14

 

Greg war erleichtert, Lissianna zu sehen.... bis er bemerkte, wie blass sie bei seinem Anblick geworden war, als sie ihn wieder gefesselt sah. Er hatte schon befürchtet, dass das nichts Gutes bedeuten konnte, und ihre Reaktion schien es zu bestätigen. Sein Blick glitt zu den anderen hinüber, die stumm dastanden. Er zog an seinen Fesseln und sagte müde: „Das ist wohl ein schlechtes Zeichen, wie?”

Niemand schien darauf antworten zu wollen, aber nach einem Zögern ging Lissianna zu ihm und fing an, an dem Strick an seinem Handgelenk zu nesteln. Sie sagte: „Du darfst jetzt nicht mehr denken.”

„Nicht mehr denken?”, fragte er ungläubig. „Wie soll das gehen?”

„Rezitiere etwas.”

Gregs Kopf wurde sofort leer. „Was soll ich denn rezitieren?”

„Das ist mir egal.” Sie klang gereizt, aber dann nahm sie sich zusammen und sagte ruhiger: „Ein Gedicht oder einen Kindervers oder.... was auch immer. Das ist gleich, aber rezitiere irgendwas und konzentriere dich vollkommen auf das, was du vorträgst. Es ist die einzige Möglichkeit, dass du das, was du denkst, nicht so klar sendest, dass meine Mutter und Lucian wissen, was los ist. Wenn du hier rauskommen will st, musst du auf meine Ratschläge hören und genau das tun, was ich dir sage, aber ohne nachzudenken. Hast du mich verstanden?”

„Ja.” Greg nickte, dann sagte er zweifelnd: „Aber ich weiß nicht, ob ich das kann.”

„Du musst, wenn du hier lebend wieder rauskommen will st”, sagte sie grimmig.

„Improvisieren Sie doch einfach etwas, oder Hundert Mann auf des toten Mannes Kiste’ vielleicht”, schlug Thomas vor und trat zu ihnen, um zu helfen, ihn loszubinden.

„Thomas.” Lissianna richtete sich auf und sah ihn an. „Du darfst mir dabei nicht helfen. Du.... ” Sie unterbrach sich und sah die sechs Personen an, die außer ihr und Greg noch im Zimmer waren. „Ihr müsst jetzt alle runtergehen und euch aus dieser Sache heraushalten.”

Mirabeau schnaubte protestierend und näherte sich ebenfalls, um Gregs Fußknöchel loszubinden. „Undenkbar.”

„Mirabeau, das hier ist kein Spiel mehr”, versuchte sie es erneut. „Es ist wirklich sehr, sehr ernst. Es geht nicht mehr nur darum, sich meiner Mutter zu widersetzen. Onkel Lucian.... ”

„Halt die Klappe, Lissi”, fauchte Elspeth und beugte sich über Gregs anderes Fußgelenk. „Warum sollst nur du deinen Spaß haben?”

„Außerdem”, Juli schob sie beiseite und fing an, das Handgelenk loszubinden, das Lissianna noch nicht in Angriff genommen hatte, „,Einer für alle und alle für einen’, erinnerst du dich?”

„Wir mögen Greg”, sagte Vicki und tätschelte Lissiannas Schulter, als wollte sie sie beruhigen. „Keiner hier will sehen, dass er dem ,Rat der Drei’ ausgeliefert wird.”

Die allgemeine Anspannung hatte sich plötzlich verschärft, und ihre finsteren Mienen waren alarmierend, doch Lissiannas Gesichtsausdruck beunruhigte Greg am meisten. Sie hatte Angst, und er nahm an, dass es nicht viel gab, das ihr Angst machen konnte. Und er fürchtete zudem, dass sie vor allem um seinetwillen Angst hatte.

„Was ist der ,Rat der Drei’?”, fragte er und befürchtete, dass die Antwort ihm nicht gefallen würde.

„Drei Ratsmitglieder verbinden sich gleichzeitig mit dem Geist eines Sterblichen”, antwortete Vicki. „Einige Sterbliche können einem der Unsrigen widerstehen oder ihn abblocken, aber keiner kann dreien widerstehen, die zusammenarbeiten.”

„Was passiert dann?”

„Es zerstört die Psyche; die Person wird ein Renfield.”

Greg nahm an, „ein Renfield” war ihre Art auszudrücken, dass jemand den Verstand verloren hatte, weil sie in seinem Kopf herumgewühlt hatten. Er war sich allerdings nicht vollkommen sicher, denn als er den Mund öffnete, um etwas zu fragen, fauchte Mirabeau: „Rezitieren.”

.„Hundert Mann auf des toten Mannes Kiste’”, begann Greg gehorsam und machte weiter, während sie damit beschäftigt waren, ihn zu befreien, aber es fiel ihm schwer. Er war nicht daran gewöhnt, nicht zu denken, und es gab alle Arten von Gedanken und Fragen, die in seinem Kopf herumwirbelten. Die meisten hatten damit zu tun, dass er nicht das Bedürfnis hatte, „ein Renfield” zu werden.

