3

Trilby stützte sich mit beiden Armen auf die Arbeitsplatte, die ihre kleine Kombüse säumte, und holte ein paar Mal tief Luft. Sie wäre beinahe gestorben. Dieser verdammte Schweinehund hätte sie fast umgebracht, bloß weil er sie für irgendeine konklavenhörige Kopfgeldjägerin hielt. Wenn sie erst nicht mehr so zitterte, würde sie diese Fehleinschätzung wahrscheinlich zum Brüllen komisch finden, aber im Moment war absolut nichts daran lustig.

Zu allem Überfluss setzte sie vielleicht gerade ihren Techplat-Vertrag in den Sand. Statt das Schiff zu reparieren, verlor sie wertvolle Zeit, indem sie mit diesem Irren diskutierte.

Diesem nackten Irren. Der auf der Krankenstation seinen – zugegebenermaßen atemberaubenden – Körper gegen ihren gepresst und auch sonst wenig Zweifel an seiner Männlichkeit gelassen hatte.

Bloß gut, dass ihr keine Frotzelei über die sprichwörtliche Kanone in seiner Hose rausgerutscht war. Ein hysterisches Kichern stieg in ihr auf, aber sie schaffte es, die Kontrolle zu behalten. Zu leicht konnte sich hemmungsloses Gegacker in eine Tränenflut verwandeln. Erst recht nach der Anspannung der letzten Stunde, die ihr wieder einmal vor Augen geführt hatte, dass sie einfach strohblöd war und grundsätzlich den falschen Leuten vertraute.

Zum Beispiel Transportagenturen, die einem paradiesische Zeiten versprachen und dann die Aufträge strichen.

Oder einem Mann, von dem sie glaubte, er liebte sie. Bis er eine andere heiratete.

Oder einem Zafharier, den sie für ungefährlich hielt, und der prompt versucht hatte, sie zu töten.

Drei Chancen, drei Luschen? Sie setzte sich auf einen der zwei am Boden festgenieteten Barhocker, die die Lounge ihren Gästen zu bieten hatte. Dann zog sie die unangenehm kneifende Laserpistole aus ihrem Gürtel und legte sie auf die Tresenplatte. Gut, vielleicht nicht drei völlige Luschen. Durch den Zafharier war sie immerhin an die geborgenen ’Sko-Komponenten gekommen. Das war wirklich ein Geschenk der Götter. Vielleicht konnte sie sogar ein paar Raten für ihr Schiff abstottern. Es wäre schön, sich mal eine Weile keine Sorgen um die Gläubiger machen zu müssen.

Sie streifte den Gewehrgurt von der Schulter und lehnte die Waffe an die Kabinenwand. Dann begann sie, sich mit kreisenden Bewegungen die schmerzenden Schläfen zu massieren. Es wäre schön, sich mal eine Weile gar keine Sorgen machen zu müssen. Keine stornierten Aufträge und leeren Bankkonten. Keine kaputten Ausrüstungsteile. Keine verlogenen Dreckskerle von Exfreunden. Keine ’Sko-Piraten. Keine wild gewordenen Zafharier – die sich irgendwo auf ihrem Schiff herumtrieben und Gott weiß was anstellten, während sie hier hockte und Trübsal blies. Verdammt!

Sie fuhr hoch, wirbelte herum und prallte gegen etwas Großes, Unnachgiebiges.

Kräftige Hände packten sie mit entschiedenem Griff an den Hüften, als sie vom Hocker rutschte. Sie verlor kurz das Gleichgewicht, dann bekam sie mit einer Hand dicken, schwarzen Stoff zu fassen und landete mit der anderen auf einer breiten Schulter.

Sie zuckte zurück und ließ Vanurs Jacke los, als wäre sie glühend heiß. »Du elender pillorischer Mistkerl, was schleichst du dich von hinten an mich heran?«

»Mir war nicht bewusst, dass Sie uns nicht kommen gehört haben. Alles in Ordnung mit Ihnen?«

»Prächtig.« Erschöpft. Überarbeitet. Schreckhaft. Und ohne Frage völlig überreizt. Aber sonst prächtig. Oder wenigstens kurz davor. Ihr entflammter Zorn verglühte, als sie seinen betretenen Gesichtausdruck sah und ihr klar wurde, dass sie ihn und Dezi einfach nur nicht bemerkt hatte. Sie schaute den Droiden an, der an der Luke stand und ihr verunsichert den Werkzeuggürtel entgegenstreckte.

Energisch stemmte sie ihre gespreizten Hände vorne gegen seine Jacke und drückte. »Ich sagte, mir geht es prächtig. Sie können mich jetzt loslassen.«

Seine einzige Reaktion war ein leichtes Zusammenziehen der Augenbrauen, als betrachtete er eingehend irgendeine unbekannte Lebensform. Eine unbekannte und wunderliche Lebensform.

Hoffentlich befielen ihn nicht irgendwelche Flashbacks und er hielt sie erneut für die konklavische Schergin. Sie hatte weder die Energie noch die Geduld, das alles noch mal durchzumachen. »Lass mich los, Vanur.«

Er ließ sie so abrupt los, dass sie ins Taumeln geriet und suchend nach der Tresenkante griff. Schnell streckte er ihr die Hand entgegen. »Entschuldigung.« Er wirkte genauso durcheinander wie sie.

Sie stieß seine Hand weg. »Dezi?«

Dem Droiden schien sein Arrest unter der Regenerationsglocke nicht weiter geschadet zu haben. Er reichte ihr den Gürtel. »Soll ich mit der Kalibrierung der Sensoren fortfahren?«

Sensoren, die seit Stunden intakt hätten sein sollen. »Ja, bitte. Und verstau das hier wieder im Waffenlager.« Sie hielt ihm das Lasergewehr hin.

Guter alter Dezi. Einzig verbliebener Draht zur Zurechnungsfähigkeit. Sie schnallte sich den Gürtel um und verstaute die Pistole im Holster.

