine Hand die empfindliche Hauptschlagader an ihrer Kehle. »Wenn du dich rührst, ist sie tot!«
Der Droide stand da wie betäubt, nur seine metallenen Arme zuckten hilflos. Das Lasergewehr in seiner Hand rasselte leicht dabei.
»Was soll das denn, das ist doch nicht nötig.« Ihre Stimme klang dünn, gedämpft von seinem nackten Brustkorb. Er bog ihren Arm etwas weiter nach oben. Sie schrie auf vor Schmerz.
»Bitte tun Sie ihr nicht weh.« Das Flehen des Droiden klang fast weinerlich.
»Waffe runter.« Er setzte sich auf und presste die Frau mit stählernem Griff an sich. »Fallen lassen und wegstoßen. Raus damit vor die Tür!«
Es gab ein metallisches Geräusch, als das Gewehr zu Boden fiel, und ein kratzendes Scheppern, als es quer durch den Raum Richtung Tür schlidderte.
»Jetzt komm her.«
»Sir?«
»Hierher! Wird’s bald!« Inzwischen hatte er sich aufrecht hingestellt und lehnte nun an der Bettkante. Er wirbelte sie mit einem kurzen, harten Ruck herum, sodass sie nun den Droiden anschaute. »Nimm ihr Gürtel und Holster ab, sofort!«
»Warten Sie!« Die Frau wand sich in seinem harten Griff und versuchte ihn anzusehen. »Sie brauchen doch nicht …«
Rasch umklammerten seine Finger ihren Kiefer wie ein Schraubstock und zwangen ihr Gesicht wieder in Richtung des Droiden. »Sag ihm, er soll dir den Gürtel abnehmen.«
»Hören Sie doch, Sie verstehen nicht!« Sie presste ihre Worte unter Schmerzen hervor. »Dezi, sag ihm –«
»Captain, vielleicht ist jetzt nicht der passende Moment für eine Diskussion. Mein Wissensspeicher ist zwar nicht hundertprozentig präzise, aber wie es scheint, hält er Sie entweder im lähmenden G’zhen-Dai-Griff, gerne angewandt von den Kriegsmönchen auf Dakrahl …«
»Dezi!«
»… oder im tödlichen Tah-Fral-Griff, für den die Meuchelmörder des Despi-Schuld-Ordens berühmt sind. Unglücklicherweise sind meine Daten zu beiden Griffarten unvollständig.«
»Aber er braucht doch gar keine –«
»Den Gürtel«, befahl er streng. »Nimm ihn ihr ab!«
Der Droide trat vorsichtig näher und öffnete die Gürtelschnalle. Der Gürtel fiel scheppernd zu Boden.
»Raus damit, durch die Tür.«
Der Droide tat wie befohlen und schaute ihn dann erwartungsvoll an.
»Jetzt leg dich auf den Diagnosetisch.«
»Aber, Sir, ich bin nicht verletzt, und diese Geräte reagieren auch gar nicht auf –«
»Hinlegen! Sofort!«
Der Droide kletterte steifbeinig auf die Liege.
»Leg dich flach hin und zieh die Glocke über dich.«
Mit einem leisen Fauchgeräusch glitt die Regenerationsglocke an ihrer Schiene entlang, bis sie genau über dem Droiden hing.
»Gut.«
In einer einzigen schnellen Bewegung ließ er kurz ihren Arm los, arretierte die Glocke und zog die Frau erneut stramm an seinen Brustkorb. Eine Hand hielt immer noch ihre Kehle umfangen. Mit der anderen umschlang er sie und fixierte ihre Arme fest an ihren Hüften. Er brachte seinen Mund ganz nah an ihr Ohr. Wieder fiel ihm ihr eigenartiger Blumenduft auf.
»Versuch irgendwelche Tricks, nur irgendetwas, und du bist tot.« Er spürte unter seinen Fingerkuppen, wie die Angst ihren Puls in die Höhe trieb.
»Sie … brauchen sich wirklich nicht …«, ihre Stimme war nur noch ein ersticktes Röcheln, »… so aufzuführen.«
»Los jetzt!« Er stieß sie vorwärts zur Luke, wo sie stehen blieben. »So. Ich werde jetzt deine Arme loslassen. Für eine Sekunde. Um die Waffen aufzuheben. Aber ich hab immer noch meine Hand an deiner Kehle. Tu also nichts Unüberlegtes.« Seine Fingerkuppen drückten sich fester in ihre Haut. »Hast du mich verstanden?«
Sie bekam kaum Luft. Unter Schmerzen ächzte sie Zustimmung.