Greg war bei zweiundneunzig Mann, als die letzte Fessel fiel. „Jemand muss nach unten gehen, herausfinden, was los ist, und sich davon überzeugen, dass sie nicht wissen, dass Lissianna wieder da ist”, sagte Thomas, als Greg sich hinsetzte.

„Das mache ich”, bot Mirabeau an. „Ich bin die Älteste und kann vielleicht besser ihre Gedanken lesen als ihr anderen.”

„Gut”, stimmte Thomas zu. „Aber beeil dich.” Sie nickte, fuhr sich mit den Händen durch ihr stachliges Haar mit den fuchsienroten Spitzen und ging zur Tür.

„Rezitieren Sie”, befahl Thomas Greg, als Mirabeau das Zimmer verließ.

Greg bemerkte, dass er aufgehört hatte, und trug seine Verse weiter vor, und seine Stimme füllte die Stille, als sie auf Mirabeaus Rückkehr warteten. Sie brauchte nicht lange, und sie blickte finster drein, als sie zurückkehrte.

„Sie wissen, dass Lissi zu Hause ist und dass wir alle hier oben sind. Lucian hat Martine in die Garage geschickt, um die Autos zu bewachen, und Marguerite hat Vittorio, Maria und Julius zu sich gebeten.”

Greg musste einfach mit dem Rezitieren aufhören und fragen: „Wer ist das?”

„Maria ist Mutters Haushälterin, und Vittorio ist Marias Mann; er kümmert sich um den Garten. Sie haben an den Wochenenden frei, weshalb du sie noch nicht kennengelernt hast.” Lissianna schien abgelenkt. „Sie wohnen in einem Häuschen hinten auf dem Gelände.”

„Julius ist Tante Marguerites Hund”, fügte Juli mit dünner Stimme hinzu.

„Juli hat Angst vor Hunden”, erklärte Vicki und streichelte die Schulter ihrer Schwester. „Also hat Tante Marguerite ihn zu Maria geschickt, solange wir hier zu Besuch sind.”

„Ich nehme an, er ist kein Schoßhündchen, wie?”, fragte Greg grimmig.

„Rezitieren Sie”, sagte Mirabeau entschlossen. Greg gehorchte.

„Also gut.” Lissianna rieb sich die Stirn und machte ein paar Schritte vom Bett weg, dann kehrte sie wieder zurück und sah die anderen an. „Ihr könnt diesmal nicht mithelfen.”

Thomas setzte an, um ihr zu widersprechen, aber Lissianna hob die Hand. „Ihr könnt mehr helfen, indem ihr hierbleibt und herausfindet, was los ist. Ich rufe heute Abend an, um herauszufinden, was ihr erfahren habt.”

„Vielleicht solltest du erst mit ihnen reden und herausfinden, was los ist, Lissianna”, schlug Jeanne Louise vor. „Vielleicht brauchst du ihn gar nicht wegzubringen.”

„Wenn ich ihn jetzt mitnehme, bin ich nur ungehorsam gegen über Mom. Wenn ich erst mit ihnen gesprochen und erfahren habe, dass sie vorhaben, einen Rat der Drei einzusetzen oder so etwas Schreckliches, und ihn dann mitnehme, habe ich mich offiziell gegen den Rat gewandt.” Lissianna schüttelte den Kopf.

„Wie willst du ihn hier rauskriegen?”, fragte Thomas. „Sie bewachen doch die Autos.”

Lissianna trommelte kurz mit den Fingern auf dem Oberschenkel, dann hob sie ruckartig den Kopf und sagte: „Das Rad.”

Greg blinzelte überrascht. Er hatte kein Motorrad in der Garage bemerkt, aber es konnte ja wohl auch nicht in der Garage sein, die schließlich bewacht wurde.

„Und was ist mit uns?”, fragte Elspeth.

„Ihr müsst diesmal hierbleiben. Findet für mich heraus, was los ist, und ich rufe später an. Thomas, hast du dein Handy?”

„Ja.”

„Gut. Ich werde darauf anrufen.” Lissianna nahm Greg bei der Hand, und im selben Augenblick brach er die Rezitation ab was ihm einen scharfen Blick von ihr einbrachte. Er verdoppelte seine Anstrengungen, sich nur auf das zu konzentrieren, was er vortrug, als sie ihn durch das Zimmer führte. Greg schaute noch einmal zurück, als sie die Tür erreichten, und wünschte sich, er hätte das nicht getan, denn die Sorge und Angst, die in den Mienen derer standen, die zurückblieben, bestürzte ihn außerordentlich.

„Rezitiere im Kopf weiter”, wies Lissianna ihn an, als sie die Tür aufmachte. „Wir dürfen keinen Lärm machen.”

Greg klappte sofort den Mund zu und begann eine lautlose Rezitation, aber es fiel ihm auf diese Weise schwerer, nicht zu denken, als sie ihn in den Flur und eine Treppe am anderen Ende hinabführte. Er fragte sich voll Sorge, was sie alle so sehr fürchteten, und auch, wohin sie gingen und ob sie ihr Ziel tatsächlich unentdeckt erreichen würden. Und vor allem fragte er sich, was geschehen würde, wenn sie nicht dorthin gelangten, sondern entdeckt würden.

