20
„Du hast mir nie erzählt, was neulich passiert ist.”
Lissianna blickte irritiert auf, als Deb in ihr Büro kam und sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch setzte. „Was ist wann passiert?”
„Was wann passiert ist?”, wiederholte Debbie trocken. „Als ich Montagnachmittag mein Haus verließ, wolltet ihr eine Nacht dort verbringen. Als ich am Dienstagmorgen zurückkehrte, war das Haus sauberer, als ich es das letzte Mal gesehen hatte, ein großer Rosenstrauß stand in einer Vase auf dem Küchentisch mit einer
„Vielen Dank!”Karte, und du warst nirgendwo zu sehen. Du hättest mir einen Zettel dalassen und mir mitteilen können, was passiert ist.”
„Tut mir leid”, murmelte Lissianna. Thomas hatte ihr gesagt, dass Mirabeau ihm von dem Durcheinander berichtete hatte, das sie und Greg in Debbies Haus hinterlassen hatten. Mirabeau hatte es offenbar an Lucian weitergegeben, und dieser hatte sofort die Sache erledigen lassen. Wer immer zu Debbies Haus geschickt worden war, um sich um die Dinge zu kümmern, hatte seine Arbeit gut gemacht. Das überraschte Lissianna nicht weiter, denn ihr Onkel würde nichts Halbes akzeptieren. Die Blumen wunderten sie allerdings niemand hatte sie erwähnt.
„Es tut mir wirklich leid”, wiederholte sie. „Ich hätte daran denken sollen.”
„Ja, das hättest du wirklich”, sagte Debbie lachend. „Besonders, da du letzte Nacht nicht zur Arbeit erschienen bist und deine Mutter anrief und dich krankmeldete. Ich sterbe jetzt seit zwei Tagen vor Neugier.” Sie atmete geräuschvoll ein. „Also los! Erzähl mir alles. Ich nehme an, du und deine Mutter, ihr habt euch wiederversöhnt? Sol das heißen, dass sie Greg akzeptiert hat?”
„Ja, das hat sie”, murmelte Lissianna mit einem kleinen Lächeln.
Alle hatten Greg akzeptiert. Nachdem sie den Tag abwechselnd damit verbracht hatten, zu schlafen oder sich zu lieben, waren sie am späten Nachmittag aufgewacht, weil ihre Cousinen, Thomas und Mirabeau um das Bett herum gestanden hatten.
„Immer noch im Bett?”, hatte Thomas sie amüsiert gefragt, als Lissianna die Augen aufgeschlagen hatte. „Ich bin so froh, dass ihr heute ein bisschen Ruhe hattet. Ich fürchtete schon, dass du Greg zu Tode lieben würdest, während wir anderen versuchen zu schlafen.”
„Versuchten zu schlafen?”, hatte Greg gefragt und ein Gähnen unterdrückt, als er sich aus der Löffelposition löste, in der sie geschlafen hatten, und unter der Decke auf den Rücken rollte.
„Naja, es war nicht einfach”, hatte Thomas sie informiert. „Ich hörte dauernd Rufe und Schreie aus eurem Zimmer.”
Dann hatte er gezögert und interessiert zugesehen, wie Lissianna knallrot anlief, bevor er mit einem Grinsen feststellte: „Ich nahm an, es waren diese lästigen Albträume, die eine Wandlung angeblich begleiten.”
„Ja, Greg hatte Albträume”, hatte Lissianna gesagt und sich dankbar an die Ausrede geklammert.
„Hmm, das dachte ich anfänglich auch”, hatte Thomas gemurmelt. „Dann wurde mir klar, dass du ebenfalls geschrien hast, Lissi.” Er hatte die Braue hochgezogen, dann breit gegrinst und gerufen: „Ihr beide seid schrecklich laut im Bett! Ich habe schon rollige Katzen und Kater gehört, die leiser waren.”
Stöhnend, weil die anderen anfingen zu lachen, hatte Lissianna das Gesicht in ihr Kissen vergraben und Greg versucht, die Party abzubrechen, mit der Ankündigung, dass er jetzt aufstehen würde, und wenn sie nicht alle einen Blick auf seine unteren Regionen werfen wollten, sollten sie doch bitte gehen.