»Danke, Dez. Bitte achte unbedingt drauf, dich um 0900 für mindestens eine halbe Stunde runterzufahren. Wenn du nicht bald etwas Auszeit bekommst, kriegen wir nämlich wesentlich größere Probleme als die Reparatur des Schiffs.«

Als Dezi ging, riskierte sie einen Blick zu Vanur. Er hatte sein Hemd gefunden und zog es gerade an. Es hing offen herunter und gab seine blutunterlaufenen, übel aussehenden Verletzungen frei. »Und Sie sollte ich wohl besser zurück auf die Krankenstation verfrachten.«

»Das ist nicht nötig.« Er rollte mit den Schultermuskeln, doch sein schmallippiger Mund und die tiefen Augenringe verrieten etwas anderes. Was auch immer das Regbett an Schmerzmitteln in ihn reingepumpt hatte, sie würden nicht ewig wirken.

»Na dann, setzen Sie sich«, sie deutete auf den zweiten Barhocker. »Ich hab immer noch einen Drink nötig.«

Und bessere Kontrolle über ihre Emotionen. Es gab keinen zwingenden Grund, noch länger sauer auf ihn zu sein, gestand sie sich ein und ging hinter den Tresen. Was würde sie wohl tun, wenn sie ahnungslos aufwachte, nur um festzustellen, dass sie sich auf einem zafharischen Schiff befand?

Sie würde sicherstellen, dass sie ein Lächeln auf den Lippen und ihre Waffe entsichert in der Hand behielt.

Das mit dem Lächeln wirkte bei ihm zwar etwas verkrampft, aber er hatte ihr die Waffen zurückgegeben. Ein Pluspunkt für ihn. Doch irgendetwas an diesem Zafharier machte sie nervös. Mit seinen dunklen Augen und seinen schwarzen Haaren sah er einfach zu gut aus. Was vermutlich auch der Grund für die Arroganz war, die sie unterschwellig an ihm wahrnahm.

So wie es aussah, wimmelte der Quadrant geradezu vor gut aussehenden arroganten Männern. Kerlen wie Jagan. Gut aussehend und arrogant, aber noch dazu wohlhabend und mächtig, sodass er sich selbst für den Nabel der Welt hielt …

Sie bremste sich. Nein, Vanur war doch bloß ein gewöhnlicher Lieutenant, irgendein unbedeutender Luftakrobat. Sie öffnete eine Schrankklappe und holte einen dickbauchigen Plastik-Shaker heraus. Vanur gehörte zu der Sorte von Männern, die Befehle erhält und nicht erteilt. Trotzdem dröhnte ihr Schädel hartnäckig weiter vor sich hin, als hallte darin der Doppelschlag von zwei ungleichen Trommeln: Grantforth. Vanur. Grantforth. Vanur.

Je schneller sie nach Port Rumor kam, desto eher konnte sie sich die Entschädigung für all diesen Ärger sichern. Und diesen Kerl loswerden.

Gegen ihre Kopfschmerzen aber konnte sie schon hier und jetzt etwas unternehmen. Sie entriegelte ein weiteres Schrankfach, griff tief hinein und förderte ihre letzte Flasche Gin zutage. Als sie sich umdrehte, lehnte Rhis an der Tresenkante und spähte interessiert in das geöffnete Fach.

Zeit für Gastfreundschaft. »Mögen Sie auch etwas?«

Er kam um den Tresen herum, trat neben sie, griff über ihren Kopf hinweg in das Schrankfach und nahm eine Flasche Bagrond-Whisky heraus.

»Ich kann Ihnen auch einen Kaffee machen, falls Sie welchen wollen«, erbot sie sich. »Oder wollen Sie etwas essen?« Doch er schüttelte nur den Kopf.

»Gläser stehen hier.« Sie stießen vor dem Schrank mit den Armen aneinander. Seine Finger schlangen sich um ihr Handgelenk, als wollte er sie an sich ziehen. Einen komplett verrückten und hirnrissigen Moment lang dachte sie, er wolle sie küssen.

Sein Gesicht war über ihrem, sein anderer Arm legte sich um ihren Rücken …

Und dann schob er sie höflich zur Seite. »Ich krieg das auch alleine hin.« Er warf ihr ein kleines, leicht schiefes Lächeln zu.

Sie zog sich langsam zurück, nahm auf einem der beiden Barhocker Platz und schraubte den Deckel der Ginflasche ab.

Er goss sich einen kleinen Schluck Whisky ein, verschloss die Flasche wieder und stellte sie ins Fach zurück.

Unfassbar, ein Mann, der hinter sich aufräumte!

Im Stillen schrieb sie ihm einen weiteren Bonuspunkt gut. Jagan hätte die Flasche stehen lassen, damit Dezi oder sie sie zurückstellten.

Sie trank einen Schluck und genoss das Brennen, als der Gin durch ihre Kehle rann.

Er setzte sich neben sie auf den anderen Hocker und begann sein Glas in den Händen zu drehen. »Sie sagten etwas von Port Rumor?«

»Es liegt etwa einen Trike von hier entfernt.« Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen, setzte ihr Profi-Gesicht auf und überlegte, wie sie all die losen Enden in eine Ansage verpackte, die man von einem erfahrenen Schiffskapitän erwarten konnte. Am besten brachte sie ihm die schlechten Nachrichten zuerst bei. »Vor mir liegen bestimmt noch zehn Stunden harter Reparaturarbeit, bevor wir hier wegkommen.«

»Zehn Stunden? Wenn ich Ihnen helfe, könnte das erheblich Zeit sparen.«

Sein Angebot klang verlockend, war aber nur eingeschränkt durchführbar. »Dazu müssten wir allerdings getrennt arbeiten.«

»Ja, selbstverständlich, aber …«

»Ich will Sie nicht beleidigen, Vanur, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich will, dass Sie ohne Aufsicht an meinem Schiff herumhantieren.«

»Ihr Schiff ist auch meine einzige Chance hier wegzukommen. So blöd werde ich ja wohl nicht sein.« In seiner Stimme schwang ein Hauch von Herablassung mit, noch betont durch seinen zafharischen Akzent.

