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JOONA ZIEHT SICH den Mundschutz über und die Vinylhandschuhe an und geht in den engen Schlachtraum, um die toten Tiere zu untersuchen. Schnell durchsucht er die Eingeweide auf dem Boden und die festgenagelten und aufgehängten Tierteile, aber er findet keine menschlichen Überreste. Es scheint sich um eine unkontrollierte Mischung aus Kaninchenschlachtung und Tierquälerei zu handeln. Er kann Ansätze zur Pelzzurichtung und die Reste von zerrissenen Fellen über einer verschmierten Gerberbank erkennen, sowie die Spuren von aggressiven Zerstückelungen, Trophäensammlungen und Schändungen.

An der verschmutzten Wand hinter der Hobelbank hängt ein alter Zeitungsausschnitt mit einem Bild von Rex mit einer silberfarbenen Kochstatuette in seiner erhobenen Hand.

Joona nimmt den Käfig mit dem lebenden Kaninchen mit hinaus ins Sonnenlicht und geht ein Stück in den Wald hinein, bevor er das Tier freilässt.

Janus hat das Scharfschützengewehr an den Zaun des Tennisplatzes gelehnt und sich die Schutzweste aufgeknöpft. Er steckt sich eine Tablette in den Mund, schiebt sein rotlockiges Haar zur Seite und setzt eine Flasche Mineralwasser an die Lippen, legt den Kopf zurück und trinkt.

»Ich habe dich auf einem der älteren Überwachungsfilme beim Außenminister gesehen«, sagt Joona.

»Mein erster Job beim Staatsschutz war es, hinter ihm aufzuräumen … da war das Geld des Steuerzahlers gut angelegt … ein paar der Mädchen waren so übel zugerichtet, dass ich sie zur Notaufnahme fahren musste … und danach musste ich sie dazu bringen, den Mund zu halten und zu verschwinden.«

»Jetzt weiß ich, warum du die Abteilung wechseln wolltest.«

»Der Außenminister hat es verlangt … Ich hatte ihn nur an eine Wand gedrückt, seinen kleinen Schwanz gepackt und gesagt, dass ich gezwungen sei, auf ihn aufzupassen, aber ich hätte zwei Gesichter … von denen das eine nicht besonders nett sei.«

Magnus Mollander wartet bereits auf Joona, als er mit dem leeren Käfig zurückkehrt. Magnus hat graue Wangen, als hätte er Fieber, und er zittert, obwohl der Schweiß am Haaransatz glänzt.

»Im Computer gibt es nichts«, berichtet er. »Der Techniker hat bei einer ersten Durchsicht keine Hinweise darauf gefunden, wo David Jordan stecken könnte.«

Er hält inne, als Rajmo zu ihnen kommt und erzählt, dass eine Frau aus dem Bus gestiegen und auf dem Weg zum Haus sei.

»Baut alle Absperrungen ab, bevor sie sie entdeckt«, sagt Joona. »Macht euch unsichtbar, bis wir sehen können, ob sie wirklich hierherkommt.«

Sie versammeln sich hinter dem Gästehaus, wo sie von der Straße aus nicht gesehen werden können. Es handelt sich um neun schwer bewaffnete Polizisten, Joona Linna und den Techniker von der NOA.

Das Tor wird mit einem leisen Quietschen geöffnet.

Joona zieht seine Waffe und drückt sie an den Körper, als er hört, wie sich die Schritte der Frau auf dem Kiesweg nähern.

Das Geräusch verändert sich, als sie zwischen den Häusern hindurchgeht, es wird leiser und dumpfer.

Jetzt ist sie ganz nahe.

Joona tritt aus der Deckung.

Die Frau schreit vor Schreck auf.

»Entschuldigen Sie, dass ich so plötzlich auftauche«, sagt Joona und verbirgt die Waffe an seinem Bein.

Die Frau starrt ihn mit aufgerissenen Augen an. Ihr Haar ist glatt und blond, sie trägt verblichene Jeans, einfache Sandalen und ein ausgewaschenes T-Shirt, auf dem Feel the Burn steht.

»Ich bin von der Polizei und brauche schnell ein paar Antworten«, fährt Joona fort.

Die Frau versucht sich zu sammeln, zieht das Telefon aus der Stofftasche und geht einen Schritt auf ihn zu.

»Ich werde nur die Polizei anrufen, um sicherzugehen, dass …«

Sie verstummt, als sie die schwer bewaffnete Einsatztruppe entdeckt, die hinter der Hausecke wartet. Langsam verschwindet jegliche Farbe aus ihrem Gesicht, als sie die Schutzwesten, Helme, automatischen Waffen und Scharfschützengewehre sieht.

»Wo ist David Jordan?«, fragt Joona und steckt seine Waffe wieder in das Holster.

»Was?«

Die junge Frau schaut verwundert zum Haus hinauf und sieht die Eingangstür, die auf dem Boden liegt.

»David Jordan«, sagt Joona. »Er ist nicht zu Hause.«

»Nein«, sagt sie mit dünner Stimme. »Er ist in Norrland.«

»Was macht er dort?«

Sie zwinkert mit den Augen, als wäre sie geblendet.