Jeanne Louise, Mirabeau, Elspeth und die Zwillinge hatten offenbar nichts gegen die Idee einer Gratisshow gehabt, aber just in diesem Moment war Marguerite aufgetaucht, um nach Greg zu sehen. Nachdem sie ihn untersucht hatte, hatte sie ihn für gesund erklärt und alle aus dem Raum gescheucht, damit er und Lissianna aufstehen konnten.
Den Rest des Abends hatten sie in der üblichen chaotischen Familienatmosphäre verbracht, und alle waren glücklich und sehr gesprächig und hatten Greg all die Dinge gesagt, von denen sie glaubten, dass er sie wissen müsste, nun da er einer von ihnen war.
Lissianna hatte es bedauert, sie verlassen zu müssen, als sie merkte, dass es Zeit war, sich für die Arbeit fertig zu machen, und kurz Jeanne Louise und Thomas beneidet, weil beide freihatten.
Sie arbeiteten beide für ihren Bruder bei Argeneau Enterprises, waren aber auf Marguerites ausdrücklichen Wunsch hin für eine Woche beurlaubt worden, um sie während des Besuchs von Elspeth und den Zwillingen zu unterstützen. Lissianna hingegen konnte es sich nicht erlauben, einfach unangemeldet ein paar Tage freizunehmen. Die Leute im Heim waren auf ihre Mitarbeit angewiesen.
Greg war ebenso enttäuscht gewesen, dass sie arbeiten musste, und hatte Lissianna in ihr Zimmer begleitet, um ihr beim Duschen und Umziehen zu „helfen”. Das hatte sie beträchtlich aufgehalten, und sie wäre vielleicht zu spät zur Arbeit gekommen, wenn Thomas nicht angeklopft, sie an die Zeit erinnert und ihr angeboten hätte, sie zu fahren.
Lissianna war schnell wieder aus dem Bett gekrochen, hatte sich mit immer noch feuchtem Haar rasch angezogen und war nach unten gerannt, Greg immer dicht auf den Fersen. Er hatte sie in die Stadt begleitet, ihr einen Abschiedskuss gegeben, bevor sie aus dem Jeep gesprungen war, und dann waren die Männer zu Gregs Wohnung gefahren, um ihn mit frischer Kleidung zu versorgen und sie in Marguerites Haus zu bringen. Greg sollte dort bleiben, bis er sich an all die Veränderungen in seinem neuen Leben gewöhnt hatte, und Lissianna nahm an, dass er im Augenblick knietief in Verwandten watete und einen Schnel kurs in den Fächern Vampirfreud und Vampirleid erhielt.
„Erde an Lissi, Erde an Lissi”, wiederholte Debbie, und Lissianna blinzelte, als ihre Kollegin ihr mit der Hand vor den Augen herumfuchtelte.
„Tut mir leid”, murmelte sie und versuchte ihre Gedanken abzuschütteln. „Ich habe nur so vor mich hingedacht.”
„Gedacht?” Debbie zog eine Braue hoch. „Meine Liebe, dann teile doch bitte ein paar von diesen Gedanken mit mir, denn ich möchte auch spüren, was immer dich auf diese Weise lächeln ließ.”
Lissianna errötete und zog die Nase kraus, dann sagte sie: „Es tut mir wirklich leid, dass ich dir keinen Zettel hinterlassen habe, Deb. Es war nett von dir, uns zu helfen.”
„Kein Problem”, erwiderte Debbie unbeschwert. „Ich werde dir sogar vollkommen verzeihen, wenn ein mir nur endlich sagst, was geschehen ist.”
Lissianna zögerte, dann sagte sie: „Na ja, Greg hat meinen Vetter Thomas am Telefon erwischt, und Thomas und eine Freundin namens Mirabeau haben alles aufgeräumt.” Das war so dicht an der Wahrheit, wie es ging, dachte sie. „Mom ist glücklich, ich bin glücklich.... ” Lissianna zuckte die Achseln. „Alles ist wieder gut“ Debbie starrte ihr ins Gesicht, betrachtete forschend ihre Miene und sagte dann: „Du klingst nicht so richtig glücklich.”
Lissianna senkte den Blick, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Nein, sie war überhaupt nicht glücklich. Sie war vielleicht zufrieden und froh, aber....
„Ist es Furcht?”, fragte Debbie. „Kalte Füße? Jetzt, da es keinen Widerstand von Mom mehr gibt, hast du Gelegenheit zu eigenen Zweifeln?”
Lissianna setzte dazu an es abzustreiten, dann erkannte sie, dass das eine Lüge sein würde. Sie hatte tatsächlich Angst.
