21
Die Ankunftshalle von Saldika, laut und überfüllt. Sie konnte nicht ahnen, dass er mitten in diesem Trubel steckte. Ganz plötzlich war er da, packte sie, presste seinen Mund heiß und nass auf ihren und stieß ihr seine Zunge in den Rachen wie eine ekelhafte Schlange. Sie hörte Tivahrs barsches Knurren hinter sich, gefolgt von einem unübersetzbaren zafharischen Wortschwall, der nichts ausließ, von Jagan Grantforths aufgeblasener Herkunft bis zur Lage und Größe seines Fortpflanzungsorgans.
Nur sehr viel bildhafter ausgedrückt.
Sie stieß ihn von sich und kämpfte mit dem schier unwiderstehlichen Bedürfnis, sich sofort den Mund am Ärmel gründlich abzuwischen. »Jagan. So eine … Überraschung.«
Der Mann mit dem sandfarbenen Haaren grinste schief auf sie herab. »Ich hab es schon immer geliebt, dich zu überraschen, mein Kleines.«
Mein Kleines. Sie hatte vergessen, dass er sie so nannte. Früher hatte ihr diese Anrede einen wohligen Schauer durch die Eingeweide gejagt. Jetzt jagte es ihr nur einen Kälteschauer über den Rücken, kälter als die verschneite Landschaft außerhalb der riesigen Glasscheiben der Ankunftshalle.
Es hatte zu schneien angefangen, als sie die Shadows Quest vor nicht mal einer Stunde ins Dock brachten. Frachthangar 47-L war gut geschützt und beheizt. Eine Notwendigkeit in einer gnadenlosen Eiswelt wie Chevienko.
Die Zollinspektoren waren dank Mitkanos’ Verbindungen geradezu herzlich gewesen, warm wie der große Hangar. Zehn Minuten später waren sie bereits in eine Gondel Richtung Zentralterminal gehüpft, wo sie hofften, mehr über die Pläne von Grantforth Galaktik Amalgam herauszufinden.
Und nun hatte Grantforth stattdessen sie gefunden. Einen Trike früher, als sie angenommen hatten.
»Ich hab dich hier gar nicht erwartet«, sagte Trilby. Aber im Grunde hätte sie damit rechnen müssen. In der Akte, die mit Admiral Vanushavors Depesche kam, wurde ausdrücklich auf eine unerwartete Reise Generalsekretär Grantforths hingewiesen. Und auf ungewöhnliche Bewegungen der ’Sko. Trotzdem fiel es ihr nach wie vor schwer, Jagan für einen wie auch immer beteiligten Verschwörer zu halten. Den Herzensbrecher zu geben lag ihm einfach mehr als politische Machenschaften.
Jagans Blick wanderte über ihre Schulter nach hinten. Hoch und wieder runter. Tivahr stand hinter ihr. Das war vermutlich das Hoch. Mitkanos stand neben Tivahr. Etwas kleiner. Rechts von sich hörte sie über die Stimmen, Rufe und Gespräche der vielen durch das Terminal eilenden Menschen hinweg Farras trällerndes Lachen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Farra und Dallon in einer Schlange vor einem Com-Kiosk warteten. Die hier angebotenen Magazinsticks waren wegen der Zensur im Imperium nicht erhältlich.
»Ich konnte es nicht mehr abwarten, dich zu sehen.« Jagan griff nach ihrer Hand, doch sie drehte sich schnell weg und begann Tivahr und Mitkanos als ihre Begleiter vorzustellen.
»Yavo Mitkanos und Rhis Vanur. Das hier ist Jagan Grantforth von GGA.«
»Vanur, ja? Sprechen Sie Standard?« Jagan hatte offensichtlich Tivahrs kleinen Ausbruch mitbekommen, aber natürlich nicht auf sich bezogen.
»Ein bisschen, ja«, erwiderte Tivahr.
»Vad«, sagte Mitkanos.
Beide Männer sprachen fließend Standard, aber das brauchte Jagan nicht zu wissen.
Jagan trat einen Schritt an Trilby heran und streckte Tivahr die Hand entgegen. »Sie sind also der Mann, der eine kleine Firma gegründet hat. Also ich für meinen Teil freue mich über so was. Unternehmerische Risikofreude, das ist es, was einen Namen in diesem Universum groß machen kann.« Sein Lächeln war filmreif.
