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Nachdenklich verließ sie die Brücke und achtete kaum darauf, wo sie hintrat, weil ihr immer noch Neadis Warnungen im Kopf herumschwirrten. Schon richtig, es war nicht immer ganz einfach, sich am Handelsplatz Gensiira zu behaupten. Doch der Feind hatte in dem Fall ein Gesicht: die Regierung, meist in Form irgendwelcher Zollinspektoren, auf den Dockanlagen wohlbekannt und notgedrungen auch wohlgelitten. Aber die ’Sko, und möglicherweise jetzt auch die Zafharier, gingen völlig anders vor. Etwas Vorsicht beim Geschäftemachen schien ihr angebracht. Ebenso wie bei ihrem Bordgast.
Schande, dass sie Zafhariern gegenüber kein angeborenes Misstrauen hatte. Port Rumor war einfach viel zu sehr ein Völkergemisch. Sie kannte ein paar zafharische Spediteure und vielleicht ein halbes Dutzend halbzafharischer Händler, unter ihnen Neadis Mann. Port Rumor war nicht erst seit heute ein brodelnder Handelsplatz. Schon vor dem Krieg war es nicht viel anders gewesen.
Einen imperialen Soldaten in den Schoß geworfen zu bekommen, entzückenderweise in einem ’Sko-Tark – einem voll bewaffneten ’Sko-Tark, wohl gemerkt –, war allerdings noch etwas anderes, als mit einem halbzafharischen Techniker ein Bierchen im Flyboy zu zischen.
Sie blieb stehen und starrte die Tür an, vor der sie gelandet war. Lagerbox 3. Sie hatte eigentlich in ihre Kabine ein Deck höher gehen wollen und war zu weit hinuntergestiegen.
Großartig, Trill, einfach großartig. Sie widerstand dem Bedürfnis, ihren Kopf gegen die Tür zu rammen.
Frustriert warf sie die Arme hoch, drehte sich um und schlug mit der flachen Hand direkt auf Rhis Brustkorb. »Was zum … oh, Entschuldigung.«
Er fing ihren Arm ab und hielt ihn fest, als sie ihn überrascht von unten ansah. Und wieder flackerte da etwas, glitzerte, surrte. Irgendetwas ganz tief Sitzendes, Intensives, Drängendes.
Sie schüttelte seine Hand ab und wich schnell einen Schritt zurück. »Laufen Sie mir etwa nach, Lieutenant?« Sie versuchte, Eis in ihren Tonfall zu legen, Eis konnte sie gerade sehr gut brauchen.
Er zögerte. »Ich habe nach Ihnen gesucht.«
»Hier unten?«
»Ich bin zuerst auf der Brücke gewesen, aber da waren Sie nicht. Das Schiff hat ja keine Rufanlage.«
Trilby beschwichtigte ihr frisch erwachtes Misstrauen. Er hatte ja recht, das Mannschaftsortungssystem an Bord war nun mal nicht intakt. Dezi besaß seine eigenen Wärmesensoren, um sie zu finden, wenn es nötig war. Wenn wiederum sie Dez brauchte, rief sie ihn über das Intracom. Mit leichter Verlegenheit wurde ihr bewusst, dass sie diese Möglichkeit Vanur gegenüber nicht erwähnt hatte. »Gibt’s Probleme?«
»Probleme?«
»Sie werden ja wohl kaum nach mir gesucht haben, um ein gutes Rezept für Käsekuchen zu ergattern. Also, wo liegt das Problem?«
»Oh, klar. Ja, also, es gibt nicht direkt ein Problem. Ich dachte nur an eine kleine Verbesserung, um die Leistungsfähigkeit der Booster zu steigern, falls Sie das interessiert.«
»Ich dachte, damit waren Sie gestern bereits fertig.« Sie fiel in Gleichschritt mit ihm, als sie die Galerie um das Schiff nahmen.
»War ich auch. Ich nahm zunächst an, mit Ihrem Equipment wäre mehr gar nicht drin, aber ich habe es mir noch mal genauer angeschaut. Ich denke, ich könnte da doch einiges am Empfangsverstärker verbessern …«
»Sie meinen, ein Hacker-Kettenkarussell anbringen?«
Er drehte sich auf dem Absatz um und lächelte zu ihr hinunter. »Und zwar eins, das Ihnen vermutlich gefallen würde. Unsere Schiffe verwenden so was Ähnliches bei Patrouilleneinsätzen. Ich würde es ungefähr so beschreiben: Stellen Sie sich eine Art invasiven Crackfilter vor.«
Sie sagte kein Wort und folgte ihm aufs nächste Deck. Kurz vor dem Gang zur Lounge blieb sie stehen. »Sie meinen, man kommt an Nachrichten heran, die gar nicht für einen bestimmt sind?«
Er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. »Ja.«
»Nette Verbesserung.« Und obendrein eine, die in Port Rumor sicher reißenden Absatz finden würde. Sie brauchte nur den Programmcode zu entschlüsseln, um zu sehen, wie das Ganze funktionierte. »Dauert es lange?«
»Eine Stunde höchstens. Ich kann es auf dem Weg nach Rumor installieren. Im Moment bin ich noch mit Dezi dabei, die Sensoren zu kalibrieren.«
»Ich will das Programm sehen, bevor Sie es installieren.«
»Selbstverständlich.«
Selbstverständlich. Und das von einem Mann, der noch gestern versucht hatte, sie mit dem G’zhen-Dai-Griff der Kriegsmönche aus dem Sonstwo zu lähmen. Oder war es der tödliche Tah-Fral-Griff dieses mörderischen Schuld-Ordens gewesen?
