28
Rhis ächzte, als er die Allzweckjacke seiner schwarzen Imperial-Uniform über den Quest-Schiffsanzug streifte. Unter der Jacke befanden sich seine Schulterhalfter, eine Pistole schmiegte sich links, die andere rechts an seine Seite. Er betastete die Waffen, um sich zu vergewissern, dass sie beide gesichert waren. Dann griff er zu der Pistole, die er sich an den rechten Oberschenkel gebunden hatte. Sein Einsatzgürtel war mit vier Betäubungsgasgranaten bestückt. Einen zusätzlichen Gürtel mit Pistole und Granaten warf er Mitkanos zu, der in einem behelfsmäßig hergerichteten Regbett aufrecht in Trilbys Kabine saß. Das Kapitänsquartier verfügte über einen versteckten Notausstieg, der in die Frachträume ein Deck tiefer führte.
Mitkanos fing den Gürtel auf und legte ihn sich quer über den Schoß. Etwas Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, aber er atmete immer noch sehr mühsam. Es rasselte und pfiff aus seinen Lungen, als er sagte: »Ich sollte mit Ihnen kommen.«
»Ich mache nur einen Erkundungsgang. Sie wissen doch, die Flotte überlässt selbst den Tod nicht dem Zufall. Bei uns muss jeder Schritt abgesichert sein.«
Mitkanos prustete schnorchelnd. »Angriff erst, wenn die Kommission sich geeinigt hat.«
»Was halt dauert«, stimmte Rhis zu. Er kannte den Stegzarda-Vorwurf, die Flotte neige dazu, jeden Schritt erst minutiös durchzuplanen, bevor sie ihn endlich wagte.
Was ihnen ja diesmal richtig großes Glück gebracht hatte. Er würde einen weiteren Leitspruch in die Einsatzauswertungen seines Teams eintragen, wenn er auf die Razalka zurückgekehrt war: Man ist nie so schlau, wie man denkt. Das gehörte gleich neben seinen alten Leitspruch: Ich mag keine Überraschungen.
Er griff nach den beiden kurzläufigen Lasergewehren und hängte sie sich über die Schulter. Er schaute auf die Uhr. »Zwei Stunden. Vielleicht nicht ganz.« Er war schon auf ’Sko-Mutterschiffen gewesen.
»Captain Tivahr.«
Irgendetwas in Mitkanos’ Tonfall sagte Rhis, dass es wichtig war. Das und die Tatsache, dass der ältere Mann zum ersten Mal seinen Namen mit einem Anflug von Respekt ausgesprochen hatte. Er wartete.
»Sollten Sie … jemals vorhaben, die Flotte zu verlassen, die Stegzarda wäre stolz, Sie in ihren Reihen begrüßen zu dürfen.«
»Ich behalt’s im Kopf.« Er grinste.
»Und Captain …«
»Major?«
»Mögen die Götter Ihnen beistehen.«
Das, dachte Rhis, wäre auf jeden Fall nett. Aber es würde ihm schon vollkommen reichen, wenn sie ihn endlich von ihrer verfluchten schwarzen Liste strichen, und zwar möglichst für immer und ewig.
»Dezi, bereit?«
»Auf jeden Fall, Captain. Ich brenne regelrecht darauf, meine neuen Systeminvasions- und Angriffsmodule auszuprobieren. Es wird doch sicher eine Herausforderung, in die ’Sko-Betriebssysteme einzusteigen, meinen Sie nicht auch?«
Nein. Das würde kein sonderlich großes Problem darstellen. Das eigentliche Problem bestand darin, die ’Sko nicht mitkriegen zu lassen, dass sie in ihre Betriebssysteme einstiegen, ehe er das gesamte Schiff unter Kontrolle hatte.
Er zwängte sich durch die einzige schmale Bodenklappe, die sich im ansonsten verwüsteten Maschinenraum noch öffnen ließ, und hangelte sich an einer der Landestützen auf den Hallenboden des unbeleuchteten Frachthangars hinab. Dezi kam nach, seine Bolzen gut geschmiert und kaum quietschend. Seine Metallhaut war jetzt von einer nichtreflektierenden Schicht bedeckt. Wenn er im Schatten stillstand, konnte er glatt als Pfosten durchgehen.
