17
Eine Krankenschwester in den besten Jahren brachte Trilby das Mittagessen auf einem Tablett. Doc trottete hinter ihr herein und lehnte sich in die offene Tür, als die Schwester wieder draußen war.
»Ich bin eine sehr gute Köchin«, erklärte ihm Trilby mit vollem Mund. »Wenn es hier eine Küche gibt, kann ich es beweisen. Das ist Replikatorfutter, nicht wahr?«
»Hundertprozentig ausgewogene Ernährung.«
Sie schob einen Klumpen braune Pampe auf die Gabel. »Schmeckt wie Reis, der sich schämt, Reis zu sein.«
Er lachte. »Das versteht unser Replikator unter ›Yanirische Reisspeise‹. Es ist recht bekömmlich.«
»Verschaffen Sie mir das Originalrezept. Ich mache daraus etwas Essbares.«
»Es gibt ein paar Personalküchen an Bord. Aber das muss ich vorher mit dem Captain absprechen.«
Sie richtete die Gabel auf ihn. »Fragen Sie ihn, wie ich koche. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Mann so viel essen sehen.«
»So, Sie haben also für ihn gekocht?«
»Ich habe für uns gekocht. Mein Schiff hat keine Replikatoren. Die meisten Touren sind Trikes, da füll ich die Frischhaltedepots gerne auf Vorrat auf, dann kann ich essen, was ich will.« Sie dachte kurz nach. »Haben Sie Frischhaltedepots an Bord?«
»Ein Kleines. Noch mal, ich muss –«
»– das mit dem Captain absprechen, ich weiß.« Sie schob sich eine weitere Gabel braune Pampe in den Mund. Das Zeug schmeckte erbärmlich. Da könnte sie wirklich Abhilfe schaffen. »Also, wenn ich hier rauskomme – nebenbei, Doc, wann komme ich hier raus?«
»Morgen, denke ich. Ihr Heilungsprozess verläuft hervorragend.«
»Und dann?« Sie hatte keine Ahnung, ob Doc Teil der Informationskette war, was ihren Deal mit Tivahr und Kospahr anbelangte. Oder nahm er an, dass sie in den Knast kam? Oder nach Degvar? Mit Sicherheit wusste er, dass sie kein brauchbares Schiff mehr hatte, um alleine wegzukommen.
»Ich nehme an, Commander Jankova kümmert sich um alles Weitere, wenn ich Sie entlassen habe.«
Das waren nicht die schlechtesten Nachrichten. Sie mochte Hana Jankova. Dann fiel ihr jemand ein, den sie nicht mochte. Dessen Gegenwart nicht ins Bild passte. »Was wissen Sie über diesen Kospahr, der heute Morgen hier war?«
»Stellvertretender Lord Minister der Verteidigung. Cousin von Kaiser Kasmov.«
»Das hat er mir auch gesagt. Aber was wissen Sie über ihn?«
»Ich nehme an, Sie wollen jetzt nicht seine Blutgruppe hören?«
Sie grinste. Doc war in Ordnung. »Nein, aber ich hoffte mehr über ihn und seine Gattung zu erfahren. Es ist lange her, dass ich ein frei schwebendes Arschloch auf Beinen gesehen habe.«
Doc gab ein tiefes, rumpelndes Glucksen von sich, das den halben Raum erfüllte. »Offenbar kennen Sie nicht besonders viele Politiker.«
»Einer fällt mir ein, und Sie haben recht: Es gibt deutliche Übereinstimmungen. Also, was hat der Kerl auf der Razalka zu suchen? Es überrascht mich, dass Tivahr ihn gewähren lässt.« Nach allem, was sie über den Commodore gehört hatte, passte auch das nicht ins Bild.
»Der Captain war auf Außeneinsatz weg, als Kospahr an Bord kam. Die Lage hat sich zugespitzt, weil wir nicht wussten – und das ist jetzt absolut vertraulich – ob Captain Tivahr zurückkehrt. Jankova kam zurück und konnte uns nur mitteilen, dass die ’Sko ihn eingelocht hatten.«
»Jankova war selber an dem Einsatz beteiligt?« Das überraschte sie. Die Frau war aufgeweckt und wirkte auch ganz robust, aber so robust nun auch wieder nicht. Bestimmt gab es da noch irgendwas, was die ins imperiale Wassernetz kippten.
