15

Es war dunkel. Es war kalt. Dann war es hell und furchtbar heiß. Alles kratzte. Irgendwas pikte. Geräusche schwollen an, alles klang wie durch Watte. Sie musste dringend niesen.

Dann hatte sie Durst. Gin. Einen großen Gin mit Eis. Zwei Stück Zitrone. Klang gut.

Trilby Elliot schlug die Augen auf. Alles blieb weiterhin dunkel. Nein, nicht ganz. Gedimmt. Ihre Sicht verschwamm um die Ränder, ihre Augen stellten sich nur langsam scharf wie ein altes Fernglas. Rot umrandete Zahlen. Ein nervtötendes Fiepen.

Sie versuchte den Kopf zu drehen, entschied aber dann, dass es die Anstrengung nicht wert war. Sie versuchte irgendetwas zu erkennen. Rote Zahlen links. Das elende Fiepsdings irgendwo oberhalb. Rechts …

Es dauerte einen Moment. Ein Stuhl. Leer.

Ihre Nase kitzelte wieder. Sie hob eine Hand, um sich zu kratzen, und stieß mit dem Handgelenk irgendwo gegen. Mühsam schielte sie an sich runter.

Eine Glocke. Über ihr.

Sie war auf der Krankenstation. Die Krankenstation sah zwar nicht ganz so aus wie ihre, aber hey, vielleicht hatte sie gut Kasse gemacht durch ihren Frachtjob nach … nach …

Sie leckte sich die Lippen, schluckte. Probierte die Stimme aus. »Dezi?«

Eine Tür glitt zur Seite, ein heller Lichtstrahl blendete sie. Sie blinzelte und sah die Umrisse einer gedrungenen Form.

Kein Dezi.

»Lutsa«, sagte eine männliche Stimme. Das Licht wurde heller.

Lutsa?

»Nein, ich bin Trilby.« Ihre Stimme klang brüchig. Sie brauchte unbedingt noch einen Gin.

Die gedrungene Form kam an ihre Seite. Sie hörte, wie irgendwelches medizinische Gerät bedient wurde. Sie blinzelte, als sie sich ans Licht gewöhnte.

Der Kerl, der sie für Lutsa hielt, war um die sechzig, breitschultrig und glatzköpfig. Sie kannte ihn nicht und hoffte, dass sie das auch nicht musste. Sie wusste immerhin, wer sie war. Es wäre echt übel gewesen, wenn sie sonst nichts mehr gewusst hätte.

Nicht mehr wüsste, mit wem sie sich dermaßen hemmungslos betrunken hatte. Denn eine andere Erklärung konnte es nicht geben, wie sie auf dieser Krankenstation gelandet war. Sauftour.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte Glatzi. Er sprach mit Akzent. Sie hatte keine Ahnung, mit welchem.

Er trug einen hellblauen Laborkittel. Nicht so einen wissenschaftlichen wie Chasers weißer Kittel mit dem GGA-Logo drauf. Dann war das hier wohl ein Arzt.

Warum mussten einen bloß alle Ärzte immer fragen, wie es einem ging? Sie fand das eine saublöde Frage. »Weiß ich nicht«, erklärte sie. »Sie haben Medizin studiert, sagen Sie es mir.«

Er schien sich einen Augenblick zu versteifen, doch dann kicherte er. »Besser, viel besser. Das hört man. Das ist gut.« Er drückte den Verschlussknopf. »Kopfschmerzen, was? Und die Schulter schmerzt auch. Und die ganze rechte Seite sowieso. Noch irgendwas, was in meinem Medizinstudium vielleicht nicht dran kam?«

»Ich hab Durst, und meine Nase juckt.«

»Gut! Ich denke, das lässt sich beides regeln, Captain Elliot.«

»Sie wissen, wer ich bin?«

Er streifte kurz ihren Blick und klinkte die Regenerationsglocke aus. »Aber natürlich.«

Sie verkrampfte sich einen Moment lang, nicht, weil er ihren Namen kannte, sondern weil er die Glocke wegschwenkte und dadurch ihr nackter Körper zum Vorschein kam … bedeckt mit einem dünnen, weichen Tuch. Oh. Neuere Regenerationstechnik konnte offenbar durch Textilien dringen. Sie entspannte sich.