»Oh, ich hab keine Angst, dass Sie die Venture lahmlegen«, sagte sie freundlich. »Zumindest nicht, solange Sie noch an Bord sind. Es geht mir mehr darum, was passieren wird, wenn Sie nicht mehr an Bord sind, das beunruhigt mich. Ich bräuchte vermutlich Tage, um dahinterzukommen, was für fiese kleine Bugs und Würmer Sie heimlich installiert haben könnten.«

»Bugs und Würmer?« Da war es wieder, das schiefe kleine Lächeln. »Ich installiere keine Bugs und Würmer, Trilby Elliot. Schon gar nicht, wenn ich es dermaßen eilig habe, zurückzukommen. Ich habe nicht mal Zeit für Ihren Abstecher nach Port Rumor.«

Sie wollte ihn gerade daran erinnern, dass nicht er das zu entscheiden habe, da sprach er weiter: »Das Einzige, wofür wir Zeit haben, ist, mit meiner Hilfe aus zehn Stunden Reparaturarbeit sechs zu machen. Dann fliegen wir zur Grenze, wo ich ein imperiales Patrouillenschiff kontaktieren kann.« Er hob sein Glas, als wolle er seinen eigenen Ausführungen zuprosten.

»Kommt gar nicht infrage.« Sie schüttelte entschieden den Kopf, während er den Inhalt des Glases in einem Zug leerte. »Ich habe in Port Rumor einen lukrativen Auftrag termingerecht auszuführen. Und ich denke nicht daran, ihn sausen zu lassen, nur weil Ihnen auf Szed irgendwelche Übungsspielchen aus dem Ruder gelaufen sind.«

»Sie verstehen das offenbar noch nicht. Ich kann einfach nicht drei Tage warten.«

»Nein, Sie verstehen es nicht! Dies ist mein Schiff. Wir fliegen nach Port Rumor. Ach, das passt Ihnen nicht?« Sie deutete auf den Sichtschirm, der die Furche im Dschungel zeigte. »Dann gehen Sie doch zu Ihrem Tark zurück. Ich bin sicher, die ’Sko werden früher oder später danach suchen. Oder Sie arbeiten unter meinem Kommando, bis Sie in drei Tagen in Port Rumor auf einen Frachter Richtung Grenze umsteigen können, der Sie nach Hause bringt. Jetzt kapiert?«

Es dauerte einen Moment, bevor er antwortete. »Kapiert.«

»Prächtig.« Sie sicherte die Ginflasche im Schrankfach und stellte die Gläser in den Geschirrkorb. Der Gin schlug an. Die Kopfschmerzen klangen ab. »Na dann, Rhis, mein Junge, wollen wir Sie mal an Bord unterbringen. Danach – so schlage ich vor – werde ich Sie mit den Problemen vertraut machen, die es in Ihrem aktuellen Lieblingsprojekt zu bewältigen gilt. Wenn Sie glauben, Sie schaffen es in weniger als zehn Stunden – gepriesen seien die Götter. Denn deren Hilfe werden wir brauchen, wenn dieses Schiff in zehn Stunden fliegen soll – das geht nur mit viel Hilfe von ganz oben.«

Sie stapfte los Richtung Korridor, blieb aber stehen, als sie keine Schritte hinter sich hörte. »Na, was?«, fragte sie mit unverhohlener Ungeduld und drehte sich zu ihm um.

Irgendetwas britzelte auf der kurzen Entfernung zwischen ihnen. Wie eine kleine Entladung der emotionalen Energie, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, seit sie von dem Barhocker in seine Arme gerutscht war. Eine Art Ur-Magnetismus. Sie hatte keine Ahnung, ob er es auch spürte, ob es ihm genauso ging wie ihr. Sie holte schnell tief Luft, denn in ihr mischten sich spontaner Zorn und Nervosität mit etwas, was sie gar nicht so genau wissen wollte.

Rhis Atmung schien sich im Rhythmus ihrem anzupassen. Er machte einen Schritt auf sie zu. Sein Blick umfing sie besitzergreifend, geradezu raubtierhaft.

Dann erlosch sein Gesichtsausdruck plötzlich, sein Mund war nur noch eine dünne Linie. »Los jetzt, Elliot! Es gibt viel zu tun. Ich habe keine Lust, durch Ihre Spielchen Zeit zu verlieren.«

»Meine –?« Sie warf ihm einen fassungslosen Blick zu, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte leise fluchend durch den engen Korridor der Venture davon.

So viel zu Lieutenant Charming. Sie strich einen seiner Bonuspunkte.

Rhis folgte ihr in den Korridor und verfluchte sich für seine miserable, aufbrausende Art. Verfluchte auch die dumpf hämmernden Schmerzen in seiner Seite, die ihn hatten vergessen lassen, dass er auf ihre Kooperation angewiesen war und keine Feindseligkeiten brauchen konnte.

Auch auf ihr Schiff war er angewiesen. Sein ursprüngliches Vorhaben, es kurzerhand zu kapern, ergab keinen Sinn mehr, seit er wusste, dass sie sich fernab aller bekannten interstellaren Routen befanden. Und dass sie das Schiff erst mal reparieren mussten.

Ein funktionstüchtiges Schiff auf vertrautem Kurs zu leiten war leicht. Er musste nur die Programmierung überschreiben und den Kurs anpassen. Doch dieser Reparaturstopp auf einem unwirtlichen Planeten war ein deutlicher Hinweis darauf, dass es mit ein bisschen Kursanpassung nicht getan sein würde. Er mochte keine Überraschungen. Sie brachten immer unerwartete Probleme. Ihm schwante: Eine alte Circura Zwei konnte dermaßen mit Problemen vollgestopft sein, dass selbst er ans Ende seiner Weisheit gelangen würde.