Er zog sie mit sich nach unten und schnappte sich Gewehr und Gürtel. Schnell schulterte er das Lasergewehr, vergewisserte sich, dass seine Hand ihre Kehle weiterhin fest im Griff hatte, und zog die Pistole aus ihrem Gürtelholster. Dann ließ er den Gürtel achtlos auf den Boden fallen und presste die Frau erneut mit Nachdruck an sich.
Die Bewegungsabläufe hatten ihn Kraft gekostet. Eine glühende, stechende Hitze schoss ihm den Nacken hoch. Zischend rang er nach Luft. Er hatte jetzt keine Zeit für so was. Er konzentrierte sich. Spannte seinen Körper an. Und fühlte ihre weichen Haare direkt an seiner Brust. Die feste Rundung ihres Hinterns an seinem …
Hölle und Teufel! Er war splitternackt.
Sein Plan war, sie zur Brücke zu zerren und zu erzwingen, dass sie das Schiff nach seinen Anweisungen flog, doch das ging so nicht. Verlegen trat er einen Schritt zurück und drückte ihr rasch die harte Mündung der Pistole in den Rücken.
Die Parallele – und höchst peinliche Ähnlichkeit – zu dem, was er eben noch gegen sie gepresst hatte, war ihm durchaus bewusst. »Geh zwei Schritte geradeaus.« In seiner Stimme knirschte Unbehagen.
Vor ihnen war die Wand. Die Wand und der kleine Zeugspind.
»Aber –«
»Los!« Er stieß sie vorwärts. Sie stolperte nach vorn, er riss die Schranktür auf. »Hose!«
Sie nahm die Hose heraus und wollte sich umdrehen, um sie ihm zu geben. Rasch versetzte er ihr noch einen Stoß. Er hatte keinerlei Verlangen, ihre Reaktion auf seinen unbekleideten Zustand zu erleben. Oder auch die Reaktion seines Körpers auf ihren Anblick. »Du bewegst dich erst, wenn ich es sage. Und nur dann.«
Über ihre Schulter hinweg hielt sie ihm die Hose hin. Er riss sie ihr aus der Hand und versicherte sich, dass sie reglos zwischen ihm und dem halb offenen Spind verharrte. Dann manövrierte er schwankend erst ein Bein in die Hose, dann das andere.
Seinen Anordnungen folgend reichte sie ihm in gleicher Manier seine Jacke an und danach seine Stiefel. Er fuhr mit den nackten Füßen hinein und verzichtete darauf, die lästigen Verschlüsse festzuziehen.
Und jetzt, versuchen wir denselben Trick noch mal?
Er packte ihren Arm und zerrte sie rückwärts, doch sie überraschte ihn, indem sie den Schwung der Bewegung nutzte, herumfuhr und ihm direkt in die Augen sah. Ihr Blick sprühte vor Zorn.
»Ich weiß ja nicht, wem Sie hier was beweisen wollen …«
Närrin, dachte er, und dann: Aber eine mutige kleine Närrin.
»Still!« Rasch drehte er ihr den Arm auf den Rücken. Sie schrie auf und sackte gegen ihn. Er drückte ihr die Pistolenmündung fest in den Rücken, damit sie nicht vergaß, woran sie war.
»Jetzt vorwärts!«
Sie fluchte grimmig, aber unterdrückt. Er stieß sie in den Gang und hielt dann inne, warf schnell prüfende Blicke nach links und nach rechts. Der Korridor, glanzlos und grau, bestand aus gehämmerten Metallspanten an Boden, Wänden und Decke. Üblich bei den meisten Frachtern dieser Klasse. Kabelkanäle und sich windende Rohrleitungen führten direkt unter der Decke entlang. In Kopfhöhe glommen Leuchtbänder an den Wänden, vereinzelt unterbrochen von düsteren Abschnitten, wo durchgebrannte Dioden nicht ausgetauscht worden waren. Ein paar Schritte weiter hing ein viereckiger Intracom-Lautsprecher, notdürftig mit Klebeband an die Wand gepappt.