Doc nickte. »Sie leitet die Spezialeinsätze. Ich dachte, das wissen Sie.«
»Kann sein, aber dann war es bisher noch nicht so richtig durchgesackt.«
»Der Captain hat Ihnen also von dem Spezialeinsatz erzählt?«
»Ja. Und gleich mehrere Versionen aufgetischt. Übereinstimmend war bei allen, dass er in Szedcafar zurückblieb. Schätze, das war ziemlich dreckig, ihn da sitzenzulassen.«
Doc verzog die Augenbrauen. »Sie haben ihn nicht sitzen lassen. Er ist freiwillig zurückgeblieben, um den anderen die Flucht zu ermöglichen. Er war von allen in der besten Verfassung, um unter widrigen Umständen zu überleben.«
»Auf Avanar herrschen abends durchaus widrige Umstände. Aber den ’Sko in die Hände zu fallen ist allemal tödlich.«
»Für die meisten Menschen sicher, aber der Captain …« Er zögerte. Trilby fragte sich, ob er fand, dass er schon zu viel gesagt hatte.
»Ist nicht wie die meisten Menschen«, beendete sie für ihn den Satz. Sie hoffte, er würde noch ein bisschen was herausrücken, ein bisschen was von dem bestätigen, was Mitkanos erzählt hatte.
Aber er nahm ihr nur das Tablett vom Schoß und warf die Serviette auf den Teller. »Ich werd mal schauen, ob ich eine Kochecke für Sie finde, Captain Elliot. Ich denke, im Interesse der Gesundheit meiner Patientin sollte ich das auch ohne Rücksprache entscheiden können.«
Er zog ab und ermahnte sie noch, sich auszuruhen, als ob sie groß was hätte unternehmen können, bis über die Knie in eine silberne Decke eingehüllt. Ohne Strümpfe, ohne Schuhe. Und kein Lasergewehr weit und breit.
Aber ihr Körper nahm Docs Ermahnung ernst, auch wenn ihr Verstand nur ein kurzes Nickerchen angeordnet hatte. Als sie erwachte, war die Tür ihres Zimmers geschlossen und das Licht gedimmt. Sie schaute auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand, es war 1830. Zeit fürs Abendessen, obwohl sie doch gerade erst Mittagessen bekommen hatte.
Dann sah sie noch etwas. Tivahr. Auf dem Stuhl.
Sie blinzelte und rollte sich auf die Seite. »Sag mir nichts. Meine Schlafgewohnheiten auszukundschaften hilft dabei, die ’Sko zu vernichten.«
»Nein, obwohl das eine verlockende Vorstellung ist.« Seine Stimme klang erheitert. Welcher Zug gerade seinen Mund umspielte, war im gedämpften Licht nicht zu erkennen.
Sie wollte jetzt nicht über verlockende Vorstellungen reden. Sie wollte überhaupt nie wieder über verlockende Vorstellungen reden. Sie setzte sich auf, stauchte das Kissen hinter sich zurecht und lehnte sich wieder an. »Was willst du hier?«
»Weißt du, dass wir uns erst seit elf Tagen kennen?«
Wusste sie, wollte aber nicht zugeben, dass sie darüber nachgedacht hatte. Darüber, wie sie sich an Tag vier auf ihn gestürzt und ihm die Klamotten vom Leib gerissen hatte, während er begeistert über sie herfiel. Das war wirklich äußerst dämlich von ihr gewesen, wenn man bedachte, was danach an Tag fünf und Tag sechs und allen folgenden Tagen geschehen war.
Davon mal abgesehen, war er ihr an Tag vier wie ein Seelenverwandter erschienen. Ein Mitreisender auf allen Kettenkarussellen im universellen Vergnügungspark der Systemdatenschreiber und Programmfriseure. Und als sie erfuhr, dass er der Gefangenschaft der ’Sko entkommen war, wurde er ihr Held. Pech für sie. Diese zwei Dinge mischten sich mit der Anziehung, die er gleich auf sie ausgeübt hatte, als sie ihn zum ersten Mal auf der Liege in der Krankenstation gesehen hatte. Prächtig nackt.
Er hatte ihr so eindringlich zu verstehen gegeben, dass er sie begehrte, und es war ihr völlig in Ordnung vorgekommen. Weil er ja nur ein gewöhnlicher Lieutenant war. Und sie eine gewöhnliche Frachtschifferin.
Aber jetzt war er kein gewöhnlicher Lieutenant mehr. Sie aber sehr wohl immer noch eine gewöhnliche Frachtschifferin. Das durfte sie nie wieder vergessen. Deshalb sollte sie Tag vier lieber aus ihrem Gedächtnis streichen.