»Warum haben Sie mich dann Lutsa genannt, als Sie reinkamen?«

»Ah. Lutsa. Das ist zafharisch für Licht. Das muss man bei uns sagen, damit die Zimmerlampen angehen.«

Zafharisch?

Zafharisch. Wie Zafharier. Wie …

Tivahr.

Sie schloss die Augen, und ein kleiner zorniger Japser entschlüpfte ihren Lippen.

»Haben Sie Schmerzen? Woanders Schmerzen?« Sie hörte, wie Glatzi seine Anlage wieder anknipste.

»Nein.« Sie hob abwehrend die Hand. Dann rieb sie sich erst mal genüsslich die Nase. »Ich hatte …«, sie seufzte. »Ich hatte kurz vergessen, wo ich bin. Ich weiß nicht mehr so genau, was passiert ist. Und ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt wissen will, was passiert ist.«

Glatzi schürzte die Lippen. »Für mich ist es am besten, wenn ich ausschließlich über Ihre Verletzungen spreche. Sie waren ziemlich schwer verletzt. Aber in den letzten drei Tagen …«

»Drei Tage

»… haben Sie sich gut erholt. Ein Ergebnis meiner ausgezeichneten Pflege.«

Ach ja. Imperiale Arroganz.

Und eine imperiale Kampfschwadron. Die Alarmsirene schrillte ihr erneut in den Ohren.

»Ihre Schiffe haben mich angegriffen.«

»Nicht direkt unsere.« Er zog ihr Kissen etwas höher und hielt ihr den Kopf, als sie einen Schluck Wasser trank.

Sie schluckte.»Ich erkenne doch imperiale Kampfschiffe, wenn ich sie sehe.«

»Das bezweifle ich ja gar nicht. Aber es waren nicht unsere. Nicht die der Razalka.« Er schaute sie eindringlich an.

Sie ruckelte sich in eine etwas aufrechtere Position.

Er fuhr das Kopfteil des Bettes etwas weiter hoch. »Besser so?«

»Danke. Aber wenn sie nicht von der Razalka kamen –«

»Ich bin Arzt, Captain Elliot. Ich will Ihnen gerne jede medizinische Frage beantworten, die Sie haben. Zu allem anderen kann ich jedoch nicht viel sagen, das kam im Medizinstudium nämlich nicht vor.«

Sie nippte mehr Wasser und beobachtete Glatzi, der die Anzeigen an der Regglocke ablas, die jetzt hüftabwärts seitlich über ihr schwebte. Diese Technik war offenbar noch sehr viel weiter entwickelt. Sie strich mit einer Hand über die silberne Oberfläche. Feines Material.

»Wo ist Tivahr?«

Glatzi sah auf. »Der streunt wohl auf dem Schiff herum und geht allen gründlich auf die Nerven.«

Sie lachte, vollkommen überrascht von seiner Antwort. »Ich bin wirklich auf der Razalka

»Das sind Sie.«

»Und doch nehmen Sie sich heraus, so über Ihren Captain zu reden?«

»Ich kenne Khyrhis seit über zwanzig Jahren. Schätze, im Laufe dieser der Zeit hab ich genügend belastendes Material gesammelt, um mir ein Urteil zu erlauben.«

»Oh, da kann ich bestimmt auch noch was drauflegen, wenn’s nötig ist.«

»Danke, die Akte quillt schon über.«

Sie lachte erneut. Ihre Schulter schmerzte höllisch dabei, aber das machte nichts. Es tat einfach gut, wieder zu lachen. »Danke, Doktor –«

Sie wartete, bis er die Lücke füllte.