Trilby hatte ganz vergessen, wie Jagan das anstellte, sich ganz zugewandt und vollendet höflich zu geben und gleichzeitig kleine Spitzen und Beleidigungen auszuteilen. Kleine Firma. Ein beiläufiger Stich, verborgen unter einer Maskerade berufsmäßig herzlichen Gehabes.
Ob Tivahr das mitbekam, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Mitkanos antwortete zuerst, seinen Akzent dicker auftragend als sonst. »Wahr. Sehr wahr. Es warten viel – wie sagen Sie? – Profit zu machen zwischen Imperium und Konklavien. Kleine Firmen, da Sie haben sehr recht, können Türen öffnen.«
Jagan lachte und klopfte Mitkanos auf den Arm. »Genau diese Türen wollen wir offen sehen, nicht wahr? Gewinn vom Gewinn. Geld stinkt nicht, weder in einem Palast noch in einem Warenhaus.« Er zwinkerte Tivahr zu.
»Ich verbeuge mich vor Ihren Weisheiten.« Tivahrs Tonfall war spitz. Sie spürte, wie sich seine Hand in einer schützenden und offenkundig besitzergreifenden Geste auf ihre Schulter legte. Vielleicht nahm er hinter der Maske denselben Jagan wahr wie sie.
In Jagans Augen blitzte kurz etwas Dunkles auf, aber in diesem Moment kamen Farra und Dallon vom Com-Kiosk zurück. Trilby streifte Tivahrs Hand ab und stellte die beiden vor.
»Marktanalysen.« Dallon schwenkte eine dünne Disk vor Jagans Nase und gab sie dann Mitkanos.
»Immer auf dem neuesten Stand«, bemerkte Jagan. »Schön, so was zu sehen. Solche Leute könnte GGA auch brauchen. Leute, die wissen, wie der Handel auf dieser Seite der Grenze läuft.«
Er klang so redlich. Trilby hätte beinahe glauben mögen, hier ginge es tatsächlich nur um ein zufälliges Treffen von ein paar Geschäftsleuten, nicht um etwas Größeres, sorgsam dahinter Verborgenes, was möglicherweise auch noch mit den ’Sko zu tun hatte.
Sie musterte Jagan, der neben ihr stand. Er sah immer noch gut aus, besonders in diesem dunklen, maßgeschneiderten Anzug. Aber jetzt sah sie noch mehr: Die unverwechselbaren Spuren von Stress und ausschweifender Lebensweise ließen sich nicht länger leugnen. Die blauen Augen wirkten leicht aufgedunsen, und seine üblicherweise gut gebräunte Haut war fahler als sonst.
Er bemerkte, wie sie ihn musterte, schob die Hände in die Taschen und beugte den Kopf zu ihr hinunter. Seine Miene zeigte leichte Verlegenheit.
»Ich muss wirklich dringend mit dir sprechen, Tril.« Seine Stimme stockte ein wenig. »Ich habe Fehler gemacht, die ich wiedergutmachen möchte.«
»Jagan …«
Tivahr, neben ihr, versteifte sich etwas. Sie blickte kurz zu ihm und sah seine zusammengezogenen Augenbrauen. Offenbar hatte er alles oder jedenfalls genug gehört. Am besten lenkte sie das Gespräch möglichst schnell wieder auf Geschäftliches. Sie mussten unbedingt herausfinden, was es mit Grantforth auf sich hatte, da konnte sie es nicht gebrauchen, dass der Captain der Razalka sein männliches Ego in den Ring schickte.
»In deinen Nachrichten hast du erwähnt, du wärst an einem Frachtvertrag interessiert?«
»Das bin ich. Aber …« Sein Blick wanderte wieder hoch. Tivahr.
»Dasjon Vanur ist derjenige, der das entscheiden muss. Ich fliege nur das Schiff.« Sie deutete auf einen der Korridore. »Wollen wir uns in eine Bar setzen, um darüber zu reden? Oder möchtest du erst die Shadows Quest sehen?«
Jagan schien endlich einzusehen, dass er für den Augenblick nur die Wahl zwischen Geschäftlichem und Geschäftlichem hatte. Das Einzige, was er sich aussuchen konnte, war der Ort.
