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Lissianas Zähne zogen sich zurück, sie hob den Kopf von Greg Hewitts Hals und schaute schuldbewusst über die Schulter. Der Anblick von Thomas und ihrer Mutter, die sie ungläubig von der Tür her anstarrten, genügte. Im Nu war sie aufgestanden und brachte eilig Kleidung und Haar in Ordnung.
„Ich traue meinen Augen nicht!” Marguerite stampfte in den Raum. „Schleichst hier herein und packst die Geschenke schon vor deinem Geburtstag aus, als wärst du zwölf und nicht zweihundert. Was hast du dir nur dabei gedacht?”
„Na ja, technisch gesehen hat sie bereits Geburtstag, Tante Marguerite”, hob Thomas hervor, als er die Tür schloss.
Lissianna warf ihrem Vetter ein dankbares Lächeln zu, sagte aber: „Ich habe nicht herumgeschnüffelt. Ich bin nur hier, weil ich mir neue Strümpfe holen wollte.” Sie hob sie wie zum Beweis vom Bett hoch und fügte hinzu: „Und ich habe ihn nicht ausgepackt.”
Marguerite schaute demonstrativ zu Boden.
Nachdem sie dem Blick ihrer Mutter gefolgt war und die Schleife gesehen hatte, die dort lag, verzog Lissianna ertappt das Gesicht und gab zu: „Na gut, ich habe ihn ausgepackt, aber nur, weil er aufgeregt war und ich ihn nicht einfach so zurücklassen wollte.” Sie hielt inne, dann blickte sie sie forschend an und sagte:
„Ich nehme an, Bastiens frühes Eintreffen hat dich unterbrochen, bevor du ihn vollständig beeinflussen konntest. Er war aufgeregt, weil er dachte, er sei entführt worden, und wollte, dass ich ihn losbinde, als ich hereinkam.”
„Ich habe ihn nicht entführt”, verkündete Marguerite beleidigt, dann spähte sie an Lissianna vorbei zu Dr. Gregory Hewitt und sagte: „Ich habe Sie nicht entführt, ich habe Sie nur ausgeliehen.”
Und an Lissianna gerichtet führte sie aus: „Und ich habe ihm selbstverständlich die vol ständige Behandlung angedeihen lassen.”
„Ach wirklich?” Lissianna zog überrascht die Brauen hoch und sah von ihrer Mutter zu dem Mann auf ihrem Bett. „Es scheint aber nicht funktioniert zu haben.”
Marguerite seufzte, und ihre Anspannung ließ ein wenig nach.
„Ja, es sieht ganz so aus, als habe er einen starken Willen.”
Lissianna nickte. „Das habe ich bemerkt. Ich konnte nicht in seinen Kopf gelangen, um ihn zu beruhigen. Überhaupt nicht.
Deshalb habe ich mich von ihm genährt. Ich dachte, es würde mir erlauben, meinen Geist mit dem seinen zu verschmelzen und auf diese Weise auf ihn einzuwirken”, erklärte sie.
„Das scheint gut funktioniert zu haben”, stellte Thomas amüsiert fest. „Obwohl ich ihn nicht unbedingt als beruhigt bezeichnen würde.”
Lissianna folgte seinem Blick zur Lendengegend des Mannes, wo eine Erektion die Anzughose nach oben drückte. Während sie hinschauten, wurde das Zelt seiner Hose langsam kleiner.
„Keine Gurke”, bemerkte Thomas unbekümmert, und Lissianna musste sich auf die Lippen beißen, um ein nervöses Kichern zu unterdrücken.
Sie räusperte sich und murmelte: „Es tut mir leid, Mutter. Ich wollte das Geburtstagsdiner nicht verderben, das du vorbereitet hattest. Und das habe ich auch nicht getan. Ich meine, er ist vielleicht keine Überraschung mehr, aber ich hatte wirklich nicht mehr als einen schnellen Bissen. Ein kleines Bisschen, nicht mehr.