Sie schüttelte den Kopf, während er Richtung Antriebsraum davoneilte.
Sie marschierte in die Lounge. Ihr Magen knurrte schon die ganze Zeit. Sie nahm die große Kasserolle mit dem vorbereiteten Auflauf aus dem Vorratsfach und schob sie in den Prozessor. Das hätte sie schon vor zehn Minuten tun können, war aber stattdessen sinnlos auf dem Frachtdeck herumgewandert. Wenn sie nicht in diesen Vanur hineingerannt wäre …
Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, mit derselben hochspannungsgeladenen Intensität, die sie bei seiner Berührung vor Lagerbox 3 durchströmt hatte.
Was hatte Vanur überhaupt bei den Boxen verloren?
Er habe nach ihr gesucht, hatte er behauptet. Sie wusste nicht, was sie mehr störte: der Umstand, dass er ihr offensichtlich nachlief, oder der Umstand, dass er ihr nachlief, sie sich dieser Tatsache aber anscheinend selbst nicht bewusst war.
Der Prozessor machte »Kling«. Sie zog die Tür auf und sog einen Moment lang den heißen, würzigen Duft durch die Nase ein.
Wahrscheinlich war sie paranoid. Oder vielleicht lag es daran, dass sie einfach nicht verstand, warum er sie die ganze Zeit so nervös machte. Sie konnte nicht mal sagen, ob es eher an seiner Herkunft oder seinem Geschlecht lag.
Er war schrecklich männlich. Schrecklich, traumhaft, durch und durch männlich. Das würde wohl zumindest einiges erklären, wenn sie nicht noch an Jagan zu knapsen hätte. Und wenn Rhis nicht in einer zafharischen Uniform auf ihrem Schiff herumschnüffeln würde. Vor sechs Monaten hätte sie das alles nicht gekümmert, aber jetzt war sie besser doppelt vorsichtig.
Sie stellte die Kasserolle auf die Arbeitsplatte und aktivierte den Kaffeebereiter.
Als Rhis zum Essen erschien, nippte sie immer noch an ihrer ersten Tasse. Aber der Kaffe war kalt. Sie rührte gedankenverloren darin herum und tat so, als betrachte sie durch die Ansichtsschirme die langen Schatten Avanars. Zwei Monde gingen gerade auf. Sie sah zu, wie Rhis’ Silhouette – dunkelhaarig und dunkelhemdig – über die Schirme wanderte, während er sich mit einem Teller Auflauf in der Hand an den Tresen setzte, der die Lounge von der Kombüse trennte. Neben sich legte er eines der wenigen mobilen Databletts, über die das Schiff verfügte. Er war an irgendeinem Sensorrätsel zugange, welches sie trotz Dezis Erklärungsversuchen nicht recht verstand.
So lautete jedenfalls seine Version.
Nach allem was sie wusste, konnte er ebenso gut daran arbeiten, den ’Sko mehr Lufthoheit über die Konklaven zu verschaffen.
Neadis Worte hallten in ihr nach und wurden plötzlich überlagert von der Erinnerung an die Hitze, die sich im Hauptversorgungstunnel zwischen ihm und ihr aufgebaut hatte. Sie war beinahe überrascht, dass die heruntergestürzte Blechtür bei der Berührung ihrer Körper nicht kurzerhand geschmolzen war.
Es machte sie stocksauer, wie er sie beim Auffangen angetatscht hatte. Andererseits war es sehr wohl möglich, dass sie sich das doch nur eingebildet hatte. Vielleicht waren sie wirklich nur aus Versehen gegeneinander gefallen, dabei war ihr zufällig das T-Shirt hochgerutscht und seine Hand einfach da gelandet, wo sie logischerweise hatte landen müssen.
Aber der Kuss, dieser Kuss war ganz sicher kein Versehen gewesen.
Also behielt sie ihn weiterhin im Auge, ohne ein Auge auf ihn zu werfen. ›Ihn‹, den Lieutenant des zafharischen Imperiums, und nicht ›ihn‹, den Mann mit den breiten Schultern und den starken Armen. Und mit nachtschwarzem Haar – das einzig Weiche an seinem ganzen Körper …
Gereizt sprang sie auf, irritiert von den Abwegen, die ihre Gedanken schon wieder genommen hatten. Die längst vergessene Kaffeetasse hielt sie immer noch in der Hand. »Können wir morgen früh um 0600 fliegen?«
»Unbedingt. Wir können auch schon heute Nacht fliegen. Wir sind in einer Stunde startbereit.«
Trilby schüttelte den Kopf. »Nein, ich brauche Schlaf. Dezi muss sich aufladen, und Sie sind gerade dabei, sich von ein paar üblen Verletzungen zu erholen.«
Er sah auf seinen aufgerollten Hemdsärmel hinunter und begutachtete die blutunterlaufene Schwellung am Arm.