Die Treppe endete in einem dunklen Flur. Es fiel Greg schwer, irgendetwas zu erkennen, aber er verließ sich auf Lissianna und schlich auf Zehenspitzen hinter ihr her, bis sie vor einer Tür stehen blieb. Als sie diese einen Spalt öffnete, erkannte er, dass sie die Küche vor sich hatten. Zuerst glaubte er, der Raum sei leer, und fragte sich, warum Lissianna nicht hineinging, aber dann geriet ein kleiner, untersetzter älterer Mann in sein Blickfeld, der der Tür zur Garage zustrebte.

„Wohin gehst du?” Eine Frauenstimme mit einem leichten italienischen Akzent erklang vom anderen Ende des Raums.

„Lucian will, dass ich zusammen mit Martine die Autos bewache”, antwortete der Mann und hielt einen Moment inne, um sich Stiefel und einen Mantel anzuziehen, der an den Garderobenhaken neben der Tür hing. Greg nahm an, dass das Vittorio war, der Mann der Haushälterin.

„Warum?”

„Ich weiß es nicht”, sagte er achselzuckend. „Er sagte nur ,Helfen Sie Martine, die Autos zu bewachen, Vittorio. Niemand verlässt das Anwesen, wenn ich nicht meine Erlaubnis dazu gebe.’ Also halte ich die Augen offen.”

„Hm.” Maria klang besorgt. „Ich frage mich, um was es geht. Sie würden uns nicht so früh holen, wenn es keinen Ärger gäbe. Ich hoffe, Miss Lissi hat nicht.... ”

Greg hörte nicht, was sie hoffte, dass Miss Lissi nicht getan hatte, denn in diesem Augenblick machte Lissianna die Küchentür wieder zu. Dann führte sie ihn weiter den Flur hinunter zu einer anderen Tür. Diesmal wartete sie nicht, sondern ging direkt in den Raum und zog ihn hinter sich her. Greg hatte keine Ahnung, wo er sich jetzt befand. Es herrschte vollkommene Dunkelheit. Das ließ ihn zögern und Lissianna zurückhalten, als sie trotzdem vorwärtsstrebte, aber sie hatte seine Hand fest gepackt und zog ihn weiter.

Erst als sie zischte: „Rezitierst du noch?”, fiel ihm auf, dass er aufgehört hatte. Er biss die Zähne zusammen und fing sofort wieder bei „Hundert Mann auf des toten Mannes Kiste” an, weil er nicht sicher war, wo er aufgehört hatte.

Es schien, als gingen sie eine Ewigkeit durch die Dunkelheit, bis Lissianna schließlich stehen blieb. Im nächsten Augenblick gab es eine Art Rauschen, als sie die Vorhänge aufzog. Draußen herrschte immer noch graue Morgendämmerung, aber es war hel genug, dass er die Glastüren sehen konnte, die nach draußen führten.

Greg sah, dass Lissianna die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, dann erstarrten sie beide, als sie ein Knurren hörten, das gedämpft von der anderen Seite der Türen zu hören war. Sie brauchten einen Moment, um den riesigen schwarzen Hund draußen auf dem Rasen zu erkennen. Julius, nahm er an. Eindeutig kein Schoßhündchen.

Greg hörte Lissianna fluchen, dann schwieg sie, um zu überlegen. Als sie sich dann plötzlich zu ihm umdrehte, zuckte er zusammen.

„Warte hier. Ich gehe ans andere Ende des Raums und öffne dort die Tür. Wenn Julius dort hereinkommt, schlüpfst du durch diese Tür hier nach draußen, okay?”

Greg nickte.

„Rezitier weiter.” Lissianna huschte davon, war plötzlich mit den Schatten des Raumes verschmolzen, bis sie wieder auftauchte, um die Vorhänge am anderen Ende des Raums aufzuziehen. Greg nahm an, dass es auf der ganzen Seite Terrassentüren gab, was wohl hieß, dass sie sich in der Bibliothek befanden. Er war erst gestern hier gewesen. Über drei Wände zogen sich Regale hin, die bis an die Decke hoch reichten, und die Außenwand hatte diese verglasten Türen. Er erinnerte sich an einen warmen und freundlichen Raum am Nachmittag. Merkwürdig, wie ein wenig Dunkelheit die Dinge verändern konnte.

„Halte dich bereit.”

Greg hörte das Flüstern und griff nach der Türklinke. Sein Blick suchte und fand Julius’ dunkle Gestalt draußen. Er hörte das Geräusch, als die andere Tür geöffnet wurde, sah, dass der schwarze Kopf des Hundes in seine Richtung schnupperte, und schon lief das Tier los. Greg hätte beinahe aus Furcht sofort seine Tür geöffnet und wäre nach draußen getreten, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen, als ihm klar wurde, dass Julius es hören und vielleicht die Richtung wechseln würde, bevor er tatsächlich durch die andere hereingekommen war.

