7

Meine Mom erschien wenig später mit frischen Anziehsachen, die sie in den winzigen Wandschrank hängte, bevor sie den Hausschlüssel in meine Handtasche zurückgleiten ließ. »Ich kann nicht lange bleiben.« Sie wirkte verärgert, gehetzt und unglaublich schön, weil Mom eben so ist, sie kann gar nicht anders aussehen. »Wie geht es dir, mein Schatz?«

»Besser«, sagte ich, das war die Wahrheit. Schließlich konnte ich diese grauenhaft glibbrigen Eier essen, oder etwa nicht? Das »Besser« wurde durch ein »Geringfügig« eingeschränkt, aber ich musste mich mit dem begnügen, was ich bekommen konnte. »Danke, dass du meine Sachen hergebracht hast. Jetzt kümmere dich um deine Arbeit und mach dir keine Sorgen um mich.«

Sie schenkte mir einen ironischen »Aber-sicher« -Blick. »War schon ein Arzt da?«

»Nein.«

Ihr Ärger nahm deutlich zu. »Wo ist Siana?«

»Sie ist in die Cafeteria gegangen, als ich gekommen bin«, erklärte Wyatt und sah auf die Uhr. »Das war vor etwa zwanzig Minuten.«

»Ich kann nicht bleiben, bis sie wieder heraufkommt, ich müsste schon seit fünf Minuten weg sein.« Sie beugte sich über mein Bett, gab mir einen Kuss auf die Stirn, hauchte Wyatt im Vorbeigehen einen Abschiedsschmatz auf die Wange und war im nächsten Moment aus der Tür, nicht ohne mir ein »Ruf mich auf dem Handy an, wenn du mich brauchst« zuzuwerfen, bevor sie aus meinem Blickfeld verschwand.

»Du hast ihr nichts von den Überwachungsbändern erzählt«, bemerkte Wyatt. Er arbeitete immer noch daran, unsere Familiendynamik zu entschlüsseln. Während er dem Glauben anhing, dass die kalte, harte Wirklichkeit die stabilste Grundlage für unser Handeln darstellt, teilten Mom und ich die Neigung, die Wirklichkeit nur tangential zu streifen und alles Schlechte zu verdrängen, bis wir es verarbeitet hatten und bereit waren, es anzugehen. Ich hatte die ganze Nacht das Geschehen verarbeitet, außerdem war ich dabei gewesen und wusste daher ganz genau, in welcher Gefahr ich geschwebt hatte, darum war ich schon einige Tangenten abgegangen und inzwischen durchaus bereit, mich der kalten, harten Wirklichkeit zu stellen.

»Sie weiß, dass mich jemand überfahren wollte. Es bringt nichts, wenn ich ihr erzähle, wie knapp ich dieser blöden Kuh entwischt bin. Mom ist sowieso gestresst, und das würde ihr nur noch mehr Sorgen machen.« Der Vorfall war vorüber … bis auf den Genesungsteil. Nachdem es keine Möglichkeit gab, die Irre aufzuspüren, war es für alle Beteiligten wahrscheinlich das Beste, den Zwischenfall zu vergessen und weiterzumachen. Ich hatte das schon getan; mir blieb nichts anderes übrig. Immerhin musste ich einkaufen gehen! Dieser Quatsch hatte mich schon einen ganzen Tag gekostet und würde mich wahrscheinlich noch mehr kosten, dabei hatte ich wahrlich keine Zeit zu vergeuden.

Wyatt sah nochmals auf die Uhr. Seine Tage waren unglaublich hektisch, und ich wusste, dass es schwer genug war, die Zeit für einen Krankenhausbesuch abzuknapsen. Ich fasste nach seiner Hand. »Du musst los.« Hey, ich kann sehr wohl verständnisvoll sein.

»Das muss ich wirklich. Du hast doch meinen Hausschlüssel bei dir, oder?«

»In meiner Handtasche. Warum?«

»Damit du ins Haus kannst, falls ich mich nicht freischaufeln kann, um dich abzuholen, wenn du entlassen wirst. Siana kann dich hinfahren, oder?«

»Das ist kein Problem, nur fahre ich nicht zu dir nach Hause, sondern zu mir.« Ich sah, wie seine Brauen nach unten rutschten, und drückte seine Hand. »Ich weiß, dass du mich beschützen willst, und ich will wirklich keine Scherereien machen, ehrlich«, so schwer das zu glauben war, »aber meine ganze Arbeit und mein ganzes Zeug liegt bei mir daheim. Mir ist vielleicht nicht nach Einkaufen zumute, aber einiges könnte ich per Telefon oder Computer erledigen. Diesmal bin ich keine Invalidin und brauche niemanden, der bei mir bleibt. Außerdem gebe ich dir mein Wort, dass ich in nächster Zeit nicht Auto fahren werde.« So. Vernünftiger konnte man kaum sein, oder?