»Ich weiß schon, ich weiß schon«, fauchte sie, als er zu einer Antwort ansetzen wollte. »Sie haben da draußen irgendwo hinter der Grenze eine ganz heiße Sache laufen, schon klar. Aber auch wenn wir erst morgen bei Sonnenaufgang starten, liegen wir im Zeitplan. Wir brauchen alle eine Mütze voll Schlaf.«
Sie ging um ihn herum, um ihre Tasse in den Geschirrkorb zu stellen.
Er reichte ihr die Kasserolle. »Ich könnte doch schon starten –«
»Danke, nein. Ich erwarte Sie um 0545 auf der Brücke. Ich möchte noch einen kompletten Systemcheck laufen lassen, bevor wir hier versehentlich den ganzen Laden grillen.«
Er stieß sich vom Tresen ab, klemmte sich das Datablett unter den Arm. »0545. Verstanden.«
Erleichtert ließ sie den Atem entweichen, den sie hatte anhalten müssen, bis er den Raum verließ. Dann räumte sie schnell die Kombüse auf. Solange Rhis in seiner Kabine war, hatte sie freie Bahn, sich ungestört ein wenig auf ihrem Schiff umzuschauen. Vielleicht ließ sich ja herausfinden, was der Lieutenant wirklich auf dem Ladedeck vor Lagerbox 3 zu suchen hatte.
Und während sie energisch darüber nachdachte, versuchte sie genauso energisch nicht darüber nachzudenken, wie sich wohl ein neuerlicher Kuss von seinem Mund anfühlen mochte.
Er sah sie sofort, kaum dass die Tür seiner Kabine aufgeglitten war: Seine schwarze Jacke hing gereinigt und geflickt über der einzig vorhandenen Stuhllehne. Er nahm die Jacke hoch, bemerkte den leichten Hauch ihres Parfüms und entdeckte den Rest.
Ein langärmliges weißes Hemd, das ihm passen würde. Es schien neu zu sein und roch nicht nach gepuderten Blumen. Er fragte sich, wo sie das her hatte. Replikator? Nein, das Schiff hatte ja keine Replikatoren an Bord.
Ihre Art verwirrte ihn. Oder hatte ihn verwirrt, jetzt nicht mehr. Er hatte inzwischen begriffen, dass sie in einem Moment unterkühlt und schnippisch sein konnte und im nächsten warm und zugewandt. Sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihm nicht über den Weg traute, und mehr noch, dass sie ihn nicht besonders leiden konnte.
Letzteres immerhin war ihm vertraut. Kaum jemand konnte ihn leiden.
Und andererseits flickte sie seine Jacke, suchte ihm ein passendes Hemd heraus, sorgte für frische Seife und hielt immer einen heißen Kaffee für ihn bereit. Fragte, ob er noch eine Decke brauchte. Ob er genügend Handtücher in seiner Sanizelle hatte.
Ein paar Mal hatte sie ihn regelrecht angemacht, oder jedenfalls ein bisschen geneckt. Er fragte sich, ob er sich am Ende irrte. Vielleicht mochte sie ihn doch irgendwie. Nur ein ganz kleines bisschen.
Das machte ihm Angst. Weil er nämlich nicht wusste, was er tun sollte, wenn es so war.
Er warf die Jacke wieder über die Stuhllehne und schob alle Trilby-Grübeleien entschlossen von sich. Stattdessen machte er sich bewusst, wer er war und warum er hier war.
Er stellte den Wecker auf 0130. Er hatte noch was zu tun.
In ihrem Quartier angekommen, stellte Trilby als Erstes den Wecker auf 0530. Als Nächstes zog sie den Schwenkarm des Comps herum, damit sie ihn vom Bett aus bedienen konnte. Sie hockte sich im Schneidersitz auf den verschlissenen lila Quilt, stützte die Ellenbogen auf die Knie und unterzog ihr Schiff einer Prüfung auf Herz und Nieren. Das hatte sie noch nicht oft gemacht, aber bisher hatte sie ja auch keine ungebetenen Gäste an Bord gehabt.
Das Check-Programm hatte sie einst mit Shadow geschrieben, und es war eines ihrer besten Programme. Unwillkürlich musste sie an ihn denken. Jung und schlaksig. Wie er sich mit langen Fingern seinen unbändigen, dunkelbraunen Schopf aus den Augen strich, immer und immer wieder. Doch dann verblasste sein Gesicht in ihrer Erinnerung. Sein Tod lag fast siebzehn Jahre zurück.
Sie war gerade sechzehn geworden, als es geschah. Shadow war über zwei Jahre ihr Juniorausbilder gewesen. Dann ergatterte er bei Herkoid einen Klasse-Job auf einem Langstreckenfrachter. Drei Monate später folgte Trilby ihm. Herkoid konnte billige Arbeitskräfte immer brauchen.