»Im Frachter-Lingo«, erklärte sie ihm, während sie die Decke fester um sich schlang und unter die Arme klemmte, »nennen wir elf Tage einen ›Dex‹, und zwölf Tage sind ein ›Stinker‹.«
»Warum?«
»Wenn du kein wirklich brauchbares Lebenserhaltungssystem hast, und die meisten Kleintransporter haben keins, fängt dein Schiff nach zwölf Tagen Dauereinsatz an zu stinken.«
Er lachte. Das wäre was für ihn. Er war noch nie zwölf Tage auf einem Schiff mit mangelhaften Lebenserhaltungssystemen gewesen. Ohne frisches Wasser. Ohne Geld für die Anlandegebühren.
Er hatte keine Ahnung, wie es war, sein Schiff, seine Ausrüstung und sogar seine Kleidung selbst flicken zu müssen. Seine Uniform war makellos, geradezu schick mit der zweckmäßigen schwarzen Jacke, der maßgeschneiderten Hose, den blank polierten Stiefeln.
Sein Haar war frisch geschnitten. Er hatte vermutlich seinen eigenen Friseur.
»Doc sagt, ich werde morgen entlassen«, fuhr sie fort, als er aufhörte zu lachen. »Wie geht es dann weiter?«
»Dann sehen wir, was wir alles über die ’Sko und Grantforth zusammenhaben. Und wir überlegen uns, was du Jagan Grantforth auf seine Nachricht antwortest.«
»Vielleicht rechnet er überhaupt nicht mit einer Antwort. Wir sind nicht gerade im Guten auseinandergegangen.«
»Ich weiß.«
Es dauerte einen Moment, bis sein Kommentar richtig gesackt war. Sie war einen Moment irritiert, dann kam ihr die Galle hoch. »Alle meine persönlichen Nachrichten. Alles. Du hast alles gelesen, stimmt’s?«
»Es musste sein.«
Oh, Göttin! Die Nachrichten waren teilweise so … intim. Jedenfalls die früheren. Und was Jagan in den letzten Botschaften zu ihr gesagt hatte … das war so demütigend.
Sie griff hinter sich, packte das Kissen und schleuderte es mit aller Kraft gegen ihn.
Es flog ihm mitten ins Gesicht. Er gab ein befriedigendes »Uumpff« von sich.
»Du hast keinen Anstand. Nicht den geringsten Anstand!« Verflucht, tat das weh. Sie rieb sich die verwundete Schulter. »Und hör auf zu lachen, verdammt!«
Er lachte. Stand da, umklammerte das Kissen mit beiden Armen und lachte.
Sie streckte die Hand aus. »Bitte gib her. Ich bin krank und verletzt. Ich brauch das. Bitte.«
Er setzte sich auf die Bettkante, schaute ihr tief in die Augen und griff um sie herum, um ihr das Kissen sanft hinter den Rücken zu stopfen.
Dumm gelaufen, Trilby-Girl. Da wollte sie ihn jetzt nicht haben. Nicht so nah, seinen Atem an ihrem Haar, während seine Arme ihre streiften. Sein Mund heiß an ihren Wangen. Er übersäte ihr Gesicht mit unendlich hauchzarten Küssen.
Sie war verloren, und genau das konnte sie sich unter keinen Umständen leisten. Sie wälzte sich weg von ihm, schaffte es, ihre Hände an seine Schultern zu legen, und stieß ihn von sich.
»Hörst du wohl auf, verdammt. Schluss!« Ihre Stimme überschlug sich. Sie hoffte, er hielt es für Wut.
»Trilby-Chenka –«
Es klopfte an der Tür. Dreimal kurz.
Hastig sprang er vom Bett auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Als die Tür zur Seite glitt, stand er aufrecht da und starrte dem Eintretenden entgegen.
Docs untersetzter Umriss zeichnete sich vor dem hellen Licht des Korridors ab.
»Es ist Zeit, Captain. Ich hatte gesagt, nicht mehr als dreißig Minuten. Jetzt sind es schon vierzig.«
»Ja, natürlich.« Er stand dicht vor ihrer Bettkante. Trilby zog die Decke fest um sich und betrachtete angelegentlich die Säume. Sie wusste, dass er sie eindringlich ansah. Aus dem Augenwinkel sah sie Doc einen Schritt nähertreten.