»Vasilivankovich. Aber hier nennen mich alle Doc Vanko.« Er grinste.

»Danke, Doc. Also, mit wem kann ich über mein Schiff sprechen?«

Und über Dezi. Ihr Herz wurde schwer. Dezi.

»Ich hatte einen Droiden. Einen Protokolldroiden. Er war mein Kopilot. Wissen Sie, was mit ihm geschehen ist?«

Doc schüttelte den Kopf. »Nicht meine Baustelle. Tut mir leid. Aber ich kann Ihnen Captain Tivahr herschicken. Oder Commander Jankova.«

Sie war noch nicht so weit, Tivahr zu begegnen. Erst wenn sie in der Lage war, ihm ins Gesicht zu schlagen. »Jankova wär mir lieber.«

Er nickte. »Dann will ich mal sehen, was ich tun kann. Hier, neben Ihrem Bett steht Wasser. Der Notrufknopf ist dort, bei Ihrer rechten Hand.«

Und mein einziges einsatzfähiges Lasergewehr?, dachte sie, ohne es jedoch auszusprechen, denn sie hatte jetzt ganz andere Sorgen.

Dezi.

Hana Jankova kam, fünf Minuten nachdem der Doc gegangen war. »Sie haben uns ja einen gehörigen Schrecken eingejagt.«

Trilby betrachtete die Frau mit den kastanienbraunen Haaren und konnte beim besten Willen nichts Hinterhältiges in ihren blauen Augen entdecken.

»Das kann ich genauso zurückgeben. Sie beziehungsweise Ihr Imperium mir auch. Aber Ihr Doc hat schon mächtig vorgearbeitet, damit ich nicht alles zu schwarz-weiß sehe. Er fand allen Ernstes, ich sollte ihm glauben, dass die Razalka mit dem Angriff auf mein Schiff nicht das Geringste zu tun hatte.«

Jankova fasste hinter sich und drückte den Türknopf. Die Tür schloss sich. »Sie werden beizeiten alles erfahren. Fürs Erste nur so viel: Nein, die Schwadron kam nicht von diesem Schiff. Sie kam von Degvar. Aber der Einsatzbefehl, doch, der wurde von hier aus gegeben.«

»Tivahr!« Trilby spuckte den Namen regelrecht aus.

»Nein.« Jankovas Tonfall war sehr bestimmt. »Sie müssen mir vertrauen. Und Sie müssen sich ab sofort – bis ich Ihnen etwas anderes sage – so verhalten, als ob Sie glaubten, dass es Tivahr war. Andernfalls riskieren Sie Ihr Leben, und seine Karriere gleich mit.«

»Das ergibt doch keinen Sinn!«

»Bitte.« Sie lehnte sich an die Bettkante und legte eine Hand auf Trilbys Arm. »Ich weiß, ich bin nicht Neadi oder Carina. Sie haben keinen Grund, mir blind zu vertrauen. Aber Sie müssen. Lucho Salny wird beschuldigt, Ihnen bei der Flucht behilflich gewesen zu sein.«

»Lucho? Farra Rimanavas Lucho? Aber er –«

»Hat Ihnen geholfen, ja.« Jankovas Blick nagelte sie fest. »Lucho hat Ihnen geholfen.«

Langsam fielen die Klötzchen in Trilbys Kopf an ihren Platz. Wenn Lucho Tivahr deckte, dann nur, weil Farra Rimanava ihn darum gebeten hat. Und Farra hätte Lucho niemals ohne Mitkanos Einwilligung darum gebeten. Trilbys Gefühl traute Mitkanos. »Ja, richtig. Lucho hat mir geholfen. Sagen Sie mir, was ich noch alles vergessen habe. Ich bin ja schwer verletzt, hat der Doc gesagt.«

Jankova lächelte und entspannte sich ein wenig. »Lucho hat Ihnen geholfen. Er hatte keine Ahnung, dass Captain Tivahr Ihre Programme gehackt hat. Sie haben Lucho nur gesagt, Sie hätten Probleme, die Technik Ihres Schiffs mit unserer zu synchronisieren. Lucho hat darauf die Haltekrampen per Hand gelöst, weil Sie ihm gesagt haben, dass die Mechanik nicht auf Ihre Eingaben reagiert.« Sie hörte das Echo von Mitkanos Worten in Jankovas Schilderung. Nur Mitkanos wusste, dass sie die Krampen selbst gelöst hatte.