Er musste trotzdem die Kontrolle erlangen, allerdings durch Täuschung. Er musste zahm wirken, freundlich, verständnisvoll. Alles, was er nicht war. Denn andernfalls war all das bedroht, wofür er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Er bemerkte ihren misstrauischen Blick, als sie vor einer verschlossenen Kabinentür stehen blieb und sich umdrehte. »Ihr Code zum Öffnen ist vier-sieben-acht.« Sie tippte den Code auf dem Ziffernblock an der Kabinentür ein.

»Haben Sie keine Schlösser mit Handflächen-Scanner?«, fragte er, als die Tür aufglitt.

»Falls Sie sich Sorgen um Ihre Privatsphäre machen, außer Dez und mir gibt es hier niemanden. Keiner von uns hat Zeit oder Lust, Sie zu stören. Aber wenn ich wissen will, wo Sie stecken, möchte ich keine Zeit vor verriegelten Türen verlieren.«

Das Schiff hatte also kein Mannschaftsortungssystem und auch kein internes Sensorenraster. Sehr gut. Doch dass sie ihm misstraute, war nicht gut. Zeit für ein wenig Schadensbegrenzung.

Er betrat die Kabine und schaute sich flüchtig um. Klein. Minimalausstattung. Aber sauber. »Ich bin noch ein bisschen durcheinander. Ich wollte nicht so unwirsch klingen.«

»Entschuldigung angenommen, falls das eine war.« Sie schenkte ihm ein gespieltes Lächeln. »Aber die Kabine werden Sie trotzdem nicht abschließen.«

Sie huschte an ihm vorbei. Ein feiner Duft von Puder und Blumen schlich sich heran und berührte ganz sanft sein Inneres. Nicht so wie die sprühenden Funken, die vor zehn Minuten durch die Lounge geflogen waren und in seinem Körper eine unglaubliche Hitzewallung ausgelöst hatten. Eine vollkommen irrationale Reaktion, die ihn erschreckt und verwirrt hatte. Den Schreck hatte er kurzerhand in Zorn umgewandelt und gegen sie gerichtet. Kein schöner Zug, aber zielführend. Es stand zu viel auf dem Spiel, er durfte sich nicht ablenken lassen.

Dennoch schweifte sein Blick auch jetzt wieder zu ihr und folgte dem Schwingen ihrer sanften Kurven an Hüften und Oberschenkeln, als sie durch den Raum schritt, zu einer schmalen Tür rechts von ihm trat und sie entriegelte.

»Die Sanitärzelle«, verkündete sie und stieß die Tür auf. »Sollten Sie mehr Handtücher wünschen, wenden Sie sich an mich oder Dezi.« Sie deutete auf die gegenüberliegende Wand. »Schrank und Schubladenplatz für Ihr Hab und Gut.«

»Im Moment von geringem Nutzen.« Er schob seine Hände in die Hosentaschen und lächelte verlegen.

Einen Augenblick lang verstand sie nicht. Dann löste sich die Verwirrung, und sie musste grinsen. »Ich schätze, ich kann Ihnen aushelfen. Ich hab im Lager in einem der Schränke ein paar Sachen gesammelt.«

Also gab es an Bord auch keinen Replikator für Gebrauchsgegenstände. »Machen Sie sich meinetwegen bitte keine Umstände …«

Sie wischte seine Floskel mit einer Handbewegung weg. »Kein Thema. Im Übrigen dürften Sie andernfalls für meinen Geschmack etwas zu abgehangen sein, wenn wir in Port Rumor landen.«

»Ich werd jeden Tag duschen. Versprochen.«

Wieder lächelte sie, diesmal schon etwas zugewandter. Er sah, wie sie die angespannten Schultern lockerte.

So regeln wir das. Kleine Scherze. Immer freundlich. An ihre Fürsorglichkeit appellieren. Vielleicht sollte er seine Schmerzen mehr ins Spiel bringen. Dann wirkte er nicht so bedrohlich auf sie. Ein verletzter Mann. Allein.

Da war ja sogar was dran. Aber er hatte noch nie Schwäche gezeigt, niemals, niemandem gegenüber.

Er ging zurück in den Korridor. »Und jetzt zu Ihrem Schiff. Es gibt Reparaturen, bei denen ich helfen kann.« Er ließ seinen Arm seitlich herunterfallen und verbarg zum ersten Mal nicht, wie ihn der Schmerz durchzuckte.

»So, wie Sie aussehen, sollten Sie sich erst mal für ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Dezi und ich fangen schon mal an …«

»Ich bin bloß etwas steif. Ich trage sowieso schon die Verantwortung für all die verlorene Zeit, Sie brauchen jetzt wirklich meine Hilfe, um es überhaupt noch zu schaffen.«

Sie zögerte, verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte ihr regelrecht von den Augen ablesen, wie ihr Argwohn mit ihrem Mitgefühl rang. Er hatte es bisher immer bewusst vermieden, menschliche Gefühlsregungen auch nur wahrzunehmen. Doch auf einmal interessierten sie ihn. Genauer gesagt, Trilby Elliot interessierte ihn.

Ihr misstrauischer Blick taute auf. Das Mitgefühl hatte gesiegt.

»Okay«, sagte sie und nickte. »Sie können sich das Verstärkerrelais vorknöpfen.«

Sie prüfte ihn. Eine leichte Aufgabe. Ein Verstärkerrelais reparieren. Das beschäftigte ihn vielleicht zwanzig Minuten. Ihr Vertrauen zu gewinnen würde deutlich länger dauern.

Als er in der kleinen Wartungskabine für die Hauptversorgung auf dem Turbinendeck hockte und sich auf dem Bildschirm durch die Schaltpläne blätterte, sah er sich gezwungen, seine Zwanzig-Minuten-Vorhersage zurückzunehmen. Der Raum war kaum größer als ein einfacher Vorratsraum. Und als Trilby sich über das Schaltpult lehnte, um ihm über die Schulter zu gucken, wurde er zunehmend unkonzentrierter.

Das lag nur daran, dass er es nicht gewohnt war, bei der Arbeit beobachtet zu werden, sagte er sich.

