26

Angespannte Stimmen brüllten Befehle in einem Durcheinander aus Standard und Zafharisch. Rhis hatte das Kommando, Dallon übersetzte alles für Trilby, was er für wichtig hielt.

Das half, aber hauptsächlich handelte Trilby instinktiv. Das Schiff zusammen und alle Systeme am Laufen zu halten, musste ihr niemand übersetzen.

»Torpedoangriff Backbord.« Dallon brüllte Richtung und Geschwindigkeit. Rhis leitete die Abwehrmanöver ein. Trilby rief den Status der Schutzschilde auf. Immer noch auf hundert Prozent, obwohl sie bereits ein paar Treffer abbekommen hatten.

Aber bisher hatten die ’Sko auch keine Torpedos auf sie abgefeuert.

Farra an der Kommunikation sendete permanent Notrufe, sowohl auf den konklavischen als auch auf den imperialen Frequenzen. Und versuchte, Antwort von der Cosmic Fortune zu erhalten. Die vermutlich, so hoffte Trilby, mehr war als nur ein Frachter. Aber die Cosmic konnte genauso gut schon einen Deuce vor ihnen sein.

Die Torpedos jagten am Schiff vorbei.

»Schlampige Schusstechnik«, schimpfte Mitkanos auf Zafharisch.

»Verlassen Sie sich nicht drauf.« Rhis nahm die Aufmerksamkeit keinen Sekundenbruchteil von der Konsole. »Vielleicht sollte das nur eine Warnung sein. Farra?«

»Nav. Bis jetzt nichts, Sir.«

Trilby beantwortete seine Frage, bevor er sie stellte. »Das Com-Pack ist nach wie vor online. Wir senden.« Es antwortet nur niemand.

»Zum Teufel noch mal«, fluchte Rhis gedämpft vor Anspannung.

Das Schiff erzitterte kurz, als Mitkanos die Waffen abfeuerte. Nicht die Ionen-Kanonen, noch nicht. Die, das wusste auch Trilby, waren vorerst fürs Mutterschiff gedacht. Sofern sie nahe genug herankamen.

»Sie fallen zurück. Wahrscheinlich um sich neu zu formieren«, teilte Dallon mit.

Rhis blickte sich kurz zu dem jüngeren Mann um. »Tunnel?«

»Kein Hyperraumtunnel in der Nähe, Captain. Wir sind in einer dieser total toten Zonen.«

Trilby fing Rhis’ Blick auf und verstand seinen unausgesprochenen Befehl. Ihre Finger loggten sie über den Navigationslink auf der Konsole ein. »Welches ist die richtige Karte?« Sie durchsuchte die Herkoid-Dateien, die Rhis an GGA hatte geben wollen.

Er langte zu ihr rüber und markierte eine als Back-up gekennzeichnete Datei. »Hier. Lad die hoch. Ich dekodier sie.«

Sie fuhr mit den Augen nervös über die alte Sternenkarte. Lissade. Syar. Sie suchte nach Verbindungen zu den Kolonien und ging sie eilig durch.

Das Schiff machte einen Ruck, das Brückenlicht flackerte. Sie blickte aufs Display. »Schilde halten bei achtzig Prozent.«

»Tunnel?«

»Noch nichts.« Sie blätterte weitere Sternenkarten durch. Verdammt! Irgendwo musste doch irgendetwas sein. Vollkommen egal, wohin es führte, solange es sie in den Hyperraum brachte, wo sie Zeit finden konnten, Verstärkung abzuwarten und die ’Sko, sollten sie ihnen gefolgt sein, gebührend in Empfang zu nehmen.

Der Langwellensender gab seltsame Signale von sich. Trilby schaute auf die Anzeige. Vielleicht die Cosmic Fortune? Oder eine konklavische Patrouille?

Aber Rhis’ Mund verkniff sich zu einer bitteren, harten Linie. »Zweites Mutterschiff. ’Sko. Entfernung: fünfunddreißig Minuten.«

Das bedeutete zwei weitere Tark-Schwadronen.

»Warum?«, fragte Trilby und hielt es im selben Moment für eine blöde Frage.

»Jagans Nachricht, nehme ich mal an«, aber seine Stimme klang nicht nach Annahme.