»Klar. Und was hat Lucho jetzt zu befürchten?« Den hübschen jungen Mann für Tivahr den Teuflischen zu opfern, kam ihr unangemessen vor.

»Da dem Tower auf Degvar keine offizielle Order vorlag, Ihr Schiff festzuhalten, nicht viel. Sein einziges Vergehen, wenn Sie es so nennen wollen, ist, dass er die Razalka nicht von Ihrem Abflug informiert hat. Um diesen Sachverhalt zu klären, wurde er der Obhut von Major Mitkanos unterstellt. Ich nehme an, er bestraft ihn hart, indem er ihn zwingt, die Geschichte der Stegzarda auswendig zu lernen. Selbstverständlich hat er strengsten Hausarrest. Mitkanos zuverlässige Nichte Korporal Rimanava ist die einzige Person, die zu ihm darf, um ihn zu versorgen. Der arme Mann.«

»Also Lucho hat mir geholfen, und ich bin entkommen. Warum hat Tivahr mir die Schwadron auf den Hals gehetzt?«

»Captain Tivahr war sich natürlich der Tatsache bewusst, dass Sie Degvar erst verlassen dürfen, wenn Lord Minister Kospahr zugestimmt hat.«

»Ist das der gewisse Jemand, der mich tot sehen will?«

Jankova fuhr ein wenig zusammen. »Nicht ganz, nein. Sagen wir mal so, ein einzelnes Leben bedeutet ihm grundsätzlich nicht viel, wenn es um politische Entscheidungen geht. Das können wir natürlich nicht beweisen. Aber er ist der Typ, der jede Gelegenheit nutzt. Wenn er herausfände, dass Tivahr Sie absichtlich hat ziehen lassen, würde er ihn sofort des Kommandos entheben.«

Das würde dem verdammten Sohn eines pillorischen Sonstwas nur recht geschehen. Aber Trilby verstand schon, was Jankova wollte. Sie gab ein unflätiges Geräusch von sich. »Tivahr soll mich freigelassen haben? Sie leiden wohl unter Tagträumen, Commander. Er ist ein ligorisches Schleimwiesel. Nein, warten Sie. Ich entschuldige mich. Das ist eine Beleidigung für alle ligorischen Schleimwiesel.«

»Wer hat Ihnen dann bei der Flucht geholfen, Captain Elliot?«, spielte Jankova mit.

»Ich weiß es nicht. Ein netter, gut aussehender Mann. Hab ihn in der Lounge auf Degvar kennengelernt. Hieß glaub ich Luke, oder so ähnlich. Er wollte meine …«, sie hob eine Augenbraue, »Schubkraftverstärker warten. Dann erfuhr ich, dass er im Tower arbeitet. Eins kam zum anderen.«

»Ja, genau dasselbe hat er auch ausgesagt.« Sie stieß sich vom Bett ab, aber Trilby streckte ihre Hand aus, um sie zurückzuhalten.

»Dezi«, sagte sie mit gepresster Stimme und kam wieder in der Wirklichkeit an. »Ich muss es wissen.«

»Ihr Droide war im Maschinenraum, an Steuerbord. Ihr Schiff wurde stark beschädigt. Aber hauptsächlich backbord. Ich weiß nicht, ob man Ihr Schiff reparieren kann.«

Trilby sank das Herz.