Er starrte lange auf eine besonders störanfällige Konfiguration, ehe ihm endlich klar wurde, dass ihm grundlegende Informationen fehlten. »Ich muss mir die Daten des Betriebssystems für die Hauptversorgung ansehen.«

»Sorry. Das gehört zu den Kronjuwelen, Vanur, Zugang nur für autorisiertes Personal.«

»Ich kenne diesen Satz.« Er wölbte eine Augenbraue in die Höhe. Manch einer im Imperium hatte sich schon gefragt, ob er wohl ein Patent auf diesen Gesichtsausdruck besaß.

»Und ich kenne ihn auch. Also haben wir was gemeinsam, Rhis, mein Junge«, sagte Trilby. Sie lachte leise. »Ich hab so einige Geschichten über euch gehört.«

Sein Magen verkrampfte sich einen Moment lang, dann begriff er, dass mit »euch« die zafharische Imperialflotte als Ganzes gemeint war und nicht er persönlich. Er winkte ab. »Wir Zafharier sind stolz auf unsere Disziplin.«

Eine Disziplin, die routinemäßig verlangte, dass man Schmerzen auszublenden verstand, nicht aber Verärgerung, so sehr er sich auch bemühte. Er wandte sich wieder den Daten auf dem Bildschirm zu. Seine Finger spielten ungeduldig mit dem Lichtstift.

Die Wartungseinheit ihres Schiffs war in einem so skandalös ungewarteten Zustand, dass es dafür keine Entschuldigung gab. Er rief nach ihr und unterbrach sie bei der Arbeit an einem Steuerrelais im Korridor. Rasch zählte er stumm bis zehn, um seinen Unmut in eine Bitte zu verwandeln.

»Ich benötige einen Datalyzer. Einen, der nicht schon länger als – sagen wir mal zwanzig Jahre auf dem Markt ist. Bitte.«

Wortlos überreichte sie ihm ein Gerät aus ihrem Wartungsgürtel. Er schaltete es ein. Das kleine Display blinkte kurz auf und erlosch.

Seine Fassade bröckelte. Er fluchte auf Zafharisch. »Wie Sie unter solchen Umständen arbeiten können, ist mir …«

Trilby schnappte sich das Gerät, hieb es einmal kurz gegen ihre Hüfte, schaltete es wieder ein und gab es ihm zurück. Das Display leuchtete hell.

Er glotzte sie an. »Das ist doch lächerlich.«

Sie zog ab und versuchte unbeholfen, ihr Gelächter mit einem vorgetäuschten Hustenanfall zu überdecken.

Imperiale Arroganz. Nein, vielleicht stimmte das so nicht, auch wenn die Zafharier für ihre Arroganz berühmt waren. Sicher hatte Rhis davon eine große Portion abbekommen. Aber es war wohl zutreffender, Rhis Verdruss mit der Schiffstechnik als herkunftstypisch zu klassifizieren. Shadow hatte sie damals in Port Rumor darauf aufmerksam gemacht.

Autoritätshörige Inkompetenz.

Jagan besaß diese Eigenschaft im Übermaß, er hätte damit ein schwarzes Loch füllen können. Das war ihr bloß wegen all seiner Süßholzraspelei und seinen prächtigen Geschenken nicht immer klar gewesen.

Und die Konklaven erst. Konklavien war eine Autoritätshölle. Autoritär an sich. Autoritäres Regime. Inkompetenz per Komiteebeschluss.

Rhis Vanur konnte ja gar nichts dafür, dass er für eine Regierung arbeitete. Er verstand ›nur für autorisiertes Personal‹ auf Anhieb, weil er so was schon mehr als einmal gesagt bekommen hatte.

Frachterpiloten hingegen verstanden so was selten. Sie flogen ständig hierhin und dahin und gaben alles, um Schiff und Fracht in einem Stück nach Hause zu bringen.

Mit einem leichten Seufzer fragte sie sich, ob Rhis womöglich sehr viel dringender ins Imperium zurückwollte, als dieses ihn vermisste. Die Luftraum-Scanner, fehlergebeutelt wie sie waren, hatten weit und breit niemanden gemeldet, der nach dem Tark suchte. Wenn ihnen das Fehlen ihres Piloten Kummer bereitet hätte, hätten sie ihn doch längst aufgespürt.

Trilby wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, dass für Regierungen und Konzerne Menschen nur Verbrauchsmaterial darstellten. Und Verbrauchsmaterial ließ sich jederzeit ersetzen.

Das musste sie bedenken, um Rhis nicht mit Leuten wie Jagan in einen Topf zu werfen. Sonst würde die Reise nach Port Rumor für sie beide zur Hölle werden. Er war nur ein einfacher Lieutenant. Er nahm Befehle entgegen und erteilte keine. Seine Arroganz war anerzogen. Jagans war angeboren.

Zwanzig Minuten später kam sie durch den Korridor und entdeckte ihn auf der Brücke erschöpft im Stuhl zusammengesunken. Er gehörte sofort zurück auf die Krankenstation und nicht noch mal in das kleine, enge Kabuff mit der Hauptversorgung.

Beim Geräusch ihrer Schritte drehte er sich um. Die Ringe unter seinen Augen waren tief und dunkel. Sie streckte ihm zögernd die Hand entgegen. Er betrachtete ihre Hand mit Argwohn und richtete sich schnell auf.

»Warum legen Sie sich nicht unten hin? Auf ein paar Stunden Verspätung mehr kommt es jetzt …«

»Mir geht es gut.« Seine rechte Hand lag flach auf der Konsole, mit dem linken Arm stützte er sich ab. Seine Körpersprache erklärte laut und deutlich: Ich bin Zafharier. Ich kenne keinen Schmerz.