Mitkanos fluchte. »Dreckiger Hund.«

Wieder ein scheußliches Vibrieren, dann flackerndes Licht.

»Schilde halten auf achtzig. Generatoren online«, sagte Trilby und öffnete eine weitere Sternenkarte. Zwei Schwadronen aus Tarks waren schlimm, wirklich übel. Vier waren der sichere Tod.

»Achten Sie auf die Backbordflanke«, rief Rhis Mitkanos zu.

»Bin dabei. Bin dabei. Hab die Übersicht.«

Auf den Scannern konnte Trilby sehen, wie sich der Klumpen aus Schiffen auflöste. Rhis sah es ebenfalls. »Die Neuankömmlinge teilen sich auf. Verflucht noch mal! Zerstörer der Klasse fünf. Die Scanner melden Zerstörer der Klasse fünf!«

Er legte das Schiff schräg, mit Wucht. Die Antriebsüberladungsanzeige blinkte warnend. Trilby wurde in ihren Gurt gequetscht. Dann schlug etwas hart wie ein Stein gegen ihre Rückenlehne, aber es schrie laut auf. Trilby wurde nach vorne gestoßen.

»Was zum …« Rhis wechselte in Standard. »Verschwinde von der Brücke, Grantforth!«

Trilby fuhr herum. Jagans ausgestreckte Hand umklammerte ihre Kopfstütze. Ansonsten kniete er halb und lag halb auf dem Boden hinter ihrem Sitz. Sein Gesicht war blass, kalter Schweiß lief ihm über die Stirn.

»Nein! Wartet«, krächzte er.

Rhis gab Dallon mit dem Daumen ein Zeichen. »Schmeißen Sie ihn raus hier. Und sichern Sie die Brücke diesmal richtig.«

Jagan packte Trilby am Arm. »Sagt ihnen, ich bin an Bord! Sie können mich nicht … sie wollen mich nicht … sie wollen nur diese Sternenbank …«

»Komm zur Sache, Jagan!«, sagte Trilby knapp.

»Onkel Garold braucht doch diese Bankkarten, um das Handelsabkommen zu besiegeln.«

»Das sind Schiffe der Niyil, Grantforth.« Rhis drehte sich im Kapitänssessel um und versuchte, mit einem Arm Jagan von Trilby wegzustoßen.

»Aber wir arbeiten doch auch mit den Niyil.«

Trilby bemerkte Rhis’ angewiderten Blick. Dallon packte Jagan unter den Achseln und riss ihn hoch.

»Sie haben ihre Ionen-Kanonen auf uns gerichtet«, sagte Mitkanos auf Zafharisch.

»Alle Waffen feuerbereit!«, befahl Rhis. »Der Zerstörer ist das Hauptziel. Feuern Sie, wann Sie wollen.«

Jagan versuchte, sich von Dallon zu befreien und griff nach Trilby. »Was sagt er? Was passiert?«

Sie sah ihn an. »Wir haben Ärger. Mächtig Ärger. Schnallen Sie ihn auf einen freien Sitz, Dallon.« Es war keine Zeit mehr, Jagan in seiner Kabine festzusetzen. Sie brauchten Dallon auf der Brücke.

Und Rhis brauchte ihre Aufmerksamkeit. »Hyperraumtunnel?«

Sie wandte sich wieder der Sternenkarte zu. »Bin dran.«

Aber da war einfach nichts. Nichts. Die ’Sko hätten sich keinen besseren Platz aussuchen können, um sie aufzumischen, ganz als hätten sie gewusst …

Sie schaute in den Quellcode des Kartensatzes. Shadows Einträge und ein paar Ergänzungen von Vitorio. Dieses war eine der Sternenkarten, die auch an Bord der Carina gewesen sein mussten. Trilbys Herzschlag stockte kurz. »Khyrhis.« Sie hauchte seinen Namen fast.

Dunkle Augen sahen sie an. Sie versuchte gar nicht erst, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Das sind dieselben Sternenkarten, die auch auf der Bellas Dream waren. Hier gibt es keine Tunnel. Sie wussten das.«

Er hielt seinen Blick einen sehr langen Moment auf sie gerichtet, dann drehte er sich weg. Seine tiefe Stimme klang ausdruckslos, aber dröhnte mit unmissverständlicher Autorität. »Rimanava. Sofort eine Depesche an Admiral Vanushavor, Priorität Delta eins. Kopien an Captain Rafiello Vanushavor von der Vendetta und Commander Zakar Demarik von der Razalka. Alle Logs mit übermitteln.