„Jetzt.” Das Flüstern kam von Lissianna, und einen Herzschlag später hatte Greg seine Tür geöffnet und war draußen. Er warf einen Blick nach der anderen Tür und sah, wie der Hund nach drinnen und an Lissianna vorbei in seine Richtung rannte. Noch während er seine Tür zuzog, sah er, wie Lissianna die ihre ebenfalls schloss. Damit war der Hund in der Bibliothek gefangen.

Sie war sofort wieder an seiner Seite. Greg hatte nicht einmal eine kleine Chance, darüber nachzudenken, wie sie sich so schnell hatte bewegen können, denn in der nächsten Sekunde hatte sie schon seine Hand ergriffen und zog ihn entlang der Rückseite des Hauses hinter sich her. Greg folgte ihr stolpernd und erinnerte sich erst kurze Zeit später wieder ans Rezitieren. Als sie die Hausecke erreicht hatten, zog sie ihn nach links mit sich. Er hatte keine Ahnung, wohin sie gingen, bis sich ein kleines Haus in der Dunkelheit vor ihnen abzeichnete. Greg nahm an, es war das Häuschen, in dem Vittorio und Maria wohnten, und zuerst vermutete er, sie würde ihn dorthin bringen, aber dann bog sie nach rechts ab und führte ihn stattdessen zu einem kleinen Schuppen.

Der Schuppen hatte ein Vorhängeschloss. Lissianna streckte die Hand aus, packte das Schloss und zog. Es gab ein Kreischen wie von Nägeln, die aus Holz gezogen werden, und während das Schloss fest geschlossen blieb, riss sie den Riegel einfach aus der Tür.

„Kein Schlüssel, wie?”, fragte er trocken, sowohl beeindruckt als auch ein bisschen neidisch auf so viel Kraft.

„Rezitiere”, befahl Lissianna, als sie das Metallstück zur Seite warf und die Schuppentür aufzog und er einen Rasenmäher, ein Fahrrad und diverse andere Dinge vor sich sah.

„.Hundert Mann auf des toten Mannes Kiste’”, rezitierte Greg stoisch, aber er dachte: Was zum Geier machen wir hier?

Lissianna beantwortete die Frage, indem sie das Fahrrad an der Lenkstange aus dem Schuppen zerrte.

„Was willst du denn mit dem Ding?”, fragte Greg verblüfft und folgte ihr um den Schuppen herum.

„Fliehen.”

„Auf einem Fahrrad?”, fragte er entsetzt.

„Wir müssen nur bis zur Straße kommen.”

„Aber.... auf einem Fahrrad?”

„Martine und Vittorio bewachen doch die Autos”, erinnerte sie ihn. „Mit Vittorio kann ich fertig werden, aber nicht mit Martine.”

„Ja, aber.... ” Als sie von einem Rad gesprochen hatte, hatte er automatisch an ein Motorrad gedacht. Aber dieses Ding hier war rosa, mit einem rosafarbenen und gelben Korb und rosa und gelben Plastikbändern, die aus den Handgriffen hingen.... es hatte sogar eine Klingel. Er konnte nicht begreifen, dass sie tatsächlich auf einem Fahrrad fliehen wollte, und sagte lahm: „Aber das ist ein Mädchenrad.”

„Ja, es ist ein Mädchenrad”, stimmte Lissianna gereizt zu. „Es gehört Marias Enkelin. Tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt, und wir müssen es auch nicht benutzen, wenn du glaubst, du bist schneller als Julius.”

Greg riss die Augen auf und warf einen erschrockenen Blick zurück zum Haupthaus. „Julius ist im Haus eingeschlossen.”

„Julius wird bellen wie verrückt. Jemand wird ihn hören, merken, dass wir geflohen sind, und ihn rauslassen. Wir haben vielleicht Glück, und sie hören ihn auf der Vorderseite des Hauses erst, wenn wir die Straße erreicht haben, aber wenn Maria immer noch in der Küche ist.... ” Sie hielt inne, als das Bellen eines Hundes plötzlich die Stille des frühen Morgens unterbrach. Es kam eindeutig aus der Umgebung der Bibliothek und eindeutig von draußen.

„Du kannst aufhören zu rezitieren”, sagte Lissianna finster. „Steig aufs Rad.”

Auf einem Fahrrad zu fliehen schien plötzlich gar keine so schlechte Idee mehr zu sein. Es war jedenfalls eindeutig besser, als von einem Hund in den Hintern gebissen zu werden, dachte er, als er versuchte aufzusteigen. Greg warf sein Bein mit mehr Enthusiasmus als Vorsicht über das Fahrrad und wurde recht deutlich daran erinnert, dass es sich um ein Mädchenrad handelte. Er war damit beschäftigt, den zu verfluchen, der Mädchenräder entworfen hatte, als Lissianna vor ihm aufstieg.

„Ich werde treten”, verkündete sie. „Leg die Arme um meine Taille.”