Es gefiel ihm trotzdem nicht, vor allem, weil er mich von diesem Moment an am liebsten ständig in seinem Haus gehabt hätte – oder am liebsten schon seit zwei Monaten, und er vertrug es nicht besonders gut, wenn er nicht das bekam, was er wollte. Ein Wort an meine Mitfrauen: Wenn ihr auf der Suche nach einem lockeren, unaggressiven und unarroganten Mann seid, dann denkt nicht mal an einen Cop. Wenn der fragliche Cop außerdem ehemaliger Profi-Footballspieler ist, dann lasst euch gesagt sein, dass ihr es auf jeden Fall mit einem Charakter zu tun haben werdet, der keine Gefangenen macht, wenn es darauf ankommt.

Manchmal, zugegeben, bringe ich ihn absichtlich auf hundertachtzig, einfach weil es lustig ist, aber diesmal war es mir ernst. Ihm war das ebenfalls klar, darum zügelte er seine natürliche Neigung, Befehle zu erteilen. »Okay. Nach der Arbeit fahre ich heim und hole meine Sachen. Ich weiß nur nicht, wann ich bei dir sein werde, sorg also dafür, dass du etwas zu essen im Haus hast, bevor Siana heimfährt.«

»Du brauchst nicht bei mir zu übernachten, ich komme auch allein zurecht«, sagte ich, weil die Höflichkeit es gebot.

»Na klar.« Seine Antwort klang verdächtig nach einem Schnauben. Er war viel zu schlau, als dass er nur daran gedacht hätte, auf mich zu hören. Ich wäre unendlich stinkig gewesen, wenn er mich alleine und im Stich gelassen hätte, während ich mit einer Gehirnerschütterung zu kämpfen hatte. Gut, Siana hätte bestimmt auch bei mir übernachtet, aber irgendwie sah ich das als Wyatts Pflicht an, als Teil des Gesamtpakets, auf das wir uns geeinigt hatten, indem wir uns verlobten. Ich sorgte für ihn, er sorgte für mich. Ganz einfach. Obwohl ich bis jetzt noch nicht für ihn sorgen musste, es sei denn, Erektionen zählten auch zur Fürsorge, aber damit hatte ich kein Problem, denn mir schauderte schon bei der Vorstellung, dass ihm irgendwas zustoßen könnte. Ich liebte ihn so sehr, dass ich nicht einmal den Gedanken ertrug, abgesehen davon war er mit Sicherheit ein miserabler Patient.

Jedenfalls ließ ich seinen sarkastischen Kommentar unkommentiert und mich stattdessen von ihm küssen, bevor er verschwand. Siana, mit exquisitem Timing gesegnet, kam ein paar Minuten nach seinem Abgang ins Zimmer geschlendert. »Wie hat er es aufgenommen?«, fragte sie.

»Ich glaube, er dachte, wir hätten wirklich über seinen Penis geplaudert, wie er es genannt hat.« Ich verzog das Gesicht. »Dass wir ihn beim Lauschen erwischt haben, hat ihn kein bisschen gestört. Das macht aber nichts, denn dafür konnte ich eine Zusage herausschlagen, dass ich sein Haus umbauen und neu einrichten darf.«

Sie sah mich bewundernd an. »Ich weiß nicht genau, wie du es geschafft hast, den Bogen vom Lauschen zum Einrichten zu schlagen, aber es zählt nur das Ergebnis.«

Weil ich auch ihr meinen Gedankengang von den Orgasmen zur Speisekammer nicht darlegen wollte, begnügte ich mich mit einem Lächeln. Manchmal sollte eine kleine Schwester einfach zu ihrer großen Schwester aufsehen.

Wir verbrachten den Nachmittag damit, Serien anzuschauen, was ganz interessant war. Siana erzählte, sie habe gehört, in den meisten Soaps würden sich alle entscheidenden Wendungen freitags ereignen, und ich glaube, damit hat sie recht. Wir beobachteten einen Mordversuch, eine Entführung und etwa vierzehn Paare beim Sex, eine anspruchsvolle Latte für nur zwei Stunden.