Fügen Sie an Demarik eine Notiz hinzu. Er soll auf meinen Befehl die Erste Flotte anfordern. Ziel: Syar.«

Trilby begriff. Rhis segnete gerade eine Invasion Konklaviens ab.

Aber Jagan begriff es nicht, außer, dass er ein paar Namen verstanden hatte. »Vanushavor? Razalka? Was zum Teufel machen Sie, Vanur! Ich hab Ihnen doch gerade gesagt, dass sie nur –«

»Ziel geortet. Feuer!«, brüllte Mitkanos.

Rhis hielt das Schiff ruhig, dann drehte er sich wieder zu Jagan um und sah ihn scharf an. »Nur unsere Datenbanken wollen? Die hab ich ihnen längst angeboten. Sie haben abgelehnt. Ihre Antwort sind zwei Tark-Schwadronen. Sie wollen Sie töten. Uns alle töten. Vielleicht auch Ihren lieben Onkel. Nur Idioten glauben, mit ’Sko könne man Geschäfte machen.«

Jagan bäumte sich wütend in seinem Gurt auf. »Für wen halten Sie sich, dass Sie mich einen Idi –«

»Tivahr. Commodore Khyrhis Tivahr von der Razalka. Für den halte ich mich, Grantforth. Und Sie halten jetzt die Klappe, oder ich lass Sie persönlich mit den ’Sko reden. Draußen vor der Luftschleuse.« Rhis wirbelte herum und schlug seine Finger wütend auf die Knöpfe und Tasten der Konsole.

Und verpasste Jagans Anblick, dem vor Schreck der Mund offen stehen geblieben war. Aber Trilby sah ihn, und ihr entging auch nicht die Angst, die in Jagans blauen Augen zuckte.

Schließlich bemerkte er ihren Blick. »Du wusstest es?«

»Ja.« Sie wandte sich wieder der Sternenkarte zu. Doch irgendwie fühlte sie sich auf einmal stolz. Der Khyrhis Tivahr. Das klang so unglaublich richtig.

»Mutter zwei, zehn Minuten«, informierte Mitkanos. Der ’Sko-Zerstörer war etwas zurückgefallen und scharte die Tarks um sich, nachdem Mitkanos eine Breitseite aus den Ionen-Kanonen abgefeuert hatte.

Die Schutzschilde hielten nur noch zu fünfundsiebzig Prozent, aber das Com-Pack hielt die Kommunikation online. Ihre Situation war äußerst kritisch. Irgendjemand musste sie hören. Irgendjemand musste ihren Notrufen antworten. Sie konnten vielleicht einem Mutterschiff entkommen, vielleicht sogar zweien, aber nicht den Tarks, die sich von den Mutterschiffen jederzeit Nachschub an Waffen, Energie und allem anderen holen konnten. Die Zeit arbeitete für die Gegenseite.

Sie brauchten dringend einen sicheren Hafen, aber ohne Hyperraumtunnel konnte sie keinen finden. Es gab wirklich nichts hier draußen. Nicht mal einen Asteroidengürtel. Dallon hatte es gesagt, eine total tote Zone. Der Gedanke ließ sie erschauern. Nein. Es würde nicht ihre totale Todeszone sein. Sie würde das nicht akzeptieren.

»Trilby.« Jagans Stimme wimmerte über die Brücke, zwischen dem Gepiepe der Geräte und sich knapp zugerufenen Kommandos auf Zahfarisch. »Lass mich mit den ’Sko reden – wir bieten ihnen sein Leben«, er zeigte auf Rhis, »für unsere an. Sie lieben Tivahr den Teuflischen.«

Trilby schoss ihm ein entwaffnendes Lächeln rüber. »Fick dich, Jagan!«

»Miststück!«

Sie zuckte die Achseln und sah Rhis über ihren Schlagabtausch den Kopf schütteln.