Ich könnte noch erheblich mehr vertragen.” Ihr hungriger Blick glitt zu dem Mann im Bett, und ihr ganzer Körper kribbelte bei dem Gedanken, sich wieder von ihm zu nähren.
„Er ist nicht dein Geburtstagsmahl.”
Widerstrebend hörte Lissianna auf, ihr Geburtstagsgeschenk anzustarren, und wandte sich verwirrt ihrer Mutter zu. „Bitte?”
„Er ist nicht dein Geburtstagsessen”, wiederholte sie. „Ich habe chinesisches Essen für dich bestellt. Der Lieferant müsste jeden Augenblick hier sein.”
„Oh.” Sie konnte nicht verbergen, wie enttäuscht sie war.
Lissianna mochte Chinesisch, aber es hielt nie lange vor. Eine Stunde danach hatte sie jedes Mal schon wieder Hunger.
Gregory Hewitt dagegen war robust und wohlschmeckend, er war sättigend und befriedigend, ein nahrhafter Eintopf, verglichen mit Dwaynes verwässerter Brühe. Er war auch auf eine Weise ein Vergnügen gewesen, das sie nicht erwartet hätte. An diesem Abend hatte Lissianna etwas von der Erregung verspürt, die ihre Spender üblicherweise empfanden und auf sie übertrugen, wenn sie sich von ihnen nährte. Diesmal war es ihr nicht gelungen, distanziert und beobachtend zu bleiben. Bei ihrer Anstrengung, ihn zu verführen, hatte sie sich offensichtlich auch selbst verführt....
Oder vielleicht hat er gar das Verführen übernommen, dachte sie und erinnerte sich an seine Lippen, als er ihren Finger in den Mund gesogen hatte.
Nicht, dass viel Verführung notwendig gewesen wäre. Er war eindeutig der faszinierendste Mann, dem sie je begegnet war, und das wollte etwas heißen. Lissianna war in ihren zweihundert Jahren vielen Männern begegnet, und einige davon waren äußerlich noch wesentlich attraktiver gewesen, hatten sie aber dennoch kaltgelassen. Dieser hier hatte jedoch etwas an sich, das sie wirklich ansprach.... und er roch auch so gut. Und diese wenigen Momente, in denen ihre Gedanken sich vermischt hatten....
Lissianna hatte nicht ernsthaft versucht, seine Gedanken zu lesen oder zu beeinflussen, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte.
Sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, den Augenblick zu genießen, aber aus der kurzen Verbindung hatte sie eine Art Abdruck seines Geistes gewonnen. Es war eine Mischung aus allem: Verwirrung, Begierde, Intelligenz und eine Ehrlichkeit und ein Charakter, die ihr gefielen.
Lissianna war sich des Schweigens bewusst, das sich über den Raum gesenkt hatte. Der Mann, der im Augenblick ihre Gedanken beschäftigte, lag auf dem Bett und starrte sie in Stiller Faszination an. Lissiana fühlte sich sehr geschmeichelt. Ihre Mutter und ihr Vetter jedoch starrten sie ebenfalls mit konzentrierter Aufmerksamkeit an, und da hatte sie das eher unangenehme Gefühl, dass es weniger schmeichelhaft war. Sie hatte ihre Gedanken nicht geschützt, erkannte sie verärgert, und zweifellos waren die beiden gerade in ihr Nachdenken über die Ekstase eingedrungen, die sie mit Greg Hewitt erlebt hatte.
„Also gut”, sagte Lissianna abrupt und wollte ihre Mutter so schnell wie möglich von den Gedanken ablenken, die ihr durch den Kopf gegangen waren.
Thomas unterstützte sie, indem er fragte: „Wenn er nicht ihr Geburtstags mahl ist, was ist er denn dann?”