Er rief sich das Schiffsdiagramm von der Krankenstation ins Gedächtnis, das die Fluchtwege zeigte, die Erste-Hilfe- und Brandschutzausstattung. Was er hier sah, bestätigte seine Vermutung. Bei diesem Schiff handelte es sich zweifelsfrei um eine alte Circura Vier mit einer Mindestbesatzung von fünf Mann.
Gut, zwei davon kannte er bereits.
Mit einem groben Stoß dirigierte er sie Richtung Brücke. Ein Lichtschein weiter vorn kündigte das Ende des Korridors an. »Wie viele sind noch da?«
»Wie viele was?«
»Stell dich nicht blöd. Ich hab keine Geduld für so was.«
Sie versuchte sich trotz seines harten Griffes umzudrehen, um ihn anzusehen. Er packte eine Handvoll ihrer Haare und zerrte ihren Kopf wieder an seine Brust. »Wie viele?«
»Wie viele Droiden? Keine sonst.«
»Besatzung?«
»Nur Dezi. Nur dieser Droide. Das ist alles. Nur ich und der Droide.«
»Wann kommen die anderen zurück?«
»Welche anderen denn?«
Er schlang ihr die Arme um den Bauch und quetschte, bis sie japste. Er hätte ihr locker die Rippen brechen können – ein Leichtes, trotz seiner eigenen Verletzungen. »Verarsch mich nicht …«
»Was um alles in der Welt wollen Sie denn, verflucht noch mal? Was suchen Sie denn?«
»Den Rest der Crew!«
»Ich hab sonst keine Crew! Sie besteht bloß aus Dez und mir. Das ist die ganze Show. Himmel noch mal, das tut doch weh!«
Er rüttelte sie noch mehr und riss schmerzhaft ihren Kopf an den Haaren zurück. »Ihr fliegt niemals zu zweit eine Circura Vier. Das Schiff ist viel zu groß –«
»Das ist keine Vier, das ist eine Zwei!«
Er stutzte. Eine Circura Zwei? Bei allen Gottheiten, das Schiff musste eine fliegende Antiquität sein. Falls es überhaupt noch flog.
Jetzt lag die Luke zur Brücke direkt vor ihnen. Er blieb an der Öffnung stehen und lauschte nach irgendwelchen Lebenszeichen. Da er nichts Verdächtiges hören konnte, stieß er sie die Rampe hoch und auf die Brücke.
Was er auf der Brücke und auf den großen Sichtschirmen zu sehen bekam, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Dies war definitiv eine alte Circura Zwei. Die Brücke war winzig. Uralte Steinzeit-Computerteile und etwas zeitgemäßere Systeme waren nebeneinander-, aneinander- und durcheinandermontiert. So gut wie nichts davon schien ordnungsgemäß zu funktionieren. Die zerfetzte Sitzfläche des Kommandostuhls war mit Klebeband geflickt. Dünne schwarze Kabel schlängelten sich über die Steuerkonsole, provisorisch mit rotem Band zusammengehalten. Ein kleines Plüschtier, katzenviehartig mit großen Augen und Schnurrhaarbüscheln, baumelte an einem weiteren Stück des roten Bandes, das unter einer Stromleitung an der Decke festgeklemmt war.
Und sie befanden sich keineswegs im Weltraum. Sie waren auch nicht im Dock irgendeiner bekannten Station, geschweige denn in einem Raumhafen. Sie hockten gestrandet im riesigen Eingang von etwas, das eine große Höhle zu sein schien. Und der Nebel, der in der frühen Morgenluft aufstieg, deutete darauf hin, dass diese Höhle über einem dichten, tropischen Dschungel lag.
Es gab kein anderes Schiff, gab keine Menschenseele weit und breit.
Das Ganze war vollkommen widersinnig.
Er ließ ihre Haare los, riss sie herum und packte sie grob am Ellenbogen. Mit Nachdruck rammte er ihr die Pistole in die Rippen. »Kazat merash! Gdro deya?«
»Was?«
Er brauchte einen Moment, bis er schaltete. Er hatte sie wieder auf Zafharisch angeblafft. Er wurde nachlässig. Unerklärlicherweise. »Wo zum Henker sind wir?«
»Auf Avanar. Na ja, ich nenne es jedenfalls Avanar.« Ihr Blick verengte sich. »Was dachten Sie denn, wo Sie sind?«
»A-va-nar?« Der Name sagte ihm rein gar nichts.