Debbie zwang sie nicht, es auszusprechen. Stattdessen sagte sie schlicht: „Es würde mich nicht wundern, wenn das so wäre. Mir ging es ganz ähnlich, bevor Jim und ich heirateten. Es war Angst, schlicht und ergreifend. Ich befürchtete, dass er unmöglich so wunderbar sein konnte, wie er zu sein schien, dass irgendetwas passieren würde, um alles zu verderben, dass mir das Herz gebrochen würde.... ” Sie seufzte tief. „Und ich hatte recht.”
Lissianna blickte sie überrascht an.
Debbie lächelte ein wenig über ihre Miene und setzte erklärend hinzu: „An dem Tag, als er starb, ist mein Herz gebrochen, und es wird nie wieder so froh sein können wie vorher.” Sie wartete einen Moment und fuhr dann fort: „Das Leben ist nicht immer leicht, Lissianna. Es ist voller schwieriger Entscheidungen und Schmerzen, und die Dinge verlaufen nicht immer so, wie wir hoffen. Es gibt nun einmal keine Garantien. Und es stimmt zwar, dass man mitunter Enttäuschung meiden kann, wenn man sich nicht mit jemandem einlässt, aber dann verpasst man vielleicht auch die besten Dinge des Lebens. Hab keine Angst zu lieben!”
Lissianna lehnte sich erschöpft zurück, als Debbie ihr Büro verließ, und hörte immer noch deren Worte in ihrem Kopf nachklingen: „Hab keine Angst zu lieben.” Es erinnerte sie an ihr Gespräch mit ihrem Onkel Lucian.
„Du glaubst, ich hätte Angst vor der Liebe?”, hatte er gefragt, und als sie nickte, hatte er gesagt: „Naja, vielleicht.... und vielleicht ist es auch wahr, class man so sein muss, um einen anderen richtig zu erkennen.”
Lissianna atmete langsam durch und gab zu, dass sie tatsächlich Angst hatte. Angst hatte sie davon abgehalten, ein „für immer” mit Greg zu diskutieren, als er nach der Verwandlung aufgewacht war, ebenso wie die beiden anderen Male, als er das Thema später noch einmal angeschnitten hatte. Sie hatte Angst, verletzt zu werden. Nicht durch Abweisung sie wusste instinktiv, dass er ihr Lebensgefährte sein wollte, und nicht etwa deshalb, weil sie ihn gewandelt hatte. Greg liebte sie. Sie spürte das jedes Mal, wenn ihre Gedanken und Gefühle sich miteinander verbanden. Sie hatte Angst vor der Zukunft und davor, was diese aus ihrer Liebe machen würde.
„Es gibt nun einmal keine Garantien im Lehen”, hatte Deb gesagt, und dasselbe galt auch für die Liebe. Niemand wusste, was die Zukunft bringen würde, aber Lissianna war ganz sicher, dass die Zeit, die sie mit Greg verbracht hatte, die wunderbarste in ihrem ein wenig mehr als zweihundert Jahre zählenden Leben gewesen war. Und sie wusste auch, dass sie nie mehr eine solch wunderbare Zeit erleben würde, wenn sie der Angst erlaubte, sich einer Zukunft mit Greg in den Weg zu stellen. Nein, es zahlte sich nicht aus, Angst vor der Liebe zu haben, dachte sie und kam zu dem Schluss, dass sie in dieser Nacht mit Greg über das „für immer” sprechen würde. Sie war bereit, das Risiko auf sich zu nehmen.
„Lissianna?”
Sie blickte erschrocken auf, als sie ihren Namen hörte, und sah Vater Joseph in der Tür stehen. „Ja, Vater?”
„Hier ist ein Herr, der Sie sprechen möchte”, verkündete der Priester, dann drehte er sich um, um jemandem mit einer Handbewegung hereinzubitten.
Sie war noch nie von jemandem im Obdachlosenheim besucht worden, und deshalb war Lissianna über diese Ankündigung ein wenig verwirrt, als Greg eintrat.
„Greg!” Sie schob ihren Schreibtischstuhl zurück und sprang auf, aber dann blieb sie stehen und versuchte, sich zu beherrschen, damit sie ihm nicht gleich um den Hals fiel, wie es ihr erster Impuls gewesen wäre. Sie tat es vor allem, um in Gegenwart von Vater Josephs gelassen und professionel aufzutreten, und schaffte es, in ruhigem Tonfall zu fragen: „Was machst du denn hier?”