Als wir gerade bei Oprah’s Talkshow waren, trat eine Ärztin ein und stellte sich uns vor. Sie war Mitte fünfzig, abgespannt, und wir sahen ihr an, dass sie nur noch danach trachtete, ihre Visite fertig zu bekommen, weshalb ich gar nicht erst fragte, wieso sie nicht früher gekommen war. Auf dem Namensschild an der Tasche ihres weißen Arztkittels stand »Tewanda Hardy, M.D.« Sie prüfte meine Pupillen, überflog meine Akte, stellte ein paar Fragen und erklärte mir, dass mir die Stationsschwester eine Liste von Anweisungen mitgeben würde und ich danach nach Hause konnte. Ehe ich mehr als ein eiliges »Danke« über die Lippen gebracht hatte, war sie schon wieder aus dem Zimmer geeilt.

Endlich!

Siana holte meine Kleider aus dem Schrank und rief dann Mom und Wyatt an, um ihnen mitzuteilen, dass wir auf dem Heimweg waren, während ich mich behutsam zum Umziehen ins Bad vorarbeitete. Die Sachen, die Mom mir gebracht hatte, Hose und Bluse, waren aus einem besonders weichen, fließenden Leinen- und Kunstseidemix, der nicht an meinen Wunden schabte, die Bluse ließ sich vorn zuknöpfen, damit ich nichts über meinen Kopf zu ziehen brauchte. Sobald ich wieder richtig angezogen war, ging es mir deutlich besser, obwohl sich die Kopfschmerzen von der Anstrengung verschlimmert hatten. Ich könnte ehrlich gesagt schwer beschreiben, inwiefern es mir besser ging, aber so war es. Kleidung hat diese Wirkung auf mich.

Eine Schwester kam mit ein paar Formularen vorbei, die ich unterschreiben musste, sowie mit einer Liste von Dingen, die ich nicht tun durfte, bis die Kopfschmerzen verflogen waren, und das war so ziemlich alles. Wie man Schürfwunden versorgt, wusste ich bereits. Medikamente bekam ich keine verschrieben; gegen die Kopfschmerzen konnte ich rezeptfreie Tabletten kaufen, falls ich welche brauchte. Falls ich welche brauchte? Hatte den Angehörigen des medizinischen Berufsstandes noch niemand erzählt, wie sich eine Gehirnerschütterung anfühlt?

Natürlich musste ich in einem Rollstuhl zum Eingang gefahren werden, aber damit hatte ich keine Probleme. Siana hatte meine Plastiktüten und die Handtasche mitgenommen, als sie vorangegangen war, um ihr Auto zu holen und es zum Haupteingang zu fahren – oder Hauptausgang, je nachdem. Als sie unter dem Vordach hielt, schob die Schwester den Krankenwagen durch die doppelte Automatiktür nach draußen, und ein Schwall kalter Luft legte sich über mich.

»Ist das kalt!«, sagte ich ungläubig. »Niemand hat mir verraten, dass wir einen Kälteeinbruch hatten!«

»Heute Morgen ist eine Front über uns hinweggezogen«, erklärte die Krankenschwester hilfsbereit, als hätte ich das noch nicht selbst gemerkt. »Dabei ist die Temperatur um fünfzehn Grad gefallen.«

Normalerweise liebe ich den ersten herbstlichen Kälteeinbruch, aber normalerweise bin ich auch besser dafür angezogen. Selbst die Luft roch herbstlich und war mit dem schwachen Duft nach getrocknetem Laub behaftet, obwohl sich die Bäume noch nicht einmal zu verfärben begonnen hatten. Es war Freitag, das hieß, dass heute Highschool-Football gespielt wurde. Bald würden die Zuschauer, erstmals seit dem Frühjahr wieder in Pullovern und Jacken, zum Stadion aufbrechen. Seit ich das Great Bods eröffnet hatte, hatte ich es zu keinem Spiel mehr geschafft, und plötzlich fehlten mir die Gerüche, der Lärm und die Aufregung. Wyatt und ich müssten uns fest vornehmen, noch in diesem Jahr zu einem Spiel zu gehen, es tat nichts zur Sache, ob es College- oder Highschool-Football war.

Ich müsste eine weitere Angestellte für das Great Bods einstellen, jemand, der mich oder Lynn vertreten konnte, erkannte ich. Falls alles so verlief, wie es mir vorschwebte, wäre ich an Weihnachten schon schwanger. Mein Leben würde sich bald von Grund auf verändern, je eher, je lieber, was mich betraf.

Es war eine Wohltat, zu Siana ins Auto zu steigen und aus dem Wind zu kommen. »Jetzt hätte ich gern eine heiße Schokolade«, sagte ich, während ich mich anschnallte.