Rhis hoffte allerdings, dass solche Maßnahmen gar nicht erforderlich sein würden. Er hatte vor, alle Korridore zu umgehen und den Hauptversorgungsschächten zu folgen. Selbst wenn er sich eine ’Sko-Uniform besorgen konnte, würde sein muskulöser Körperbau ihn überall auf Anhieb verraten.
Frachthangars waren klassischerweise höhlenartig, ihre Wände durchlöchert von Versorgungsmulden, Ventilbuchten, Kabelkanälen, Tunneln und Schächten. Einige Luken waren abgeschlossen. Andere codiert. Dezi stürzte sich auf das erste Lukenpad, das er sah.
Wenn seine von Rhis programmierten Module nichts taugten, dann würde sich das jetzt zeigen.
Es waren die längsten sechs Minuten seines Leben.
»Sechs Minuten, vierzehn Sekunden«, verkündete Dezi. »Wir müssen eine solche Verzögerung nicht noch einmal hinnehmen. Ich habe jetzt den Basiscode für das Sicherheitssystem in meinem Speicher. Nicht besonders einfallsreich übrigens. Verschlüsselt im Takt eines obskuren Musicals, das –«
»Allerliebst, Dezi. Später.«
Der Tunnel war eng und spärlich beleuchtet. Er robbte sich halb kriechend, halb liegend voran. Sein Brustkorb tat weh. Die Haut rings um das Med-Kissen an seiner Seite juckte. Die neue Haut, die bei der Matrixregeneration wuchs, ebenfalls. Zum Wahnsinnigwerden. Er sollte sich langsam mal daran gewöhnen.
Der Tunnel weitete sich zu einem Kreuzungspunkt, an dem drei Systemdatenrelais miteinander verschaltet waren. Das hieß, Zugang zu Datennetzen. Gut. Sehr gut. Dezi hackte sich ein und aktivierte den Wandmonitor. Er steuerte das Hauptverzeichnis an. Nur ein Unterverzeichnis. Nicht mal die ’Sko waren so überheblich, die Basisbetriebssystemdaten ihres Main-Comps so leicht erreichbar abzulegen.
Er suchte nach Löchern im Schema, nach schwarzen Sektoren, bat Dezi, sie festzuhalten. Da musste er lang. Da musste er es finden.
So, wie er Trilby finden musste.
Er hatte Mitkanos angelogen. Dies war kein Erkundungsgang. Dies war die Mission. Er hatte oft genug gegen die ’Sko gekämpft, um zu wissen, dass man praktisch nie eine zweite Chance bekam.
»Deck-Diagramme?«, flüsterte er dem Droiden herrisch zu.
»Bin dran. Einen Moment.«
Rhis entlastete die Hüfte und kratzte sich unter der Jacke den Bauch. Verfluchte Heilmatrix.
»Nur Teildiagramme«, sagte Dezi schließlich. »Dies ist ein sekundärer Datenzugang.«
»Zeig her.«
Der Wandmonitor flimmerte, wechselte das Bild. Nur die Unterdecks. Wiederaufbereitung. Sechs Frachthangars. Gefängnistrakt.
Gefängnis! Wo sollten sie sie festhalten, wenn nicht dort?
Er schickte den Göttern ein kurzes Stoßgebet, riskierte es, sie auf seine Lage aufmerksam zu machen. »Bist du in ihrem Intracom?« Er musste das Kommunikationssystem der ’Sko unterwandern, um tun zu können, was als Nächstes zu tun war.
»Bestätigt.«
Er griff sich in die Jacke, zog ein kleines Datapad hervor. »Du schickst einen Niedervoltimpuls, wenn ich es sage.«
»Bin in Stellung.«
Er betete, dass sie ihren Combutton noch am Uniformkragen trug. Dass die ’Sko sich um nichts gekümmert hatten, weil sie davon ausgingen, dass alles, was mit der zerstörten Quest zusammenhing, nur noch Schrott und somit nutzlos war. Mit Sicherheit hatten sie ihr Waffen und Werkzeuggürtel abgenommen, aber vielleicht nicht den Combutton.
Die Buttons müssten auf ein kleines Ping reagieren, eingegeben auf einer Kurzfrequenz, die dafür wie geschaffen schien, da sie nur in Notfällen genutzt wurde.