„Ich bin hier, um dich abzuholen und nach Hause zu fahren”, verkündete er. „Bist du fertig?”
„Oh.” Lissianna schaute auf die Armbanduhr und runzelte die Stirn, als sie feststellte, dass es tatsächlich Zeit war. Ihr Blick glitt über ihren Schreibtisch, und sie verzog das Gesicht. „Ich muss die Akten wieder wegstellen und eine Notiz für die Dame dalassen, die meinen Job tagsüber tut, damit sie weiß, welche Telefonate sie führen muss und.... ”
„Dann tu das”, unterbrach Greg sie. „Mich stört es nicht zu warten.”
Lissianna lächelte, dann sah sie Vater Joseph an.
„Danke, Vater”, murmelte sie und ging um den Schreibtisch herum zur Tür. „Danke, dass Sie ihn hergebracht haben.”
„Es ist also in Ordnung?”
„O ja. Er ist ein Freund von mir”, versicherte sie ihm.
„Oh.” Vater Joseph nickte. „Gut.” Er zögerte, dann zog er sich von der Tür zurück und ließ Greg eintreten. „Ich werde nur.... “ Der Priester wedelte vage mit der Hand, dann drehte er sich um und ging den Flur hinunter.
Lissianna sah ihm besorgt hinterher. Vater Joseph schlief immer noch nicht, und es fing an, sie zu beunruhigen. Die Ringe unter seinen Augen waren groß genug, um durch sie hindurchspringen zu können, und seine Gesichtsfarbe hatte inzwischen eine ungesunde graue Blässe angenommen. Sie seufzte, als er außer Sicht war, schloss die Tür, wandte sich Greg zu und schnappte überrascht nach Luft, als er sie plötzlich in seine Arme riss und wie wild küsste.
„Mhm”, murmelte er, als er den Kuss beendete. „Hallo.”
„Hallo”, flüsterte sie heiser. „Hast du schon lange; gewartet?”
„Fünfunddreißig Jahre, aber es war mir ein Vergnügen”, versicherte Greg ihr.
Lissianna lachte leise und gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. „Ich meinte heute Nacht.”
„Du meintest heute früh”, verbesserte er sie. „Obwohl es immer noch Nacht zu sein scheint, da die Sonne noch nicht aufgegangen ist.”
„Es ist ein bisschen verwirrend, Arbeitsstunden zu haben, die allen anderen entgegengesetzt sind”, gab sie zu.
„Ja, das ist wahr”, stimmte Greg zu. „Und um deine Frage zu beantworten, ich habe etwa eine halbe Stunde gewartet. Ich bin hier fünf Minuten zu früh eingetroffen. Tatsächlich war ich schon eine halbe Stunde vor der Zeit in der Stadt und habe an einem DonutLaden haltgemacht, damit ich mich in meinem Eifer, dich zu sehen, nicht vollkommen lächerlich mache.”
„Vollkommen lächerlich, wie?”, fragte Lissianna amüsiert und spielte mit den Knöpfen an seinem Hemd. „Es ist vielleicht gut, dass du am DonutLaden haltgemacht hast. Ich bezweifle, dass du so gut gelaunt gewesen wärest, wenn ich dich eine Stunde hätte warten lassen.”
Er zuckte nur die Schultern. „Du wusstest doch gar nicht, dass ich hier war.”
Lissianna nickte zerstreut, den Blick auf den Knopf gerichtet, mit dem sie spielte, bis Greg sie drückte und sagte: „Diese Miene kenne ich, es ist deine,Sorgen’Miene. Was ist denn los?”
„Ich frage mich nur.... ”
„Du machst dir Sorgen”, verbesserte Greg sie trocken.
„Ob du daran gedacht hast, was die Verwandlung für deine Praxis bedeutet”, fuhr sie fort und ignorierte die Unterbrechung.
„Oh”, sagte er ernst, „du meinst, du machst dir Gedanken, dass es meine Praxis betreffen wird und ich etwas dagegen haben werde und schließlich auch etwas gegen dich haben werde, weil du mich gewandelt hast?”
Lissianna musste über sich selbst lächeln, weil sie so einfach zu deuten war. „Du bist ziemlich clever, wie?”