»Aber Captain Tivahr hat sich Dezi vorgenommen.« Jankova klopfte Trilbys Hand. »Wir mussten ihn ja irgendwie beschäftigen. Er ist wirklich eine ganz schlimme Nervensäge.«

Nachdem Jankova gegangen war, sank Trilby in ihr Kissen zurück und ließ sich noch mal alles durch den Kopf gehen, überlegte, ob sie mit allem einverstanden war. Alles fiel an seinen richtigen Platz, bis auf Khyrhis Tivahr.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn jetzt einordnen sollte oder wo er nun wirklich hingehörte.

Sein Quartier sah aus wie ein Schrottplatz. Über dem Tisch lag eine Schutzgitterdecke. Darunter sah man Kabel durchschimmern und Spulen voller Plaststahlfäden, kleine Schachteln mit Bolzen, stapelweise dünne Steckkontaktplatinen. Zwei lange angelaufene Metallbeine hingen über einem Stuhl. Auf dem Beistelltisch hinter ihm stand eine mattierte Hand mit eingerollten Fingern. Ein großer Metalltorso lag geöffnet mitten auf dem Tisch. Und darüber rotierte langsam das Hologramm einer länglichen Blackbox.

Das hohe Fiepen des Kristallschweißers erfüllte den Raum. Dann ertönte sein Türsignal. Er schielte über den Rand seiner Lupenbrille und erkannte Hana Jankovas ID. »Herein.«

Sie trat ein. Die untere Hälfte ihres Körpers war extrem überproportioniert. Er riss sich die Brille von der Nase und ließ sie am Halteband herabfallen.

Jetzt sah Jankova richtig aus.

»Neuigkeiten?«

»Sie ist wach. Es geht ihr gut.«

»Wach?« Er sprang auf und schaltete glücklicherweise den Schweißer aus, bevor er ihn in die Hemdtasche stopfte. Er stieß sich das Schienbein am Tisch, ignorierte den Schmerz und stürmte in das kleine Wohnzimmer. Er und Jankova trafen sich vor der Couch. »Sie ist wach? Es geht ihr gut?«

»Ja. Und ja.«

»Sie hätten mich holen müssen.« Er zog sich die Brille über den Kopf und schleuderte sie durchs Zimmer. Sie landete auf einem Karton mit Ersatzteilen. »Ich hätte –«

»Sie kennen doch unseren Plan.« Sie piekte ihren Finger in seine Brust.

»Aber da war sie noch bewusstlos. Kospahr hätte Verdacht geschöpft, wenn er mitbekommen hätte, dass ich an ihrem Lager Nachtwachen halte. Aber wenn sie wach ist und spricht – spricht sie?«

»Dem Doc klingeln wohl schon die Ohren, schätze ich.«

»Also kann ich jetzt zu ihr gehen. Und sie befragen. Sie verhören. Oder was immer ein arroganter, ekelhafter Scheißkerl wie ich eben so tut.« Er suchte nach seiner Jacke. Wo verdammt war sie hin?

»Captain –«

»Sekunde. Ich brauch nur noch meine Jacke.«

»Captain Tivahr.«

Er hielt inne. Atmete schwer. Er hob die rechte Hand, dann ließ er sie in einer verzweifelten Geste herabsinken. »Hana, bitte. Es sind schon drei Tage. Fast vier. Ich habe sie die ganze Zeit nicht gesehen. Verdammt, sie ist fast draufgegangen! Ich hätte sie fast verloren.«

»Doc Vanko hat ihr ein leichtes Schlafmittel gegeben. Sie braucht jetzt viel Schlaf.«

Er warf sich auf die Couch. »Sie wollen mich nicht zu ihr lassen, richtig?

»Sie sollten …« Sie zögerte.

»Dravda gera mevnahr?«, sagte er ihr vor. Den Arsch nicht ins Feuer halten?

