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Ich begann wieder mit aller Kraft gegen das Fenster zu trommeln und schrie dabei: »DeMarius! DeMarius! Das ist sie! Sag Wyatt Bescheid! Tu etwas, verflucht noch mal, halte sie auf!« Das heißt, das versuchte ich zu schreien.
Sein Rücken blieb mir stur zugewandt, denn er konnte zwar mein Klopfen hören, aber höchstwahrscheinlich nichts von dem, was ich schrie, weil meine Stimme praktisch nicht mehr vorhanden war. Mein Hals verkrampfte sich, ich begann würgend zu husten, bis ich mich unter Krämpfen und mit Tränen in den Augen zusammenkrümmte.
Das Kratzen in meiner Kehle tat weh; alle meine Atemgänge fühlten sich an wie wund gescheuert, vom Rachen angefangen bis tief in die Lunge. Selbst das Luftholen tat weh. Offenbar hatte ich trotz des nassen Handtuchs über meinem Gesicht mehr Qualm eingeatmet, als ich geglaubt hatte. Das Schreien hatte die Schmerzen nicht gerade gelindert – und gebracht hatte es gar nichts.
Als ich mich wieder aufsetzen konnte, hielt ich erneut nach ihr Ausschau, nach der Hexe, die mein Heim niedergebrannt hatte, aber sie war verschwunden. Natürlich war sie das; sie wollte sich an ihrem Werk ergötzen und mir ihre Schadenfreude demonstrieren, aber sie würde bestimmt nicht länger als nötig hier ausharren.
Zornes- und Schmerzenstränen begannen mir übers Gesicht zu laufen. Wütend wischte ich sie ab. Diese Kuh würde mich auf gar keinen Fall zum Heulen bringen. Nichts davon würde mich zum Heulen bringen.
Ich wühlte mein Handy aus der Tasche und rief Wyatt an.
Halb rechnete ich damit, dass er nicht ans Telefon gehen würde, was mich so wütend gemacht hätte, dass mein Ärger womöglich bis zur Rente nicht mehr verraucht wäre. Also kniete ich mich wieder auf die Polster und hielt nach ihm Ausschau, während ich dem Tuten lauschte. Gleich darauf sah ich ihn, er war größer als die meisten anderen Männer und hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, während er dem Feuerwehrhauptmann zuhörte, der ihm über den Lärm hinweg etwas ins Ohr brüllte, und dann sah ich ihn nach seinem Handy greifen. Offenbar hatte er das Handy auf Vibrieren gestellt, was angesichts des Lärmpegels ziemlich geschickt war. Er sagte etwas zu dem Feuerwehrhauptmann, sah nach, wer angerufen hatte, klappte das Handy auf und drückte es an sein Ohr, während er sich einen Finger ins andere Ohr steckte.
»Gedulde dich noch ein, zwei Minuten!«, brüllte er in den Apparat.
Ich klappte den Mund auf, um ihm die Leviten zu lesen, um ihn anzuschreien, dass er sie davonkommen ließ – aber kein Laut kam über meine Lippen. Nicht mal ein Quieken.
Ich versuchte es noch mal. Nichts. Ich hatte meine Stimme verloren. Hektisch schabte ich mit dem Fingernagel über das Mikrophon, in der Hoffnung, dass er wenigstens zu mir hersehen würde. Verflucht noch mal, er würde das kleine Kratzen garantiert nicht hören. Frustriert und inspiriert zugleich begann ich mit dem Handy gegen das Fenster zu schlagen.
Notiz an mich selbst: Handys sind nicht so stabil wie ein Autofenster.
Das verdammte Ding flog mir in der Hand auseinander, der Akkudeckel löste sich, die Abdeckung auf der Vorderseite verabschiedete sich in Richtung Fußmatte – wo sie meinetwegen verrotten konnte, denn ich würde auf gar keinen Fall in diesem Wagen im Fußraum herumkrabbeln, um danach zu suchen. Ein weiteres elektronisches Dingsbums zischte mir um die Ohren. Kurz gesagt, es war ein vergebliches Unterfangen.