Greg hatte das gerade eben geschafft, als sie sich auch schon in Bewegung setzte und auf dem Rad die Auffahrt hinunterschlingerte. „Wann bist du denn das letzte Mal Fahrrad gefahren?”, fragte er misstrauisch, als sie vorwärtswackelten, mehr ihm Zickzack als geradeaus. Lissianna würdigte ihn keiner Antwort, sie trat heftig in die Pedale.

Greg warf einen nervösen Blick auf das Haus zurück, aus dem sie geflohen waren. In dem Meer aus Düsternis, das zwischen ihnen lag, konnte er nur ein paar beleuchtete Fenster erkennen, aber er wusste auch so, dass der Hund immer näher kam. Er brauchte ihn ja auch nicht zu sehen, denn das Bellen wurde jeden Augenblick lauter.

Er drehte sich wieder um und stellte erleichtert fest, dass Lissianna schneller geworden war, während er nach hinten gestarrt hatte. Das Rad wackelte nicht mehr, sie rasten mit höchstem Tempo dem Tor entgegen. Vielleicht konnten sie Julius wirklich entkommen, dachte er.... aber leider war der Hund nicht ihre einzige Sorge. „Werden sie uns denn nicht mit dem Auto verfolgen?”

„Doch.”

„Doch”, murmelte Greg. Das klang in seinen Ohren so, als spiele es keine große Rolle. Sie fuhren hier auf einem verdammten Fahrrad herum, und Lissianna machte sich keine Sorgen darüber, dass ein Haufen mächtiger Vampire sie in einem Auto jagen würde. Andererseits waren sie auf dem Rad tatsächlich ziemlich schnell, musste er zugeben. Lissiannas Beine waren offenbar ebenso stark wie ihre Hände, denn sie hatte das Fahrrad wirklich in Schwung gebracht.... und er glaubte inzwischen auch nicht mehr, dass Julius sie einholen würde. Tatsächlich war das Bellen leiser geworden. Aber, lieber Himmel, glaubte sie wirklich, sie könnte schneller sein als ein Auto?

„Wir müssen es nur bis zur Straße schaffen”, sagte Lissianna, und Greg erinnerte sich vage, dass sie das schon einmal gesagt hatte.

„Und wie geht es dann weiter?”, fragte Greg, aber sie antwortete nicht, und er ließ sie in Ruhe, damit sie sich aufs Treten konzentrieren konnte. Sein nervöser Blick kehrte gerade rechtzeitig zum Haus zurück, um zu sehen, dass die Garagentür sich öffnete.

„Sie kommen!”, rief er warnend.

Lissianna schaute nicht einmal zurück. Sie trat in die Pedale, so schnell sie konnte, und Greg konnte sehen, dass sie sich der Straße rasend schnell näherten. Er verrenkte seinen Hals, um gleichzeitig Marguerites kleinen roten Sportwagen, der gerade aus der Garage fuhr, und die näher kommende Straße im Auge zu behalten. Das Auto hatte schon die halbe Auffahrt zurückgelegt und wurde immer schneller, als Lissianna schließlich das Rad durch das Tor lenkte.

Bevor Greg fragen konnte „Und jetzt?”, schoss sie auf die Straße hinaus, direkt auf ein herankommendes Auto zu. Er rief eine Warnung, und Lissianna bremste offenbar. Greg hörte nur die Bremsen des Autos, das ihnen auswich, und erstaunlicherweise gelang es ihnen anzuhalten, ohne dass jemand herunterfiel, angefahren wurde oder gar überrollt worden wäre.

„Komm schon!” Lissianna war vom Rad gesprungen und rannte auf das Auto zu.

Greg zögerte keine Sekunde. Das Motorengeräusch von Marguerites Auto, das ihnen folgte, kam immer näher, also sprang er vom Rad, warf es mit Schwung in die Einfahrt, rannte hinter Lissianna her und hechtete hinter ihr auf den Rücksitz des Autos, das sie beinahe überfahren hätte.

„He! Sie können doch nicht.... ” Der picklige Teenager, der das Auto fuhr, brach jäh ab, drehte sich wieder nach vorne um und legte ruhig einen Gang ein.

„Was machst du denn da, Mann?”, fragte sein Kumpel auf dem Beifahrersitz erstaunt. Dann schrie er erschreckt auf, als sein Freund das Gaspedal durchtrat und das Auto die Straße hinunterschoss.

„Er hilft uns, unseren bösen Verfolgern zu entkommen”, versicherte Greg dem zweiten Jungen beruhigend und sah Lissianna dabei an. Sie starrte vor sich auf die Straße und konzentrierte sich so angestrengt, als führe sie selbst, und er nahm an, das war auch irgendwie der Fall, denn er zweifelte nicht daran, dass sie dem jugendlichen Fahrer ihren Willen aufgezwungen hatte genau wie ihre Mutter das bei ihm schon getan hatte.