»Captain Tivahr.« Farra wechselte in Standard. »Signale von einem Norvind-Konvoi. Sechsundvierzig Minuten entfernt. Sie haben unseren Notruf empfangen.«

Hoffnung keimte in Trilby auf. Sechsundvierzig Minuten. So lange konnten sie wohl durchhalten, oder nicht? Ein Frachter-Konvoi war an sich nicht besonders gut bewaffnet, aber vielleicht wurde er eskortiert. Es war auf jeden Fall besser als nichts, und es verschaffte ihnen vielleicht genug Zeit, bis die Flotte – irgendeine Flotte – eintraf.

Rhis gab Anweisungen, den Abfangkurs zu ändern.

»Kommen wieder in Schussweite. Ziel wird anvisiert.« Mitkanos’ Befehle brachten sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Tarks. In neuer Formierung.

Irgendwas war seltsam, aber sie bekam nicht zu fassen, was es war. Und sie konnte sich genauso gut irren, in Anbetracht des Stresses und ihrer Unerfahrenheit. Sie war keine Militärstrategin. Sie wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. »Schilde nur noch bei siebzig. Es sei denn …« Zur Hölle, Jagan war doch auf der Brücke. Wer brauchte dann noch die Lebenserhaltungssysteme auf den Unterdecks?

Sie schaute kurz zu Rhis. Er nickte. »Lebenserhaltungssysteme der Unterdecks abschalten«, befahl sie. »Energie auf Schildgeneratoren umleiten.«

»Ziel im Visier. Feuer!«

Sie schaute auf die Schirme und sah zwei Tarks explodieren. »Guter Schuss, Yavo.«

Dann stieß irgendetwas in das Schiff. Trilby wurde zur Seite geschleudert, die Armlehne bohrte sich schmerzhaft in ihre Rippen. Sie hörte Mitkanos über das ohrenbetäubende Alarmgeheul fluchen. Hinter ihr britzelte ein Relais und untermalte Rhis’ abwechselnd auf Standard und Zafharisch runtergebeteten Kursanweisungen.

»Diese gottverdammten Ionen-Kanonen! Volltreffer Backbord. Mitkanos!«

»Steuer … Steuerbord-Torpedoschächte außer Kraft.«

Ihre Statusanzeigen signalisierten ebenfalls Entmutigendes. »Schilde nur noch bei vierzig Prozent.«

»Ich rekalibriere die Laser«, sagte Dallon. »Bin in fünf Minuten so weit …«

»Wir haben keine fünf Minuten. Festhalten! Sie feuern die Ionen-Kanonen ab!«

Trilbys Haut war eiskalt, als sie ihren Gurt mit der Hand fest umklammerte. Sie legte sich den anderen Arm schützend vors Gesicht und stemmte die Füße gegen den Konsolensockel. In letzter Sekunde erspähte sie Rhis dunklen und beängstigten Blick, als er kurz von der Konsole aufschaute.

»Yav cheron«, sagte sie.

Sein wehmütiges Lächeln war das Letzte, was sie sah, als die Brücke explodierte.

Sie erwachte in rot gefärbter Dunkelheit mit einem bitteren, metallischen Geschmack im Mund. Sie kannte beides. Die Energieversorgung war wohl zusammengebrochen und hatte das Lebenserhaltungssystem lange genug aussetzen lassen, um das Bewusstsein zu verlieren. Dezi war wohl unten im Maschinenraum …

Ach nein, Dezi war ja gar nicht hier. Und das war auch gar nicht die Careless Venture. Sie stieß gegen irgendetwas Festes. Es war nicht ihr Gurt, der sie immer noch im Sessel hielt, sondern ein dicker Strang aus Kabeln und Leitungen, der aus der Decke gefallen war.

Sie hustete und stemmte den Strang zur Seite. Das Schiff war gespenstisch still bis auf ein unheilvolles Zischen aus dem Korridor. Geplatzte Versorgungsleitung. Ihre Augen gewöhnten sich ans Dunkel und begannen, schattige Formen um sie herum wahrzunehmen.

»Rhis!« Sie löste ihren Gurt und fasste nach seinem Sessel. Er war leer.

Oh, Götter! Sie rutschte auf die Knie herunter, tastete den Boden ab. Ihre Finger stießen an irgendwelche Trümmer und sonst nichts.

»Rhis!« Sie hörte ein schepperndes Geräusch, aber es klang weit entfernt. Irgendwo auf den Unterdecks.