„Clever genug, um die Richtige zu erkennen, wenn ich ihr begegne”, sagte Greg unbeschwert, dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Tatsächlich habe ich schon daran gedacht, und es gibt keinen Grund zur Sorge. Die meisten meiner Klienten haben eine Stelle und ziehen Termine am Abend vor, damit die Therapie ihre Arbeit nicht stört. Bis jetzt habe ich den größten Teil des Tages damit verbracht, an meinem Buch zu arbeiten und Klientennotizen zu ergänzen, und den späten Nachmittag und Abend mit Sitzungen mit Klienten.” Er zuckte die Achseln. „Jetzt werde ich nur von fünf Uhr an Klienten annehmen und an meinem Buch arbeiten, wenn du arbeitest, und dann schlafen wir am Tag.”
Lissianna runzelte die Stirn. „Also wirst du arbeiten, wenn ich freihabe, und schreiben, wenn ich arbeite?”
Greg blinzelte. „Das ist richtig”, sagte er langsam, als er begriffen hatte, was sie meinte. „Du fängst erst um elf Uhr abends an zu arbeiten, und ich werde wahrscheinlich Klienten bis um zehn haben. Aber dann werden wir uns ja nie sehen!” Jetzt runzelte er ebenfalls die Stirn. „Vielleicht könnte ich.... ”
„Nein, warte”, sagte Lissianna schnell, nachdem ihr etwas eingefallen war. „Du würdest am Samstag oder Sonntag keine Klienten annehmen, und wenn ich meine freien Nächte auf Montag und Dienstag verlagere, blieben nur noch Mittwoch, Donnerstag und Freitag, an denen wir nicht viel voneinander haben werden.”
„Und ich würde dich nur eine halbe Woche zu Gesicht bekommen? Ich denke ja gar nicht daran”, erklärte er mit trockener Missbil igung, dann blinzelte er erfreut, und es breitete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Was gibt’s?”, fragte Lissianna.
„Es ist einfach nett zu sehen, dass du wirklich mit mir zusammen sein will st”, sagte er ruhig. „Ich war mir nicht ganz sicher, woran ich bei dir war. Du schienst nicht über die Zukunft sprechen zu wollen.”
Lissianna seufzte und lehnte ihre Stirn an sein Kinn. „Tut mir leid. Ich war nur ein wenig.... ”
„Verängstigt?”, versuchte er zu raten, als sie zögerte.
„Ja, vielleicht. Und auch ein bisschen überwältigt, glaube ich. Es ist alles so schnell gekommen.” Sie hob den Kopi und versicherte ihm: „Wir reden über all das, wenn wir wieder zu Hause sind: über uns, unsere Arbeitsstunden, eben über alles. Wir finden einen Weg, damit es funktioniert.”
„Na gut.” Greg umarmte sie, dann löste er sich von ihr und gab ihr einen Klaps auf das Hinterteil. „Also los, schreib deine Notiz, damit wir hier rauskommen. Die Sonne geht bald auf, und ich habe schon wieder Hunger. Das ist ein bisschen merkwürdig, denn ich habe, kurz bevor ich das Haus verließ, noch einen Beutel Blut zu mir genommen.”
„Du wirst noch eine ganze Zeit großen Hunger haben”, sagte Lissianna mitfühlend und entzog sieh seinen Armen.
„Ja, ich weiß. Deine Familie hat mich schon vor vielen Dingen gewarnt, die auf mich zukommen werden”, murmelte er und sah zu, wie sie sich wieder an den Schreibtisch setzte und sich ihren Notizblock zurechtlegte. „Thomas hat auch versprochen, mir irgendwann zu zeigen, wie man jagt, während du arbeitest, damit ich nicht vollkommen ahnungslos bin, falls es je zu einem Notfall kommt und ich mich,al fresco’ nähren muss.”
Lissianna erstarrte und fragte dann mit spitzer Stimme: „Das hat er also, wie?”
„Warum denn nicht, Liebste? Ist das eine Spur von Grün, die ich in deinen Augen sehe? Ich dachte, sie seien silbrigblau.”
Lissianna sah ihn missbilligend an, als er sie so neckte. „Es kommt mir so vor, als wüsstest du, wie man sich,al fresco’ ernährt. Zumindest hast du an mir genug geübt.”
„Wie sieht es denn mit deiner Notiz aus?”, wechselte er grinsend das Thema.
Lissiannas Mund zuckte, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Notizblock zuwandte.