»Jetzt.«
Ein zartes Energieströmchen, kaum messbar, bahnte sich seinen Weg durchs Kommunikationssystem der ’Sko.
Ein Ping. Zwei.
Er sog scharf den Atem ein und las die antwortenden IDs aus. FRRMNV. DLPPRZ. Farra, Dallon. Im Gefängnis, wie es aussah.
Keine Trilby.
Wo zum Teufel steckte sie?
Er sah Dezi an. »Ich hab Farra. Patruzius. Keine Trilby.«
»Vielleicht ist ihr Button nicht intakt.«
Oder sie hatten sie getrennt, und Trilby war auf dem anderen Mutterschiff.
Verfluchte Hölle. Das machte es komplizierter. Zumindest vorübergehend.
»Soll ich noch ein Ping senden?«
Er überflog den Monitor. »Nein. Noch nicht.« Es gab noch eine andere Option, die ihm weit besser gefiel. Sie war vielleicht auf dem Schiff, aber nicht im Gefängnis. Er hatte hier nur Zugriff auf das Diagramm der unteren Decks. Wenn Garold Grantfort seine Finger im Spiel hatte, wovon er fest ausging, dann war Trilby diejenige, mit der die ’Sko verhandeln mussten.
Sie war schließlich immer noch Captain ihres Schiffs. Und sollten die ’Sko das vergessen haben, würde seine Funkenfee mit Sicherheit die Erste sein, die ihnen das unmissverständlich ins Gedächtnis rief.
Trilby saß an dem langen Tisch im Konferenzraum und gab sich alle Mühe, die dunklen Flecken zu übersehen, mit denen die Überreste der Navigationsstation aus der Quest übersät waren. Sie hatte Thren gesagt, wo die Datenbanken der Sternenkarten gespeichert waren: ein kleines Paneel aus einer Untereinheit ihrer Navigationsstation auf der Brücke. Aber die ’Sko hatten, vielleicht um ihr mit ihrer Effizienz zu imponieren, nicht nur die fragliche Einheit angeschleppt, sondern gleich den größten Teil der verdammten Navigationsstation der Quest. Die verzogene Konsole, komplett mit all den dunklen Spritzern und Schmierflecken, die nur von Rhis’ Blut stammen konnten, stand jetzt an der gegenüberliegenden Wand. Kabelsalat aus elektronischen und optischen Leitern lag auf der Schaltfläche. Monitore hatten sich verkantet in ihre Schlitze verkrochen, Tastaturen bäumten sich auf.
Aber alles, was sie wirklich wahrnahm, war das Blut.
Sie fragte sich schmerzverkrampft, was sie wohl mit seiner Leiche gemacht hatten. Vielleicht sollte sie das auf ihre »Noch zu besprechen«-Liste setzen. Eine anständige Beerdigung. Die ’Sko, mit Ausnahme der Dakrahl, pflegten keine Totenehrung. Ein toter Körper war ein toter Körper, basta. Sie waren auf ihren eigenen Kameraden herumgetrampelt, als sie die Brücke der Quest eingenommen hatten. Hatten die Toten, ja sogar die Verletzten, rausgezerrt und einfach kurzerhand die Falltreppe runtergeworfen.
Und Mitkanos’ Leiche? Danach würde sie auch fragen. Bringt beide nach Avanar und begrabt sie dort. In der großen Höhle oberhalb des Dschungels, aus dem sie ihn aufgelesen hatte, wäre Rhis dann für immer bei ihr.
Sie wischte sich eine Träne von der Backe, die sich aus ihrem Auge geschlichen hatte, und wandte sich wieder der Bildschirmeinheit auf der Mitte des Tisches zu. Die Datenbanken der Quest waren bei dem Angriff reichlich aufgemischt worden, aber das hatte sie nicht anders erwartet. Sie teilte Thren mit, es würde noch eine Weile dauern, alles zu entwirren. Eine gute Weile. Denn, so warnte sie, es gab da mehrere gefährliche, potenziell verhängnisvolle Fehlbedienungssperren.
Sie hatte sie selbst programmiert.