Ganz vorsichtig stand sie auf und fasste nach den beiden Formen rechts von sich. Sie waren warm. Sie hörte ein Stöhnen, als sie mit der Hand über die kleinere strich. Farra.

»Farra? Yavo?«

»Vad, vad. Sind Sie das, Trilby?« Mitkanos sprach als Erster.

»Ich bin es.«

Farra hustete. Mikanos versuchte, ihren Gurt zu lösen.

»Wo ist Rhis?«, fragte Trilby.

»Hier.« Er klammerte sich am Türrahmen fest. »Die gottverfluchten Generatoren …«

Sie sprang ihm praktisch in die Arme, über Kabel und Trümmer hinweg. Er fing sie sanft auf und umschloss sie schützend. Sein Gesicht war nass und mit irgendwelchen Körnern bedeckt, was ihr vollkommen egal war. Sie küsste ihn, bis Mitkanos gegen sie stieß und sie zur Seite gedrückt wurde.

»S’viek noyet.« Der bullige Mann ergriff ein verbogenes Stück herausgedrückter Kabinenwandverkleidung und versuchte, es wegzuschieben.

Dallon. Oh Götter, bitte nicht.

Rhis packte mit an, stützte seinen Arm gegen die große Platte und wuchtete sie mit Mitkanos ein Stück zur Seite.

Farra war jetzt an der Kommandokonsole zugange. Die rote Notbeleuchtung wurde heller. Zwei kleine Deckenlampen leuchteten flackernd auf.

Trilby konnte Dallon zusammengesunken in seinem Gurt erkennen. Mitkanos griff nach seinem Arm und fühlte den Puls.

Dallon stierte benommen vor sich hin, dann hob er leicht den Kopf. »Verflucht noch mal.«

»Nicht bewegen«, befahl Rhis auf Zafharisch und zog ein kleines Medistat von seinem Gürtel ab.

»Vad yasch … Ich bin in Ordnung, Captain. Nur ein Blackout. Die Lebenserhaltung muss kurz ausgesetzt haben.«

»Hat sie.« Rhis fuhr mit dem Stat über Dallons Seite. »Aber Sie halten was aus, Patruzius.«

»Captain.« Es war Rhis, den Mitkanos ansprach, aber Trilby drehte sich ebenfalls um und machte einen Schritt auf ihn zu. Dann sah sie Jagans grausam verkrümmten Körper quer über dem Stuhl liegen. Ein Stück Metall ragte aus seinem Oberkörper. Blut strömte an ihm herunter und tropfte auf den Boden. Seine Augen waren vor Überraschung weit aufgerissen.

Sie schloss ihre Augen, merkte, wie ihr Herz aus dem Tritt geriet, dann spürte sie Rhis’ Arm um ihre Hüften. Er hob sie vorsichtig auf einen Sitz. »Nimm den Kopf runter. Es ist gleich vorbei. Tief atmen. Tief atmen. Alles wird gut!«

Alles wird gut. Wie konnte denn alles gut werden? Jagan war tot, gespalten von einem scharfkantigen Metallkeil, herausgeschossen aus der zerborstenen Kabelschachtverkleidung wie ein Henkersbeil. Ein kleines Stück weiter links, und es hätte Dallon erwischt. Oder, aus einem etwas anderen Winkel, sie selbst. Oder Rhis.

Sie hörte auf, ihre Stiefel anzustarren – sie waren abgewetzt – und hob den Kopf. »Ich bin okay.«

Er küsste sie auf die Stirn.

»Lagebericht?«, fragte sie.

»Die Lebenserhaltung funktioniert ja offensichtlich.« Er blickte sich zu Mitkanos um, der den Arm um die Schultern seiner Nichte geschlungen hatte. »Ich weiß nicht, wie steht’s denn mit den Antriebssystemen? Und den Waffen?«

»Von der Kommandokonsole aus lässt sich nur noch die Lebenserhaltung steuern«, sagte Farra. »Das bisschen Licht und die Lebenserhaltung. Das ist alles.«

Dallon war zu Mitkanos’ Station gehumpelt und lehnte über den Monitoren, den Arm an die schmerzende Seite gepresst. »Die Waffensysteme sprechen nicht mehr an. War ja wohl auch nicht wirklich anders zu erwarten …«

Plötzlich wurde das Schiff von einigen dumpfen Schlägen erschüttert. Farra drückte sich an Mitkanos. »Was war das?«

»Traktorstrahl vielleicht.« Rhis runzelte die Stirn und lugte über Trilbys Schulter auf die Konsole. Fast alle Bildschirme waren schwarz. Seine Hand wanderte zum Pistolenhalfter an seiner Hüfte hinab. »Oder Lochramme.«

Mitkanos und Dallon ahmten seine Bewegung nach. Trilby tastete nach ihrem Gürtel und fühlte Pistole und Werkzeug.