„Lass uns einen Handel abschließen”, sagte Greg, während er ihr beim Schreiben zusah.
„Was für einen Handel?”, fragte sie zerstreut.
„Du versprichst von jetzt an, nur andere Frauen zu beißen, und ich verspreche, wenn Thomas mich unterrichtet, werde ich nur andere Männer beißen.”
Sie blickte überrascht über diesen Vorschlag auf und stellte fest, dass er nicht sehr zufrieden über seine Worte schien und nachdenklich die Stirn runzelte.
„Oder vielleicht verspreche ich doch lieber, dass ich zwar lernen werde, andere Frauen zu beherrschen, sie aber nicht beißen werde”, verkündete Greg. „Wie du sagtest, kann ich den Teil mit dem Beißen an dir üben. Und ich möchte einem anderen Mann lieber nicht so nahe kommen.”
Lissianna lächelte belustigt, während sie ihre Notiz beendete und aufstand. „Aber anderen Frauen so nahe zu kommen, stört dich nicht?”
„Hmm.” Er dachte kurz darüber nach, sah noch eine Weile unentschlossen vor sich hin, dann seufzte er. „Also gut, Änderung Nummer zwei, ich heile deine Phobie, damit du niemanden mehr beißen musst, und ich.... ”
„Greg”, unterbrach sie ihn sanft, und er sah sie fragend an.
Lissianna nahm ihre Handtasche und den Mantel und sagte:
„Darüber können wir ebenfalls zu Hause reden, aber wir sollten uns in Bewegung setzen, denn die Sonne wird bald aufgehen.”
„Ja.” Ein kleines Grinsen lag auf seinem Gesicht. Er nahm ihre Hand und führte sie zur Tür.
Vater Joseph stand am Ende des Flurs, als sie aus dem Büro kamen, und Lissianna ließ Gregs Hand verlegen los, als sie den Priester sah. Im selben Moment schaute er In ihre Richtung.
„Alles in Ordnung?”, fragte er, als sie näher kamen.
„Ja.” Lissianna lächelte, als sie die Eingangstür erreichte, dann stellte sie fest: „Ich bin überrascht, dass Kelly noch nicht da ist.
Hat sie sich krankgemeldet?” Während Clandia ihre Stelle an Lissiannas freien Abenden übernahm, arbeitete Kelly in der Tagesschicht in ihrem Büro. Sie war für gewöhnlich da, wenn Lissianna ging.
„Nein.” Vater Joseph schüttelte den Kopf. „Sie ist schon da. Ich habe ihr aber gesagt, dass Sie jemanden hei sich im Büro haben.
Deshalb ist sie in die Küche gegangen, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Sie wird bald wieder zurück sein.”
„Oh, gut.” Lissianna lächelte. „Ich nehme an, wir sehen uns heute Abend wieder.”
„Ja. Einen guten Tag”, sagte Vater Joseph, dann warf er Greg einen Blick zu und fügte höflich hinzu: „Es war nett, Sie kennenzulernen.”
„Ich habe mich auch gefreut, Sie kennenzulernen, Vater”, antwortete Greg, dann öffnete er Lissianna die Tür.
„Wo ist der Jeep?”, fragte Lissianna, als sie über den Parkplatz gingen.
„Redest du von Thomas’ Jeep?”, fragte Greg überrascht.
„Ja. Hast du dir nicht seinen Jeep geliehen, um mich abzuholen?”
„Nein. Ich bin in meinem eigenen Auto gekommen”, sagte er, dann erklärte er: „Wir haben es geholt, als Thomas mich zu meiner Wohnung gefahren hat, um meinen Koffer zu packen. Er ist im Jeep zurückgefahren, und ich bin ihm in meinem eigenen Wagen gefolgt. Dann fühle ich mich weniger wie.... ”
„Ein Gefangener?”, fragte Lissianna leise, als er abbrach.
Greg verzog das Gesicht, aber er nickte, als er sie zu einem dunklen BMW führte. Er schloss den Wagen auf, hielt die Beifahrertür auf, schloss sie, nachdem Lissianna eingestiegen war, und ging zur Fahrerseite. Lissianna beugte sich hinüber, um die Tür für ihn zu öffnen, dann setzte sie sich wieder aufrecht hin, als er einstieg. Sie schnallte sich gerade an, als er den Schlüssel in die Zündung steckte und drehte, dann zog sie die Brauen hoch, als nichts passierte. Stirnrunzelnd versuchte Greg es noch einmal, aber der Motor reagierte nicht einmal.