»Sie lügen«, entgegnete sie sanft, als er sie ansah. »Wenn Sie hier zusammenklappen, ist der Eingang blockiert. Also schaffen Sie Ihren Arsch hier raus und verschwinden Sie in Ihre Kabine. Ich weck Sie in etwa vier Stunden.«

»Nein, ich …«

»Die Kabine hat einen Comp.« Sie stieg über die kantige Türschwelle und lehnte sich mit den Armen an die Konsole. »Von mir aus lesen Sie im Bett. Aber ich denke nicht, dass Sie im Moment aufrecht sitzen sollten. Oder stehen.«

Er stand auf. »Mit mir ist alles in –«

Er fiel ihr direkt in die Arme, und sie packte ihn an den Hüften, so wie er sie gepackt hatte, als er sie gegen die Bordwand gedrückt hatte. »Aber, aber, mein starker Flieger!«

Er sackte langsam in sich zusammen, sein glühendes Gesicht versank in ihren Haaren. Sie hämmerte ohne hinzusehen auf das Intracom neben der Tür. »Dezi! Zur Hauptversorgung, sofort!«

Rhis versuchte sich aufzurappeln. »Nav, vad yasch – mir geht’s gut, mir geht’s gut.« Seine Stimme klang benommen und leise. Er versuchte nicht, sich von ihr loszumachen.

Und als Dezi kam und ihm unter die Achseln griff, hatte Trilby einen Moment lang sogar den Eindruck, dass er sich nur widerwillig von ihr löste.

Er erwachte aus einem sehr sanften, nach Trilby Elliot duftenden Traum in seiner kleinen, dunklen Kabine. Allein.

»Lutsa. Licht.« Seine Stimme klang raspelnd, trocken. Er taumelte in die Sanitärzelle, spülte ein Glas kaltes Wasser hinunter und spritzte sich welches ins Gesicht. Sein Trilby-Traum verblasste allmählich, aber er meinte immer noch ihr schimmerndes Silberhaar an seinem Gesicht zu spüren. Wie sie ihre Arme um ihn legte – das war gar kein Traum gewesen. Die Beengtheit der Sanitärzelle weckte die Erinnerung an das Kabuff mit der Hauptversorgung. Und an seinen unrühmlichen Zusammenbruch, bei dem er direkt in ihre Arme gesunken war.

So viel zu seiner vielbesungenen zafharischen Disziplin. So viel zu seiner vielbeschworenen Selbstkontrolle. Beides löste sich in ihrer Nähe in nichts auf wie Kondensstreifen am Himmel.

Er war vermutlich einfach nur übermüdet. Hatte mit der letzten Mission einfach seine physischen Grenzen überdehnt. Selbst er musste sich mal erholen und ausheilen. Was unter den gegebenen Umständen allerdings eher unpassend war.

Aber Müdigkeit war keine ausreichende Erklärung dafür, wie er mit der ganzen Situation umging, und speziell mit dieser Trilby Elliot. Das war ihm durchaus bewusst. Ihre seltsame Kombination aus Sarkasmus und Sanftmut wurmte und faszinierte ihn zugleich. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einfach so seine Selbstbeherrschung verloren zu haben, aufgelöst wie silberner Dunst.

Wie auch immer, die Lage, in der er sich befand, erlaubte ihm nicht, einfach zu sein, wer er war. Er war zum Kommandieren geboren und erzogen. Er hatte noch niemals seinen überdurchschnittlich ausgeprägten Instinkt unterdrücken müssen. Das brachte ihn ziemlich durcheinander – fast so sehr wie Trilby Elliots Gegenwart. Er trank noch einen Schluck Wasser und versuchte, seine gewohnte Haltung zurückzugewinnen.

Seine verdammte, elende Haltung. Er rieb sich die Hand übers Gesicht. Den Netten zu geben, laugte ihn aus, es nagte unerbittlich an dem harten, arroganten Unnahbaren, der zu sein nun mal seine Bestimmung war. Seit dreißig Jahren. Bis das Schicksal und die ’Sko ihn einer gewissen Captain Trilby Elliott vor die Füße geworfen hatten.

Er saß auf der Kante des schmalen Bettes, krempelte die Hemdsärmel nach oben und aktivierte mit einem Fingertippen den Bildschirm. Die Wundhaut über seinen Verletzungen juckte nicht mehr. Und von den Schmerzen spürte er lediglich noch einen dumpfen Druck. Nur das war wichtig. Das und seine Mission. Nicht ihr Lächeln, ihr sanftes Lachen. Nicht ihr Mitgefühl. Sie wusste doch gar nicht, wem sie es entgegenbrachte. Und sie begriff überhaupt nicht, was sie damit anrichtete.

Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.

Am späteren Vormittag lag er auf dem Rücken unter den verworrenen Kabelsträngen der Hauptversorgungsleitung. Seine selbst verhängte Sechs-Stunden-Deadline ging dahin, und er musste sie unverrichteter Dinge ziehen lassen. Reparaturen an erratisch funktionierenden Einheiten waren immer elend zeitaufwendig. Verschwitzt und verärgert schickte er Dezi los, um einen anderen Klebeschweißer zu holen, einen, »der wenigstens manchmal tut, was er soll, verflucht noch mal!«.

Ein paar Minuten vergingen, ehe ein stumpfes Dröhnen im Schacht Dezis Rückkehr ankündigte. Garantiert hatte Captain Trilby ihm befohlen, Rhis nicht zu lange aus den Augen zu lassen. Aber in Anwesenheit des Droiden konnte er wenigstens er selbst sein.

»Zeit wird’s«, schimpfte er. Er griff nach oben und nahm Dezi das Ding aus der Hand, von dem er hoffte, dass es endlich ein funktionstüchtiger Kristallspleißer war.

Das Schweißgerät war zwar weit entfernt von dem Standard, an den er gewöhnt war, aber doch besser als das erste. Er brauchte immer noch ganze fünf Minuten, aber dann hatte er die Haarfrakturen in den Kristallen repariert.

Er schaltete mit einem Klick den Spleißer aus, schloss die Augen und ließ den Hinterkopf auf den harten Fußboden sinken. Ein dumpfes Ziehen kroch ihm durch die Schulterblätter, hervorgerufen durch das lange Arbeiten in gekauerter und gekrümmter Haltung im Schacht. Aber das beunruhigte ihn nicht annähernd so wie die Feststellung, dass er selbst hier in den Eingeweiden des Schiffs ihre Präsenz spürte. Es kam ihm vor, als könne er den süßen Duft ihres Parfüms mit der sanften Moschusnote riechen. Er begann sich zu fragen, ob sie ihn verhext hatte.

