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REX UND SAMMY sind allein in der großen Küche des Restaurants Smak. Die weißen Arbeitsflächen aus rostfreiem Stahl sind gereinigt und abgetrocknet. Töpfe, Schmorpfannen, Löffel, Schneebesen und Messer hängen still an ihren Haken.

Sammy trägt einen zu großen Pullover und hat sich die Augenbrauen schwarz nachgezogen und einen kräftigen Eyeliner aufgelegt. Rex hat eine rosa Rose im Knopfloch, die er aus einem Strauß genommen hat, den die hübsche Journalistin ihm gestern geschickt hat.

In zwei Wochen soll das Restaurant die Speisekarte wechseln, und Rex ist gekommen, um jedes Gericht allein für sich einmal Probe zu kochen, bevor das Restaurant öffnet und die stressige Teamarbeit beginnt.

Absolute Präzision in Kombination mit extremer Geschwindigkeit funktioniert nur, wenn die Köche, die Chefs de Partie und der Chefkoch ihre Aufgaben perfekt erledigen. Erst wenn die Küche in der Nacht schließt, entdecken die Köche ihre Blutergüsse, die kleinen Verbrennungen und die Schnittwunden, die sie sich während der konzentrierten Arbeit zugezogen haben.

Heute hat Rex Folgendes geplant: Pilzconsommé, gebratenes Schwarzbrot, eingelegte Pfifferlinge und Kräuteröl, Spargel, Sauce béarnaise und Medaillonsteaks vom Entrecôte vom Säbyhof. Als er gerade die Wohnung verlassen wollte, kam Sammy in die Diele und fragte überraschend, ob er ihn begleiten dürfe.

Während das Fleisch Sous-vide zubereitet wird, zeigt Rex Sammy, wie er die kleinen Estragonblätter hacken muss und anschließend das Eigelb, den Kalbsfond, den Senf und den Estragonessig untereinanderschlägt.

Der Junge hält das Eigelb konzentriert zwischen den Eierschalenhälften.

»Ich wusste gar nicht, dass du dich fürs Kochen interessierst«, sagt Rex mit schwacher Stimme. »Dann hätte ich dich immer mitgenommen.«

»Schon okay, Papa.«

Sammy hebt den Blick und sieht ihn durch den langen, blondierten Pony hindurch scheu an. Er hat mit einem Kajalstift eine Träne in den Augenwinkel gemalt.

»Du stellst dich jedenfalls richtig gut an«, sagt Rex. »Ich wünschte, ich …«

Er verstummt, weil die Worte sich in Schuldgefühlen auflösen, im Bewusstsein, dass es sein eigener Fehler ist, dass er nichts über sein einziges Kind weiß.

Während Sammy die Schalotten klein hackt, bereitet Rex ein Consommé aus Pfifferlingen und Shiitake, Wurzelsellerie und Thymian zu.

»Manche sieben die Bouillon, indem sie sie durch mehrere Schichten von Käsetüchern gießen«, sagt er und schaut seinen Sohn an. »Ich verwende dagegen stets Eiweiß, um Verunreinigungen und Reste zu binden.«

»Musst du nicht bald verreisen?«, fragt Sammy und legt das Messer hin.

»Jetzt am Wochenende treffe ich die Investoren oben in Norrland … das ist nur ein bisschen Theater, damit sie sich auch persönlich angesprochen fühlen.«

»Und da kannst du keinen Sohn vorzeigen, der schwul ist?«

»Ich dachte nur … wenn sogar mir der Gedanke an ein paar alte Knaben, die über Geschäfte reden und wilde Rentiere jagen, den Schweiß auf die Stirn treibt, dann wirst du bestimmt …«

Rex tut so, als würde er sich über den Herd, die Spüle und in das eigene Hemd übergeben.

»Okay, ich begreife es langsam«, sagt Sammy mit einem Lächeln.

»Was mich betrifft …«

Er hält inne, als er hört, wie die Schwingtüren zum Anrichtebereich knirschen, und denkt, dass der Souschef aber früh kommt, als sich die Küchentür öffnet und die schöne Staatsschutzagentin Saga Bauer zusammen mit Janus Mickelsen hereinkommt.