„Warten Sie Geburtstagsmahl?”, krächzte Greg. Er starrte sie alle ziemlich entsetzt an. Offenbar hatte er das Gespräch, das sie zuvor geführt hatten, nicht so recht begriffen. Jetzt war er wieder vollkommen erschüttert. Sie hätte sich gerne die Zeit genommen ihn zu beruhigen, aber als ihre Mutter dann wieder zu sprechen anfing, vergaß sie ihr Vorhaben.
„Er ist dein Geburtstagsgeschenk, aber keine Mahlzeit.” Als Lissianna sie verständnislos ansah, seufzte sie und kam näher zu ihr, um ihre Hand zu ergreifen. „Es sollte ein Überraschungsgeschenk auf der Party sein, aber da du dein Geschenk schon ausgepackt hast, kann ich es ebenso gut gleich erklären. Meine Liebe, das hier ist Dr. Gregory Hewitt. Er ist ein Psychologe, der sich auf Phobien spezialisiert hat, und ich habe ihn hierher gebracht, damit er dich heilt. Herzlichen Glückwunsch!”
Dr. Gregory Hewitt ist also Psychologe, dachte Lissianna langsam. Sie hatte nicht daran gedacht zu fragen, welche Art Doktor er denn war, als sie sich nach seinem Namen erkundigt und er, Dr. Gregory Hewitt’ gesagt hatte.
„Oh”, murmelte sie schließlich, dann blickte sie überrascht zu Greg, als er ihr „Oh” in ähnlich enttäuschtem Ton wiederholte. Es machte sie neugierig. Ihre eigene Enttäuschung hatte damit zu tun, dass sie lieber an ihm knabbern als mit etwas so Unangenehmem wie ihrer Phobie zu tun haben wollte, und es sah so aus, als glichen seine Gedanken den ihren.
Greg seufzte innerlich. Er nahm an, er hätte von der Ankündigung der Brünetten nicht enttäuscht sein soll en. Er musste eigentlich froh sein, dass er kein Sexsklave sein würde oder.... das Geburtstagsmahl? Er versuche immer noch, einen Sinn hinter alldem zu erkennen. Lissianna, wie die Brünette die Blonde immer wieder nannte, hatte geglaubt, er sei ihr Geburtstagsmahl? Er? Eine Mahlzeit? Das war überhaupt nicht komisch. Schon die Vorstellung reichte völlig aus, um seinen Verstand wieder auf Hochtouren arbeiten zu lassen. Geburtstagsfestmahl? Waren sie Kannibalen?
Guter Gott, sie hatte ja tatsächlich an seinem Hals geknabbert, nachdem sie ihn geküsst hatte, aber doch nur ein wenig. Und dann hatte sie einfach gesaugt und ihm zweifellos einen riesigen Knutschfleck verpasst; er würde ihn mindestens eine Woche lang verstecken müssen. Greg war sich jedoch nicht ganz sicher mit dem Knutschfleck, denn er hatte nur einmal zuvor einen gehabt, als Teenager. Doch jetzt hätte er nichts dagegen, die Blonde an seinem Hals saugen zu lassen, so viel sie wollte, oder an jedem anderen Teil seines Körpers, den sie mochte.
Geburtstagsessen zu sein klang jedoch nicht ganz so erfreulich.
Lieber Himmel, nur er konnte so dumm sein, in den Kofferraum einer Kannibalin zu klettern. Er hätte das SexsklavenSzenario vorgezogen. Es klang erheblich erfreulicher.
Greg verdrehte die Augen und musste innerlich den Kopf über seine eigenen Gedanken schütteln. Er hörte sich an wie ein Mann, der unbedingt flachgelegt werden wollte. Tatsächlich war das nicht so sehr weit von der Wahrheit entfernt. Trotz der ganzen Verkuppelungsversuche seiner Familie hatte er beinahe ein Jahr keinen Sex mehr gehabt. Während die Frauen, mit denen seine Familie ihn bekannt machte, alle hübsch und nett waren, hatte keine bei ihm großes Interesse wecken können, jedenfalls nicht genug, um ihn lange genug von seiner Arbeit abzulenken.
