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DJ FÄLLT IN einen der Sessel im Foyer und lässt seinen Kopf gegen die Nackenstütze sinken. Der Regen donnert gegen die Fenster und auf das Dach. Vor ihm auf dem Tisch liegen drei der fünf Jagdgewehre.

Sein Herz ist viel zu aktiv, und sein Körper zittert wie elektrisiert. Seine Kehle ist zugeschnürt, als hätte sie jemand umklammert. Jeder erregte Herzschlag holt die Unterströme der Narkolepsie näher an die Oberfläche.

Er hat alle Telefone zerstört, den Router und sämtliche Computer des Hotels.

Er versucht strategisch zu denken, fragt sich, ob es noch mehr vorzubereiten gibt, aber die Gedanken werden jedes Mal von seltsamen Fantasien zersplittert.

DJ hat geplant, alle innerhalb des Geheges zu töten, aber aufgrund des plötzlichen Unwetters war ihm das nur bei einem gelungen.

Er hat vor dem tiefen Canyon gestanden und zugesehen, wie der Regen ins Tal hineinzog.

Nach neunzehn Minuten hatte Kent Wrangel vielleicht hundertmal um sein Leben gebettelt und beinahe genauso oft geschworen, dass er unschuldig sei.

DJ hatte ihn nicht besonders stark verletzt, nur das Jagdmesser ein Stück oberhalb des Schambeins in den Bauch gestoßen und seinen zitternden Körper stehend über der Kante des tiefen Canyons festgehalten.

Kent stand ganz still, mit dem Messer in seinem Bauch, und er erklärte ihm, warum es passierte.

Kent keuchte hastig, während das Blut seine Bauchhöhle füllte und durch die Öffnung nach draußen zu fließen begann und seine Beine hinunterlief.

DJ hatte die scharfe Klinge nach oben gewendet, und sobald Kent müde wurde und den geringsten Versuch machte, sich zu Boden sinken zu lassen, zog er das Messer höher in den Bauch hinein.

Am Ende hatte Kent furchtbare Schmerzen, seine Knie drohte mehrere Male unter ihm wegzuknicken, und die Klinge glitt bis zu den Rippen hinauf.

Das Blut füllte seine Stiefel und rann über die Kante.

»Jetzt reißt die Schnur zum Drachen ab«, sagte DJ und zog das Messer heraus, schaute Kent in die Augen und stieß ihn mit beiden Händen gegen die Brust und über die Kante.

DJ wischt sich den Mund mit der Hand ab, wirft einen Blick in den Korridor, der zu den Hotelzimmern führt, schaut auf den Tisch vor ihm und nimmt die Patronen aus den Gewehren. Er öffnet den Bordcase zu seinen Füßen und lässt die Munition in das Fach unter der Unterwäsche gleiten.

Es ist Zeit, zum Ende zu kommen.

Erst Lawrence oder möglicherweise James, und ganz zum Schluss Rex.

Vielleicht kann er einen von ihnen schon töten, bevor die Hölle ausbricht, bevor die Schreie und die Flucht durch die Korridore beginnen.

Aber die Angst hat die Kaninchen nie gerettet.

Er weiß, dass ihre Panik einfachen Mustern folgt.

Die Hände zittern ein wenig, als er den Schalldämpfer auf seine Pistole montiert, ein neues Magazin hineindrückt, sie sichert und sie zurück in die Tasche neben die Axt mit dem kurzen Schaft legt.

Wenn sie nicht zu ihm kommen, muss er von Raum zu Raum gehen.

Er zieht sein schwarzes SOCP, wischt das Fett von der schmalen Klinge und mustert die Schneide.

Seine Mutter wurde bei der Vergewaltigung schwanger, aber vermutlich schlug die Psychose erst durch, als sie ihn geboren hatte.

Sie war erst neunzehn Jahre alt und musste unglaublich einsam und ängstlich gewesen sein.

DJ kann sich an seine ersten Jahre nicht erinnern, aber er weiß, dass sie ihn allein zur Welt gebracht hat und ihn danach geheim hielt. Sie versteckte ihn draußen in der Scheune. Seine erste Erinnerung ist, dass er unter einer Decke liegt und friert und Brechbohnen aus einer Konservendose isst.