Sammy sieht Saga an, als würde er gleich zu weinen beginnen. Trotz der Narben im Gesicht sieht sie überwältigend aus.

»Hallo«, sagt sie und zeigt auf den Mann an ihrer Seite. »Das hier ist mein Kollege Janus Mickelsen.«

»Wir sind uns schon begegnet«, sagt Rex.

»Alte Anweisungen von Zandén«, erklärt Janus Saga.

»Das hier ist mein Sohn Sammy«, sagt Rex.

»Hallo«, sagt Sammy und streckt mit unerwarteter Höflichkeit die Hand aus.

»Bist du auch Koch?«, fragt Saga freundlich.

»Nein, das … ich bin gar nichts«, sagt er und errötet.

»Wir müssten uns ein paar Minuten mit deinem Vater unterhalten«, sagt Janus und drückt mit dem Finger auf eine Limette.

»Soll ich so lange ins Restaurant gehen?«, fragt Sammy.

»Meinetwegen kannst du auch bleiben«, sagt Rex.

»Deine Entscheidung«, erwidert Saga.

»Ich versuche, mit der Heimlichtuerei aufzuhören«, sagt Rex.

Vorsichtig schöpft er das geronnene Eiweiß aus der Bouillon und dreht die Hitze ein bisschen herunter.

»Ich habe Sie im Fernsehen gesehen, als Sie über den Außenminister gesprochen haben«, beginnt Saga und lehnt sich gegen die Arbeitsplatte. »Es war schön und rührend …«

»Danke, das …«

»Obwohl es nichts als Lügen waren«, schließt sie.

»Was meinen Sie?«, fragt Rex und versucht zu klingen, als sei er plötzlich auf der Hut.

»Sie haben auf seine Gartenmöbel gepisst und …«

»Ich weiß«, sagt er mit einem leisen Lachen. »Es war übertrieben, aber wir hatten …«

»Seien sie still«, sagt sie müde.

»Unser Umgangsstil war eben …«

»Halten Sie die Klappe.«

Rex verstummt und schaut sie an. Der Muskel unter dem Auge beginnt zu zucken. Sammy kann ein heimliches Lächeln nicht unterdrücken.

»Sie wollten mir erzählen, dass so etwas zu ihrer Freundschaft gehörte«, sagt sie leise. »Dass Sie einen überdrehten Humor hatten, einander jede Menge Streiche spielten … aber das ist nicht wahr, weil Sie keine Freunde waren.«

»Er war mein ältester Freund«, widerspricht Rex, obwohl er längst weiß, dass es vollkommen sinnlos ist.

»Ich weiß, dass Sie sich seit dreißig Jahren nicht mehr getroffen haben.«

»Vielleicht nicht regelmäßig«, antwortet er kleinlaut.

»Gar nicht, Sie haben sich gar nicht gesehen.«

Rex weicht ihrem Blick aus und sieht, dass Janus ein weißes Katzenhaar vom Bündchen seiner Lederjacke entfernt.

»Aber sie sind in dasselbe Internat gegangen«, bemerkt Saga ruhig.

»Mein Vater war Chef der Handelsbank, wir wohnten am Strandvägen, ich hätte eigentlich gut in die Ludviksberg-Schule passen müssen.«

»Aber das taten Sie nicht?«, fragt Saga.

»Ich bin Koch geworden, nicht Manager«, antwortet Rex und hebt den Topf aus dem Wasserbad.

»Was für eine Enttäuschung«, sagt sie lächelnd.

»Aber das bin ich nun einmal, in jeglicher Hinsicht.«

»Finden Sie?«

»Manchmal … und manchmal auch nicht«, antwortet er ehrlich und schaut zu Sammy hinüber. »Ich bin ein trockener Alkoholiker, aber ich hatte ein paar Rückfälle … Und eines der Dinge, die passieren, wenn ich betrunken bin, ist, dass ich unseren lieben Außenminister nicht ertragen kann, weil … scheißegal, er ist jetzt tot, aber … als er noch lebte, war er ein Schwein.«

Janus Mickelsen schwingt sich rote Locken aus dem Gesicht und lächelt mit tiefen Lachfalten in den Augenwinkeln.

Hasenjagd
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