Port Rumor. Der Müllplatz des zivilisierten Weltraums bot nicht nur hartes Gerät feil, sondern auch weiche Körper. Waisen, Bastarde, Verstoßene. Tausende in Verschlägen hausende Kinder, die illegal auf den Laderampen und den Frachtern beschäftigt wurden. Jobs, Futter, Klamotten, alles musste man sich irgendwie beschaffen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wer’s findet, darf’s behalten.
So war das damals in Port Rumor.
Und Shadow, Shadow war tot. Er stand auf der Brücke, als ’Sko-Laser den Großraumfrachter kurzerhand zersägten. Erst schnitten sie die Brücke in Scheiben, danach säbelten sie den Maschinenraum ab.
Den Frachtraum ließen sie ganz. ’Sko zerstören niemals die Fracht. »Man scheißt nicht da, wo man isst«, wie Shadow zu sagen pflegte.
Trilby und drei Lagerarbeiter hatten sich zum Zeitpunkt des Angriffs gerade im Frachtraum befunden, weil zwei Container aus ihren Halterungen gerutscht waren. Trilbys unbedeutende Stellung und die Ankunft einer konklavischen Schwadron hatten ihr am Ende das Leben gerettet.
Sie massierte sich mit zwei Fingern den Nasenrücken. Müdigkeit überkam sie in gleichem Maße, wie die schwere Erinnerung gnädig verblasste. Sie schüttelte den Kopf, um wach zu bleiben, und starrte auf die Datenreihen, die der Comp über das Display schickte. Sorgsam verglich sie Dezis Flickwerk mit Rhis’ Endprogrammierung. Alles im grünen Bereich. Keine Ketten, keine Karusselle.
Sie hatte ihm mit Absicht nicht mehr über die Schulter gesehen, um herauszufinden, ob er irgendetwas im Schilde führte. Sollte das der Fall sein, so war es ihr lieber, wenn er es versuchte, solange sie noch nicht irgendwo im All unterwegs waren.
Aber ihre Befürchtungen schienen unbegründet zu sein.
Rhis war allem Anschein nach ein braver Junge.
Sie zog sich das grüne T-Shirt über den Kopf und warf den Werkzeuggürtel samt Laserpistole auf die aus der Wand hervorstehende Nachtablage. Ihre Hose knüllte sie zusammen und schleuderte sie in den Wäschekorb in der Ecke. Wenn Sie erst mal unterwegs waren, hatte sie reichlich Zeit, die Wäsche zu waschen.
Oder vielleicht sollte sie die Ehre dem Herrn Lieutenant Charming zuteilwerden lassen. So hilfsbereit er auch war – jede Wette, dass er mit dem Bodensatz der auf einem Schiff zu verrichtenden Arbeit noch nie in Berührung gekommen war. Daran merkte man nämlich, dass er ein Karrierist war. Karrieristen, besonders die des Imperiums, wuschen ihre Wäsche nicht selbst.
Vielleicht war es an der Zeit, dass ihm jemand dabei half, die kleinen schwarzen Löcher in seiner Ausbildung zu erhellen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.
Kurz bevor der Wecker klingelte, wachte er auf und starrte in die Dunkelheit seiner winzigen Kabine. Es war ungewohnt, sich auf einem Schiff zu befinden, das sich nicht bewegte. Er war es gewöhnt, das gleichmäßige Wummern der Triebwerke als Schwingung in seinem Körper zu spüren.
Er zog Hose und Hemd an und streifte die Jacke über. Das neue weiße Hemd wäre in den dunklen Korridoren der Venture die reinste Signallampe gewesen. Er musste aber unbedingt Teil der Schatten sein, um das tun zu können, was er vorhatte. Sein Kettenkarussell einzubauen. Trilby Elliots Worte hallten noch immer in ihm nach. Der Klang ihrer Stimme, voller Misstrauen und untergründigem Sarkasmus.
Kettenkarussell.
Auf der Höhe eines großen Wandschranks, in dem Hilfsversorgungs- und Kommunikationskontrollsysteme untergebracht waren, verlangsamte er seinen Schritt. Er dekodierte das Schloss und stellte sicher, dass er keine Alarmschaltung aktivierte. Unterstützt von einem Datalyzer, den er heimlich hatte mitgehen lassen, benötigte er eine halbe Stunde konzentrierter Arbeit, um sich in das datentechnische Herz des Schiffs zu hacken.
Alle ihre illegalen Updates zogen in langen Datenreihen an ihm vorbei. Von Trilby Elliot persönlich programmiert. Er wusste nicht, was ihn mehr überraschte: die Raffinesse oder die Abgebrühtheit ihrer äußerst kreativen Manipulationsmethoden.
Er hatte es hier mit einem waschechten Talent zu tun. Die kleine kecke Funkenfee hatte richtig was drauf. Hätte sie die imperiale Ausbildung genossen, so hätte sie die Hälfte aller ihm bekannten Chefprogrammierer locker hinter sich gelassen.
Von ihr konnte er noch einiges über Ketten und Karusselle lernen. Freiwillig würde sie es ihm natürlich nicht beibringen. Aber in den Programmiervorlagen sollte er auch so ein paar Antworten auf seine offenen Fragen finden. Es wäre sicherlich interessant, ihre Skriptmethoden später auf den Computern der Razalka einer genauen Analyse zu unterziehen.