»Bar klingt doch gut. Sogar sehr gut. Ich könnte jetzt einen Drink gebrauchen. Lust auf ein Bier oder auch zwei?« Jagan nickte Dallon, Farra und Mitkanos aufmunternd zu. Trilby fiel auf, dass er es vermied, Tivahr anzusehen.
Sie fragte sich einen Moment lang, ob Jagan den Captain der Razalka womöglich erkannt hatte. Nein, dann hätte er irgendeine Bemerkung gemacht, da war sie sich ganz sicher. Sie hörte Dallons begeisterte Zustimmung und Tivahrs Knurren.
»Ich kennen ein Pub, die gut ist, nicht weit«, schlug Mitkanos vor.
»Zeigen Sie uns den Weg, mein Freund, die Zeche geht natürlich auf mich.« Jagan hob die Hand. »Keine Widerrede, Herrschaften, bitte.«
Trilby hatte das deutliche Gefühl, als halte Tivahr jede Menge Widerrede bereit, allerdings weniger zu der Frage, wer das Bier bezahlte.
Der Name der Bar entsprach ihrer Lage: Siebzehn-Blau. Die hohen Korridore in Saldikas Zentralterminal waren allesamt mit Farbmarkierungen versehen. Ein breiter Streifen lief über den Fußboden, ein weiterer die Wand entlang. Blau und Gelb markierten die Wege für alles, was mit Frachtgut und Gewerbe zu tun hatte. Rot und Grau leiteten den Passagierverkehr. Die Gondel hatte sie bei Gelb abgesetzt, wo Jagan sie auch aufgespürt hatte, gleich an der Kreuzung zu Blau. Mitkanos hatte recht, es war nur ein kurzer Weg. Aber rechts und links flankiert von Rhis und Jagan fühlte sich Trilby eher wie auf einem Gewaltmarsch als wie bei einem kurzen Spaziergang auf ein entspanntes Bierchen.
Die Bar war in T-Form geschnitten. Der Eingangsbereich war schmal, öffnete sich aber hinten in einen Raum mit vielen Tischen zu beiden Seiten. Farra steuerte links einen leeren, runden Tisch an. Einen Moment lang gab es Gerangel um die Sitzordnung, weil sowohl Jagan als auch Tivahr neben Trilby sitzen wollten. Mitkanos tippte eine Taste in der Mitte des Tisches und aktivierte die Holospeisekarte auf einem zylinderförmigen Holoschirm. Solch schickes Hightechspielzeug gab es im Flyboy nicht. Erst recht nicht diese Flüssigbildwände, die Farben und Formen im Rhythmus der Musik variierten. Der sanfte, aber durchaus lebendige Beat drang aus der Decke, die in regelmäßigen Abständen mit blauen, stoffbezogenen Platten abgehängt war.
Trilby schaute sich um. Nicht gerade eine Kneipe für Dockarbeiter. Auch kein Lokal für die Frachter-Crews. Die Barkeeper trugen Uniformen, die sie ein wenig wie Offiziere aussehen ließen. Alles, was keine Uniform trug, fläzte sich sichtlich gut bezahlt und wohlgenährt auf den bequemen Stühlen. Sie lehnte sich zurück und spürte Tivahrs Hand auf ihrer Schulter.
Sie sah ihn friedlich an. Er verzog leicht eine Augenbraue. Sie seufzte.
Ein Kellnerdroide rollte heran und verkündete, der »Eisberg« sei der Drink des Tages. Trilby hatte ihn durchaus verstanden, aber wegen Jagan ließ sie Mitkanos das Zafharisch übersetzen. Dann blickte sie in die Runde und fragte: »Bier für alle?«
»Chevienko ist berühmt für sein hervorragendes Rotbier«, sagte Dallon und tippte auf die zylindrische Speisekarte.
Mitkanos blickte Jagan an, der zustimmend nickte. »Klingt prima für mich. Zwei große Krüge für den Anfang?« Er reichte dem Kellnerdroiden seinen Kreditchip, während Mitkanos die Bestellung aufgab.
»Wir haben unsere Bankgeschäfte gerade erst auf das Imperium ausgeweitet«, plauderte er, als der Kellnerdroide wiederkam und ihm den Chip zurückgab. »GGA ist immer sehr offensiv, wenn es darum geht, neues Terrain zu erschließen. Natürlich nicht so offensiv wie Ihre imperiale Flotte.« Er kicherte. »Den Krieg haben Sie trotzdem nicht gewonnen.«
»Nein, der Frieden wurde in gegenseitiger Übereinkunft geschlossen«, kommentierte Dallon.