»Genau.«
»Und wo liegt dieses Avanar?«
»Auf meinen Karten im Quadranten 84-YC-7. Gensiira-System. Etwa einen Trike von Port Rumor entfernt. Es ist ein kleiner Planet der H4-Klasse, unbewohnt. Es sei denn, man zählt die Blutfledermäuse und Vampirschnecken als Einwohner.«
Jetzt dämmerte es ihm. Eine unwirtliche, vor Hitze glühende Welt, auf der die Konklaven während des Kriegs ein paar Abwehrsensoren aufgestellt hatten. Noch bevor das Imperium Anstalten machen konnte, den Planeten zu vernichten, hatte die feuchtheiße, korrosionsfördernde Umwelt das gesamte Equipment unbrauchbar gemacht. Es war bei fast fünfzig Grad Hitze einfach im Sumpf verrottet.
Der gleißend helle, alles vernebelnde Dampf, den er durch die Anzeigeschirme sehen konnte, schien das zu bestätigen.
Er starrte auf die kleine Frau hinab, die vor ihm stand. Sie ging ihm nicht mal bis zu den Schultern.
Sie rührte sich, versuchte der Pistolenmündung auszuweichen, die ihr in die Rippen drückte. Er verstärkte den Griff um ihren Arm. »Wie viel haben sie dir gezahlt, damit du mich herbringst?«
Sie schaute ihn an, als würde sie an seiner Intelligenz zweifeln. »Ich hab Sie nicht hergebracht. Und niemand hat mich für irgendwas bezahlt. Sie sind hier mit Ihrem ’Sko-Tark runtergekommen und einfach auf meine Türschwelle geklatscht, ohne dass ich dabei auch nur ein Wörtchen mitzureden hatte. Also mach ich mich zur Bergung auf und rechne damit, schlimmstenfalls auf einen toten ’Sko zu stoßen, womit ich durchaus fertigwerden kann. Stattdessen finde ich Sie. Am Leben. Was hätte ich Ihrer Meinung nach tun sollen? Sie da liegen lassen? Als Festmahl für die heimische Flora und Fauna?«
Er entdeckte auf dem Ansichtsschirm in ihrem Rücken die Furche aus abgeknickten Palmen, als wäre ein langer großer Fuß einmal auf den Dschungel getreten. »Du willst mich also nicht nach Quivera schaffen und dem konklavischen Geheimdienst ausliefern?«
»Das wäre ziemlich bescheuert von mir, wenn man bedenkt, dass dort mindestens zwei Haftbefehle mit meinem Namen vorliegen.«
»Haftbefehle? Weswegen?«
Sie seufzte. »Der übliche Mist. Unautorisierter Codebruch, nachgewiesene Urkundenfälschungen, ein paar Anzeigen wegen Trunkenheit und ungebührlichem Benehmen. All die Teufelskreis-Karusselle, in die Low-Budget-Spediteure nun mal so reinrasseln.«
»Und du bist hier, weil … weil wegen Codebruch nach dir gefahndet wird?«
»Natürlich nicht«, antwortete sie empört. »Ich bin hier, weil ich endlich einen Verstärker für mein Com-Pack aufgetrieben habe. Irgendwo muss ich ihn ja schließlich installieren.«
Er starrte sie mit leerem Blick an. Irgendwie schien sein Verstand nur äußerst träge zu arbeiten.
Warum sollte eine Kopfgeldjägerin im Dienst der Konklaven diese unwirtliche Hölle als Reparaturstation ansteuern? Quivera verfügte schließlich über hervorragend ausgestattete Docks.
»Du reparierst hier dein Schiff?«, fragte er und deutete nach draußen auf den Dschungel.
Sie zuckte mit den Schultern und wand sich in seinem Griff, offenbar wurde es allmählich sehr unbequem für sie. Aber er konnte sie nicht loslassen, ehe er seine Lage richtig einzuschätzen vermochte. Im Moment ergab nichts einen Sinn.