Er tippte ein paar Mal auf die Tastatur und tauchte immer tiefer in die Datenstruktur ein, bis er zu ihren geschützten Privatordnern vorstieß. Wo sonst sollte sie die Programmierungsvorlagen sicher aufbewahren?
Zuerst landete er im falschen Verzeichnis. Das Icon des Ordners zeigte ein J. Er wollte gerade zurückgehen, zögerte dann aber einen Moment. Das Imperium hatte sich schon öfter Schiffe mit eben diesem Emblem unter den Nagel gerissen. Das J stand für Jagan Grantforth. Grantforth Galaktik Amalgam. GGA. Was darüber hinaus noch zusätzlich seine Neugier weckte, war der Kalender mit der Sende- und Empfangsliste. Regelmäßige Kommunikation über anderthalb Jahre, und dann brach vor vier Monaten plötzlich jeglicher Kontakt ab.
Grantforth war ein leuchtender Stern am Konzernhimmel. Neureich, zweifelsohne, aber die meisten Konklaven waren neureich. Im Gegensatz zu den tradierten Familien Zafharias.
Er konnte sich nicht erklären, was ein Wirtschaftsgigant wie GGA mit einer Kleinspediteurin wie Trilby Elliot zu schaffen hatte. Und warum diese Verbindung augenscheinlich so gar nichts für sie abgeworfen hatte.
Es sei denn, die Verbindung war nicht rein geschäftlich gewesen. Aber genau danach sah es aus, als er die Nachrichten auf dem kleinen Bildschirm durchscrollte. Und prompt vergaß er, warum er eigentlich hergekommen war, und Trilbys Programmiervorlagen hatte er sowieso schon vergessen.
Der reiche und einflussreiche Jagan Grantforth hatte offenbar in Port Rumor die nichts ahnende und leichtgläubige Trilby Elliot gehörig um den Finger gewickelt.
Er betrachtete Jagans Nachrichten mit zunehmendem Missfallen. Der gut gebräunte, blonde junge Mann auf dem Bildschirm warf mit Schmeicheleien und zuckersüßen Komplimenten nur so um sich. Ein paar Nachrichten später immer noch das Gleiche. Aber die letzten beiden Eingänge unterschieden sich merklich.
»Trilby, Schätzchen.« Jagan erschien im Kleinformat auf dem Bildschirm. »Ich bete dich an, und das weißt du. Keine Frau gibt mir dieses Gefühl, das du mir gibst. Aber wir leben in unterschiedlichen Welten, das können wir nicht einfach links liegen lassen.« Die Kamera zeigte kurz das halb volle Weinglas in seiner Hand, dann erschien er wieder in der Bildmitte. »Tut mir leid, dass du auf diese Weise von meiner Verbindung zu Zalia erfahren hast. Ich wollte dir doch nicht wehtun. Und schau mal, es gibt doch auch gar keinen Grund, warum du und ich unsere wunderschöne Beziehung nicht fortsetzen sollten. Das ist eigentlich ganz einfach, wenn du einsiehst, dass ich Zalia heiraten muss, weil … nun, weil ich sie eben heiraten muss. Reine Pflicht, mehr nicht. Ihre Familie ist reich und angesehen, hat gute Verbindungen, komm schon, du verstehst das doch. Ich bin nun mal ein Grantforth, einer von den Grantforths.«
Die letzte verbliebene Nachricht war im Ton merklich aufgeheizt.
Jagan beharrte noch darauf, dass er sie wollte, aber er war ungeheuer zornig. Offenbar hatte Trilby ihm den Laufpass gegeben, und er war jetzt sauer, dass sie sein geiles kleines Arrangement nicht mehr mitspielen wollte. Und aus seinen letzten Bemerkungen zu schließen, hatte Trilby ihn wohl auch nicht ganz ungeschoren davonkommen lassen.
»Meine Mutter hat es ja immer schon gesagt«, polterte der smarte Mann übellaunig und giftig, »du bist nichts als zweitklassiger Müll aus Port Rumor.«
In Rhis stieg schlagartig ein ungeheurer Grimm auf. Heiße Wut durchbohrte ihm die Brust. Hätte Jagan Grantforth in diesem Moment vor ihm gestanden, so hätte er ihm mit Vergnügen eine verpasst, dass er sich nur mit Mühe von der Bordwand kratzen konnte.
Trilby musterte Rhis, als der sich um 0542 in den Pilotensessel fallen ließ. Er hatte immer noch dunkle Ringe unter den Augen.
Vielleicht hätte sie ihn dazu verdonnern sollen, noch einen Tag länger auf der Krankenstation zu bleiben. Aber die Venture so schnell wie möglich flugtauglich zu machen, war ihr wichtiger gewesen, als an seine Gesundheit zu denken. Sie bekam ein schlechtes Gewissen.
»Brauchen Sie ein Aufwachgetränk?«
»Nein, warum? Ich bin wohlauf.« Mit Nachdruck legte er den Gurt an.