Das hatte Greg keine großen Sorgen bereitet; er hatte trotzdem ein erfülltes und arbeitsames Leben. Er sagte sich immer, wenn er einmal eine Frau ebenso faszinierend wie seine Karriere finden würde, würde er wissen, dass sie die Richtige war. Inzwischen fuhr seine Familie, nie die Hoffnung verlierend, damit fort, ihn mit jeder alleinstehenden Frau zusammenzubringen, die sie kannte.
Doch Greg vermied es, mit ihnen zu schlafen, damit es keine unangenehmen Verwicklungen mit Freunden der Familie gab, die jemand ihm übelnehmen konnte. Und das wiederum bedeutete, dass er darauf beschränkt war, sich sexuell mit Frauen abzugeben, die er kennenlernte, wenn er nicht Freundinnen der Familie zum Essen oder zu Veranstaltungen begleitete.
Das letzte Mal, als Greg eine solche Verabredung gelungen war, hatte er sich mit einer Psychiaterin aus British Columbia getroffen, der er im Winter zuvor auf einer Fachkonferenz begegnet war. Er hatte mit ihr nach einem Vortrag in einer Bar etwas getrunken, und als er sie zu ihrem Zimmer zurückgebracht hatte, hatte sie ihn eingeladen hereinzukommen und sehr höflich und klinisch einwandfrei mit ihm geschlafen. Es war kalt, funktionell und schrecklich langweilig gewesen.... irgendwie, wie wenn man einen Abflussreiniger benutzt. Das Notwendige war passiert, Angestautes gelöst, aber man behielt einen schlechten Geschmack im Mund. Greg war sich relativ sicher, dass diese Blonde keinen schlechten Geschmack in seinem Mund zurücklassen würde. Er war auch sicher, dass sie erheblich mehr tun würde, als seine Rohre zu reinigen.
„Du hast ihn hergebracht, um meine Phobie zu behandeln?”
Greg warf der Blonden einen Blick zu, als sie diese Frage stellte, und bemerkte zum ersten Mal, dass auch sie eher enttäuscht über die Worte ihrer Mutter war.
„Ja, Liebes.”
„Er ist nicht....”
„Nein”, unterbrach die Brünette sie entschlossen, dann wirkte sie ein wenig verärgert, weil die Blonde sich offensichtlich nicht für ihr Geschenk begeistern konnte. „Liebes, das ist eine gute Sache. Ich dachte, du würdest dich freuen. Ich war so überzeugt davon, dass es eine wunderbare Idee ist. Wenn er deine Phobie geheilt hat, kannst du ein ganz normales Leben führen. Eines, bei dem du nachts keine Infusionen brauchst oder das Risiko eingehst, zwei oder dreimal die Woche betrunken nach Hause zu torkeln.”
Greg schaute ratlos von einer zur anderen und versuchte sich vorzustellen, welche Art von Phobie dazu führen würde, dass sich jemand betrank.
„Also”, die Brünette lächelte ihn strahlend an, „dann tun Sie es.”
Greg starrte sie verständnislos an. „Wie bitte?”
„Heilen Sie meine Lissianna von ihrer Phobie”, sagte sie geduldig.
Greg wandte sich von dem erwartungsvollen Ausdruck in diesen alten, weisen Augen ab und sah in die leuchtenden Augen der Tochter. Sie waren so blau und klar wie ein wolkenloser Himmel, aber sie hatten den gleichen metallischen Silberschimmer wie die ihrer Mutter. Hübsch, dachte Greg und wünschte sich nur, dieser wäre nicht das Ergebnis von Kontaktlinsen.
„Es sind keine Kontaktlinsen”, erklärte die Brünette plötzlich, und Greg zuckte zusammen. Hatte sie seine Gedanken gelesen?