»Ja, hier«, sagte sie. »Es ist billig, um nicht zu sagen umsonst. Es gibt keine Schnüffelnasen, die mir im Nacken sitzen und jede kleine Übertretung von was auch immer auf die Liste setzen und mir, ich zitiere, wegen ungenehmigten Umbaus Pfui-pfuis verpassen. Ich bin hier, weil ich hier nicht Gefahr laufe, die Beherrschung zu verlieren und irgendeinem Amtsschimmel eine reinzuhauen, sodass sie meinen renitenten Arsch für’n Deuce ins Minsec stecken, derweil sie natürlich weiter die horrende Hafengebühr kassieren.«
Er hörte ihr aufmerksam zu und erkannte das Kauderwelsch aus den zwielichtigen Spelunken rings um die billigen Frachterdocks der konklavischen Häfen. Eine Schnüffelnase war ein Inspektor. Ein Pfui-pfui war ein behördliches Bußgeld. Mit Minsec war die Minimum-Security-Zelle des Hafengefängnisses gemeint, der Ort, wo die Mannschaften der diversen Frachter üblicherweise ihren Rausch ausschliefen. Und ein Deuce bedeutete zwei Tage.
Endlich fiel der Groschen. Dieser kleine Hitzkopf, der zu ihm hochstarrte und sich in seinem Griff wand, stellte keinerlei Bedrohung für ihn dar. Dazu war sie überhaupt nicht in der Lage. Sie war einfach bloß eine gewöhnliche Billigfrachterpilotin, die sich ganz blauäugig ziemlichen Ärger aufgehalst hatte, indem sie ihn vom Dschungelboden auflas.
Kurz entschlossen ließ er ihren Ellbogen los und deutete mit dem Lauf der Pistole auf den Kapitänssessel. »Hinsetzen!«
Sie setzte sich und streckte behutsam Nacken und Rücken.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ein unangenehmes Schuldgefühl beschlich ihn. »Es … ähm … offenbar handelt es sich um ein Missverständnis«, setzte er unbeholfen an. Er war nicht der Typ, der sich entschuldigte. Aber er war sonst auch nicht der Typ, dem Irrtümer unterliefen.
»Ein Missverständnis? Himmel Arsch! Sie hätten mich fast umgebracht.«
»Ich dachte … ich musste davon ausgehen, dass Sie eine Kopfgeldjägerin sind, die mich nach Quivera zurückbringen will.«
»Der Krieg ist seit drei Jahren vorbei, werter Herr Zauberer. Schon mitbekommen?« Sie ließ ihrem Unmut jetzt freien Lauf. »Die Konklaven und Ihr Imperium haben ein Friedensabkommen miteinander. Und selbst wenn ich fähig und geneigt wäre – was ich nicht bin –, Sie nach Quivera zu verfrachten, wäre das noch lange kein Grund, mich einfach umzubringen. Okay, das Essen dort ist hundsmiserabel, und die Behörden sorgen immer dafür, dass reichlich Wasser im Schnaps ist, aber nicht mal das sind gute Gründe, jemanden abzumurksen.«
Ihre kesse Art erboste ihn, und sein Reuegefühl wich frischem Zorn. »Meine Lage ist ungleich komplizierter, als Ihre unverschämten Sprüche unterstellen.«
»Unterstehen Sie sich, mich unverschämt zu nennen!« Ihre Stimme bebte vor Empörung. »Ich habe jedes Recht der Welt, unverschämt zu sein! Ich hab Sie auf mein Schiff geholt, um Ihnen das Leben zu retten. Und Sie, Sie sperren meinen Droiden unter die Regglocke und brechen mir fast die Rippen. Dank Ihnen hab ich solche Kopfschmerzen, dass mir jedes Haar einzeln wehtut. Also wagen Sie es gefälligst nicht, mir blöd zu kommen oder mich als unverschämt zu bezeichnen!«
Mit einem Schubs drehte sie den Sessel weg von ihm, schwang locker die Beine hoch und legte ihre Stiefel auf die Steuerkonsole, als wollte sie sagen: Gespräch beendet. Basta.
Jähzorn brandete in ihm auf. Dummes kleines Biest! Er wollte die Lehne ihres Stuhls packen und herumreißen, damit sie ihn ansah. Wirre Gedankenfetzen und Emotionen tobten durcheinander und wühlten ihn auf, sicher auch eine Folge der andauernden Schmerzen in seinem Körper. Niemand sprach in solchem Ton zu ihm, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Er war derjenige, der allen Grund hatte, ungehalten zu sein. Er sollte sie mal nachdrücklich daran erinnern, wen sie hier vor sich hatte.