Er hat keine Ahnung, wie alt er damals war.

Während seiner Kindheit wurde das chaotische Innere ihrer Seele ein Teil seines Lebens, ein Teil seiner Wirklichkeitsauffassung.

Seine Großeltern zogen erst wieder in die USA, als Lyndon White Hollands lange Amtszeit als Botschafter in Schweden zu Ende gegangen war.

DJ war beinahe neun Jahre alt, als sein Großvater ihn in der Scheune fand.

Zu der Zeit sprach er eine Mischung aus Schwedisch und Englisch und hatte im Grunde noch nicht verstanden, dass er ein Mensch war.

Er brauchte ein bisschen Zeit, sich an das Neue zu gewöhnen.

Seine Mutter wurde zu Hause gepflegt, bekam starke Medikamente und lag beinahe ständig im Bett, bei vorgezogenen Gardinen.

Manchmal bekam sie Angst und schrie, manchmal schlug sie ihn, weil er die Tür offen gelassen hatte.

Manchmal erzählte er ihr von den Kaninchen, die er im Laufe des Tages geschossen hatte.

Manchmal saßen sie zusammen auf dem Fußboden hinter dem Bett und sangen ihren Kinderreim, bis sie eingeschlafen war.

Ein paar Jahre später nahm er den Kinderreim auf einer Kassette auf, die sie hören konnte, wenn sie unruhig war.

Seine Mutter wollte nicht über seinen Vater reden, aber einmal, als er dreizehn war und sie das Psychopharmakon gewechselt hatte, erzählte sie von Rex.

Es war das einzige Mal während seiner ganzen Jugend, dass sie das tat, und er erinnert sich an den genauen Wortlaut. Als Kind klammerte er sich an jedes einzelne Wort, baute ganze Welten aus den Hoffnungen, die um ihre Worte gewachsen waren.

Er hatte erfahren, dass sie ineinander verliebt waren und sich heimlich getroffen hatten wie Romeo und Julia, bevor sie zurück nach Chicago reiste.

DJ verstand nicht, warum er sie nicht begleitet hatte.

Sie antwortete, dass Rex keine Kinder haben wollte und dass sie versprochen hatte, nicht schwanger zu werden.

Zuerst hatte DJ daran geglaubt, aber dann begann er sich vorzustellen, dass sie sich vor Rex in Chicago versteckte, weil sie sich dafür schämte, wie sie aussah, nachdem der LKW sie überfahren hatte.

Er weiß immer noch nicht, wieso er an einen Unfall mit einem Lastwagen in Schweden geglaubt hat, denn er kann sich nicht daran erinnern, dass es ihm jemand erzählt hätte.

Als er vierzehn Jahre alt war, sah seine Mutter ein Bild von Rex in einer Reportage in der Vogue über neue Köche in Paris. Sie ging in die Scheune und versuchte sich aufzuhängen, aber sein Großvater stellte eine Leiter an den Balken und schnitt sie ab, bevor sie starb.

Großvater und Großmutter ließen sie in eine geschlossene psychiatrische Abteilung des BroMenn Medical Centers in Bloomington einweisen, und er wurde zur Missouri Military Academy geschickt, einer Militärschule, die auch schon minderjährige Jungen aufnahm.

DJ legt den Dolch unter das Tischtuch, als er hört, dass sich jemand durch den Korridor nähert.

Er schließt den Deckel des Bordcases mit dem Fuß, lehnt sich wieder zurück und fragt sich, welchen der Männer das Schicksal herausgelockt hat.

Es knistert in seinem Kopf, als er sieht, wie seine Mutter sich auf dem Fußboden der Stallbox zusammenkrümmt, sich die Ohren zuhält und panisch kreischt, als eines der geköpften Kaninchen wegläuft.

DJ erinnert sich, wie er es unter einem grünen Plastikeimer fing, die Hand hineinsteckte, es erwischte und an der Wand festnagelte. Seine Mutter bebte am ganzen Körper, übergab sich vor Angst und schrie ihn an, dass er die Kaninchen nicht hereinlassen dürfe.

Hasenjagd
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