„Was sind keine Kontaktlinsen?”, fragte die Blonde und schaute verwirrt von ihm zu ihrer Mutter.
„Deine Augen, Liebes”, erklärte die Brünette, dann sagte sie zu Greg: „Entgegen Ihrer Vermutung von vorhin ist unsere Augenfarbe natürlich. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt Kontaktlinsen von der Farbe unserer Augen gibt.... ob es sie schon gibt”, fügte sie trocken hinzu.
„Natürlich”, murmelte Greg fasziniert und starrte die schimmernden silbrigblauen Augen der Tochter an, dann erst begriff er langsam ihre Worte: Entgegen Ihrer Vermutung von vorhin? Sie bezog sich doch wohl nicht auf seine Gedanken im Fahrstuhl?
Die Brünette nickte. „Doch, im Fahrstuhl.”
„Du kannst seine Gedanken lesen?” Lissianna klang eher verärgert als überrascht, bemerkte er, und dann erinnerte er sich daran, dass er sie für verrückt gehalten hatte, als sie sich beschwerte, sie könne seine Gedanken nicht lesen. Greg wusste nicht mehr, ob er schlief und das alles hier nur träumte, langsam den Verstand verlor und es sich um Fantasien handelte, oder ob er wach und vernünftig war und die Frau tatsächlich seine Gedanken las. Doch es war noch schlimmer, denn er konnte sich nicht entscheiden, welche Version er vorziehen würde. Er wollte nicht schlafen, denn das würde bedeuten, dass Lissianna nichts weiter als eine geträumte Fantasie war, und er war überhaupt nicht erfreut über den Gedanken, sie niemals außerhalb dieser Träume zu sehen. Den Verstand zu verlieren war als Alternative nicht viel besser, aber der Gedanke, dass die Brünette seine Gedanken lesen konnte, war ein bisschen beunruhigend.... vor allem, da sein Kopf vol mit lüsternen Gedanken über ihre Tochter war.
„Nun, wie lautet Ihre Antwort?”, fragte die Brünette.
Ob er nun träumte oder nicht, er musste offensichtlich mitspielen. Greg schüttelte den Kopf. „Ma’am, eine Phobie zu heilen ist nicht so einfach, wie eine Tablette zu schlucken. Es braucht Zeit”, informierte er sie, dann fragte er ein bisschen weniger geduldig: „Könnten Sie mich, bitte, losbinden?”
„So stand es aber nicht in diesem Beitrag”, erwiderte die Brünette und ignorierte seine Bitte. „In der Zeitschrift hat man Sie zitiert. Sie hatten behauptet, dass die neuen Behandlungsweisen extrem wirkungsvoll seien und die meisten Phobien mit nur wenigen Sitzungen geheilt werden könnten, einige sogar in nur einer.”
Greg atmete in einem langsamen Seufzen aus, denn jetzt verstand er, wieso er hier war. Die Brünette hatte offenbar das Interview gelesen, das er einer Zeitschrift gegeben hatte, einen Artikel über Phobien. Er war am vergangenen Wochenende erschienen.
„Das stimmt, einige Phobien lassen sich wirklich leicht behandeln”, begann er und versuchte ruhig zu bleiben und.... nun ja.... geduldig, aber die ganze Situation war einfach zu bizarr. Er war an ein Bett gefesselt, und diese drei standen da und verhielten sich, als wäre das vollkommen normal. Herrje! Greg konnte nicht anders, er wurde ein wenig laut.
„Wissen Sie, die meisten Leute lassen sich einen Termin geben, um sich von mir behandeln zu lassen”, sagte er bissig, dann versuchte er es mit Vernunft. „Und ich fliege morgen nach Mexiko in Urlaub und habe vorher noch einiges zu erledigen. Ich wüsste es wirklich zu schätzen, wenn Sie mich losbinden und gehen lassen würden. Ich habe keine Zeit für solche Spielchen.”