»Ich weiß nicht«, sagt sie. »Arbeiten, wahrscheinlich.«

»Wo in Norrland?«

»Was ist denn passiert?«

»Rufen Sie ihn an«, sagt Joona und zeigt auf das Telefon, das sie immer noch in der Hand hält. »Fragen Sie ihn, wo er ist, aber sagen Sie ihm nichts von uns.«

»Ich verstehe nicht«, flüstert sie und hält das Telefon an das Ohr, lässt es aber sofort wieder sinken. »Es ist ausgeschaltet … sein Telefon ist ausgeschaltet.«

»Sind Sie ein Paar?«, fragt Joona und sieht sie mit Augen an, die grau sind wie Stein.

»Ein Paar? So habe ich das noch nicht gesehen … aber wir treffen uns ziemlich oft … es gefällt mir, hier zu sein … aber wir stehen einander nicht nahe, ich habe keine Ahnung, was er tut, außer dass er irgendwie Rex’ Kochsendungen produziert …«

Sie verstummt und malt mit der Fußspitze im Kies.

»Aber Sie wussten, dass er verreist.«

»Er sagte nur, dass er nach Norrland fahren würde. Er weiß, dass es mich nicht weiter interessiert.«

»Norrland ist genauso groß wie Großbritannien«, sagt Joona.

»Vielleicht hat er Kiruna gesagt«, sagt sie. »Ich glaube, er sagte Kiruna.«

»Was glauben Sie, hat er in Kiruna vor?«

»Ich habe keine Ahnung.«

Ohne ein weiteres Wort geht Joona zu seinem Auto, wobei er mit seinem neuen Telefon Anja anruft, um sie zu bitten, einen Flug für ihn zu buchen.

»Habt ihr Rex Müller gefunden?«, fragt er und setzt sich hinter das Steuer.

»Weder er noch sein Sohn Sammy sind zu Hause, niemand weiß, wo sie sich befinden, wir haben mit TV4 gesprochen und mit der Mutter des Jungen, die gerade auf Reisen ist, aber …«

»Es sieht jedenfalls so aus, als wäre David Jordan heute Morgen nach Kiruna gereist«, sagt Joona und erreicht die breitere Straße.

»Nicht laut der Passagierlisten.«

»Versuch herauszufinden, ob irgendwelche privaten Flugzeuge auf dem Flughafen oder einem privaten Flugplatz gelandet sind.«

»Okay.«

»Ich fahre jetzt jedenfalls zum Flughafen Arlanda«, fügt er hinzu.

»Ja, ist schon klar«, antwortet Anja ruhig.

»Und ich rechne damit, dass ihr in der Zwischenzeit die Telefone ortet.«

»Wir versuchen es, aber die Anbieter sind, gelinde gesagt, etwas widerwillig, wenn es darum geht, Informationen preiszugeben.«

»Hauptsache, ihr bekommt es heraus, bevor ich fliege.«

»Ich kann mit dem Staatsanwalt sprechen, vielleicht …«

»Scheiß drauf, überfahrt sie einfach, brecht das Gesetz«, unterbricht er sie. »Entschuldige, aber wenn wir Rex und seinen Sohn nicht finden, sind sie ziemlich bald tot.«

»Scheiß drauf«, wiederholt sie ruhig. »Überfahrt sie und brecht das Gesetz.«

Die kurvenreiche Strecke durch den Wald ist leer. Joona kommt an einer Sommerhaussiedlung an einem spiegelblanken See mit einem Sprungturm aus Holz in der Mitte des Wassers vorbei. Ein Mann steht hinter einem Zaun mit einem Rasenmähroboter im Arm.

Joona erhöht wieder die Geschwindigkeit und erreicht bei einer Tankstelle eine größere Straße, als Anja erneut anruft.

»Joona, es geht nicht«, sagt sie.

Sie erzählt, dass die Techniker der NOA versucht haben, David Jordan und Rex mithilfe von GPS und GSM-Handyortung zu finden. Es sei nicht möglich gewesen, die Geräte aus der Ferne zu aktivieren, damit sie ihre Positionsdaten senden, und weil die Mobilfunkbetreiber auch keine Signale von den lokalen Masten in Kiruna anpeilen können, seien sich die Techniker sicher, dass David Jordans und Rex’ Telefone nicht nur ausgeschaltet, sondern zerstört seien.

»Und Sammys Telefon?«, fragt Joona.

»Wir sind noch dabei«, schnarrt Anja. »Hör auf, mich zu stressen, das kann ich nicht ertragen, hier sind alle nur sauer, kein Glamour, niemand, der flirtet …«

»Entschuldige«, sagt Joona und erhöht die Geschwindigkeit in der Autobahnauffahrt.

»Aber du könntest recht haben … eine Cessna irgendwas aus Stockholm ist früh am Morgen auf dem Wasserflugplatz in Kurravaara gelandet.«

»Und dafür gibt es keine Passagierlisten?«

»Warte eine Sekunde.«

Er hört sie sprechen und sich für die Hilfe bedanken.

»Joona?«

»Ja.«

Wir haben Sammys Handy geortet, er ist draußen in der Gegend von Hallunda, wir haben eine exakte Adresse, ein Reihenhaus im Tomtbergavägen.«

»Schön zu hören, dass er zu Hause geblieben ist«, sagt Joona. »Schickt einen Wagen dorthin und lass Jeanette Fleming mit Sammy reden … ich muss wissen, wohin Rex und David Jordan gefahren sind.«

Hasenjagd
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