13
Wyatt schaffte es nicht ins Great Bods, bevor ich abschloss, und er war auch nicht bei mir zu Hause, als ich dort ankam. Ich hatte leichte Gewissensbisse, weil ich ihm so zugesetzt hatte, denn er wäre bestimmt da gewesen, wenn er nicht bis über beide Ohren in der Arbeit gesteckt hätte, und das bedeutete wiederum, dass jemand ermordet worden war oder so. Er machte keine Spurensicherung mehr, aber er musste immer noch die Arbeiten am Tatort überwachen und so weiter.
Außerdem war ich irgendwie erleichtert, dass er nicht zu Hause war, weil es mich Mühe kostete, meinen Ärger im Zaum zu halten. Ehrlich gesagt tat ich das nur, weil ich ihn verstehen konnte. Er musste innerhalb des gesetzlichen Rahmens handeln, und solange ich keine handfesten Informationen liefern konnte, waren ihm die Hände gebunden.
Aber es gibt eine professionelle Einschätzung und eine persönliche Einschätzung, so wie es einen Unterschied zwischen den eigentlich angebrachten und meinen tatsächlichen Gefühlen gab. Ganz gleich, was er offiziell tun konnte, er hätte trotzdem etwas sagen können wie: »Hör zu, ich glaube dir. Ich kann im Moment nichts unternehmen, aber ich vertraue deinem Instinkt.«
Nur hatte er nichts dergleichen gesagt, so wie er mir auch den mysteriösen Anruf nicht geglaubt hatte. Was den Anruf betraf, hatte er wahrscheinlich recht, nachdem bislang kein weiterer gefolgt war, aber hier galt das gleiche Prinzip. Ich wünschte mir nur etwas Unterstützung in Notzeiten.
Okay, manchmal bringen meine Gedanken sogar mich zum Lachen. Offen gesagt wollte ich die Sonne, den Mond und die Sterne dazu, aber wozu sollte ich meine Träume freiwillig beschneiden? Ich konnte mich noch nie für Kompromisse begeistern. Ich wollte alles, und ich wollte es sofort; oder noch besser gestern. Was ist daran auszusetzen?
Ich schloss die Haustür auf, verriegelte sie dann hinter mir und schaltete die Alarmanlage wieder ein. Obwohl ich wusste, dass ich den Wagen abgeschlossen hatte, drehte ich mich noch einmal um, zielte mit der Fernsteuerung durch das Fenster in der Hintertür und drückte ein zweites Mal die Verriegelungstaste, nur um ganz sicherzugehen. Ich fühlte mich in meinem eigenen Haus nicht mehr sicher, das gefiel mir gar nicht. Mein Heim sollte eigentlich ein sicherer Hafen sein, ein Ort, an dem ich entspannen und ruhig schlafen konnte.
Allerdings hatte mein Gefühl der häuslichen Geborgenheit schwer gelitten, als mich Jasons Frau umzubringen versucht hatte, und sich seither nicht mehr erholt. Ich freute mich schon darauf, nach der Hochzeit zu Wyatt zu ziehen. Warum ich nicht gleich zu ihm zog? Na eben … darum. Zum einen sollte er es nicht für selbstverständlich halten, dass ich bei ihm war. Er sollte das Gefühl haben, etwas geleistet zu haben, indem er mich zum Umzug bewegte. Dass er mich nicht für selbstverständlich nahm, war wahrscheinlich auch Grund Nummer zwei. Und Nummer drei. Wenn wir erst verheiratet sind und er mich an seinem Tisch sitzen sieht, soll er das Gefühl haben, dass er eine schwere Schlacht siegreich ausgefochten hat – indem er mein Herz gewonnen hat. Dann weiß er mich mehr zu schätzen. Ich mag es, wenn man mich zu schätzen weiß.
Dasselbe Prinzip bewirkt, dass sich junge Leute sorgsamer um ein Auto kümmern, das sie sich erarbeiten und von ihrem eigenen Geld kaufen mussten, als um eines, das ihnen geschenkt wurde. Das liegt in der Natur des Menschen. Ich wollte das Auto sein, für das Wyatt teuer bezahlt hatte.