Die darauf einsetzende Stille wurde gleich darauf von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Eine junge Frau streckte den Kopf herein und sah sich um. Sie war ebenfalls brünett, ihr Gesicht herzförmig und hübsch. Sie warf einen neugierigen Blick auf Greg, dann konzentrierte sie sich auf die Mutter. „Onkel Lucian ist angekommen, Tante Marguerite.”
„Oh. Danke, Jeanne Louise.” Die Mutter, Marguerite, begann sofort, Lissianna und Thomas auf die Tür zuzuscheuchen, und sagte: „Um diese Angelegenheit hier kümmern wir uns später. Wir dürfen niemanden warten lassen. Jeanne, ist Etienne schon aufgetaucht?”
„Ja. Er kam gerade, als ich nach oben gehen wollte.” Die Frau öffnete die Tür weiter, damit die anderen das Zimmer verlassen konnten. „Das chinesische Essen ist ebenfalls da. Ich habe den Lieferantenjungen in die Speisekammer gesteckt, bis du so weit bist. Du solltest ihn vielleicht nicht zu lange dort lassen.”
„Nein. Wir gehen jetzt runter zur Party, und ich werde mich um alles Weitere kümmern”, verkündete Marguerite, als sie Lissianna und Thomas nach draußen in die Halle folgte. „Lissianna kann ihre anderen Geschenke später aufmachen und.... ” Die Tür fiel hinter der Frau und dem Rest ihres Satzes zu.
Greg starrte sie erstaunt an und konnte nicht fassen, dass sie ihn hier einfach so liegen ließen, ans Bett gefesselt. Es war der schiere Wahnsinn. Verrückt.
Seine Gedanken überschlugen sich, und Greg schloss die Augen und versuchte herauszufinden, was hier los war und was er dagegen tun konnte. Obwohl er selbst daran beteiligt gewesen war, hierher zu kommen, fing er langsam an, sich als Entführungsopfer zu betrachten. Aber man verlangte kein Lösegeld für ihn, und er war auch nicht der Geburtstagsfestschmaus. Das war wirklich ein Segen, beruhigte er sich. Oder schien es vielleicht nur so?
Er riss sich zusammen. Er war hier, um eine Phobie zu behandeln. Eigentlich, dachte Greg, müsste die ganze Familie behandelt werden.... und nicht aus Phobiegründen. Aber gut. Sie wollten, dass er eine Phobie behandelte, und er wollte freigelassen werden. Daraus ließ sich doch sicher ein Handel machen. Er würde zustimmen, die reizende Lissianna zu behandeln, und ihnen versprechen, sie nicht bei der Polizei anzuzeigen, wenn sie ihn freiließen. Dann würde er direkt zum nächsten Polizeirevier gehen.
Oder vielleicht auch nicht.
Greg war ein wenig durcheinander, was diese Frage anging. Ein Teil von ihm war verärgert und wollte zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten, dass man ihn gegen seinen Willen festgehalten hatte und so weiter. Aber wenn Lissianna jetzt zurück ins Zimmer geschlüpft wäre, um ihn zu küssen und zu streicheln, wie sie es gerade eben getan hatte, glaubte er, er würde einen großen Teil seines Ärgers vergessen können. Greg nahm an, viel davon war ohnehin nichts als gute alte sexuelle Frustration. Ohne diese Frustration würde er über die Ereignisse des Abends vielleicht nur verwirrt sein. Außerdem konnte er nicht zur Polizei gehen. Was könnte er ihnen schon erzählen?
„Hallo, mein Name ist Dr. Hewitt, und heute Abend bin ich in einen fremden Kofferraum gestiegen, ganz freiwillig, und habe mich selbst eingeschlossen, um eine Fahrt zu einem fremden Haus anzutreten. Dann bin ich wieder ausgestiegen und habe das Haus freiwillig betreten, bin nach oben gegangen und habe mich hingelegt und ans Bett fesseln lassen. Aber dann haben sie mich nicht freigelassen, als ich sie darum bat, und jetzt möchte ich sie anzeigen.”