„Was zum.... ” Er trat das Gaspedallein paar Mal durch und versuchte es noch einmal, dann fluchte er verärgert, als immer noch nichts passierte.
Lissianna biss sich auf die Lippen, als er es noch einmal versuchte. „Vielleicht sollten wir ein Taxi rufen.”
„Auf dem Weg hierher hat alles funktioniert”, murmelte Greg, versuchte es noch einmal, dann ließ ein Klopfen an der Windschutzscheibe sie zusammenzucken. Sie blickten sich um und sahen Vater Joseph. Der Priester stand vor der Fahrertür.
Greg kurbelte das Fenster herunter, als er den Priester gestikulieren sah. Er fragte Greg: „Haben Sie ein Problem mit dem Wagen?”
„Er will nicht starten”, murmelte Greg und versuchte es noch einmal. Vater Joseph sah zu, wie er den Schlüssel drehte, und runzelte die Stirn, als nichts passierte. „Es muss der Anlasser sein.
Der Motor rührt sich jedenfalls nicht.”
„Nein”, stimmte Greg zu und lehnte sich seufzend zurück.
Der alte Mann zögerte, dann sagte er: „Ich wollte gerade ein paar Dinge besorgen. Ich könnte Sie mitnehmen. Wohin wollten Sie?”
„Oh, das ist nett, Vater, aber es liegt sicher nicht auf Ihrem Weg”, sagte Lissianna, dann nannte sie das Viertel, in dem ihre Mutter wohnte.
„Oh!”, rief Vater Joseph vergnügt. „Das ist nicht weit von meinem Ziel. Das kann kein Zufall sein! Kommen Sie. Das ist für mich ein Katzensprung.”
Er wandte sich ohne Antwort um und ging aul den Lieferwagen mit dem Logo des Obdachlosenheims zu, und Greg sah sie fragend an.
„Es wird wirklich spät”, sagt er. „Und ich könnte die Werkstatt anrufen und sie das Auto hier abholen lassen, damit sie es sich ansehen, während wir schlafen.”
Seufzend nickte Lissianna und löste ihren Sicherheitsgurt wieder.
„Ich hoffe, es stört Sie nicht, aber da es auf dem Weg liegt, dachte ich, dass ich zuerst bei meiner Lieferantin halte, auf dem Weg aus der Stadt.”
Lissianna schaute bei Vater Josephs Worten aus dem Lieferwagen, als er vom Highway abbog. Sie schätzte, dass sie kaum mehr als fünf Minuten vom Haus ihrer Mutter entfernt waren.
„Ich nehme an, es wäre ebenso schnell gewesen, auf dem Weg zurück anzuhalten, aber ich könnte tatsächlich beim Einladen Hilfe brauchen, und auf dem Rückweg würden Sie nicht mehr bei mir sein.... ” Er warfeinen entschuldigenden Blick auf Greg. „Das stört Sie doch nicht, oder? Ich kann umdrehen, wenn Sie.... ”
„Nein, natürlich nicht, Vater”, versicherte Greg ihm. „Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie uns mitnehmen. Da ist es nur gerecht, wenn wir Ihnen beim Einladen helfen.”
Lissianna lächelte über seine höflichen Worte. Sie kannte Greg gut genug, um zu wissen, dass er wegen der Verzögerung zwar enttäuscht war, es aber unhöflich gefunden hätte, dem Mann, der ihnen eine Taxifahrt zu ihrer Mutter ersparte, nicht zu helfen.
„Da sind wir.”
Lissianna schaute aus dem Fenster und betrachtete stirnrunzelnd, wie sie eine lange Auffahrt zu einem großen weißen Haus hochfuhren. Es gab nirgendwo Schilder, die daraufhingewiesen hätten, dass es sich um eine Großhandlung oder irgendeine Art von Geschäft handelte. Es stand auch nach allem, was sie sehen konnte, als sie sich umschaute, mitten im Nichts. Keine Nachbarhäuser waren zu sehen. Lissianna begann sich plötzlich ein wenig unbehaglich zu fühlen.
„Hier wohnt die Dame, die unser Logo auf all die Handtücher, Laken und Kissenbezüge stickt, Lissianna”, verkündete Vater Joseph, als er vor dem Haus anhielt. „Sie ist eins meiner Gemeindemitglieder, eine liebenswerte alte Dame.”