»Ich brauche dringend ein Zielverzeichnis mit sehr, sehr viel Speicherkapazität, um schnell einen Sicherheitsdownload zu starten.« Sie setzte den unschuldigsten Gesichtsausdruck auf, den sie draufhatte. Den gleichen, den sie aufsetzte, wenn sie die konklavischen Zöllner oder Inspektoren fragte: »Was denn für unerlaubte Ware?«
Sie merkte, wie Thren zögerte. Sie hatte soeben einen Zugang zum Basisdatenspeicher des Mutterschiffs verlangt, und dem ’Sko war das durchaus klar. Er lehnte sich auf der anderen Seite des Tisches im Stuhl zurück. Der Stachelball lag reglos vor ihm.
»Warum nicht alte Einheit.« Er zeigte auf den Schrott in der Ecke.
»Weil sie erstens beschädigt wurde, und zweitens diese Beschädigung zum Verlust von Speicherplatz geführt hat. Und drittens ist der Platzbedarf der Sternenkarten größer als das, was noch an Speicher übrig ist. Ich kann sie gerne zu komprimieren versuchen, aber wir riskieren einen irreversiblen Datenverlust, wenn der Platz trotzdem nicht ausreicht.«
Das war eines der wenigen Dinge, die stimmten. Wenn Thren es nicht glauben wollte, würden ihm seine Bordtechniker das jederzeit bestätigen können. Dazu brauchten sie nur die Konsole zu scannen.
Er hatte, das war ihr klar, genau zwei Optionen. Er konnte sie direkt auf die Schiffscomputer zugreifen lassen. Das wäre ihr natürlich am liebsten. Oder aber er nahm sich die Zeit, einen tragbaren Datenspeicher mit ausreichender Kapazität anzuschleppen, um sie ausdrücklich nicht an die Schiffscomputer zu lassen.
Das wäre ihr überhaupt nicht lieb.
Sie musste unbedingt in die Rechner der ’Sko rein. Ran an ihre Basisbetriebssystemdaten.
Sie würde ihnen die Herkoid-Sternenkarten aushändigen, angemessen aufbereitet von dem verstorbenen Captain Khyrhis Tivahr. Aber im selben Zug würde sie ihnen noch etwas anderes rüberreichen.
Überraschung.
Thren plapperte ins Intracom. Hochfrequente, fistelige Ycskrit-Geräusche knisterten zurück. Trilby wartete, betrachtete ihre Hände, musterte die Schreibtischplatte, spähte auf ein weit entferntes Sternenfeld hinter den großen Rundbogenfenstern – kurz, sie schaute überallhin, nur ja nicht auf die Überreste der Navigationskonsole.
Sie flogen jetzt mit Überlichtantrieb, nach einem Sprung durch einen kurzen Hyperraumtunnel. Sie erkannte keine Sternenbilder. Woher sollte sie auch, die ’Sko-Welten waren nun wirklich nicht ihr Gebiet. Thren hatte sich von ihr lediglich die Koordinaten von Avanar geben lassen und benötigte scheinbar keine weiteren Angaben. Offenbar hatten sie ihre eigenen Routen, um nach Gensiira zu gelangen.
Carinas Anwesenheit auf dem Schiff war ein weiterer Beleg dafür.
Sie hatte keine Ahnung, wieso die ’Sko Carina eigentlich am Leben gelassen hatten. Oder auch Farra und Dallon. Edelmut und Milde waren keine Begriffe, die sich auch nur im Entferntesten mit den ’Sko in Verbindung bringen ließen. Wenn sie etwas unternahmen, taten sie es, weil es ihnen auf irgendeine Weise einen Vorteil brachte, und zwar ausschließlich ihnen.
Und wenn es das nicht oder nicht mehr tat, gingen sie ausnehmend brutal und absolut rücksichtslos vor.
Es war auch höchst fraglich, ob die ’Sko sie wirklich lebend auf Avanar aussetzen würden. Wenn überhaupt, so mutmaßte sie, dann nur, sofern sie überzeugt waren, dass sie dort nie wieder wegkonnten. Aber sie würden überzeugt sein – wer würde das nicht? –, sobald sie die alles zersetzende Atmosphäre des avanarschen Dschungels kennegelernt hatten.