Ein paar weitere Rucke, gefolgt von donnernden Schlägen.

»Lochramme«, sagte Dallon nickend. »Können wir die Brücke versiegeln?«

Farra schaltete auf der Kommandokonsole herum. »Es reagiert nichts.«

»Wir müssen hier noch ein bisschen durchhalten«, sagte Rhis. »Der Konvoi ist auf dem Weg.«

»Wie viele werden auf einmal reinkommen?«, fragte Farra.

Trilby hörte das leise Klicken, als Rhis seine Pistole entsicherte. »Ich habe keine Ahnung. Aber durch die Luftschleuse passen sie nur einer nach dem anderen.« Er machte eine Handbewegung zu Dallon und Mitkanos. »Jeder auf eine Seite des Eingangs. Dann Ruhe. Wir wollen sie nicht auch noch warnen.«

Trilby saß an der Kommunikation, kontrollierte ihren Atem und hörte dem Knarren und Ächzen des Schiffs zu. Rhis stand nah bei ihr, mit einer Hüfte an die Konsole gelehnt. Die Pistole in der einen, massierte er mit der anderen Hand sanft ihre Schulter.

Farra war an Mitkanos’ Station. Waffen? Leider nutzlos.

Nur die beiden Pilotensessel blieben leer. Sie waren das Erste, was man sah, wenn man durch den Eingang auf die Brücke kam.

Geräusche. Geklopfe. Dann Stimmen, seltsam hochgeschraubt, nasal. Schrill. ’Sko-Stimmen. Worte auf Ycskrit. Trilbys Hand kroch lautlos zu Rhis’ Hand auf ihrer Schulter empor und drückte seine Finger. Er drückte zurück. Fest. Dann ließ er sie los.

Keine Ablenkung. Nicht jetzt.

Fußgetrampel. Eindeutig Stiefel. Schnell. Nicht so schnell wie ihr Herz, das doppelt so schnell schlug. Wie viele ’Sko waren jetzt an Bord? Wie viele konnte sie töten, bevor ihre Pistole leer war?

Was, wenn das andere Mutterschiff den Konvoi aufbrachte, bevor er ihnen helfen konnte?

Umrisse tauchten im Eingangsbereich hinter der Tür auf. Sie hob die Pistole, doch Rhis feuerte bereits. Sie zielte und drückte den Abzug in rascher Folge durch. Laserfeuer versengte die Luft. Rot gekleidete Körper, groß, dünn, auf alles eindreschend, schreiend. Hinter ihnen weitere, die zurückschossen.

Ycskrit-Rufe gellten durch den Raum. Rhis drückte sie auf den Boden und schob sie gegen die Konsole. Sie sah Dallon halb kniend auf einen dünnen Körper feuern, der durchlöchert zusammenbrach.

Mitkanos kam ein Stück nach vorn, hinter sich Farra, die über seine Schulter Dauerfeuer gab.

Es drangen immer neue rot uniformierte ’Sko herein. Sie sah, wie behandschuhte Hände die verwundeten und toten Körper packten und in den Korridor hinausschleiften. Dumpfe Aufschläge waren zu hören, als die Körper die Treppe hinuntergeworfen wurden.

Trilby sah einen roten Blitz und feuerte weiter.

»Wir brauchen Deckung!«, bellte Rhis auf Zafharisch.

Dallon zog den Kopf ein und griff nach der großen Bordwandverkleidungsplatte, die sich verbogen über den Boden erstreckte.

Trilby verstand. Sie mussten die große Metallplatte quer auf die Brücke stellen. Das würde einen bestimmt einen Meter hohen Schutzwall bieten. Sie mussten eine Seite der Platte am Kopilotensessel abstützen und die andere gegen die Kommunikation lehnen. Dann konnten sie nicht mehr so schutzlos von den Flanken aus angegriffen werden wie jetzt.