»Genau.«

Er legte die Hand unter sein Kinn und begann es zu kneten. »Ich weiß«, sagte er leise. »Ich weiß es ja.«

»Hauptsache, Kospahr weiß es nicht.« Sie setzte sich neben ihn auf die Couch und legte die Hand auf seine Schulter. »Morgen. Geduld bis morgen.«

»Darf ich sie sehen? Nur sehen? Heute. Das würde es leichter machen. Ich reiß mich auch ganz bestimmt zusammen. Ich verspreche es.«

Sie kicherte. »Lügner.«

»Ja, ich weiß.« In seinen Worten schwang Niedergeschlagenheit mit.

»Captain –«

»Sie ist immer noch wütend wegen allem, nicht wahr?«

»Sie hat nichts gesagt. Sie macht sich Sorgen um Dezi. Und ich musste ihr klarmachen, warum sie sich woran zu erinnern hat. Das war alles, was wir besprochen haben. Ich wollte sie nicht ermüden.«

»Wie sah sie aus?«

»Ein paar Prellungen. Aber sonst intakt. Besser als vor drei Tagen.«

Vor drei Tagen war sie kalt und leblos und entsetzlich schwach gewesen. Und hatte sein Blut auf ihren Händen gehabt.

Er betrachtete seine Hände. Sie waren vollständig verheilt. Keine Narben, weder von dem zerbrochenen Lesestift noch von dem scharfkantigen Metall in ihrem Schiff, das er verbogen hatte. Ein Dankeschön an die imperialen Gentechnologen.

»Morgen?« Er schaffte es nicht, die Hoffnung aus seiner Stimme zu verbannen.

Sie stand auf. »Morgen.«

Er brachte sie zur Tür seines Quartiers. Als sie gegangen war, lehnte er sich an die Wand.

Morgen war datumstechnisch gesehen in sechseinhalb Stunden. Aber dann musste er mindestens noch weitere sechs Stunden warten, ehe er einen glaubhaften Grund vorweisen konnte, die Krankenstation aufzusuchen.

Zwölfeinhalb Stunden. Eher dreizehn, wie er Commander Jankova kannte. Er fand seine Jacke schließlich auf dem Bett im anderen Zimmer. Sie war über ein kleines, katzenartiges Plüschtier gelegt.

Er würde jetzt mit seiner Crew Ekelhafter-Arroganter-Scheißkerl-Kapitän spielen gehen. Das würde ihm etwas die Zeit vertreiben.

Unglücklicherweise lief ihm zwanzig Minuten später Durwin Kospahr über den Weg, gerade als er die Brücke verließ.

»Captain Tivahr!«

»Was gibt’s, Lord Minister?«, fragte er unwirsch.

Kospahr stolperte neben ihm her, um Schritt zu halten. »Ich habe Lieutenant Gurdans Bericht studiert, ebenso die Datenanalyse von Captain Elliots Schiff. Ihre Kenntnis der Handelsrouten ist bemerkenswert.«

Rhis blieb vorm Fahrstuhl stehen und drückte den Knopf. »Sie ist Frachtspediteurin. Das gehört zu ihrem Beruf.« Er entschloss sich, hinab bis in die Maschinenräume zu fahren. Dahin würde ihm dieser Trottel doch wohl hoffentlich nicht folgen.

»Aber einige dieser Routen werden seit Jahrzehnten nicht mehr beflogen. Und es gibt unbekannte Strecken, die direkt in unser Imperium führen.«

Er hatte die Sternenkarten in Trilbys Datenbanken gesehen und darauf einige Routen wiedererkannt. Aber Trilby hatte tatsächlich auch ein paar Schleichwege auf ihren Karten, die selbst ihm völlig unbekannt waren. Wie hatte sie es ausgedrückt: Alle Wege führen nach Port Rumor.