Allerdings wusste sie das wohl gar nicht.
Der Gedanke erwischte ihn kalt. Er öffnete die im Zorn schon geballte Faust und ließ die Hand sinken. Sie wusste gar nichts. Sicher, aufgrund seiner Uniform ging sie zu Recht davon aus, dass er Zafharier war. Er trug die Uniform eines Offiziers, das war unübersehbar. Aber ohne jeden Hinweis auf Namen oder Rang.
Er sollte es ihr sagen. Jetzt sofort. Das würde ihr Respekt einflößen, Angst machen, sodass sie gefügig wurde und kontrollierbar. Sie würde es nie wieder wagen, ihm einfach den Rücken zuzudrehen – ihre Manieren waren ja dermaßen beleidigend.
Dermaßen unüblich frech. Bemerkenswert.
Er bekam seine Atmung wieder unter Kontrolle und merkte, dass er wider Willen ein wenig fasziniert war – was ihn komplett überraschte.
Irgendwie verrückt das alles, vollkommen absurd. Dieser Dschungelplanet, dieses Schrottschiff, diese kleine, grünäugige Funkenfee …
Sein Mundwinkel zuckte plötzlich und hob sich zu einem dünnen, ziemlich ungewohnten Lächeln. Er sicherte die Pistole und steckte sie sich in den Hosenbund. Dann verharrte er einen Moment, rieb sich mit den Fingerknöcheln den verdammten Juckreiz an seiner linken Seite und überlegte, welche Möglichkeiten er jetzt hatte.
Vielleicht war es ja vorerst sogar besser, wenn sie nicht wusste, wer er war. Wenn sie ihm ein Stück weit vertrauen zu können glaubte. Natürlich nur aus Gründen der Sicherheit.
Aber die Sicherheit verlangte auch, dass er zunächst ihre Identität ermittelte.
»Wie heißen Sie?« Er lehnte sich gegen eine Schalttafel mit kaputten Sensoren und faltete die Arme vor der Brust. Als sie nicht antwortete, hakte er nach: »Wie soll ich mich entschuldigen, wenn ich Ihren Namen nicht kenne?«
Sie drückte auf einen Knopf am Stuhl und ließ ihn ein Stück in die Höhe fahren, bevor sie sich umdrehte und ihm gerade in die Augen blickte.
»Ich denke, Sie schulden mir ein bisschen mehr als eine Entschuldigung.« Auffordernd hielt sie ihm eine Hand entgegen, die leere Handfläche nach oben gerichtet.
Er zögerte und wog sein instinktives Bedürfnis, die Waffengewalt bei sich zu behalten, gegen die Notwendigkeit ab, ihre Kooperation zu erlangen. Und wie kooperativ musste er selbst sich gebärden, um sein Ziel zu erreichen? Schließlich zog er die Pistole aus seinem Hosenbund und reichte sie ihr. Sie schob sie sich in den Gürtel und streckte die Hand nach dem Lasergewehr aus, das er ihr ebenfalls übergab.