»Lächerlich«, sagte er laut zu sich selbst.

»Ich hab ja versucht, Sie zu warnen«, drang eine sanfte Stimme an sein Ohr.

Er riss die Augen auf. Das Objekt seiner verpurzelten Gedanken kniete direkt neben ihm.

»Hölle und Teufel!« Er setzte sich hastig auf, und sein Kopf stieß hart gegen ein von der Decke hängendes Metallteil. Ein großes graues Schott, das nur noch an einer seiner verrosteten Angeln hing, schwang bedrohlich hin und her. Er griff nach oben – im selben Augenblick wie Trilby. Ihre Arme stießen mit genug Wucht zusammen, dass Trilby das Gleichgewicht verlor und vornüber fiel. Sie landete genau auf seinem Brustkorb.

Er hörte das Geräusch des reißenden Scharniers und nahm im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Instinktiv riss er Trilby an sich, wirbelte herum und schützte sie mit seinem Körper. Das Schott stürzte herab, traf ihn, prallte ab und schlug mit lautem Scheppern auf den Boden auf.

Er spürte ihren schnellen Atem an seiner Brust. »Alles in Ordnung?«

»Ähm … ja.« Sie drehte den Kopf und stieß mit der Nase an sein Kinn. Sie war zwischen ihm und der Wand eingeklemmt. »Und bei Ihnen?«

Sein Kopf tat weh. Sein Rücken schmerzte. Das Schweißgerät drückte eine unangenehme Delle in seine Hüfte. Aber sein Körper sah großzügig über diese rein physischen Mängel hinweg und konzentrierte sich ganz auf die Weichheit und den Duft dieser Frau in seinen Armen.

Offenbar war ihr in dem ganzen Durcheinander das T-Shirt über der Hüfte ein Stück hochgerutscht. Seine Hand ruhte auf ihrer nackten Haut, die Fingerspitzen unterhalb des Brustansatzes. Seine rechte Hand lag in ihrem Nacken, der Daumen parallel zu ihrer Kieferlinie.

Ihm war äußerst bewusst, dass sein Mund nur Zentimeter von ihrem entfernt war. Sollte er etwas sagen müssen, vielleicht, um ihr zu antworten, so würden seine Lippen ihre hauchzart berühren.

Verdutzt stellte er fest, wie sehr er sich genau danach jetzt sehnte. Er wollte sie schmecken, die Wärme ihrer Lippen spüren und sie mit seiner Hitze und seinem Duft überfluten.

»Sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte sie nach.

»Wunderbar.« Er flüsterte das Wort gegen ihre Lippen.

Sie war die reine Sanftheit. Er ließ seinen Mund über ihren gleiten, spürte, wie sich ihre Lippen teilten, wie ihr Körper sich an seinen presste –

Sie keuchte auf, ihre Hände drückten gegen seine Brust. Sie drehte den Kopf schlagartig zur Seite, sein Mund landete feucht und heiß für einen Augenblick auf ihrer Wange, bis er endlich begriff, was ihre Hände ihm verzweifelt zu verstehen geben wollten.

Steif zog er sich von ihr zurück.

»Was um alles in der Welt machen Sie denn?«, fauchte sie und stopfte umständlich ihr T-Shirt zurück in den Hosenbund.

Er wusste, was er getan hatte, aber er hatte keine Erklärung dafür. Es war ein Missverständnis. Nur ein weiteres Missverständnis. Wie das von vorhin … von heute Morgen – war das wirklich erst heute Morgen gewesen? –, als er sie für eine Kopfgeldjägerin gehalten hatte, die ihn nach Quivera verfrachten wollte.

Aber das waren vergleichsweise nachvollziehbare Fehltritte gewesen. Das hier jetzt war absolut unentschuldbar. Die Kontrolle zu verlieren nur wegen eines bezaubernden Gesichts, eines weichen Mundes, eines hypnotisierenden Duftgemischs aus Puder und Blumen.

»Das, äh, das Schott kam runter.« Ein schlappe Antwort, aber was Besseres fiel ihm gerade nicht ein. Er schmeckte immer noch ihren Kuss, die Süße ihrer Haut. Und er spürte immer noch die Wärme an den Stellen, wo ihr Körper seinen berührt und noch mehr Wärme erzeugt hatte. Unter anderem …

»Ein Schott. Kam runter.« Trilby wiederholte seine Worte so, dass es klang, als hätte er gestammelt wie ein Schwachsinniger. Sie atmete schwer, aber dem Funkeln in ihrem Blick nach schien ihr Zorn verraucht zu sein. »Ein Schott kommt runter, und das gibt Ihnen das Recht, mir unters T-Shirt zu greifen?«

»Ich hab Ihnen nicht unters T-Shirt gegriffen. Ich hab nur versucht, Sie zu schützen. Wir …«

Eine Notluke über ihren Köpfen wurde aufgestoßen. Dezis Metallgesicht schaute herein. »Captain! Wir sind online! Wir haben Kontakt zur Außenwelt! Die Computer … oh. Verzeihung. Störe ich bei irgendetwas?«

Trilby überging Dezis Frage. Sie starrte Rhis an. »Beschützen Sie mich nie wieder. Verstanden?« Sie schaute zum Droiden hoch. »Auf die Brücke, Dez, ich will dich sprechen, sofort.« Sie schob Rhis zur Seite und verschwand nach draußen.

Allein im Tunnel schloss er die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Irgendetwas war passiert … etwas geschah mit ihm. Und er verstand es nicht. Er benahm sich wie Rafi, verdammt noch mal! Seit nicht mal einem Tag war diese Frau in seiner Nähe, und er benahm sich wie ein läufiger Lurch.

»Lächerlich«, murmelte er, doch es klang nicht wirklich überzeugt.