»Ja, ja, den Text kenne ich inzwischen, Rhis, mein Junge. Das waren doch schon letztes Mal Ihre Worte, kurz bevor Sie …«
»Sie wollten einen Systemtest durchführen?«, unterbrach er sie und betrachtete brennend interessiert den Bildschirm und die Leuchtdioden auf der Konsole.
Sie schmunzelte und schwenkte ihr Datablett in Position. »Wie Sie wünschen, starker Mann. Volle Kraft bereit. Gehen wir die Checkliste durch. Lebensrettungssystem?«
»Alle Pegel optimal.«
»Sind die Filter online?«
»Sind sie. Ebenso der Hilfsgenerator.«
Es war seltsam, statt Dezis Stimme seine auf ihre Anweisungen antworten zu hören.
»Alles bereit.«
Die nächsten paar Minuten waren sie mit allen möglichen Messungen und Kalibrierungen beschäftigt, regelten hier und da an den Parametern herum und justierten einige Pegel nach.
Ein paar Mal fiel ihr auf, dass er drauf und dran war, ein Kommando zu geben, bevor sie es tat. Als ob er gleich kurzerhand die Kapitänsposition übernehmen wollte. Sie bezweifelte, dass Kommodore Tivahr auf der Brücke der Razalka so etwas ungestraft hätte durchgehen lassen.
Aber anscheinend hielt sich ein rangniederer zafharischer Lieutenant für qualifizierter als eine unabhängige Lastschiffkapitänin. Na, dann wollte sie ihm mal ein oder zwei Sachen erklären. »Schon mächtig viele Frachter geflogen, was, Rhis?«
»Einige.«
»Bitte im Dachstübchen vermerken, dass dies hier tatsächlich nur ein Frachtschiff ist und kein blank gelecktes Hightechspielzeug der imperialen Preis- und Ausstattungsklasse. Also halten Sie sich gefälligst zurück und lassen Sie mich das Schiff steuern, bis wir außerhalb des Schwerkraftfeldes sind.« Sie zeigte auf seine Hände, die in Bereitschaft über Schubkraft- und Steuerregler verharrten. »Ich weiß, wie man dieses Schiff fliegt.«
Er zog seine Hände weg.
»Schon besser. Und jetzt bringen wir diesen Haufen rostiger alter Bolzen in die Luft.«
Als der bullige Frachter abhob, musste Rhis ihr insgeheim zustimmen. In einem Punkt zumindest hatte sie recht. Seine vielen Flugstunden hatte er natürlich ausschließlich in hochgerüstetem, hochpreisigem, imperialem Spielzeug abgeleistet. Spielzeug, das unter anderem über erheblich bessere Antischwerkraftaggregate verfügte als die Venture. Die Seite begann wieder schmerzhaft zu ziehen. Er atmete gleichmäßig und versuchte, seine physischen Wahrnehmungen auszublenden, indem er sich ganz auf die Instrumentenanzeigen konzentrierte.
Eine halbe Stunde noch, neunundzwanzig Minuten … sein Blick wanderte von den Anzeigen zu Trilby Elliot an der Steuerung. Sie atmete angestrengt, ja, auch sie kämpfte mit der körperlichen Belastung. Aber ihre Hände bewegten sich ruhig, korrigierten Rotation und Mittelachse und tricksten geschickt mit den Schubdüsen.
»Die Sternkartenanzeige ist immer kaputt«, sagte sie, als sie bemerkte, dass er sie ansah. »Meine kleine Notversicherung, falls irgendein verdammter Lump mein Schiff stiehlt. Dann trudelt es ihm schneller aus der Kontrolle, als er Zeit hat, sich für seine Heldentat zu brüsten.« Sie kicherte boshaft. »Wäre ich der Meinung, die Zafharier hätten auch nur das geringste Interesse an einer alten Bruchpilotin wie mir, würde ich Ihnen das nicht erzählen.«
Richtig, die Zafharier konnten mit kleinen Frachtern nichts anfangen. Kriegsschiffe, Erkundungsschiffe, Patrouillenschiffe, Großraumfrachter, ja. Aber eine alte Circura Zwei war ihnen keine noch so kleine Aufmerksamkeitseinheit wert. Er hingegen würde auf keinen Fall je wieder eine sehen können, ohne an diese seltsame kleine, hellhaarige Funkenfee zu denken. Obwohl Funkenfee eigentlich eine nicht ganz zutreffende Bezeichnung für sie war. Denn ihre anmutige Erscheinung war in Wahrheit nichts als schöner Schein, ein hinterhältiger Trick der Natur, die ihr das Gesicht einer Prinzessin in die Wiege gelegt hatte und sie damit durch ein Leben der Enttäuschungen schickte.
Eine falsche Anzeige auf der Konsole zog seine Aufmerksamkeit auf sich. »Der Aufstiegswinkel ist zu steil.«
Trilby griff mit der rechten Hand nach oben und verpasste dem katzenartigen Plüschtier einen Stoß.
»Nein. Alles richtig so.«
Er starrte das langschwänzige Tier an, dann den rot bebänderten Anzeigeschirm und schließlich Trilby. »Das meinen Sie nicht ernst.«
Sie grinste.