Sie konnten besser zielen.

Trilby wurde klar, wie sehr es jetzt auf Präzision ankam. Ihre Waffen verloren konstant Ladung.

»Mitkanos!« Rhis zeigte auf den Sitz vor der Kommunikation. »Klappen Sie den Stuhl weg. Wir schieben Ihnen die Platte rüber.«

Mitkanos kroch an der Seite entlang. Farra ging in die Hocke und gab ihm feuernd Deckung.

Rhis holte tief Luft und machte sich fertig. Er musste quer über die offene Brücke sprinten, direkt durch das Feuer der ’Sko.

Trilby atmete durch. »Sag jetzt. Ich geb dir Deckung.«

»Jetzt.«

Sie attackierte den Eingangsbereich mit Laserfeuer. Lichtbündel antworteten. Sie konnte nicht auf Rhis achten, musste ihren Blick auf den Korridor und die Umrisse der roten Uniformen fixieren, die ihr vors Visier liefen.

Aber sie konnte hören. Und sie erlaubte sich ein breites Lächeln, als schließlich von der anderen Seite der Brücke durch den Gefechtslärm sein Schlachtruf zu ihr herüberdrang. »Verfluchte Hölle noch mal!«

Er hatte es geschafft.

Sie ging in Deckung und blickte kurz zur Navigation, konnte aber nur Stiefel hinter der aufgerichteten Metallplatte erkennen.

Die ’Sko sahen sie ebenfalls. Laserfeuer prasselte gegen die Platte.

Sie sah Dallon sich an der Stelle ducken, an der immer noch Jagans toter Körper liegen musste.

Dann ein wütendes Grollen von Mitkanos. Er schaute auf die Ladungsanzeige seiner Pistole und schüttelte den Kopf. Die Erste ihrer wenigen Waffen hatte den Geist aufgegeben. Es gab noch ein paar Munitionspäckchen, aber die lagerten unten auf dem Besatzungsdeck.

Eine ’Sko-Pistole, die Energieanzeige leuchtete hellgrün, schlidderte gegen die Wand neben der Tür. Sie zuckte unwillkürlich, aber sie hatte keine Chance heranzukommen.

Die Metallplatte kippte. Mitkanos hatte offenbar Trilbys Blick zur ’Sko-Waffe bemerkt.

»Warten Sie!«, brüllte er und sprang auf. Er stürzte sich auf die Pistole, während sie anlegte, um ihm Deckung zu geben, doch zwei Umrisse quetschten sich nebeneinander durch die Tür, durchsichtige Schutzschilde in der einen Hand, feuernde Lasergewehre in der anderen.

Sie feuerte ohne Unterlass auf die Schilde, Farra tat es ihr nach. Reine Verschwendung, die nichts ausrichten konnte. Die Schüsse prallten ab.

»Yavo!«, kreischte Farra und griff nach ihm.

Einer der beiden ’Sko wirbelte herum und richtete sein Gewehr direkt auf den Stegzarda-Major. Er feuerte. Mitkanos wurde nach hinten geschleudert, Blut spritzte aus Arm und Schulter. Er brüllte vor Schmerzen.

Der andere beschildete ’Sko drehte sich um, als Rhis hinter der Metallplatte hervorsprang und mit tödlicher Genauigkeit ins Ziel feuerte. Er schoss dem ’Sko mitten in den Kopf, sein Körper kippte nach hinten um.

Dann war es Rhis, der rückwärts fiel, während ihm die Pistole in hohem Bogen aus der Hand flog. Zwei weitere ’Sko waren eingedrungen, feuernd hinter ihren Schilden. Auf Rhis’ grauem Hemd breitete sich von der Mitte her ein dunkler Blutfleck aus. Sein Körper verdrehte sich ganz merkwürdig, als er mit dem Rücken auf der Navigationskonsole aufschlug.

Ein entsetzter, klagender Schrei wuchs in Trilbys Kehle, aber sie biss die Zähne zusammen und feuerte auf die ’Sko. Ihre Sicht wurde trüb von den Tränen, die ihr übers Gesicht liefen.

Nein. Nein. Nein. Sie wiederholte die Worte und feuerte mit jeder Silbe schneller. Nein. Nein. Neinneinnein

Die Pistole klickte. Kalt. Leer.