»Das ist doch was, für den Anfang.« Sie legte sich das Gewehr quer auf den Schoß. »Also, wer sind Sie?«
Er zuckte die Achseln und justierte sich geschmeidig auf seine neue Rolle. »Mein Clan-Name ist Vanur. Mein persönlicher Name ist sehr lang und ganz in meiner Sprache. Aber man kann ihn abkürzen und mich Rhis nennen.«
»R-e-e-c-e? Und Sie sind Zafharier.«
Seine Herkunft stand außer Frage, das wusste sie so gut wie er. Er hatte sich keinerlei Mühe gegeben, seinen Akzent zu verbergen. Auch seine Uniform sprach für sich. »Rhis, mit I. R, h, i, s. So wird mein Name buchstabiert. Und ja, ich bin Zafharier. Andernfalls wäre ich längst nicht so ein wertvoller Fang für eure Sicherheitspatrouillen.«
»Oh, die hätten bestimmt auch nichts dagegen, einen lebendigen ’Sko zu erwischen«, bemerkte sie belustigt. »Elliot. Zwei L, ein T. Captain Trilby Elliot.«
»Und Ihr Schiff?«
Sie schaute sich gemächlich auf der armseligen Brücke um, als wolle sie Inventur machen. »Ähm … nein, Sie zuerst.«
»Ich?«
»Genau, Rhis. Sie. Auf welchem Schiff haben Sie gedient, ehe Sie beschlossen, sich einen Abstecher mit dem Tark zu gönnen?«
Sein Verstand arbeitete mit Hochgeschwindigkeit, denn er wusste, jedes Zögern konnte als Suche nach Ausflüchten interpretiert werden. »Auf der Razalka, kennen Sie sie?«
»Gute Güte, wer im bewohnten Universum kennt und fürchtet nicht das zafharische Wunderkampfschiff. Der Commander war Tivahr, oder?«
»Soweit ich informiert bin, ist er es noch. Zumindest bis vor zwei oder drei Wochen, als ich … als ich und mein Team auf … in der Nähe von Szedcafar Schwierigkeiten bekamen.«
Er bemerkte, wie sie skeptisch eine Augenbraue hob und bereute sofort, was er zuletzt gesagt hatte. Szed war eine ’Sko-Welt, auf der sich eine riesige Militärbasis befand. Kein Ort, wo Zafharier sich gewöhnlich herumtrieben, und bestimmt nicht uneingeladen. Schnell dachte er nach. »Wir waren auf einem Übungseinsatz mit Ernstfall-Simulation. Sie nahmen mich ins Kreuzfeuer, in einem Tark, den wir vor ein paar Jahren mal gekapert hatten.« Er sprach weiter, um möglichst kooperativ zu wirken. »Irgendwie haben wir die Orientierung verloren und sind über die Grenze geraten. Ich machte den Lockvogel, damit die anderen umdrehen konnten.«
»Gefährliches Spiel.«
Er zuckte die Achseln. »Das gehört zu meinem – wie würden Sie es ausdrücken – zu meinem Job?«
Wieder eine skeptisch gehobene Augenbraue. Aber diesmal hatte er damit gerechnet, es geradezu darauf angelegt. Genau wie auf die Frage, die sie ihm jetzt stellte und die ihm helfen würde, seine erfundene Identität zu untermauern.
»Und Ihr Job ist was genau?«, fragte sie.
»Lieutenant. In einem B-Geschwader.«
»Ein Lieutenant also. Aber –«
Rhis hob die Hand und unterbrach sie. »Ich glaube, jetzt bin ich wieder dran. Erzählen Sie mir etwas über Ihr Schiff.«
Sie zögerte. »Okay, das ist wohl fair. Das hier ist die Careless Venture. Unabhängiger Sternenfrachter, derzeit vorübergehend in Port Rumor registriert.«
»Sie sind eine Unabhängige?«
»Wenn ich jemals meine Schulden bezahlen kann, dann ja.«
Er nickte und schloss kurz die Augen. Ihm war durchaus bewusst, wie dünn die Linie war, auf der viele Kleinspediteure balancierten – sowohl finanziell als auch was die Gesetze anging. »Wie lange haben Sie sie schon?«
»Fünf Jahre, ein paar Monate mehr oder weniger.«
»Es sind nicht mehr besonders viele davon unterwegs.«
»Sie wollen wissen, wie ich diesen Schrotthaufen auf interstellaren Bahnen halte?« Sie seufzte erschöpft. »Mit Spucke und gutem Zureden, so geht das. Und um gleich den Rest Ihrer Frage zu beantworten, ja, ich hab die Wahrheit gesagt, es gibt keine weiteren Crewmitglieder. Und ja, ein DZ-9 taugt eigentlich nicht zum Frachter-Droiden. Aber er war an Bord, als ich das Schiff übernahm. Genau wie bei Ihnen hatte ich nicht das Herz, ihn wie alten Schrott am Wegrand liegen zu lassen.