Er begriff. »Noch eine kleine Notversicherung?«
Dezi antwortete an ihrer Stelle. »Captain Elliot geht einfach davon aus, dass die Piratenfraktion, die sich mit Kapern durch Sabotage befasst, das Einfachste nicht bedenken würde. Ich bitte Sie, Lieutenant, die hohe Erfolgsquote der Zafharier macht doch hinreichend deutlich, das die Leute dort gründlicher sind als die anderen. Der Überfall der Razalka auf den GGA-Rüstungskonvoi vor fünf Jahren belegt geradezu beispielhaft, wie gigantisch –«
»Danke Dez«, sagten zwei Stimmen simultan, aber aus unterschiedlichen Gründen.
»Checkst du bitte die eingehenden Nachrichten, Dez?« Trilby drosselte den Hauptantrieb und schalte den Hyperantrieb auf Bereitschaft.
Ihre Handgriffe aufgrund seiner Ausbildung vorausahnend, folgte ihr sein Blick wie ein heimlicher Schatten. Er faltete die Hände, um nicht in Versuchung zu kommen, irgendwas auf der Konsole anzufassen. »Warten Sie auf die Bestätigung aus Bagrond?«
»Die hab ich längst.« Das Schiff hatte sich jetzt aus dem Schwerkraftfeld Avanars gelöst und glitt ruhig dahin. Die Ansichtsschirme zeigten nichts außer der dunklen Eleganz des tiefen Weltraums.
Rhis machte es sich in seinem Sessel bequem.
»Ich warte auf eine Nachricht«, fuhr sie fort. »Von Neadi Danzanour.«
»Danzanour?« Ein zafharischer Nachname.
»Neadis Mann, Leonid. Sein Vater war Zafharier. Aber er ist hier auf Gensiira in Marbo aufgewachsen. Er und Neadi führen einen großartigen kleinen Pub am Spaceport. Wirklich nette Leute«, fügte sie gedankenverloren hinzu.
»Kennen Sie sie schon lange?« Bis auf das, was er durch seinen Zufallsfund aus der Akte Jagan Grantforth erfahren hatte, wusste er praktisch nichts über Trilby Elliot. Während der Arbeiten an den Schiffsleitungen war keine Zeit für solche Fragen gewesen. Aber in den nächsten drei Tagen – einem Trike, wie sie in ihrem Frachtslang kauderwelschte – hatten sie weiter keine Verpflichtungen. Außer die Venture auf ihrer Reise bei Laune zu halten.
Trilby nickte. »Ich hab Neadi kennengelernt, als ich bei Norvind Intergalaktik gearbeitet habe.«
»Norvind hat Sie wohl direkt von der Handelsakademie abgeworben?«
Sie sah ihn kurz an, dann auf den Scanner rechts neben sich. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, bemerkte sie. »Wahrscheinlich nur eine Interferenz. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, Norvind. Sie haben sicher von ihnen gehört, nehme ich mal an?« Er kannte Norvind, weil sie ihre Frachtrechte im Krieg an die Zafharier verloren hatten.
»Nix mit Akademie. Das, Rhis, mein Junge, kostet Geld. Ich hab bei einem Schiffsausrüster angefangen, als ich zwölf oder knapp dreizehn war. Da lernte ich genug, um ein paar Jahre drauf bei Herkoid unterzeichnen zu können. Aber sie machten pleite, kurz vorm Krieg. Rinnaker übernahm ihre Schiffe. Norvind übernahm ein paar Routen samt Personal. Ich gehörte einfach zum Paket.« Sie drehte sich zu Dezi um. »Gibt es Nachrichten?«
»Ich lade sie Ihnen gerade hoch.« Seine Metallfinger tippten auf ein paar Tasten.
Das Licht auf ihrem Bildschirm ging an. Trilby rief die erste Nachricht ab.
»Gott sei Dank, du bist wieder online, Trill. Ich bin froh, dass ich dich zeitig genug für Rinnaker erreiche. Es gibt sehr schlechte Neuigkeiten. Hoffentlich erreicht dich diese Nachricht, bevor du in Rumor eintriffst. Schick mir deine ETA.« Sie zögerte, dann schürzte sie Lippen. »Es geht um Carina. Carina wird vermisst.«
Trilby fuhr sichtlich zusammen.
»Ich hab ihr die gleiche Warnung geschickt wie dir. Aber du kennst ja ihren Bruder, ihre ganze Crew. Zuerst das Geld – verdammt sollen sie alle sein.
Offenbar wurden sie aufgebracht. Sie waren mit einer Ladung Sharvinit-Tee Qualitätsstufe zwei unterwegs. Eine Patrouille von Gensiira fand die Bellas Dream unweit der Grenze im Quadranten vierundachtzig. Gleich daneben liegt dieses Szed.«
»’Sko.« Trilby flüsterte das Wort fast.
»Das Schiff wurde gerammt, die Brücke zermalmt, die Ladung ist weg. Zwei der Crew sind tot, Carina und Vitorio werden vermisst.«
Er hatte die Metzeleien, die die ’Sko anrichteten, schon zu oft gesehen, die Beschreibung ließ ihre Handschrift erkennen. Aber es war vor allem der Fundort an der Grenze, der seine Aufmerksamkeit weckte. Das war kein üblicher ’Sko-Angriff. Nicht dort. Nicht jetzt. Er hörte genauer hin.