»Wir wollen unsere Patientin doch nicht ermüden.«
»Nein.«
»Zeit zu gehen, Captain Tivahr.«
»Sie entlassen sie morgen?«
»Ich gebe Ihnen morgen früh Bescheid.«
Er trat vom Bett zurück. Trilby hob den Blick und sah ihn in der Tür zögern.
»Vanko«, sagte er zum Doc. Dann folgte ein langer Satz auf Zafharisch. Ihr Name fiel. Ein paar weitere Worte, die sie wohl schon mal gehört hatte, aber sie war sich nicht sicher. Sie sollte sich schleunigst ein Sprachtrainingsprogramm besorgen. Das war hier einfach zu riskant.
Wie mit Khyrhis Tivahr allein in einem Zimmer zu sein. Riskant, äußerst riskant.
Doc antwortete ihm. Ein paar Sätze wechselten hin und her, dann war er fort.
Sie lockerte die Decke und entspannte sich. Ob Doc ihr wohl den Zorn und die Scham vom Gesicht ablesen konnte?
»Lutsa«, sagte er, und es wurde hell. »Ein schönes Nickerchen gemacht?«
»Herrlich.«
»Und Ihr Besucher?« Doc klappte das Medistat auf und führte den Sensor über ihre Arme abwärts, während er weitersprach. »Nein, nein, lassen Sie mich raten. Eine nervtötende Plage?«
»Eine nervtötende Plage, allerdings. Das Wort ›Nein‹ gehört nicht zu seinem Wortschatz.«
»Dann bringen Sie es ihm bei.«
»Danke, ich hab schon einen Job.«
Er klappte das Medistat zu. »Noch zwei Stunden unter der Regglocke, und ich unterschreibe morgen Ihre Entlassung. Sie werden das Ziehen in der Schulter noch ein paar Tage spüren. Und bitte keine Marathons für mindestens eine Woche. Davon abgesehen sind Sie wieder gesund.«
Er klopfte ihr auf den Arm. »Ilsa wird Ihnen nachher ein Abendessen bringen. Ruhen Sie sich jetzt noch ein bisschen aus.«
Ausruhen. Sie zog die Knie an die Brust und starrte gegen die geschlossene Tür. Sie war nicht müde, sie wollte nicht schlafen. Sie hatte Angst vor Albträumen. Und in jedem verdammten Albtraum würde Tivahr vorkommen.
Das Frühstück wurde um 0800 gebracht, zusammen mit einem Stapel Kleidung und einem Paar Stiefel. Sie faltete ihre vertraute graugrüne Hose auseinander und musste feststellen, dass sich das Material fremd anfühlte. Und ungeflickt. Sie untersuchte das T-Shirt und die Jacke. Dasselbe. Und ihre Schiffskennung befand sich nicht mehr an den Ärmeln.
Sogar die Unterwäsche war neu.
Irgendwer – sie ahnte schon wer – hatte ihre Uniform repliziert, Schnitt und Größe beibehalten, aber ein Material verwendet, das sie sich niemals leisten könnte.
Sie zog sich an, strich sich mit der Hand über den Ärmel. Fein. Wow.
Fein. Wow. Sie drehte sich langsam im Kreis, bestaunte die Ausstattung ihrer Kabine und lauschte nur mit halbem Ohr auf Hana Jankovas Entschuldigungen.
»Das ist doch nicht ›notdürftig‹, Hana. Es ist ganz wunderbar« – und kein Vergleich mit dem, was ich gewohnt bin.
Eine kleine Sitzgruppe mit einer Couch, links davon eine offene Kombüse. Rechts ein separates Schlafzimmer. Mit einer Tür. Ein richtiges Schlafzimmer. Zutritt zur Sanizelle sowohl vom Schlafzimmer als auch von der Sitzgruppe aus.
Teppich. Wandisolation. Gepolsterte Stühle mit Armlehnen vorm Küchentresen. Zwei Fenster hinter der Couch. Richtig große, nicht so kleine runde Bullaugen wie auf der Venture.
Und kein Millimeter Klebeband irgendwo.