Jagan hob verwundert den Kopf und sah Dallon an, als sehe er ihn zum ersten Mal. »Sie sprechen sehr gut Standard … Patruzy, richtig?«
»Patruzius. Dallon Patruzius. Ich hab viel Zeit auf den Docks verbracht. War eine Weile in Marbo und Port Rumor, als ich noch für Fennick IE tätig war.«
»Und jetzt sind Sie bei Vanur, ja? Eine Verbesserung, will ich meinen.« Jagan wandte sich Tivahr zu. »Sie haben sich mit Trilby einen feinen Kapitän angelacht. Ich hoffe, das ist Ihnen bewusst.«
»Ist es.«
»Sie kennt Gensiira wie niemand sonst.«
»Ich schätze Trilby mehr, als Sie ahnen, Dasjon Grantforth.«
»Jagan. Einfach Jagan. Wie es aussieht, werden wir doch Partner sein.«
Tivahr verunglückte ein schmales Lächeln. »Genau darüber sollten wir jetzt reden.«
»Erst das Geschäft, dann«, Jagan langte rüber und tätschelte Trilbys Hand, »das Vergnügen. Tril und ich haben eine lange gemeinsame Geschichte. Deshalb ist es ja so wichtig für mich.«
Tivahr beugte sich vor, während Trilby ihre Hände aus Jagans Reichweite zog und in den Schoß legte. »Was kann Vanur-Transporte denn für GGA tun?«
Jagan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich habe viel Gutes über Sie gehört, wissen Sie. Zuverlässig. Ehrlich. Selbst hier verfügt GGA durchaus über Möglichkeiten, sich im Vorfeld ein Bild zu machen. Das ist äußerst wichtig für uns. Wir müssen auf unseren guten Ruf achten, insbesondere, wenn wir etwas Neues aufbauen.«
Trilby hörte Jagans Phrasen zu, die aus ihm herausflutschten, als wären sie vorher geölt worden. Was für ein unglaublicher Lügner er war! Nein, noch anders: was für ein glaubhafter Lügner. Er traf den richtigen Ton, hatte das richtige Auftreten und das richtige Lächeln. Sein einziges Problem waren die Tatsachen. Vanur-Transporte war pure Fiktion und hatte bis vor zwei Septi überhaupt nicht existiert, abgesehen von einer gefälschten Firmengeschichte, erdichtet von Tivahr und Mitkanos. Sie war sich verdammt sicher, dass Jagan rein gar nichts im Vorfeld gecheckt hatte. Außer vielleicht, dass sich die »Bankkarten« der Venture jetzt in der Quest befanden.
»Aber wir sind natürlich nicht die Einzigen, denen das klar ist«, sagte Jagan. »Deshalb sind im Moment zwei Dinge äußerst bedeutsam. Erstens, dass wir die Ersten sind, und zweitens, dass wir die Schnellsten sind. GGA gründet sich auf Effizienz und Pünktlichkeit. Wenn wir eine Fracht anlanden, muss sie auch schon gelöscht und wieder unterwegs sein.«
»Das ist gar nicht so einfach«, warf Dallon ein. »Es gibt nur wenige benutzbare Routen zwischen dem Imperium und Konklavien.«
»Richtig. Genau meine Worte.« Jagan nickte. »Nehmen wir Tril hier …«
Der Kellnerdroide rollte heran und brachte auf einem Tablett zwei große Krüge Bier und Gläser. Die nächsten paar Minuten vergingen mit Einschenken. Eisgekühlte Biergläser wurden um den Tisch gereicht.
Jagan gönnte sich einen großen Schluck und fuhr fort. »Sie kennen unser Problem. Wie mein Freund Dallon dort drüben bereits bemerkte, gab es in der Vergangenheit politische Rangeleien. Das hat die Handelswege ausgedünnt. Es gibt ständig Beschwerden von den Hyperraumtunneln in Gensiira wegen Staus und Verspätungen. Und außerdem Probleme mit defekten Leuchttürmen. Manchmal hat man das Gefühl, Ihre Technik hat was gegen unsere.« Er lachte herzhaft.
Trilby spähte zu Tivahr. Er hatte sein Raubtierlächeln aufgesetzt.