Aaargh! Ich konnte sehen, wie Wyatt das Handy zuklappte und wieder an seinen Gürtel steckte. Nicht ein einziges Mal sah er in meine Richtung, dieser Riesenarsch!
Was hatte ich noch in meiner Tasche? Das Messer natürlich, aber es würde mich nur Zeit kosten und mir eine Menge Ärger einbringen, wenn ich damit die Polster bearbeitete, weil ich ziemlich sicher bin, dass die Stadt wenig begeistert ist, wenn ihre Streifenwagen tatsächlich in Streifen geschnitten werden. Das Messer nutzte mir nichts. Außerdem lagen in der Tasche noch mein Portemonnaie, mein Scheckheft, ein Lippenstift, Taschentücher, Stifte, mein Terminkalender – na also! Allmählich nahm die Sache Gestalt an. Ich riss eine Seite aus meinem Terminkalender, nahm einen Stift und schrieb in dem flackernden, satanischen Flammenschein: Sag Wyatt, die Irre ist hier, ich habe sie gesehen!.
Diese Nachricht presste ich ans Fenster, dann begann ich wieder gegen die Scheibe zu trommeln. Ich klopfte und klopfte und klopfte, doch DeMarius, dieser störrische Esel, weigerte sich, mir das Gesicht zuzuwenden und herzusehen.
Meine Hand begann wehzutun. Wenn ich nicht Angst gehabt hätte, mir die nächste Gehirnerschütterung einzufangen, hätte ich den Kopf gegen das Fenster geschlagen; er fühlte sich sowieso schon an, als hätte ich ihn gegen eine Mauer gedonnert. Wenn ich Schuhe angehabt hätte, hätte ich angefangen, gegen das Fenster zu treten. Es gab eine Menge Wenns, und keines davon half mir weiter.
Ich legte den Zettel beiseite und begann an dem Metallgitter zu ziehen, das die Rückbank von den Vordersitzen trennte und die Polizisten schützte. Das Gitter war nicht zum Verbiegen gedacht; andernfalls hätten, da bin ich sicher, schon kräftigere Menschen als ich daran herumgebogen. So viel zu diesem Bemühen.
Ich konnte nichts weiter unternehmen. Wieder presste ich den Zettel an die Scheibe, drückte meinen Kopf dagegen, damit er nicht verrutschte, schloss die Augen und wartete ab. Irgendwann würde mich jemand aus dem Wagen lassen, und dann würden sie alle erfahren, was für dumme Idioten sie waren.
Diese Provinzpolizisten schenkten mir so wenig Beachtung, dass diese Irre kein Problem gehabt hätte, sich von der anderen Seite an das Auto heranzuschleichen und mich abzuknallen. Sobald mir der Gedanke in den Kopf geschossen war, setzte ich mich auf und sah mich panisch um, aber weit und breit war keine Irre zu sehen. Also jedenfalls nicht die Irre, die ich suchte.
Mir fiel ein, dass ich ein Päckchen Atemfrische-Kaugummis in meine Ledertasche gesteckt hatte. Also tastete ich darin herum, bis ich die Packung gefunden hatte, drückte einen Kaugummi aus der Folie und begann ihn zu kauen. Während des Kauens riss ich die nächste Seite aus meinem Terminkalender und schrieb: Vergiss Jazz und Sally, die Hochzeit ist abgesagt!!! Nachdem der Kaugummi gründlich durchweicht war, nahm ich ihn aus dem Mund, zupfte ihn in zwei Hälften und klebte mit der einen Hälfte die Irren-Notiz ans Fenster und mit der anderen Hälfte direkt darunter die Jazz-und-Sally-Notiz.
Dann stanzte ich den nächsten Kaugummi aus der Folie und riss ein weiteres Blatt aus meinem Terminkalender.
Weil die Heckscheibe schräg abfiel, brauchte ich beide Hälften des Kaugummis, um diese Notiz an Ort und Stelle zu halten. Diesmal stand Männer sind Arschlöcher darauf.