Greg schaute durch das Rückfenster nach hinten, als das Auto weiterfuhr. Das Rad in die Einfahrt zu werfen hatte sich als kluger Einfall erwiesen. Der rote Sportwagen musste am Ende der Einfahrt anhalten, weil das Fahrrad sich unter ihm festgeklemmt hatte. Marguerite und Lucian stiegen gerade aus, um ihnen nachzusehen, zwei dunkle Gestalten im dunkelgrauen Dämmerlicht.

Lissianna kam aus der Damentoilette und schaute sich rasch in der Lebensmittelabeilung des Einkaufszentrums um, aber Greg war nirgendwo zu sehen.

Bei ihrer Flucht hatten sie weder ihre Handtasche noch seine Brieftasche mitgenommen, aber das war Lissianna erst eingefallen, als sie sich von den Jungen am Eaton Centre absetzen ließen. Ihre Hauptsorge galt bis dahin ihren fehlenden Mänteln, denn draußen war es kalt. Das Eaton Center lag direkt in der Stadtmitte. Es war ein riesiges, stets gut besuchtes Einkaufszentrum und außerdem mit unterirdischen Passagen verbunden, die insgesamt auf beinahe dreißig Kilometer Länge Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe mitten in Toronto miteinander verbanden. Hier brauchte man keinen Mantel, und man konnte dem Sonnenlicht leicht entkommen, wenn man auf den unteren Ebenen blieb. Es war der perfekte Ort für einen mantellosen Mann und eine Vampirin, die sich überlegen mussten, was sie als Nächstes tun sollten.

Ja, das Eaton Center und die unterirdische Einkaufsstadt waren wirklich ein idealer Ort für Vampire. Genau das machte es zu einem Problem für die Flüchtlinge. Denn Lissianna hatte unter den Ihren nicht wenige Bekannte, die hier arbeiteten, weil sie das auch tagsüber tun konnten gleichgültig, ob die Sonne schien oder nicht.

Aber es schien immer noch das Beste zu sein, ein sicherer Hafen, bis sie eine Lösung gefunden hatten. Nachdem sie lange darüber beratschlagt hatten, hatten Lissianna und Greg den ganzen Morgen damit verbracht, sich Geschäfte anzusehen, bis Greg besorgt bemerkt hatte, dass Lissianna erschöpft aussah. Fünf Minuten später hatte er sie zu den Tischen und Stühlen eines Fastfood-Restaurants gelenkt und sie gedrängt, sich hinzusetzen, aber Lissianna hatte einen Abstecher in die Damentoilette unternommen, um sich dort ein wenig Wasser zur Erfrischung ins Gesicht zu spritzen.

Die Wasserbehandlung hatte allerdings nichts gegen ihre Müdigkeit ausrichten können. Lissianna war zu erschöpft. Es war Nachmittag, und sie hatte den ganzen Tag nicht geschlafen. Nach mehreren Tagen von nur vier oder fünf Stunden Schlaf war es wirklich zu viel, jetzt auch noch stundenlang durchs Eaton Center zu laufen und zu versuchen, die Zeit totzuschlagen. Und sie hatte seit dem Morgen des Vortags nichts mehr gegessen. Thomas hatte sie zwar mit drei Beuteln Blut gefüttert, aber jetzt war alles wieder von ihrem Organismus verbraucht, und sie fing an, unter dem Mangel zu leiden. Sie brauchte Blut und Schlaf und wusste, dass sie beides wahrscheinlich noch eine ganze Weile nicht bekommen konnte.

Lissianna war nicht die Einzige, die ohne Nahrung auskommen musste. Greg hatte an diesem Tag auch noch nichts gegessen. Ein Pfiff lenkte ihre Aufmerksamkeit nun zu den Tischen, und sie war erleichtert, Greg zu sehen.

„Ich dachte schon, ich hätte dich verloren”, gab Lissianna zu, als sie sich ihm gegenüber hinsetzte, dann unterbrach sie sieh und starrte ein Tablett mit Essen an, das zwischen ihnen stand. „Woher hast du das? Ich dachte, du hättest kein Geld dabei.”

„Habe ich auch nicht, aber mein Büro ist nicht weit von hier entfernt, und ich bin Stammkunde in dem kleinen Deli dort drüben.” Er zeigte auf ein kleines Geschäft, dann fuhr er fort. „Die Besitzer sind ein nettes altes Paar. Wirklich nett. Und weil sie mich kennen, haben sie mir das Essen auf Kredit überlassen. Sie schicken die Rechnung an mein Büro. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen wenigstens den Lieferantenaufschlag dazurechnen. Es sind wirklich anständige Leute.”

„Oh.” Lissianna sah zu, wie er Suppe, ein Sandwich und ein Getränk vor sie hinstellte.

„Iss”, befahl er, als er das Tablett mit seiner eigenen Suppe, dem Sandwich und dem Getränk wieder zu sich hinzog.

„Ich esse nicht”, sagte sie ausdruckslos.

„Lissianna. Ich kann dir kein Blut verschaffen, aber zu essen wird dir helfen, Blut aufzubauen. Es könnte gut für dich sein.”