Und ja, wenn ich endlich mein Com-Pack reparieren darf, will ich nach Port Rumor, wo ein Frachtauftrag nach Bagrond auf mich wartet. Sie sind herzlich eingeladen mitzukommen. Aber es steht Ihnen selbstverständlich frei, mit den Überresten Ihres fabelhaften ’Sko-Fighters hierzubleiben und mit den Blutfledermäusen Sackhüpfen zu spielen. Offen gesagt ist es mir scheißegal, wofür Sie sich entscheiden.«
Er wollte etwas sagen, aber sie hob die Hand und ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Und jetzt«, sagte sie und stand auf, »werde ich meine Krankenstation aufsuchen und Dezi befreien.« Sie schlang sich den Gewehrriemen über die Schulter. »Danach such ich mir das größte Glas, das ich finden kann, und das werde ich mit eisgekühltem Gin füllen und austrinken. Denn ich fühl mich beschissen, hab Migräne und kann nicht mehr geradeaus gucken. Und ich hatte noch nicht mal ein Frühstück. Also wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …«
Bevor sie die Luke erreichte, legte er seine Hand auf ihren Arm.
»Elliot –« Das klang schroffer, als er wollte. Er wusste gar nicht genau, warum er sie eigentlich aufhielt. Er hatte einfach nach ihr gegriffen, bevor ihm überhaupt bewusst wurde, was er tat.
Sie sah ihn scharf an. »Hören Sie, wenn Sie wieder vorhaben, mich zu töten, dann bringen Sie es bitte endlich hinter sich. Und wenn nicht, dann hören Sie gefälligst auf, zwischen mir und meinem dringend benötigten Drink zu stehen.«
»Gehen Sie schon und gönnen Sie sich Ihren Drink. Ich werde den Droiden befreien.«
Sie dachte einen Moment über sein Angebot nach, dann zuckte sie die Achseln.
»Seien Sie nett zu ihm«, fügte sie hinzu, als er hinter ihr in den Korridor trat. »Er hat furchtbare Angst vor Ihnen.«
Er nickte knapp, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich werde ihm alles erklären.« Er sah ihr nach, als sie eine Bodenluke ansteuerte, die Leiter hinabstieg und unter Deck verschwand. Das vollkommen unlogische Bedürfnis, ihr zu folgen, ignorierte er entschlossen.
Der Kopf des Droiden fuhr herum, als Rhis die Krankenstation betrat. Dezi lag immer noch unter der Regenerationsglocke gefangen. Seine Gliedmaßen zuckten sinnlos vor sich hin, als hätte jemand Frostschutz in seinen Stromkreis gegossen.
»Oh nein, Sir, sagen Sie jetzt nicht, Sie haben sie umgebracht. Sagen Sie mir, dass sie noch lebt. Sie ist ein gutes Mädchen, das ist sie wirklich. Etwas ungestüm zuweilen, aber …«
»Captain Elliot gönnt sich einen Drink«, würgte er Dezis Befürchtungen ab. Er löste die Verschlüsse und schwenkte die Glocke zur Seite. »Es war einfach ein Missverständnis«, erklärte er dem Droiden, der sich ungeschickt aufrichtete.
Scheppernd stellte er die Füße auf den Boden und schaute zu Rhis auf. »Ein Missverständnis. Ja, natürlich, das muss es gewesen sein. Aber mein Captain – geht es Captain Elliot gut?«
»Es geht ihr gut.« Er entdeckte sein Hemd, das noch im Spind hing, und griff danach. Ein stechender Schmerz schoss ihm durch die Schulter. Er beachtete ihn nicht. »Sie wollte sich wohl … wie sagte sie? … einen eisgekühlten Gin genehmigen.«
»Ah, ja, in der Lounge. Nun, es ist nicht direkt eine Lounge. Keine richtige Schiffslounge.«
»Unter Deck?«, schlug Rhis vor, um die Flut des anscheinend endlosen Monologs im Ansatz zu stoppen.
»Unter Deck. Neben der Kapitänskajüte. Genauer gesagt, ursprünglich gehörte die Lounge auch zur Kapitänskajüte. Aber sie hat …«
»Dezi, geh einfach vor, ich folge dir.«
»Ich soll … oh, ja, selbstverständlich. Es ist ja mein Schiff. Nun, eigentlich ist es Captain Trilby Elliots Schiff. Und Sie sind der Gast. Und …« Dezi schlurfte eilig aus der Krankenstation, und seine Stimme hallte durch den leeren Korridor.
Rhis ließ ihm einen kleinen Vorsprung, dann folgte er kopfschüttelnd.