Ich sah dem Tag, an dem ich meine Wohnung aufgeben würde, gleichzeitig glücklich und traurig entgegen. Dies war mein Heim – oder war es zumindest gewesen. Ich hatte es ganz allein eingerichtet, und zwar sehr geschmackvoll, um mich ein wenig selbst zu loben. Eigentlich dürfte ich keine Probleme haben, es zu verkaufen. Wahrscheinlich hätte ich es schon längst zum Verkauf freigeben sollen, um den Ball ins Rollen zu bringen.
Einige meiner Möbel würden mit mir in Wyatts Haus – nein, unser Haus – ziehen. Ich musste mich daran gewöhnen, sein Haus als unser Haus zu betrachten. Und Wyatt würde meinen Namen neben seinen auf die Besitzurkunde setzen müssen. Ich würde es bestimmt nicht als »unseres« betrachten, bis ich ihm meinen Stempel aufgedrückt hatte – indem ich es neu gestrichen, neu aufgeteilt und neu eingerichtet hatte. Gott sei Dank hatte er es erst nach seiner Scheidung gekauft, denn ich hätte unmöglich darin leben können, wenn schon seine Exfrau darin gewohnt hätte. Auf gar keinen Fall. Das war der größte Fehler, den Jason nach unserer Scheidung begangen hatte: Als er wieder geheiratet hatte, hatte er seine neue Frau in das Haus geholt, in dem er schon mit mir gelebt hatte. Das hatte sie in den Wahnsinn getrieben, im wahrsten Sinn des Wortes, obwohl ich glaube, dass sie die Reise dorthin schon vor der Eheschließung angetreten hatte.
Ich hatte schon geduscht, schlenderte gerade durch die Wohnung und platzierte im Geist einzelne Möbelstücke in den verschiedenen Zimmern von Wyatts Haus, als er endlich eintraf. Ich war oben – meine Schlafzimmereinrichtung konnte mitkommen, denn er hatte zwei komplett leere Schlafzimmer –, als ich erst die Tür klappen hörte, dann das lange Piepen der Alarmanlage und gleich darauf das Piep-Piep-Piep-Piep, mit dem er die Anlage wieder aktivierte.
Mein Herz begann schneller zu schlagen. Wyatt war da! Was auch geschehen war, in seiner Nähe zu sein, war für mich so belebend wie ein schwerer Work-out. Wir würden uns streiten, weil wir uns übereinander geärgert hatten, aber danach würden wir uns mit Herzklopf-Sex versöhnen. Wir hatten beinahe eine Woche lang keinen Sex mehr gehabt, ich war fast so weit, dass ich ihm die Hosen vom Leib gekaut hätte.
Ich ging nach unten. Ich war nicht nackt, weil ich nur im Bett und im Bad nackt bin. Wyatt hätte es wahrscheinlich am liebsten, wenn ich zu Hause rund um die Uhr nackt herumliefe, aber das wäre allzu unpraktisch. Ich trug ein kirschrotes Top mit Spaghettiträgern – ohne BH, selbstverständlich –, und dazu diese superniedlichen weißen Pyjamahöschen mit den kleinen Kirschen darauf. Ich will gut aussehen, wenn wir uns streiten, damit er für den Fall, dass ich richtig sauer werde und wir nicht miteinander schlafen, das zutiefst bereut.
Er war in der Küche und trank ein Glas Wasser. Sein Jackett hing über einer Stuhllehne; sein weißes Anzughemd wirkte schlaff und verknittert, da er es den ganzen Tag in der Hitze getragen hatte, und an seiner rechten Hüfte hing immer noch die Waffe, eine fette schwarze Automatik. Mir wurde ganz warm ums Herz, wenn ich ihn nur ansah. Er war groß und muskulös und sah gefährlich aus, und er gehörte mir allein.
Vielleicht konnten wir das Streiten überspringen und direkt zum Sex übergehen. Ich sagte: »Ein richtig schlimmer Fall, wie?«
Er sah auf, seine grünen Augen wurden schmal, und ich sah Ärger darin aufblitzen. »Eigentlich nicht. Es waren nur so viele.« Er war ganz offensichtlich genervt. Beleidigt war Wyatt nie; das verhinderte sein aggressiver, dominanter Charakter. Wenn er sauer war, war er auf Streit aus. Das gefiel mir. Irgendwie. Wenigstens schmollte er nicht. Ich schmolle sehr wohl, und zwei von meiner Sorte in einem Haus sind einer zu viel.