»Hört sich gut an. Ich mache uns eine, während wir auf Wyatt warten.«

Sie fuhr vorsichtig, ohne abrupte Starts oder Vollbremsungen, und so schafften wir es ohne größere Schmerzexplosionen bis zu meinem Apartment. Mein Auto parkte im Carport unter dem Vordach, woraus ich schloss, dass Mom etwas arrangiert hatte, um mein Auto vom Parkplatz des Einkaufszentrums zu holen, während sie meinen Schlüsselbund gehabt hatte. Am Vorabend hatte ich noch an das Auto gedacht, aber als morgens alle wieder wach waren, hatte ich vergessen, das Problem noch einmal anzusprechen.

Gerade als wir ins Haus traten, rief Wyatt auf meinem Handy an, und ich blieb stehen, um es aus meiner Tasche zu angeln. »Ich bin zu Hause«, erklärte ich ihm.

»Gut. Ich bin früher weggekommen als erwartet. Im Moment bin ich auf dem Weg zu mir, um meine Sachen zu holen, also müsste ich in spätestens einer Stunde bei dir sein. Ich kann etwas zum Essen mitbringen, hast du auf etwas besonderen Appetit? Und frag Siana, ob sie mitessen möchte.«

Ich gab die Einladung weiter, Siana nahm an, und dann mussten wir nur noch beschließen, was wir essen wollten. Weil sich eine so wichtige Entscheidung nicht übers Knie brechen lässt, bat ich Wyatt, noch einmal anzurufen, sobald er von zu Hause wegfuhr. Dann setzte ich mich hin und verhielt mich absolut ruhig, bis das Schädeldröhnen nachließ. Ibuprofen, ich komme.

Meine Wohnung war ausgekühlt, da die Klimaanlage noch eingeschaltet war. Siana drehte den Thermostat auf »Heizen«, allerdings auf die niedrigste Stufe, damit die Kälte vertrieben wurde, und machte sich anschließend daran, uns eine heiße Schokolade zu kochen, während wir berieten, was wir essen wollten. Anschließend spülte ich mit meiner Schokolade zwei Ibuprofen-Tabletten hinunter. War das nicht eine geniale Kombination?

Wir einigten uns auf ein schlichtes und tröstliches Abendmahl – Pizza. Da ich Wyatts Vorlieben in Sachen Pizza kannte, rief Siana direkt in der Pizzeria an und gab die Bestellung durch. Ein paar Minuten später läutete das Telefon, das sie an mich weiterreichte. Ich rechnete mit einem Anruf von Wyatt, aber auf dem Display stand »Denver, CO«. Ich habe meine Nummer für alle Telemarketing-Firmen sperren lassen und hatte daher keine Ahnung, wer mich aus Denver anrufen sollte.

»Hallo?«

Schweigen beantwortete meinen höflichen Gruß. Ich probierte es erneut, diesmal ein bisschen lauter. »Hallo?« Ich hörte ein Klicken, dann das Tuten; verärgert drückte ich die AUS-Taste und legte den schnurlosen Apparat auf den Tisch. »Aufgelegt«, erklärte ich Siana, die daraufhin mit den Achseln zuckte.

Wyatt rief fünf Minuten danach an, und ich gab ihm die Pizza-Informationen weiter. Zwanzig Minuten später trudelte er ein, mit seiner Reisetasche sowie einer großen und einer kleinen Pizzaschachtel beladen, und wir stürzten uns wie halb verhungerte Wölfe auf die Pizza. Okay, das ist übertrieben, aber ich war hungrig und er auch.

Er hatte sich umgezogen und Jeans und ein langärmliges, dunkelgrünes Henley-Hemd an, über dem seine Augen vergleichsweise hell wirkten. »Ich habe dich noch nie in Wintersachen gesehen«, sagte ich. »Bis jetzt warst du eine reine Sommerromanze.« Die Erkenntnis, dass ich den Winter mit ihm erleben würde, war eigenartig faszinierend.