»Aber meine Kleine hier«, Jagan gestikulierte zu Trilby, »also, ich kann Ihnen sagen, die hat ein paar heiße Tricks im Ärmel. Ich bin ein paar Touren mit ihr geflogen. Sie findet schneller von Punkt A nach Punkt B als irgendjemand sonst, wenn sie will. Selbst mit ihrem alten Schiff. Und das war nicht gerade berühmt für seine Schnelligkeit.«
»Die Shadows Quest ist eine Endurance C-Zwo, die ich persönlich modifiziert habe«, prahlte Tivahr.
»Ach, Sie basteln auch an Raumschiffen herum?«, fragte Jagan.
»Ich hab gewisse Erfahrung auf dem Gebiet, durchaus.«
»Jemals die Careless Venture gesehen?« Jagans Frage klang beiläufig, doch Trilby wusste sofort, worauf er aus war. Auf ihre Sternenkarten. Sie unterdrückte ein Kichern.
»Ja.« Tivahr machte eine Pause. »Ich bin vertraut mit ihr, aufs Innigste.« Er betonte das letzte Worte.
Jagan rutschte auf seinem Stuhl herum. Offenbar hatte er die Anspielung verstanden und wusste nicht, was er jetzt sagen sollte.
»Dasjon Vanur«, sagte Trilby und achtete darauf, die förmliche zafharische Anrede zu betonen, »arbeitete gemeinsam mit mir an einigen Modifikationen der Venture, kurz bevor sie zerstört wurde.« Sie wünschte, Tivahr würde sich darauf besinnen, was ihr Hauptanliegen war. Sie wollten herausbekommen, was bei GGA vor sich ging. In welcher Beziehung sie zu ihm stand – oder nicht stand –, gehörte überhaupt nicht hierher.
»Sie liebte das Schiff«, erklärte Jagan Tivahr. »Hat alles reingesteckt, was sie hatte. Fünf Jahre lang, war es nicht so, mein Kleines?« Er lächelte Trilby zu. »Was hatten wir für eine tolle Zeit. All die Erinnerungen …«
»Die Venture hat schlimme Blessuren davongetragen und ist praktisch zerstört. Immerhin konnten wir ihre Sternenkarten retten.« Jetzt lass uns auf den Punkt kommen, flehte Trilby. Jagans geheuchelte Sentimentalität drehte ihr langsam aber sicher den Magen um. »Dasjon Vanur und ich integrieren diese Daten gerade in die der Quest. Was die alte Venture konnte, wird das neue Schiff noch besser leisten.«
»Das ist doch genau das, was ich hören wollte.« Jagan strahlte und hob das Bierglas. »Auf den Beginn einer wunderbaren und gewinnträchtigen Beziehung.«
Der zweite Krug Bier wurde rundherum eingeschenkt. Zahlen flogen über den Tisch. Prozentrechnungen, basierend auf Umschlagszeiten. Die Versicherungskosten für beide Welten, Imperium und Konklavien, mussten bedacht werden. Die Liegegebühren für die Docks. Tivahr und Mitkanos diskutierten das meiste auf Zafharisch, während Dallon übersetzte. Trilby konnte allem folgen, ließ aber Jagan weiterhin in dem Glauben, sie verstünde höchstens dharjas taf, viek: ein kaltes Bier, bitte.
Jagan trank den letzten Schluck aus seinem Glas. »Ich habe hier im Hafen zehn Container liegen, falls Sie interessiert sind.«
Tivahr blickte zu Mitkanos. Der ältere Mann nickte.
»Bin ich«, sagte Tivahr. »Nach Port Rumor?«
»Nein. Syar-Kolonien. Aber aus bestimmten Gründen möchte ich die Leuchttürme von Marbo umgehen.«
Trilby sah, wie Dallon interessiert den Kopf hob. Während ihrer Unterhaltungen in den letzten zwei Tagen hatte er ihr erzählt, dass Marbo wirtschaftlich und personell eng mit Norvind verflochten war. Und dass GGA keinen Wert darauf legte, die Konkurrenz wissen zu lassen, was sie im Schilde führten – besonders jetzt gerade. Wenn sie schon mit ihren Aktivitäten Neugier auf sich zogen, dann lieber in einem GGA wohlgesonnenen Hafen wie Syar.
Zumindest hoffte sie, dass das Jagans Beweggründe waren.
»Das kriegen wir hin«, sagte Trilby.