Die Couch war weich. Sie setzte sich, lehnte sich zurück und tätschelte die Kissen. »Herrlich.«
»Ich bin froh, dass es Ihnen gefällt. Die meisten unserer Besucher beschweren sich.«
»Sie sprechen von Kospahr?«
Jankova grinste trocken. »Er ist nur der Letzte auf einer langen Liste.«
»Man sollte ihn für fünf Jahre auf ein fünfundsechzig Jahre altes Kleinfrachtschiff verbannen. Oder noch besser, in die Mannschaftsräume eines Tankers von Herkoid. Herkoid stopft bis zu zwanzig Leute in eine Kabine und erwartet dafür großen Dank.«
»Können Sie in einer Stunde zu mir und meinem Team stoßen?«
Die Nachricht von Jagan. Jankova hatte ihr eine kurze Zusammenfassung gegeben, aber selbst gelesen hatte sie sie noch nicht. »Ich kann auch gleich mitkommen.«
Jankova schüttelte den Kopf. »Lassen Sie sich Zeit. Kommen Sie erst mal an. Trinken Sie einen Tee. Captain Tivahr wird ebenfalls an der Sitzung teilnehmen, im Moment ist er noch mit Kospahr zugange.«
»Die beiden haben sich wirklich verdient.« Sie erhob sich von der Couch.
»Er ist nicht so schlecht, wie Sie denken.«
»Wer, Kospahr?« Trilby missverstand sie absichtlich. Sie wollte keine wohlmeinenden Worte über Khyrhis Tivahr hören, wusste aber, dass sie sie mit ihrer Bemerkung selbst herausgefordert hatte.
»Der Captain. Er ist nicht mehr der Mann, den wir auf Szed zurückließen.«
»Toll, was so ein Kurzurlaub im Club ’Sko alles bewirken kann.« Sie schlenderte hinüber in die kleine Kombüse. Heißer Kaffe und Tee auf Knopfdruck. Spitzenreplikator. Außerdem ein Kochtopf. Noch besser.
Jankova stützte sich auf den Tresen. »Er ist sehr … besorgt um Sie.«
»Es geht mir gut.« So gut, wie es einem geht, wenn man sein Schiff und seinen Lebensunterhalt verloren hat und mit seiner Selbstachtung ringt. »Also, wo soll ich mich in einer Stunde einfinden?«
»Im Einsatzplanungskonferenzraum auf Deck sieben. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen, ich schicke Ihnen jemand, der sie hinbringt.«
»Bitte nicht Tivahr.« Die Worte waren ihr rausgerutscht, bevor ihr Verstand eine Chance hatte, sie aufzuhalten. Verflucht! Sie mochte Hana Jankova, aber sie hatte überhaupt kein Interesse daran, sie in ihre persönlichen Albträume einzuweihen. Unbeholfen brabbelte sie eine müde Ausflucht. »Ich meine nur … er hat sicher zu tun. Ich wollte nicht, dass Sie ihn stören.«
»Ich schicke Ihnen voraussichtlich Lieutenant Osmar aus meinem Team. Er muss seinen Standard verbessern. Und Ihnen gibt es Gelegenheit, ihn schon mal ein wenig kennenzulernen. Wir werden in den nächsten Tagen eine Menge Zeit zusammen verbringen.«
»Das klingt gut.«
Jankova ging hinaus. Als die Tür zuglitt, beobachtete Trilby, wie die Buchstaben auf dem Erkennungsdisplay über der Tür aufblinkten. HNJKNV. Identitätsscanner auf Militärschiffen zeichneten offenbar beides auf: Kommen und Gehen. Das musste sie sich merken und die Codes lernen.
ADZSMR.
In Ordnung, dachte sie. Das sah nicht die Spur nach Tivahr aus, wenn sie Jankovas ID richtig gedeutet hatte.
»Herein«, rief sie. Die Kabine verstand jetzt offenbar auch Standard, denn die Tür glitt umgehend zur Seite.
»Captain Elliot? Lieutenant Andrez Osmar.« Er salutierte, trat über die Schwelle und blieb stehen.
Andrez Osmar war etwa in ihrem Alter, hatte schwarz gelocktes, dicht anliegendes Haar, eine breite Nase und eine goldene Hautfärbung, die darauf schließen ließ, dass irgendeiner seiner Vorfahren aus Bartravia stammte.
»Kommen Sie ruhig ganz herein, Lieutenant. Ich hole nur noch meine Jacke.« Sie ging zur Kombüse, nahm die Jacke von der Stuhllehne und verfrachtete den Kaffeebecher in den Spülhalter.
Sie folgte ihm durch den Korridor zum Lift. Während sie warteten, betrachtete sie ihn. Er war groß, fast so groß wie der Captain. Ausgeprägte Schultern. Neadi würde er gefallen.