»Die Patrouille ist noch dabei, die Flugschreiber auszuwerten. Sowie wir mehr wissen, lass ich von mir hören. Pass auf dich auf da draußen, meine Kleine.«
Der Bildschirm erlosch. Trilby bedeckte kurz ihre Augen mit der Hand, dann begann sie, sich mit zwei Fingern den Nasenrücken zu massieren.
Dezis Bolzen quietschten, als er sich rührte. »Ich bedaure sehr, solche schlechten Nachrichten vernehmen zu müssen.« Er strich ihr auf eine seltsam anrührende Art unbeholfen über den Kopf.
Trilby nickte. »Danke, Dez.« Sie holte tief Luft und hob dann entschlossen das Kinn. Als sie sich Rhis zuwandte, standen ungeweinte Tränen in ihren geweiteten Augen.
Er hatte das Gefühl, er wurde in zwei Teile zerrissen. Die Informationen, die er soeben erhalten hatte, waren von höchstem Wert. Er hatte dranzubleiben, musste mehr erfahren. Doch alles, was ihn interessierte, war der Schmerz, den diese Frau hier vor ihm offensichtlich empfand.
Er hörte sich selbst zu, wie er ihr vorschlug, den Helm zu übernehmen. »Gönnen Sie sich einen Drink, Elliot. Und schicken Sie Dasja Neadi eine Antwort«, sagte er sanft und verwendete den zafharischen Ausdruck für Lady. »Sie soll wissen, dass Sie in Sicherheit sind.«
Er erwartete halb, dass sie widersprach, vorgab, sie sei auf der Höhe. Doch sie tat nichts dergleichen. Die Dankbarkeit, mit der sie seine Hilfe annahm, und die Niedergeschlagenheit, mit der sie davonschlich, berührten ihn zutiefst. Berührten zutiefst den arroganten, unerträglichen imperialen Misthund, der noch nie von irgendetwas aus dieser Richtung berührt worden war.
»Captain Elliot und Carina kennen sich seit frühen Jahren.«
Rhis wandte sich verblüfft Dezi zu, der ihn abwartend anschaute. Protokolldroiden waren programmiert, menschliche Gesichtsausdrücke wahrzunehmen und ihr Verhalten situationsgerecht anzupassen, selbst die ganz billigen. Er fragte sich, was ihm da eben übers Gesicht gehuscht war und wie viel er dadurch preisgegeben hatte. Genug offenbar. Er nickte Dezi zu, fortzufahren.
»Sie wuchsen zusammen in Port Rumor auf. Captain Elliot hat mir oft von den Tricks erzählt, die sie anwenden mussten, um der Bemijufa zu entgehen.«
»Bemijufa?«
»Behörde für mittellose Jugendliche und Familien, soweit ich informiert bin. Alle aufgegriffenen Kinder wurden sofort im Waisenhaus untergebracht. Trilby auf jeden Fall –«
»Trilby war ein Waisenkind?« Für einen Zafharier ein schreckliches Wort. Von klein auf hatte er gelernt, dass Abstammung und Familientradition die Grundfesten jeder Persönlichkeitsformung darstellten.
»Ja.« Dezis optische Sensoren blinkten. »Ebenso wie Carina und Vitorio. Das, fürchte ich, ist der Grund, warum Captain Elliot so niedergeschlagen ist.«
»Das ist natürlich noch viel schlimmer, als einen Freund zu verlieren. Das ist, als ob man jemanden aus der Familie verliert.«
»Ich nehme an, das ist die korrekte Analyse, Lieutenant.«
Rhis dachte an Rafi. Nicht blutsverwandt, aber doch so nahestehend als ob. Wie würde es ihm gehen, wenn er erführe, dass Rafi von den ’Sko verschleppt worden wäre? »Ich gehe mal nach ihr sehen.«
»Ich finde das ratsam. Seien Sie versichert, dass ich mit dem Helm umgehen kann. Ich mache das schon viele Jahre.«
Rhis prüfte das blinkende Intracomlämpchen auf der Konsole. Sie brauchte sicher noch einen Moment, um ihre Nachricht zu schreiben und sich wieder ins Lot zu bringen.
Schließlich erlosch das Lämpchen. Er löste den Gurt und stand auf.
Und wieder gerieten seine zwei Seiten aneinander. Die nüchterne Pflicht rangelte mit einer Seite von ihm, die für ihn bisher gar nicht existent gewesen war. Zum Glück erinnerte die Pflichtseite ihn ganz deutlich daran, was er war und womit er es hier zu tun hatte. Er war ein Offizier der imperialen Flotte. Sie war eine kleine Frachtfliegerin. Sie war …
Sie war verletzt, tief getroffen. Und er – bei allen gottlosen, seelenlosen Gestalten im bewohnten Universum war er sicher der Letzte, der ihr Trost spenden sollte. Davon mal abgesehen wusste er auch gar nicht, wie er das anstellen sollte.
Aber er wusste, er musste es versuchen.