„Aha”, murmelte Lissianna erleichtert und spürte, wie sie sich langsam entspannte.
„Es dauert ein wenig länger, als wenn wir es mit Maschinen machen würden”, fuhr er vergnügt fort, als er den Motor abschaltete und seinen Sicherheitsgurt löste. „Aber sie ist Witwe und braucht das Geld, also bringe ich alle neuen Laken und Handtücher zum Besticken zu ihr.”
„Das ist nett von Ihnen”, murmelte Greg und löste seinen eigenen Gurt.
„Tatsächlich bin ich froh, dass Sie beide bei mir sind”, schwatzte der Priester weiter. „Sie versucht oft mich zu überreden, zum Tee zu bleiben, und jetzt habe ich eine gute Ausrede, nicht zu bleiben, weil Sie mich begleiten.”
Lissianna murmelte etwas Höfliches, dann löste auch sie ihren Sicherheitsgurt, als Vater Joseph seine Tür öffnete und ausstieg.
„Er scheint ein netter alter Mann zu sein, aber er ist ziemlich schwatzhaft, findest du nicht?”, murmelte Greg, nachdem Vater Joseph die Tür geschlossen hatte und sie allein waren.
„Er leidet schon eine ganze Woche an Schlaflosigkeit”, erklärte Lissianna, aber sie war nicht sicher, ob Vater Joseph nicht auch geschwätzig war, wenn er keine schlaflosen Nächte hinter sich hatte. Er arbeitete tagsüber, sie nachts. Sie kannte ihn nur wenig.
„Na ja, je eher wir das hier erledigt haben, desto schneller werden wir nach Hause kommen”, sagte Greg, fasste nach dem Türgriff, zögerte aber noch einmal kurz und fragte: „Wie viel Sonnenlicht kann ich in diesem Stadium verkraften?”
Lissianna warf einen Blick zum Horizont und bemerkte die ersten Finger der Morgendämmerung, die sich in den Himmel reckten. Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber das hier wird nicht zu lange dauern, und wir sind nur fünf oder sechs Minuten von zu Hause entfernt. Ich glaube nicht, dass es riskant ist.”
Greg nickte beruhigt, öffnete die Tür und stieg aus, dann hielt er die Tür auf und bot Lissianna die Hand, als sie ebenfalls ausstieg und über den Beifahrersitz kletterte, um hinauszukommen.
Offensichtlich hatte die alte Dame, die die Tücher bestickte, auf sie gewartet, denn die Tür stand offen, und Vater Joseph war bereits halb im Haus verschwunden, als Greg noch damit beschäftigt war, die Autotür zu schließen. Sie beeilten sich, ihn einzuholen, und hörten seine Stimme, als sie näher kamen, dann hörte er jedoch auf zu sprechen und warf ihnen einen Blick zu, als sie die Verandatreppe heraufkamen.
„Sie sagt, sie sei mit al en fertig und sie habe sie gerade zusammengelegt”, informierte er sie, als sie die Tür erreichten. „Sie ist noch einmal zurückgegangen, um alles in Kartons zu packen. Hier entlang, bitte.”
Lissianna schloss die Haustür, damit nicht so viel Wärme verloren ging, dann folgte sie den Männern den Flur entlang. Am Ende des Flurs blieb Vater Joseph stehen, öffnete eine Tür und hielt sie auf, um die beiden vorzulassen. Lissianna murmelte
„Danke”, als sie Greg in einen kleinen, dunklen Raum folgte, der nur von einer winzigen Lampe auf einem Tisch an der Tür beleuchtet wurde. Sie wäre beinahe auf Gregs Fersen getreten, als er plötzlich stehen blieb.
„Gehen Sie nur”, sagte Vater Joseph, und Lissianna schaute zurück, dann erstarrte sie, als sie die Schusswaffe in seiner Hand sah. Sie starrte ihn einen Moment lang ausdruckslos an und konnte sich überhaupt keinen Reim auf die plötzliche Veränderung machen. Dann drehte sie sich wieder um und trat an Gregs Seite, um sich umsehen zu können. Inzwischen war sie nicht mehr überrascht, dass es hier keine alte Dame gab, die Wäsche bestickte. Sie war allerdings verblüfft, als sie den Mann erkannte, der vor ihnen stand und mit einer zweiten Schusswaffe auf Gregs Brust zeigte.