Sie verzog unwillig das Gesicht, nahm aber den Löffel, denn er ihr hinhielt, und tauchte ihn in die Flüssigkeit, um zu kosten. Da sie an Vater Josephs Suppe denken musste, war sie sehr vorsichtig, aber sie wurde angenehm überrascht. Es schmeckte gut.

„Was ist das?”, fragte sie.

„Blumenkohl-Käsecremesuppe.” Greg zog eine Braue hoch.

„Was dachtest du denn?”

„Es schmeckt gut”, gab sie zu. „Ich glaube nicht, dass ich so etwas schon jemals zuvor gegessen habe.” Er lächelte, konzentrierte sich aber dann auf seine eigene Mahlzeit. Nach ein paar Löffeln Suppe versuchte Lissianna das Sandwich und fand es ebenfalls schmackhaft. „Rauchfleisch aus Montreal mit Senf auf Roggenbrot”, erklärte Greg, bevor sie fragen konnte, was auf dem Sandwich war.

„Es schmeckt ebenfalls gut”, gab sie zu, und dann aßen sie beide schweigend weiter. Lissianna war lange vor ihm fertig. Nach Jahren flüssiger Diät hatte sie einfach nicht viel Platz im Magen.

Sie konnte kaum die Hälfte ihrer Suppe essen und weniger als ein halbes Sandwich. Was sie nicht aß, erledigte Greg für sie. Aber überraschenderweise fühlte sie sich mit vollem Magen ein wenig besser. Jedenfalls war sie wacher, als sie die Reste von dem Tablett in eine Mülltonne taten und es dann auf den Tablettstapel stellten. Sie wanderten noch eine Weile in der unterirdischen Einkaufsstadt herum und landeten schließlich in der Möbelabteilung eines Kaufhauses.

„Das da ist so ziemlich die hässlichste Couch, die ich je gesehen habe.” Lissianna kicherte über Gregs erschütterte Miene, woraufhin er fragend die Brauen hochzog. „Bist du nicht dieser Ansicht?”

„O doch. Sie ist wirklich hässlich”, versicherte sie ihm. „Ich finde es nur amüsant, dass wir einen ganz ähnlichen Geschmack haben.”

Er lächelte. „Ich weiß. Zuerst dachte ich, dass du nur zustimmst, um freundlich zu sein.”

Lissianna zog die Brauen hoch, und dann sagte sie: „Ich bin nicht Meredith.”

„Ich weiß”, sagte Greg entschuldigend. „Ich habe vorhin eine Weile nichts gesagt, um dich nicht zu beeinflussen, aber das war gar nicht nötig. Du mochtest tatsächlich die gleichen Dinge wie ich oder fandest die gleichen scheußlich. Ich glaube, wir haben einfach denselben Geschmack.”

„Klassisch”, murmelte Lissianna, und als er eine Braue hochzog, erklärte sie: „Es sind zeitlose Klassiker. Klare Farben und zeitloser Still statt Muster und Stile, die nach einer Weile zeigen, wie alt sie sind. Außerdem mag ich bequeme, dick gepolsterte Möbel.”

Greg grinste und nickte. „Klassisch. Ich hätte nicht gewusst, wie ich es bezeichnen sollte, aber genau das gefällt mir ebenfalls.”

Sein Blick wurde auf einmal abgelenkt. Er zog eine kleine Grimasse, nahm ihren Arm und zog sie schnell weiter. „Tollwütiger Verkäufer im Anmarsch.”

„Tollwütig?”, fragte sie amüsiert.

„Das sind sie doch alle, oder nicht?”, erwiderter er trocken, als sie auf eine Rolltreppe entkommen wollten. „Der hier scheint noch ein bisschen eifriger zu sein als die meisten anderen.”

Lissianna warf einen Blick zurück, als sie die Rolltreppe erreichten, und spürte, wie sie erstarrte, als sie den Mann im dunklen Anzug sah, der immer noch hinter ihnen herstürmte. „Was ist denn?”, fragte Greg und schaute ebenfalls zurück.

„Das ist kein Verkäufer”, keuchte Lissianna, dann nahm sie seine Hand, fing an, die Stufen hinunterzuhetzen, und entschuldigte sich, wenn sie mit anderen Kunden zusammenstieß. Greg widersprach nicht und stellte keine Fragen. Er packte ihre Hand fester, folgte ihr und fügte seine eigenen Entschuldigungen den ihren hinzu, während sie sich die Rolltreppe hinunterkämpften. Als sie unten angekommen waren, blieb Lissianna nicht stehen, um zurückzuschalten, sondern eilte gleich weiter zum Ausgang.

„Er folgt uns immer noch”, sagte Greg, als sie sich durch die Menschenmengen fädelten, die durch das Einkaufszentrum schlenderten. Lissianna wollte noch schneller vorwärtskommen und gab nun Leuten vor ihnen ein, ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Tatsache, dass sie daran nicht gleich gedacht hatte, konnte nur ein weiteres Indiz dafür sein, wie erschöpft sie war. „Was machen wir denn jetzt?”, fragte Greg einige Zeit später, als Lissianna plötzlich in ein großes Kino schoss und ihn hinter sich herzog.