Das Päckchen enthielt insgesamt zehn Kaugummis. Ich brauchte alle auf.
Als endlich jemand zu mir hersah, hatte ich die Heckscheibe und beide Seitenfenster mit Nachrichten zugepflastert.
Durch eine der freien Stellen – es gab nicht mehr viele – sah ich, wie ein uniformierter Polizist herschaute, die Augen zu einem »Was zum Teufel« -Blick aufriss, dann seinen Kollegen anstupste und auf den Streifenwagen deutete. Ein paar ihrer Kollegen bemerkten die Geste und sahen ebenfalls her. Das bemerkte sogar DeMarius, obwohl er mein Klopfen und Schreien ignoriert hatte – als ich noch klopfen und schreien konnte, natürlich –, und wandte sich zu mir um. Grinsend schüttelte er den Kopf und zog die Taschenlampe aus dem Gürtel, während er auf den Streifenwagen zukam.
Ich drehte ihm den Rücken zu und verschränkte die Arme. Auf gar keinen Fall würde ich darum betteln, jetzt, wo es zu spät war, aus dem Auto gelassen zu werden.
Er schwenkte mit dem Strahl der Stablampe über meine Nachrichten, wenigstens über die beiden auf dem Seitenfenster. Eine Sekunde später hörte ich ihn brüllen. Er zog die Tür auf, riss die Stalker-Notiz vom Fenster und knallte die Tür wieder zu. Selbst wenn ich in der Lage gewesen wäre zu protestieren, hätte er mich nicht gehört, weil er schon zu Wyatt hinüberrannte.
Der nackte Fleck auf dem Fenster war ästhetisch unbefriedigend. Ich hatte noch nicht alles gesagt, was ich zu sagen hatte, darum schrieb ich eine weitere Nachricht und heftete sie wieder an. Dazu musste ich denselben Kaugummi nehmen, mit dem ich die Stalker-Nachricht angeklebt hatte, aber der war noch weich genug. Was nur gut war, denn auf gar keinen Fall hätte ich ihn nochmals in den Mund gesteckt, um ihn durchzukauen.
Ich sah nicht zu Wyatt hin, es interessierte mich nicht, wie er reagierte. Das war mir egal, denn alles, was er noch unternehmen konnte, kam zu spät. Sie war längst weg, und ich war so was von ultra-angenervt, dass es nicht mehr in Worte zu fassen war.
Ich sah Wyatt mit grimmigem Gesicht auf den Streifenwagen zukommen. Automatisch rutschte ich in die Mitte der Bank, klammerte mich an meiner Decke fest und starrte eisern nach vorn.
Er kam an die linke Tür. Als er sie aufzog, rutschte ich nach rechts. Er beugte sich ins Wageninnere und bellte: »Bist du sicher? Kannst du sie beschreiben? Wo war sie?«
Es gab so vieles, was ich ihm an den Kopf werfen wollte, angefangen mit »Spar dir die Mühe, sie ist längst weg, nur weil du so ein Arschloch bist«, aber ich bekam sowieso keinen Ton über die Lippen, weshalb ich es gar nicht erst versuchte. Stattdessen schnappte ich mir wieder meinen Terminkalender, kritzelte wutentbrannt »blond, mit Kapuze, WAR hier«, riss die Seite heraus und streckte sie ihm hin. Sie jetzt noch suchen zu wollen war vergebliche Liebesmühe, sie würde bestimmt nicht mehr hier herumlungern, aber er könnte mir nicht vorwerfen, ich würde nicht kooperieren. Sie war entkommen, es war allein seine Schuld, und ich hatte fest vor, es dabei zu belassen.
Manchmal bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit einem moralischen Sieg zu begnügen.
Wyatt überflog hastig den Zettel, reichte ihn an DeMarius weiter und begann Befehle auszuspucken, bevor er die verfluchte Tür schon wieder zuschlug.
Es ist nicht zu fassen.