Ihr Überleben würde davon abhängen, welches Schiff die ’Sko ihnen als Schutz auf Avanar zugestanden. Die Shadows Quest würde ihr schon genügen. Mit ihrem Bestand an im Laufe der Jahre zusammengetragenen Ersatzteilen, die alle gut sortiert, gut versteckt und korrosionsgeschützt verpackt in der Höhle lagerten, sollte es ihr mit Dallons, Farras und Carinas Hilfe gelingen, die Quest wieder aufzutakeln. In erster Linie mussten sie ein Com-Pack zusammenbasteln. Früher oder später konnte sie dann jemand aufsammeln.
Aber wenn die ’Sko nicht mitspielten, wenn sie die Übereinkunft brachen …
Machte das auch nichts. Rhis war tot. Aber seine und ihre in feiner Handprogrammierung eingeflochtenen Kettenkarusselle würden weiterexistieren, würden für immer und ewig in den ’Sko’schen Betriebssystemen und Datenbanken herumwirbeln und schließlich das Mutterschiff zerstören sowie nach und nach jedes andere Schiff, was mit ihm kommuniziert hatte.
Thren war plötzlich aufgestanden und schwenkte das lange Gesicht hin und her. »Chance? Chance. Vertrau. Brauche Karten.« Er ging am Tisch entlang, beugte sich über den Bildschirm und steckte einen Finger in einen ID-Schlitz. Dann betätigte er drei Code-Abfragen hintereinander.
Sie sah die Zeichen über den Schirm wandern.
Ycskrit! Verdammt, alles in Ycskrit. Genauso gut konnte sie versuchen, Fledermauskacke zu entziffern.
Thren zeigte auf den Schirm. »Da.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann eure Sprache nicht lesen. Ich muss aber mit binär codierten Adressen arbeiten. Das ist die einzige Chance, die Datenbanken der Sternenkarten mit euren Systemschnittstellen zu verbinden. Im Binärcode.«
Er wirbelte herum, schlug auf das Intracom in der Tischmitte und würgte zischend irgendeinen langen, wütend klingenden Satz heraus.
Nach wenigen Minuten glitt die Doppeltür auseinander. Ein langer, dünner, rot uniformierter ’Sko eilte herein. Sein gelb-grüner Haarstreifen hüpfte mit.
Thren kreischte, zischte, fistelte und kreischte erneut.
Der Systemtechniker – Trilby nahm an, dass es einer war – wimmerte irgendeine Antwort.
Trilby hörte weg und begann zafharische Steigerungsformen zu üben. Gut, besser, am besten. Gut, besser, am besten.
Wurmfurz.
Der Systemtechniker eilte fahlgesichtig und hektisch gestikulierend auf sie zu und bedeutete ihr, ihm Platz zu machen. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder und stöpselte seinen langen Finger seitlich in den Bildschirm. ID bestätigt. Eingabe. Eingabe. Eingabe.
Zweiter ID-Zugang. Bestätigt.
Eingabe.
Weitere Eingaben.
Thren kreischte wieder.
Der Techniker erschrak und beschleunigte seine Eingaben.
Trilby stand hinter ihm, die Arme vor der Brust verschränkt. Und sah Zahlen. Wunderbare, geliebte Zahlen, die niemand übersetzen musste.
Der Techniker fiepte glücklich auf und sah Thren an.
Thren zeigte auf sie. »Jetzt? Du macht.«
Der Systemtechniker machte Platz.
Trilby setzte sich. »Jetzt. Ich Macht.«
Langsam und methodisch machte sie sich daran, die Dateien zu öffnen und die Sternenkarten zu entschlüsseln, wobei sie absichtlich die größten und komplexesten auswählte. Thren sah ihr über die Schulter. Sie summte »gut, besser, am besten«, während sie fleißig arbeitete.
Nach einer Weile wurde Thren unruhig und trat von einem Fuß auf den anderen. Dann machte er einen kleinen Spaziergang zum Rundbogenfenster. Ein Blick nach draußen, und schon war er wieder hinter ihr und glotzte auf den Bildschirm.
Trilby summte weiterhin ihr sanft-meditatives Liedchen.
»Fertig? Fertig?«
Sie warf ihm den gleichen verwunderten Blick zu, den sie auch Rhis zugeworfen hatte, als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. Ein Blick, der wortlos ausdrückte, dass sie ernsthaft an seiner Intelligenz zweifelte. Thren schien den Blick ebenfalls zu verstehen, jedenfalls spazierte er – oder sie oder es? – wieder zum Fenster.