Er setzte das Glas mit einem dumpfen Schlag auf und kam auf mich zu, bis er hoch über mir aufragte. »Wenn du das nächste Mal auf die hirnverbrannte Idee kommst, dass du verfolgt wirst, dann sei nicht gleich sauer, weil ich nicht sofort Männchen mache und deinen imaginären Verfolgern nachsetze. Ich kann verstehen, dass du nach dem Vorfall auf dem Parkplatz und diesen merkwürdigen Telefonstreichen paranoide Züge entwickelst, aber deshalb darfst du dich nicht gehen lassen. Solange ich frei habe, kannst du mich gern anrufen und mir von deinen Hirngespinsten erzählen, aber wenn ich arbeite, dann muss ich Verbrechen aufklären, die einen realen Hintergrund haben.« Er hatte die Zähne zusammengebissen, was kein gutes Zeichen war.
Ich wich einen Schritt zurück und geriet innerlich ins Wanken. Wow! Er feuerte wirklich aus allen Rohren. Obwohl ich so einiges erwartet hatte und ihm widerstrebend zugestehen musste, dass er möglicherweise nicht ganz unrecht hatte, hatte er das Feuer aus so schwerem Geschütz eröffnet, dass ich nur blinzeln konnte, während ich zu entscheiden versuchte, was ich ihm zuerst vorwerfen sollte.
Imaginär? Paranoid? Hirnverbrannt? »Das war keine Einbildung! Ich wurde zwei Tage hintereinander von jemandem in einem weißen Chevrolet verfolgt.« Meine Stimme wurde entrüstet lauter, weil ich zwar selbst gezweifelt hatte, ob mich meine jüngsten Erlebnisse paranoid gemacht hatten, aber ich zumindest ganz sicher war, dass mir ein weißer Chevrolet – oder diverse weiße Chevrolets – nachgefahren war.
»Ach, verflucht, wahrscheinlich fährt jeder, der in dieser Stadt irgendwohin fährt, irgendwann vor einem weißen Chevrolet her!«, fuhr er mich an. »Als ich hierherfuhr, war auch einer hinter mir, trotzdem bin ich nicht gleich davon ausgegangen, dass es dasselbe Fahrzeug ist wie jenes, das du heute gesehen hast. Hast du eine Ahnung, wie viele weiße Chevrolets es allein in diesem County gibt, ganz zu schweigen von allen umliegenden Countys?«
»Wahrscheinlich drei oder vier pro Quadratmeter!« Ich merkte, wie er mich zu einem echten Wutausbruch verleitete. Er hatte recht; wenn er einen Moment den Mund gehalten hätte, hätte ich ihm erklärt, dass er recht hatte. Verflucht noch eins, es ist nicht so leicht, das Richtige zu tun.
»Ganz genau! Woher nimmst du also die Überzeugung, dass es sich um ein und denselben Wagen handeln muss, nachdem du gestern ein weißes Auto und heute noch eines gesehen hast, die noch dazu von verschiedenen Leuten gefahren wurden?«
»Weil ich es weiß! Ich weiß es eben, klar?« Ich versuchte nicht zu schreien, weil meine Nachbarn Kinder im Schulalter hatten, die wahrscheinlich schon im Bett lagen und schliefen, und trat zwei Schritte weiter zurück, bis ich mit dem Rücken am Küchenschrank lehnte, die Arme unter der Brust verschränkt. »Ich verstehe dich ja. Ich weiß, was du sagen willst.« Es war bitter, das zugeben zu müssen, aber fair ist fair. »Ohne das Kennzeichen oder einen konkreten Hinweis kannst du nichts unternehmen, kannst du nicht ermitteln, wer –«
»Blair!« fiel er mir lautstark ins Wort, weil ihn die Kinder meiner Nachbarn ganz offenkundig nicht interessierten. »Fuck! Schreib das auf, damit du es nicht vergisst: Niemand. Verfolgt. Dich. Wenn es wenigstens ein beiger Buick gewesen wäre, dann würde ich zugeben, dass du zu Recht nervös bist. Aber ein, zwei, viele weiße Chevrolets? Da gibt es nichts zu ermitteln! Ich kann nicht nach deiner Pfeife tanzen und das Geld der Stadt zum Fenster rauswerfen, nur weil du übernervös bist. Privat, gut, da habe ich unterschrieben, alles für dich zu tun, obwohl ich wusste, dass du extrem anspruchsvoll bist, aber lass meinen Job da raus, okay? Ich bin Polizist. Ich bin nicht dein Privatbulle, den du jederzeit anrufen kannst, damit er jede Kleinigkeit überprüft, die dir gerade in den Sinn kommt. Hör auf, diese hirnrissigen Spielchen abzuziehen. Die sind nicht komisch. Kapiert?«
Okay. Okay. Ich klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber mein Gehirn war vollkommen leer, und meine Lippen fühlten sich taub an, darum klappte ich ihn wieder zu. Ich hatte es kapiert. Ich hatte es so was von kapiert.