Lissianna wollte keine Energie darauf verschwenden, etwas zu erklären. Ihr Geist war vollkommen damit beschäftigt, die Kartenkontrolleure zu ihren Gunsten zu beeinflussen, als sie Greg an ihnen vorbeiführte. Es liefen gerade mehrere Filme gleichzeitig, und sie las in den Gefühlen der Zuschauer, als sie an den einzelnen Türen vorbeikamen. Sie blieb abrupt stehen, als eine Welle sich aufbauender Angst aus den Türen von Saal 3 auf sie zuschwappte. Greg folgte ihr ohne Kommentar, als sie hineinging, und wartete, bis sie saßen.

„Ein Film?”, fragte er dann ungläubig, als sie tief in ihre Sessel sanken.

„Ein Gruselfilm”, verbesserte Lissianna ihn und warf einen Blick zurück zur Tür. „Ihre Angst wird unsere überdecken. Ich habe dir doch gesagt, Angst strahlt intensiv aus, und er würde nur unserer Angst folgen müssen. Aber da alle hier drin auf den Film gleich reagieren, hoffe ich, er wird einfach an uns vorbeigehen.”

„Aha.” Greg schaute ebenfalls zurück zur Tür, dann fragte er: „Wer ist er denn?”

„Valerian. Ein Unsterblicher.”

„Vetter? Bruder? Wie ist er denn mit dir verwandt?”, fragte Greg Lissianna warf ihm einen überraschten Blick zu. „Überhaupt nicht. Wir sind nicht alle miteinander verwandt, Greg.”

„Ach so.” Er zuckte die Achseln. „Nun ja, ich hatte angenommen, dass alle Vampire in Toronto miteinander verwandt seien.”

Lissianna schüttelte den Kopf. Dann sagte sie: „Toronto ist sehr beliebt bei uns.”

Greg brauchte eine Weile, um zu verstehen, was sie meinte, dann sagte er: „Ich nehme an, es ist diese unterirdische Einkaufsstadt. Sie macht Toronto für Vampire natürlich sehr attraktiv. Sie können sich dort auch tagsüber aufhalten und.... ”

„Was glaubst du denn wohl, wer angeregt hat, dass diese unterirdische Stadt gebaut wurde?”, fragte sie. „In Montreal gibt es etwas Ähnliches. Auch dort wirst du viele von uns finden.”

„Ach was!” Greg lehnte sich erstaunt zurück. „Wie viele von euch gibt es denn?”

Lissianna zuckte die Achseln und hörte auf, die Tür des Kinosaals im Auge zu behalten, denn sie war ziemlich sicher, dass sie Valerian abgehängt hatten. „Das weiß ich nicht genau.”

„Mehr als tausend?”, fragte Greg. Lissianna öffnete den Mund, um zu antworten, dann zuckte sie zusammen und starrte scharf auf die Filmleinwand, als ein Stöhnen durch die Zuschauer ging und mehrere Leute sogar aufschrien. „Es ist ein Vampirfilm”, sagte Greg amüsiert. „Die Zwillinge wären schon bei dem Gedanken an einen solchen Film verärgert.”

„Ja”, stimmte Lissianna zu, dann runzelte sie die Stirn, als er es sich bequemer machte. „Willst du nicht gehen?”

„Wohin denn?”, fragte Greg. „Wir können doch jetzt noch nicht zu deiner Freundin gehen.... ”

„Debbie”, sagte Lissianna. Debbie, ihre Kollegin aus dem Heim war die einzige Person, die sie um Hilfe bitten konnte. Es widerstrebte ihr zwar, sie in diese Sache hineinzuziehen, aber sonst war ihr niemand eingefallen. Greg hatte vorgeschlagen, sie sollten zu seiner Schwester gehen, aber das hatte sie sofort zurückgewiesen. Niemand aus seiner Familie kam in Frage; das würden die ersten Orte sein, an denen ihre Mutter und ihr Onkel nachsehen würden. Ebenso wie ihre eigene Familie und ihre Freunde.... zumindest ihre Vampirfreunde.

Debbie schien als Einzige in Frage zu kommen. Sie war ihre Kollegin, und sie mochten einander, aber sie standen sich nicht so nahe, dass sie miteinander ausgingen oder sich in einer Notsituation aneinander wendeten.... jedenfalls bisher noch nicht. Debbie arbeitete in der Nachtschicht, so wie Lissianna selbst, und Lissianna wusste, dass sie am Tag schlief. Sie hoffte, sie würde um vier am Nachmittag wach sein.

„Wir können noch lange nicht zu Debbie gehen.” Er zuckte die Achseln. „Also können wir genauso gut bleiben und uns hier entspannen. So werden wir wenigstens eine Stunde oder so totschlagen. Und du kannst ein bisschen schlafen.”

Es würde sie auch von anderen Vampiren fernhalten, denen sie sonst vielleicht begegnen würden, erkannte Lissianna und lehnte sich beruhigt zurück.