Schließlich begab er sich zurück auf seinen Platz am anderen Ende des Tisches und fuhr ebenfalls einen Bildschirm aus. Sie hörte das Gerät piepen und zirpen und fragte sich kurz, ob er irgendwelche Schiffsangelegenheiten regelte oder vielleicht eine Runde intergalaktisches Poker spielte. Auf jeden Fall kümmerte er sich jetzt nicht um sie.
Oder um das, was sie gleich tun würde.
Sie zog die Dateien jetzt rasch hin und her, markierte zwei und versteckte sie in einem Scheinverzeichnis. Dann suchte sie nach einem Verlinkungsprogramm, fand es und schob es ins Hauptsystemverzeichnis des Systemdatenspeichers des Mutterschiffs.
Gut, besser, am besten!
Ihr Programm würde ein paar Minuten brauchen, um die Betriebssystemdaten aufzustöbern. Sie wechselte inzwischen ins Verzeichnis der Sternenkarten und entpackte sie, so langsam es ging, in die Navigationsdatenbank der ’Sko.
Dann war es so weit, ihr Programm hatte das Ziel aufgespürt. Aber vorher musste sie noch etwas anderes tun.
»Thren?«
Er sah auf. »Elli. Ot.?«
»Ich hab hier eine richtig alte Sternenkarte. Willst du sie sehen?«
Das dünne Gesicht wackelte unruhig.
»Nein. Bleib sitzen.« Sie wedelte mit der Hand, als er aufstehen wollte. »Wenn ich sie hier anzeige, verlangsamt mich das zu sehr. Ich schick sie dir. Wie ist deine Empfangs-ID?«
Es brauchte noch ein bisschen Überredung und kreischige Transmitter-Übersetzungen, um von Thren zu bekommen, was sie wollte. Seinen persönlichen ID-Code.
Sie tippte ihn ein und speicherte ihn unter dem Namen Wurmfurz.
Sie schickte ihm eine Sternenkarte mit mächtig vielen versteckten Hyperraumtunneln in und um Lissade. Dickes Geld. Das würde ihn erst einmal eine Weilchen sabbern lassen.
Falls ’Sko sabberten.
Ein fauchendes Geräusch entfuhr seinem Schlund, als er auf seinen Schirm starrte. Vermutlich die ’Sko-Art, Begeisterung auszudrücken.
Und immer dran denken, sie bestanden vor allem aus heißer Luft.
Sie wandte sich wieder den Basissystemdaten auf ihrem Schirm zu, öffnete den Eingabekommunikator – und wurde gleich in der obersten Zeile von etwas begrüßt, was sie in ihrem Leben nicht mehr erwartet hatte.
Yav chera.
Ihre Hand zitterte, als sie sie ausstreckte und die Worte auf dem Bildschirm betastete.
Es war keine Halluzination.
Sie spähte kurz zu Thren. Er fauchte vor sich hin, die länglichen gelben Augen auf den Bildschirm fixiert.
Sie hörte ihren eigenen Herzschlag hämmern. Mit Mühe schob sie die Hände zur Tastatur. Die Finger verfehlten die Tasten, glitschten ab. Sie rieb sie sich an der Hose trocken und versuchte es noch mal.
Yav cheron, Khyrhis-Chevo.
Sofort erschien als Antwort die Zeile: Dasjankira Trilby-Chenka.
Ihr Atem kam jetzt stoßweise. Sie glaubte nicht an Gespenster. Hatte Rhis irgendeinen Scherz an Bord der Quest einprogrammiert, um sie zu necken? War das vielleicht nichts weiter als ein interaktives Unterhaltungsspiel, entwickelt, um sich die Zeit zu vertreiben?
Sie musste einen Satz eingeben, auf den ein interaktives Spiel keine passende vorprogrammierte Antwort finden dürfte. Irgendwas, was auch Rhis nicht gewusst haben konnte. Carina ist hier.
Nichts. Tja, so war das mit solchen Spielen. Die Frage passte halt auf nichts in der vorgegebenen Antwortschleife. Sie ließ den Mut sinken.
Zum Teufel. Wo?