Im Fahrstuhl begann sie ein Schwätzchen mit ihm. Er war seit zwei Jahren auf der Razalka. Davor hatte er unter dem Kommando des befehlshabenden Captain Rafiello Vanushavor gedient. Nein, in Konklavien war er noch nie gewesen. Wenigstens nicht als Besucher. Vor drei Jahren, als sie im Krieg lagen, schon. Doch da hatte er nur die konklavische Flotte gesehen. Keine Welten oder Stationen. Aber er hatte Geschichten gehört.
»Port Rumor? Vad! Hochinteressanter Ort. Viel Ärger, viel Spaß!«
»Sollten Sie da jemals hingeraten, der Pub heißt Flyboy. Meine Freunde Neadi und ihr Mann Leonid führen den Laden. Leonid Danzanour.«
»Zafharischer Name. Ist gut.«
»Ist sehr gut. Vielleicht sehe ich Sie ja mal dort.«
Der Einsatzplanungskonferenzraum der Razalka zog sich über beide Flügel des Deckbereichs. Trilby folgte Osmar durch die Doppeltür in den Raum, wo sie auf die anderen beiden Mitarbeiter des Teams trafen, Grigor Cosaros und Cadrik Bervanik. Cosaros mochte etwa in Osmars Alter sein, Bervanik war eindeutig älter. Ende vierzig, Anfang fünfzig. Er erinnerte sie an Doc, untersetzt und glatzköpfig wie er war. Cosaros war eher drahtig und wirkte ernsthaft.
Tivahr stand am Kopf des langen Tisches am anderen Ende des Raums und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Eine dreidimensionale Holokarte schwebte vor ihm. Er wandte sich ihnen zu, als sie den Raum betraten, sagte aber nichts und überließ Osmar die Vorstellung.
Dann kam Jankova herein, einen Mann im Schlepptau, der ihr als Commander Demarik vorgestellt wurde. Graue Haare, aber vorzeitig ergraut. Er hatte ein sympathisches Gesicht und wunderschöne dunkle Augen. Jankova stellte ihn als Ersten Offizier der Razalka vor. Sie vernahm den Stolz in der Stimme der Frau und übersah auch nicht, wie ihre Fingerspitzen sanft über Demariks Arm glitten, als er sich umdrehte.
Mehr als Stolz.
Sie freute sich für Jankova. Die beiden fühlten sich zusammen richtig an.
Jankova reichte Tivahr ein dünnes Datapad. Er schob es in einen Schlitz in der Tischplatte.
»Captain Elliot?« Tivahr bedeutete ihr, sich auf dem Platz neben ihm niederzulassen.
Widerwillig ging sie hinüber und setzte sich. Die Holokarte verschwand, stattdessen baute sich ein hauchdünner Bildschirm vor ihnen auf.
Tivahr nahm Platz und lehnte sich leicht in Trilbys Richtung. »Das ist die Nachricht, die wir von Jagan Grantforth erhalten haben.«
Stibitzt, meinst du wohl. Sie stellte fest, dass Jankovas Teammitglieder an ihren eigenen Konsolen zugange waren. Immerhin taten sie so, als wahrten sie ihre Privatsphäre.
Die Nachricht war deutlich länger, als sie erwartet hatte. Jagan sah müde und überanstrengt aus. Als ob er zu viel trank. Die Ehe mit Zalia machte ihn nicht glücklich. Er hatte jetzt verstanden, dass Geld nicht alles war. Er musste sie sehen. Er entschuldigte sich für seine groben Worte. Er empfand noch immer so stark für sie. Ihm war deshalb so bange.
Sein Leben zerbrach, nein, es lag in Scherben. Er war einsam. Konnte sie ihm nicht ein Lebenszeichen senden, nur damit er wusste, dass es ihr gut ging? Er machte sich solche Sorgen. Sie war schon so lange nicht mehr im Flyboy gewesen. Wenn sie einfach nur Freunde sein könnten, wäre er schon glücklich gewesen. Vielleicht konnte er ihr ein paar Aufträge für GGA verschaffen, um sie für das zu entschädigen, was er ihr angetan hatte. Sie konnten Geschäftspartner werden. Er wusste, dass er mehr nicht verdient hatte.
»Du wirst immer die einzige Frau sein, die ich je geliebt habe.« Er beendete die Nachricht mit einem traurigen Lächeln.
Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, als das GGA-Logo abblendete. Am liebsten hätte sie auf der Stelle gekotzt.