O ja, das würde sicher gut ankommen, dachte Greg trocken.
Er würde auf dem Revier nur ausgelacht werden. Außerdem wollte er wirklich nicht, dass diese Leute Ärger bekamen. Na ja, zumindest wollte er nicht, dass Lissianna Ärger bekam.
Greg fuhr sich mit der Zunge leicht über die Lippen, als er sich erinnerte, wie sie sich angefühlt und geschmeckt hatte. Es war wunderbar gewesen, als sie sich an ihn geschmiegt hatte, und sie hatte diese kleinen erotischen, beglückten Geräusche von sich gegeben, als sie sich geküsst hatten. Wenn seine Hände nicht gefesselt gewesen wären, hätte er sie unter sich gerollt, ihr jedes Fitzelchen Kleidung ausgezogen und Hände und Mund an ihrem ganzen Leib eingesetzt, um ihr noch ein wenig mehr von diesem Murmeln zu entlocken.
Ihre Haut war hel, fast elfenbeinfarben, und Greg hatte keine Schwierigkeiten damit, sich ihren Alabasterkörper vorzustellen, wie sie sich streckte und bog, wenn er seinen Mund um eine erigierte Brustwarze schloss und mit der Hand über ihre Rippen fuhr, dann über ihren flachen Bauch und zwischen ihre Beine, um ihre feuchte Süße zu finden. Sie würde leidenschaftlich reagieren, und nachdem er ihr ein- oder zweimallein Stöhnen der Ekstase entlockt hatte, würde er über sie kommen und....
Greg knurrte verdrossen und brachte seinen Tagtraum zu einem abrupten Ende, als er das protestierende Ziehen in seinen Lenden spürte. Na schön, das war eine dämliche Idee gewesen.
Jetzt war er noch frustrierter als vorher.
Seufzend hob er den Kopf, warf einen Blick auf die geschlossene Tür und fragte sich, wann oder ob Lissianna zurückkehren würde. Er kam zu dem Schluss, dass das hier wohl ihr Zimmer war, sonst hätte sie sich sicher keine Strümpfe aus der Kommode geholt. Also würde sie irgendwann zurückkommen. Vielleicht nach der Party, dachte Greg, als er gedämpfte Musik aus dem unteren Stückwerk hörte. Die Party war offenbar in vollem Gang.
Lissiannas Geburtstagsparty. Er hätte sie auf etwa fünf- oder sechsundzwanzig geschätzt. Gut zehn Jahre jünger als er selbst.
Würde dieser Altersunterschied sie stören? Der Gedanke war beunruhigend. Sie würde vielleicht glauben, er sei zu alt für sie, und die Küsse dieses Abends nicht wiederholen wollen.
Er erkannte, welche Richtung seine Gedanken schon wieder verfolgten, und schüttelte noch einmal den Kopf. Was fiel ihm überhaupt ein? Er war an ein Bett gefesselt und wurde gegen seinen Willen festgehalten. Er hatte darum gebeten, losgebunden zu werden, aber niemand hatte ihm richtig zugehört. Und dennoch beschäftigte er sich in Gedanken mit nichts anderem als der schönen blonden Lissianna.
„Du musst dich auf das Wesentliche konzentrieren”, sagte er sich entschlossen. „Wie wäre es, wenn du versuchst, diese Fesseln zu lösen, und dann von hier verschwindest? Schließlich musst du morgen früh deinen Flug erwischen.”
Greg ignorierte die Tatsache, dass er wieder mit sich selbst sprach, lehnte den Kopf zurück und sah sich den Strick an, der von seinen Handgelenken zu den Bettpfosten führte.