Sie unterdrückte mühsam einen Freudenjuchzer.
Knast. Dallon, Farra auch.
Bestätigt. Ich hab Onkel Yavo.
Yavo? Lebt?
Knurrt wie immer.
Sie wollte am liebsten Beifall klatschen, nein, aufstehen und Zugabe brüllen! Wo bist du?
Komme in fünf Minuten durch die Hintertür. Gönnst du ihren Daten zum Abschluss noch eine Fahrt mit dem Kettenkarussell, oder soll ich es von hier aus wirbeln lassen?
Göttin. Sie hatte eine dunkle Anhnung von dem, was vorgegangen sein musste, obwohl es eigentlich außerhalb jeder Vorstellungskraft lag. Irgendwie war Rhis am Leben geblieben. Und ins Herz des Mutterschiffs vorgedrungen, bestimmt durch irgendwelche Versorgungsschächte, auf der Suche nach einer Datenschnittstelle. Fand irgendein Relais, hackte sich irgendwie ein. Und stellte fest, dass sie bereits das Gleiche getan hatte. Doppelt hält besser.
Sie musste darauf vertrauen, dass er bewaffnet war. Sie selbst war es nicht. Aber darum konnte nur er sich kümmern. Und sie sich um das andere.
Ich bin in Stimmung fürs Kettenkarussell.
Gut. Ich bin in Stimmung fürs Töten.
Er war definitiv bewaffnet. Und echt mieser Laune.
Mit leicht zitternder Hand ging sie ins Hauptverzeichnis und verlinkte die beiden versteckten Dateien mit der ID von Thren. Dann stieg sie in die System-Back-ups hinab und programmierte einen Antwortparameter ein.
Zurück ins Basisbetriebssystem. Sie suchte nach einer Zahlenfolge, die sie sich eingeprägt hatte, nachdem Rhis ihr beigebracht hatte, was an der Stelle zu tun war. Die Zahlenfolge war schwerer zu finden, als sie erwartet hatte. Sie musste Brücken erzeugen.
Zur Hölle.
Fünf Minuten, hatte Rhis geschrieben. Sie hatte nur fünf Minuten, um den ’Sko die Kontrolle des Mutterschiffs zu entreißen. Sie konnte diese ganzen Brücken unmöglich so schnell schreiben.
Aber halt, das musste sie auch gar nicht. Sproings. Shadow hatte sie Sproings genannt, weil er sich vorgestellt hatte, so klänge das Geräusch, wenn sie sprangen, sich teilten und wieder sprangen.
Sie konnte eine Brücke sproingen und ihrer Wege springen lassen.
Verdammt noch mal! Das machte fast Spaß.
Threns nasale Fistelstimme lenkte sie ab. »Gut! Das gut!« Er zeigte auf den Bildschirm.
Nein, du mutterlose Ausgeburt einer pillorischen Zitzenratte. Das ist am besten.
Die Bildschirme flackerten kurz. Thren riss den Kopf hoch, die Augen glühten misstrauisch auf. Er war auf der Hut.
»Ups«, sagte sie. »Sehr große Karte. Totalübersicht von ganz Konklavien. Aber zu groß. Pech. Ich sollte sie vielleicht doch lieber lösch–«
»Total? Total? Eine Karte? Ganz Konklavien?«
»Jawohl, aber die Entschlüsselung braucht zu viel Arbeitsspeicher. Sie würde eine Weile eure ganzen Schiffsreserven lahmlegen, es sei denn, du schaltest etwas ab.«
»Sag!«
Sie betrachtete den Schirm und tat, als dächte sie wissend nach. »Mechanisches blockiert ja immer am meisten Speicher. Kannst du vielleicht für zwei Minuten die Fahrstühle abschalten?«
Eine krächzende Übersetzung. Thren bellte kreischend ins Intracom. »Zwei Minuten«, sagte er zu Trilby. »Nicht mehr.«
Sie lächelte bestätigend und drückte eine Taste. Ungezählte undurchdringbare Luftschutztore setzten sich stöhnend in Betrieb und schotteten hermetisch sämtliche Decks auf dem Schiff gegeneinander ab.
Nur Rhis und sie kannten den Code, den man brauchte, um das rückgängig zu machen.
Gut. Besser. Am besten.