»Ich habe die Schleichwege auf ihren Sternenkarten und in den Navigationsdateien der Venture gesehen. Stillgelegte Strecken, weil sie für die immer größer und schneller werdenden Schiffe und deren hoch entwickelte Technologie nicht ausgelegt sind. Die Leuchttürme, besonders die konklavischen, sind zu alt und zu schwach. Oder ganz ausgefallen.«

»Ja. Natürlich.« Kospahr wirkte enttäuscht, nicht endlich etwas gefunden zu haben, was die Fehlbarkeit des großen Captain Tivahr belegte. »Aber vielleicht könnte man ein paar dieser alten Strecken gewinnbringend umrüsten. Ich könnte das mit meinem Cousin, dem Kaiser, besprechen.«

»Die imperiale Flotte hat bessere Verwendung dafür.« Der Lift kam. Rhis stieg schnell ein und fluchte innerlich, als Kospahr sich zu ihm in die Kabine gesellte.

»Maschinenraum«, sagte er.

»Aber Sie sagten doch, die Leuchttürme wären zu schwach. Zu alt.«

»Das sind sie.«

»Und was will dann die Flotte damit anfangen?«

Rhis schaute auf den Mann hinunter. Er schätzte einen Moment die Lage ab. Er konnte auf Kospahrs Störungen gut verzichten. »Das, Lord Minister, ist etwas, was man nur weiß, wenn man es wissen darf. Und Sie dürfen es nicht wissen.«

»Aber die ’Sko! Grantforth!«

»Das habe ich bereits bedacht. Und auch bereits mit Kaiser Kasmov darüber gesprochen.«

»Aber ich habe gar keinen Bericht bekommen.«

»Ich habe auch keinen geschrieben.«

Die Liftanzeige plingte zweimal. »Maschinenraum, Zentraldeck«, sagte eine dünne Automatenstimme.

Rhis wandte sich ab. »Ich habe zu tun. Wenn Sie mich entschuldigen wollen.« Er nickte, dann stiefelte er in den Korridor. Und fluchte erneut in sich hinein, als er Fußgetrappel hinter sich hörte.

»Captain Tivahr.«

Rhis blieb stehen und zählte bis zehn, bevor er sich umwandte. Zwei Ingenieure sahen seinen Blick und verschwanden schleunigst in die entgegengesetzte Richtung.

»Sie haben mit dem Kaiser gesprochen, ohne sich vorher an mich zu wenden?«

»Schon oft.«

»Ich bestehe darauf, von den Inhalten solcher Gespräche in Kenntnis gesetzt zu werden.«

»Werden Sie, nämlich dann, und nur dann, wenn ich es für angemessen halte.«

»Aber wir werden innerhalb der nächsten zwei Wochen nach Konklavien vorstoßen! Wir –«

»Kospahr!« Rhis packte den Mann an der Vorderseite seines Jacketts und hob ihn hoch, bis er nur noch auf den Zehen stand. Er sah zu, wie Kospahrs Gesicht langsam violett anlief und er zu röcheln und zu würgen begann. Himmel, tat das gut!

Er ließ ihn fallen. Kospahr stolperte und legte sich die Hand an den Hals. »Sie Narr! Sie –«

»Nein. Sie sind hier der Narr. Wir stehen in einem offenen Korridor, und Sie schwätzen laut über eine bevorstehende Invasion. In ein benachbartes System.« Rhis Stimme war ein einziges tiefes Knurren.

»Aber das ist Ihr Schiff! Die Razalka«, jammerte Kospahr.

»Ja, es ist mein Schiff. Und auf meinem Schiff heißt die Devise Diskretion. Besser, Sie halten sich an diese Regel, oder ich setze Sie auf Degvar ab. Hab ich mich verständlich ausgedrückt?«

Kospahr wich zurück. »Sie müssen mich nicht an die Regeln erinnern, Captain. Ich bin stellvertretender Verteidigungsminister. Der Kaiser ist mein Cousin.« Er machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte endlich davon.

Rhis holte zweimal tief Luft. Na, wenn das kein Fortschritt ist. Aus ›mein Cousin, der Kaiser‹ wurde ›der Kaiser ist mein Cousin‹.

Er zupfte sich die Ärmel zurecht und schaute auf die Uhr. Noch elf Stunden und fünfzehn Minuten.

Er setzte wieder seinen finsteren Blick auf und verschwand im Maschinenraum.