Ehrlich gesagt gab es darauf nichts zu sagen.
Ich sah mich in meiner Küche um und dann hinaus in den kleinen Garten, wo die Bäume mit weißen Lichterketten behängt waren, damit der Garten aussah wie ein Märchenland. Ein paar Birnen waren durchgebrannt; ich würde sie ersetzen müssen. Die Blumen in der Vase auf dem Tisch in der Essecke waren schon halb verwelkt; ich würde morgen frische holen. Ich schaute überall hin, damit ich Wyatt nicht ansehen musste, denn ich wollte nicht sehen, was ich in seinen Augen zu sehen fürchtete. Ich sah ihn nicht an, weil … weil ich es einfach nicht konnte.
Die Stille in der Küche war zum Schneiden und wurde nur von unserem Atem durchbrochen. Ich sollte weggehen, dachte ich. Ich sollte nach oben gehen und etwas unternehmen, vielleicht die Handtücher im Wäscheschrank neu zusammenlegen. Ich sollte irgendetwas anderes tun, als hier zu stehen, aber das konnte ich nicht.
Natürlich hätte ich Einwände vorbringen können. Ich wusste, dass es welche gab. Ich hätte ihm meine Sicht erklären können, aber irgendwie war das hinfällig. Es gab so vieles, was ich hätte sagen sollen, was ich hätte tun sollen … aber ich konnte einfach nicht.
»Ich möchte, dass du jetzt heimfährst.«
Es war meine Stimme, die diese Worte sagte, dabei klang sie gar nicht so; sie war tonlos und ohne jeden Ausdruck. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich etwas sagen würde.
»Blair –« Wyatt machte einen Schritt auf mich zu, und ich stolperte zurück, aus seiner Reichweite. Er durfte mich nicht berühren, er sollte mich jetzt auf gar keinen Fall berühren, weil zu vieles in mir in tausend Stücke zu brechen drohte und ich vollauf damit beschäftigt war, alles zusammenzuhalten.
»Bitte – geh einfach.«
Er blieb stehen. Einen Streit nicht auszufechten, war nicht seine Art. Ich wusste das, ich wusste, was ich von ihm verlangte. Das hier war zu wichtig für mich, um noch zu taktieren, zu entscheidend, als dass ich mich mit einer kosmetischen Ausbesserung abfinden konnte, mit der die Risse nur kaschiert wurden. Ich wollte weg von ihm, nein, ich musste weg von ihm und eine Weile ganz für mich allein sein. Mein Herz klopfte in langsamen, schweren Schlägen, die schmerzhaft durch meinen ganzen Körper hallten, und wenn er nicht bald verschwand, müsste ich laut schreien, weil ich die Qualen nicht mehr aushielt.
Ich atmete schaudernd ein oder versuchte es zumindest; meine Brust war wie zugeschnürt, so als hätte mein Herz die Lunge zusammengepresst und ließe sie nicht mehr arbeiten. »Ich gebe dir deinen Ring nicht zurück«, sagte ich mit derselben dünnen, flachen Stimme. »Die Hochzeit wird trotzdem stattfinden –« Wenn du sie nicht absagen willst. »Aber ich brauche Zeit zum Nachdenken. Bitte.«
Eine lange, peinigende Minute sah es nicht so aus, als würde er gehen. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, griff nach seinem Jackett und eilte mit langen Schritten hinaus. Er schmetterte nicht einmal die Tür hinter sich zu.
Ich brach nicht auf dem Boden zusammen, ich rannte auch nicht nach oben und warf mich heulend aufs Bett. Ich blieb nur lange, lange in der Küche stehen und krallte mich so an der Küchentheke fest, dass meine Fingernägel weiß leuchteten.