Er zwinkerte mir zu. »Dich erwarten zahllose Kälte-Kuscheleinheiten.«

»Gebt mir rechtzeitig Bescheid«, sagte Siana und zupfte eine schwarze Olive aus dem kaugummiartigen Käse, um sie in ihrem Mund verschwinden zu lassen, »damit ich abhauen kann.«

»In Ordnung«, sagte Wyatt und ergänzte dann mit einem leichten Anflug von Sarkasmus: »Ich möchte nicht, dass es zu unbeabsichtigten SPS-Sichtungen kommt.«

Siana verschluckte sich an ihrer Olive, und ich prustete los, woraufhin mein Kopf grauenvoll zu pochen begann, weil ich ihn zu abrupt bewegt hatte. Ich hörte auf zu lachen und fasste mir an den Kopf, woraufhin Siana gleichzeitig zu lachen und zu husten begann – sie ist ein bisschen pervers –, während Wyatt uns beide mit einem selbstzufriedenen Funkeln in den Augen beobachtete.

Das Telefon läutete schon wieder, er ging dran, da wir beide beschäftigt waren, Siana mit Husten und ich mit Kopfhalten. Er warf einen Blick aufs Display und fragte: »Wen kennst du in Denver?«, bevor er die Sprechtaste drückte. »Hallo?« Er machte das Gleiche wie ich zuvor, indem er wiederholt und diesmal lauter »Hallo?« fragte, und legte dann auf.

»Das ist schon das zweite Mal, seit wir nach Hause gekommen sind.« Ich ließ meinen Kopf los und griff nach meinem Pizzastück. »Ich kenne niemanden in Denver. Aber beim ersten Mal wurde auch aufgelegt.«

Er sah nochmals aufs Display. »Wahrscheinlich ist es jemand mit einer billigen Callingcard; deren Anrufe werden oft über Denver geleitet.«

»Wer es auch ist, schmeißt sein Geld zum Fenster raus.«

Noch bevor wir die Pizza aufgegessen hatten, rief Mom an, der ich versicherte, dass es mir schon besser ging; da das Ibuprofen inzwischen zu wirken begonnen hatte, war das nicht einmal gelogen, zumindest solange ich keine hektischen Bewegungen machte. Sie fragte, ob Wyatt bei mir übernachten würde, ich sagte ja, sie sagte schön und konnte in dem Wissen, dass ihre älteste Tochter in guten Händen war, getrost auflegen.

Dann rief meine Stellvertreterin Lynn an. Wyatt knurrte: »Haben wir heute die Ruft-alle-Blair-an-Nacht?«, aber ich ging gar nicht darauf ein. Lynn schilderte kurz, wie der Tag im Club verlaufen war, versicherte mir, dass sie mich ohne Probleme vertreten würde, bis ich wieder arbeiten konnte, und beschwor mich, mir nicht den Kopf zu zerbrechen, haha. Ich machte mir eine Gedankennotiz, ihr ein paar zusätzliche Urlaubstage zu spendieren.

Danach blieb das Telefon still. Siana und Wyatt beseitigten die Überreste der Pizza, dann umarmte mich Siana ein letztes Mal und war gleich darauf verschwunden. Wyatt hob mich augenblicklich aus meinem Stuhl hoch und setzte sich mit mir auf seinem Schoß hin, um mir einige der erwähnten Kuscheleinheiten zukommen zu lassen. Ich ließ mich an seine Brust sinken und kämpfte gegen ein Gähnen an. So müde und schläfrig ich auch war, ins Bett wollte ich noch nicht gehen.

Er sagte nichts, sondern hielt mich nur fest. Ich glaube, damit ich nicht auf ihn reagiere, müsste ich tot sein, denn schon bald registrierte ich, wie warm sein Körper war, wie schön es war, von ihm gehalten zu werden, und wie gut er roch. »Es sind schon fast achtundvierzig Stunden vergangen, seit wir das letzte Mal Sex hatten«, kündigte ich an und versuchte unglücklich die inzwischen aufgelaufenen Minuten aufzurechnen.

»Das ist mir durchaus bewusst«, murmelte er.

»Morgen gibt es auch keinen Sex.«

»Ich weiß.«

»Und am Sonntag vielleicht auch keinen.«

»Glaub mir, ich weiß.«

»Glaubst du, du könntest ihn reintun und ihn nicht bewegen?«

Er schnaubte. »Träum weiter.«

Mit dieser Antwort hatte ich gerechnet, trotzdem war es den Versuch wert gewesen. Außerdem wäre es interessant zu erproben, wie lange er es aushalten würde, ohne sich zu bewegen, wenn ich mich wieder besser fühlte. Nein, ich betrachte das nicht als Menschenrechtsverletzung. Jemanden auf die Folter zu spannen ist etwas anderes, als ihn zu foltern. Ich weihte ihn nicht in meinen Plan ein, aber schon die Vorfreude ließ mich wieder aufleben.

Jede Frau braucht etwas, auf das sie sich freuen kann, oder?