Oh, Götter.

Rechts von ihr herrschte Stille. Farra schüttelte den Kopf und ließ die Pistole sinken.

Nur Dallon feuerte noch. Dann hob ein beschildeter ’Sko das Gewehr und drückte den Lauf direkt an Farras Kopf.

»Eure. Wahl.« Die Worte drangen dünn aus einem Übersetzungstransistor.

Dallon ließ die Waffe fallen.

Trilby atmete schwer, ihre Knie schmerzten vom langen Knien auf dem harten Boden. Ein Gewehrkolben fuchtelte ganz knapp vor ihrem Gesicht herum.

»Auf. Steh.«

Sie blickte zu dem ’Sko hoch. Bleichhäutig. Langgesichtig. Gelbäugig. Eine weite Uniform bedeckte einen unproportional in die Länge gezogenen, mageren Körper. Der Kopf war kahl bis auf einen dünnen Streifen Haar in der Mitte. Das konnte männlich oder weiblich sein. Sie wusste es nicht.

Wollte es auch nicht wissen.

»Verpiss dich«, sagte sie.

»Auf. Steh!«, beharrte die Stimme weinerlich durch den Transistor. Das dünne Gesicht zuckte mehrfach zur einen Schulter.

Das Gewehr war immer noch auf Farras Kopf gerichtet. Ein weiteres nun auch auf Dallon.

Sie nahm sich zusammen und schwenkte den Kopf ein wenig weiter.

Rhis.

Oh, Göttin. Ein Schluchzer entwand sich ihren Lippen.

Sein Körper lag ausgebreitet über der Navigationskonsole. Ein eingefahrener Monitor war aufgrund des Überlichtsensorkontakts herausgeschnellt und hatte ihn unter einer Achsel aufgefangen. Das war das Einzige, was ihn daran hinderte herunterzurutschen. Sein Hemd war mittlerweile dunkelrot mit Blut vollgesogen, die linke Brusttasche schwarz verkohlt von der Hitze der Laserstrahlen. Sein Gesicht war weiß, der Kopf lag in einem merkwürdig geknickten Winkel zum Körper. Seine Augen …

… bewegten sich. Ein Blinzeln?

Sie sprang auf und schlug den Gewehrkolben fort, als er an ihre Schulter streifte.

»Rhis! Oh, Götter, Rhis!« Sie schlug sich Bahn am Pilotensitz vorbei und stolperte bis zum Kopilotensitz.

Der Kolben des ’Sko-Gewehrs traf sie hart gegen die Brust. Sie schnappte nach Luft, fühlte ihre Knie nachgeben. Sie griff nach der Rückenlehne des Sitzes.

Und sah, wie sich Rhis’ Augen verdrehten und seine Gesichtszüge erschlafften. Sein Kopf fiel zur Seite. Sein Körper begann, langsam von der Konsole zu rutschen und brauchte in ihrer Wahrnehmung eine Ewigkeit, bis er leblos auf dem Boden liegen blieb.

Etwas Kaltes wütete in ihrem Inneren. Sie grub sich die Fingernägel in die Handflächen. Ihre Arme zitterten.

Der ’Sko riss sie zurück und bugsierte sie mit harten Gewehrkolbenstößen zur Tür. Sie löste ihren Blick von Rhis’ zusammengesunkenem Körper und sah Farra neben Mitkanos stehen. Blut breitete sich um seine Schulter herum aus.

Trilby löste ihre Faust und streckte den Arm aus. Wortlos nahm Farra ihre Hand.

Dallon war bereits im Korridor, Blut lief aus einer tiefen Wunde auf seiner Stirn; sein langes Haar, jetzt nicht mehr zusammengebunden, hing schweißverklebt strähnig herab. Seine dunklen Augen blitzten wütend. Er humpelte voran.

»Dasjas Seine Stimme klang sanft, aber schmerzverzerrt. »Es tut mir leid.«

Tränen stiegen in ihr auf. Sie schüttelte den Kopf, unfähig, ihre Stimme wiederzufinden. Sie hielt nur Farras Hand noch fester.

Die ’Sko stießen sie vorwärts. »Jetzt. Geh. Los.«

Sie trat in den Korridor und zwang sich, nicht zurückzuschauen.