Aber Tivahr gab sich skeptisch. »Nach Syar sind es sieben Tage …«
»Eine volle Septi«, korrigierte Trilby.
»… mit meinem Schiff. Ein Langstreckenschnellfrachter schafft das in fünf. Wofür brauchen Sie uns also wirklich?«
Trilby hätte ihn schlagen können. Jagan öffnete ihnen gerade die GGA-Tore, was genau ihren Absichten entsprach. Aber Tivahr musste wohl unbedingt beweisen, dass in puncto Pedanterie und Kleinkrämerei immer Verlass auf ihn war. Sie blickte ihn kurz streng an. »Weil ein Schnellfrachter Marbo nicht so leicht umgehen kann wie wir.«
Jagan kicherte. »Meine Kleine weiß, wovon sie spricht, Vanur.«
Tivahrs Gesicht wurde ausdruckslos. »Dann sind Sie also bereit, die zusätzlichen Treibstoffkosten zu übernehmen?«
»Ich bin bereit, alles zu übernehmen, was auch immer es kostet, von hier in die Kolonien zu fliegen.«
Tivahr machte eine lässige Geste zu Dallon und begann, mit ihm zafharisch zu sprechen. Seine Stimme klang heiter. Aber die Worte, die Trilby verstand, waren es nicht. »Die Schleimratte will uns in irgendetwas reinziehen, und es geht bestimmt nicht nur darum, Marbo zu meiden. Irre ich mich, eine Reise nach Syar ist doch ungewöhnlich für so ein kleines Schiff?«
Dallons Lächeln war von ansteckender Fröhlichkeit und exzellent gespielt. »Nicht für einen Schmuggler. Aber ich glaube nicht, dass GGA sich mit Schmuggelzeug abgibt. Er führt irgendwas im Schilde, ich habe keine Ahnung, was.«
»Probleme?« Jagan stellte die Frage an Dallon.
»Wir haben noch nie so tief in Konklavien gearbeitet«, antwortete Dallon gelassen auf Standard. »Captain Elliots Transitcodes helfen uns zwar an Marbo vorbei, aber wir brauchen das Autorisierungs-Paket für Syar, und zwar vorher, sonst könnte jemandem auffallen, dass wir gar nicht über Marbo gekommen sind.«
Jagan antwortete Dallon mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Unnötig. Sie fliegen unter der Flagge der GGA. Zusätzlich haben Sie einen leitenden Angestellten der GGA an Bord.«
»Einen Angestellten der GGA?«, hakte Tivahr nach.
Oh nein, dachte Trilby. Nein, nein, nein. Sprich es nicht aus. Sag es nicht.
Jagan strahlte. »Mich!«
Trilby lehnte sich im Kapitänssessel zurück und hörte über Lautsprecher Farra zu, die damit beschäftigt war, bei der Hafenmeisterei einen verfügbaren Ladeplatz zu beantragen. Trilbys Zafharisch hatte sich zwar deutlich verbessert, aber es reichte noch nicht aus, dieser Art von Verhandlungen zu folgen. Vanur-Transporte benötigte nicht nur einen Abflugtermin, sondern musste auch die Frachtübernahme organisieren.
Tivahr, im Sessel des Kopiloten, drehte ungeduldig einen Lichtstift in den Fingern. Immer und immer wieder.
Schließlich trommelte er mit dem Stift auf der Konsole herum.
Trilbys Combutton piepte. Sie tippe auf das quadratische Emblem an ihrem Kragen. »Elliot.«
»Patruzius hier, Captain. Wir holen jetzt Grantforth samt Gepäck ab. Er will noch heute Abend an Bord kommen. Sofern die Gondeln pünktlich sind, sind wir voraussichtlich in einer halben Stunde mit ihm zurück.«
»Nur keine Eile«, brummte Tivahr durch die Zähne.
Ausnahmsweise stimmte Trilby völlig mit ihm überein. »Alles klar. Farra bestätigt gerade den Abflugtermin für morgen früh. Sieht aus, als könne es um 0700 losgehen.«
»Ich sag es dann Grantforth«, bestätigte Dallons Stimme. »Es gibt noch etwas, was ich Ihnen sagen wollte.«
Trilby sah, wie Tivahr sich im Stuhl versteifte, immer noch den Stift in der Hand. »Probleme?«, fragte sie.