»Unverschämter, arroganter, unerträglicher imperialer Bastard!« Trilbys eher gedämpfte, aber umso grimmiger vorgetragene Litanei verlief im Takt mit dem Stampfen ihrer Stiefel auf dem Metallboden. Sie hätte auch noch »talentiert« und »attraktiver, als gut für ihn ist« anfügen können, aber sie steigerte sich gerade in einen Wutausbruch hinein, bei dem ausschließlich Negatives zählte. Sie würde an seine guten Seiten nicht mal denken, bis sie in Port Rumor getrennte Wege gingen.

Schnaubend betrat sie die Brücke und warf sich in ihren Sessel.

Sie waren wieder online. Eine lange Liste ungelesener Nachrichten wartete auf sie, darunter die Bestätigung für ihren Frachtgutauftrag in Bagrond. Sie bestätigte ihrerseits die Bestätigung, dann hob sie schwungvoll die Beine und legte die Stiefel auf der Konsole ab. Nun rückte sie sich bequem im Sessel zurecht und fuhr den Armlehnenbildschirm aus, um erst mal zu schauen, was ihr die Welt in der letzten Septi so alles hatte mitteilen wollen.

Neadis Gesicht tauchte auf. Kaffeebraune, glänzende Haut, dunkle, funkelnde Augen. »Hey, Trill. Hoffe, dich erreicht diese Nachricht.« Wie üblich beklagte sie sich eine Weile darüber, »wie elendiglich wir uns alle den Hintern wundscheuern, um zu überleben.« Doch dann verlor sich auf einmal ihre überdrehte Art, und sie wurde ganz ernst.

»Irgendwas ist los. Klar, ich weiß schon, die Geschäfte laufen eh nicht gut in letzter Zeit, aber bei uns Indies geht’s doch immer auf und ab.«

Neadi war mit der Branche genauso vertraut wie Trilby. Sie war praktisch auf einem Frachter aufgewachsen, allerdings auf einem viel größeren als der Venture. Letztlich aber lag es vor allem an dem Pub, den sie und ihr Mann gleich neben dem Spaceport betrieben, dass sie immer bestens versorgt war mit dem neuesten Tratsch und den wildesten Gerüchten aus Port Rumor, Bagrond und Quivera.

»Der Tratschfunk behauptet, die ’Sko haben einen neuen Verehrer. Ich weiß, ich weiß.« Neadi hielt eine Hand abwehrend hoch, als habe sie Trilbys ungläubiges Schnaufen gehört. »Du denkst jetzt: Wer legt sich schon mit den ’Sko ins Bett? Na, Zafharier zum Beispiel?«

Trilbys Gedanken wanderten zu einem großen dunkelhaarigen Mann ein Deck tiefer. Ein kleines Alarmglöckchen bimmelte in ihrem Inneren.

»Es gibt Gemunkel von irgendwelchen Geheimabsprachen mit einem der Beffa-Kartelle. Wahrscheinlich, weil in letzter Zeit die ’Sko-Überfälle zunehmen. Wenn die ’Sko die Handelswege der Kleinen weiter attackieren, wird Gensiira über kurz oder lang nur noch von den Großen angeflogen, also vor allem GGA und Norvind. Was denen dann richtig Geld in die Kassen spülen dürfte.

Was sie andererseits aber auch reichlich teuer zu stehen kommen kann. Nämlich falls die ’Sko in Wahrheit gar nicht hinter den Kleinen her sind, sondern nur darauf aus, die Großen in Gebiete zu locken, die praktisch unkontrollierbar sind. Die ’Sko haben viel zu gewinnen, wenn sie Gensiira beherrschen. Und die Zafharier werden richtig fett, wenn die ’Sko das Kleintransportergewerbe aus dem Markt drängen, weil sie uns dadurch dem Imperium in die Arme treiben.

Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum das Imperium plötzlich die Feindseligkeiten mit den ’Sko auf Szed beigelegt hat.

Also, pass gut auf dich auf. Schau dir genau an, wer was von dir will und welche Flugrouten du dadurch nehmen musst. Vielleicht ist alles nur Geschnatter, aber ich weiß, wie sehr du gerade daran arbeitest, endlich mal aufzurüsten. Mach das, Mädchen. Hol dir, was du brauchst. Eine hübsche neue Ionen-Kanone wäre doch fett. Noch fetter wären natürlich die fünf Ladies. Ich hab da übrigens Verbindungen, falls du keine hast.«

Trilby ließ sich nachdenklich in den Sessel zurücksinken. Die bevorstehende Fuhre nach Bagrond hatte ihr ein zuverlässiger Zwischenhändler vermittelt, ein alter Freund. Sie richtete sich wieder auf, rief die Nachricht noch mal ab und versuchte, zwischen den Zeilen irgendeine versteckte Botschaft auszumachen. Nichts. Zumindest nichts, was da nicht hingehörte.

Aber es gab noch jede Menge anderer Anfragen. Zwar nicht an sie. Aber schon bevor sie Rumor verlassen hatte, war ihr nicht entgangen, dass jetzt der billigere Gin ausgeschenkt wurde.

Und dann war da schließlich noch Rhis. Der zafharische Pilot. Der Lieutenant. Ohne höhere Befugnisse. Rein zufällig in den Besitz eines ’Sko-Fighters gelangt. Vor Jahren mal irgendwo eingefangen, so hatte er behauptet. Wurde höchstens noch zu Übungszwecken verwendet. Und war aufgrund einer Panne direkt in ihrem Vorgarten gelandet.

Das passte wiederum zu der Tatsache, dass es nirgends auch nur eine Spur irgendwelcher Suchtrupps gab. Weit und breit nichts. Wäre der Tark gestohlen, so hätten sich die ’Sko längst an Rhis’ Fersen geheftet.

Vielleicht war der Tark ja gar nicht gestohlen worden. Vielleicht war er ein Geschenk gewesen. Ein kleines Dankeschön für das andere Gerücht, von dem Neadi gesprochen hatte.

Wer würde schon mit den ’Sko anbändeln – außer den Zafhariern?