»Nicht direkt. Aber als Yavo und ich in der Lobby warteten, liefen die letzten News über die Bildschirme. Die Konklaven haben jetzt offiziell verlautbart, dass sie vorhaben, Verhandlungen mit den Beffa-Kartellen über ein bilaterales Handelsabkommen aufzunehmen.«
»Bestätigt. Danke für die Info, Dallon. Elliot Ende.« Sie stellte den Combutton ab und beugte sich zu Tivahr hinüber. »Meinst du, Jagan weiß davon?«
Tivahr dachte einen Moment nach. »Das würde erklären, wieso er überhaupt hier ist. Aus seinen Nachrichten wissen wir nur, dass er hinter deinen Sternenkarten her ist. Jetzt sieht es ganz danach aus, als wollte er sie sogar höchstpersönlich abholen. Vielleicht hängt das Zustandekommen von Garold Grantforths Abkommen mit den Beffa-’Sko davon ab. Und falls Garold das ›Schwarze Schwert‹ ist, werden uns die Sternenkarten direkt zu ihm führen.«
Trilby konnte kaum glauben, dass etwas, was sie besaß, bei jemandem wie den ’Sko so begehrt sein sollte. Oder sogar dazu beitragen konnte, die Karriere von Garold Grantforth zu ruinieren. Shadow hatte seinerzeit mehrfach angedeutet, er habe etwas am Wickel, womit sich eines Tages das ganz große Geld machen ließe. Aber dann war er gestorben, noch ehe er jemandem erzählen konnte, was er vorgehabt hatte.
Während des Deuce nach Port Saldika hatte Trilby die alten Sternenkarten ausgelesen, die Shadow noch bei Herkoid runtergeladen hatte. Ein paar dieser Routen kannte sie. Viele jedoch nicht. Sie konnte sofort die Vorteile dieser Strecken nachvollziehen, besonders, wie auch Tivahr ausgeführt hatte, wie nützlich sie für Invasionstruppen wären, die sich gern ungesehen bewegen wollten. Sie musste gar nicht erst zwischen den Zeilen lesen, als Tivahr, Dallon und Mitkanos sich über die bereitgestellten Daten austauschten. Hätte das zafharische Imperium damals diese Karten besessen, so wäre der Krieg vor drei Jahren vermutlich anders ausgegangen.
Zumindest hätte Zafharia einige Zeit länger die Oberhand behalten können. Aber wohl doch nicht auf Dauer. Das war zumindest ihre Meinung. Früher oder später hätte Konklavien schon bemerkt, dass die alten Strecken wieder genutzt wurden. Trilby war schließlich nicht das einzige Lebewesen, das von ihrer Existenz wusste. Tausende hatten für Herkoid gearbeitet.
Aber die Sternenkarten, hinter denen die ’Sko her waren wie der Teufel hinter der armen Seele, waren genau die, die Shadow sich einst geschnappt hatte. Die Sternenkarten, die sie und auch Carina an Bord gehabt hatten. Das war offensichtlich, aber das Warum konnten sie und ihre Mitstreiter sich bislang nicht erklären.
»Ich bin jetzt sogar etwas erleichtert«, begann Tivahr und drehte wieder den Stift in den Fingern, »dass wir unseren Freund Jagan an Bord haben.«
Trilby runzelte die Stirn. »Warum das nun?«
»Weil ich jetzt davon ausgehen kann, dass sie uns in keinen von den ’Sko vorbereiteten Hinterhalt locken werden, zumindest nicht zwischen hier und Syar.« Er schlug den Stift zweimal auf die Konsole. »Jagan ist unser Kindermädchen, unsere Lebensversicherung, wenn du so willst. Meine Erleichterung endet aber leider abrupt, wenn wir in den Kolonien ankommen. Was dann geschehen kann, das macht mir große Sorgen.«
Trilby ebenfalls. Aber sie sagte nichts. Vorerst. Tivahrs Mission – jene, die ihn auf Avanar vor ihre Türschwelle geworfen hatte – hatte ihn von Syars Kolonien nach Szedcafar geführt. Und jetzt flogen sie wieder nach Syar. Sie hoffte inständig, dass nicht plötzlich als nächstes Ziel Szedcafar auf ihrem Fahrplan stand. Denn die ’Sko standen für eine noch wesentlich radikalere Variante des Mottos »Wer’s findet, darf’s behalten« als sie selbst.