12

Sobald wir heimkamen, notierte ich die neuen Punkte auf Wyatts Verfehlungsliste, aber ich hätte ebenso gut mit unsichtbarer Tinte schreiben können, denn er ignorierte das Papier vollkommen. Er warf nicht einmal einen Blick darauf, obwohl es deutlich sichtbar auf der Theke lag, die den Wohnbereich von der Küche trennte, sondern ließ sich stattdessen in einem Sessel nieder, griff nach der Morgenzeitung, die er offenbar am Morgen nicht gelesen hatte, und fragte mich, ob ich die Zeitung haben wolle, wenn er fertig damit war. Tja, Mann, schließlich war es meine Zeitung, oder etwa nicht? Warum sollte ich das Ding bezahlen, wenn ich es nicht lesen wollte? Und warum las er Zeitung, statt sich mit seiner Liste zu beschäftigen? In meiner Welt lag einiges im Argen.

Aber ich war erschöpft, und ich war die vermaledeiten Kopfschmerzen leid. »Ich lese sie morgen«, sagte ich. »Ich nehme nur noch ein paar Ibuprofen, gehe unter die Dusche und dann ins Bett.« Außerdem war ich mies drauf, aber dafür konnte er nicht viel, weshalb ich meine Laune nicht an ihm auslassen wollte.

»Ich komme gleich nach«, sagte er.

Ich schmollte unter der Dusche und dachte dabei an mein Auto. Es sollte ein Sicherheitssystem geben, mit dem man sein Auto unter Strom setzen kann, damit jedem Arschloch, das mit einem Schlüssel durch den Lack fährt, Funken aus demselben sprühen. Ich munterte mich auf, indem ich mir die hervorquellenden Augen, die Einsteinfrisur und idealerweise durchnässte Hosen vorstellte, sodass jeder lachend mit dem Finger auf den Übeltäter zeigte. Das würde die kleinen Scheißer lehren.

Falls es jemandem noch nicht aufgefallen ist, die andere Wange hinzuhalten ist nicht mein Ding.

Nach dem Duschen versorgte ich meine diversen Schnitte und Flecken – die aber samt und sonders nicht mehr verbunden werden mussten, weshalb ich nur etwas Salbe auftrug, um den Heilungsprozess zu befördern. Außerdem führte ich ein kleines Experiment am eigenen Leibe durch, indem ich auf die eine Schürfwunde La Mer, auf die andere eine antibiotische Salbe und auf eine dritte Aloegel strich, um festzustellen, welche am schnellsten heilen würde. Die blauen Flecken bestäubte ich mit Vitaminspray. Vielleicht half es, vielleicht auch nicht. Jedenfalls würden sie nicht anfangen zu husten.

Ich hatte gerade das Licht ausgeschaltet und war ins Bett gekrabbelt – nackt, um Wyatt die Mühe zu sparen, mich wieder auszuziehen –, als er nach oben kam. Während er duschte, schlief ich ein, wachte immerhin so weit auf, dass ich ihm einen Gutenachtkuss geben konnte, als er neben mir ins Bett stieg, und bekam danach nichts mehr mit, bis am nächsten Morgen der Wecker klingelte.

Dienstags übernahm Lynn die Frühschicht im Studio, weshalb ich erst um halb zwei auftauchen musste, obwohl ich gewöhnlich früher kam. Heute allerdings hatte ich eine Menge zu erledigen, bevor ich zu arbeiten begann. Erst rief ich die Versicherungsgesellschaft wegen meines Autos an, dann sprach ich mit Luke Arledge, anschließend vereinbarte ich einen Termin beim Friseur – und zwar für elf Uhr am selben Vormittag, ist das zu fassen? –, und schließlich begab ich mich auf die Suche nach dem Stoff für mein Hochzeitskleid. Auf dem Weg zum Stoffladen hielt ich kurz bei einem Antiquitäten-Restaurator, um ihm einige Fragen zu stellen, und entdeckte zum Lohn für meine Mühen einen phantastischen Queen-Anne-Schreibtisch, der wie geschaffen für das Arbeitszimmer war, das ich in Wyatts Haus einrichten wollte. Weil es inzwischen schon zehn Uhr war, raste ich wie von der Tarantel gestochen weiter.

Es ging mir unendlich viel besser; die Kopfschmerzen hatten sich zu einem leichten Zwicken abgeschwächt, das ich nur spürte, wenn ich mich vergaß und zu tänzeln begann, weil es ein so unglaublich schöner Tag war. Es war viel wärmer als am Vortag, der Kälteeinbruch schien fürs Erste überstanden, und alle, mit denen ich sprach, waren gut gelaunt.

Im Stoffladen blieb mir gerade noch genug Zeit, um alle Seiden- und Satinstoffe durchzusehen und zu erkennen, dass sie nicht das hatten, was mir vorschwebte. Ich hatte es eilig, immerhin hatte ich einen Termin beim Friseur, darum drehte ich mich absichtlich weg, als ich eine Frau sah, die mir vage vertraut erschien, nur für den Fall, dass ich sie kannte und ein paar Minuten Smalltalk mit ihr machen müsste, sobald wir Augenkontakt aufnahmen. Manchmal ist es eine Last, im Süden zu leben; hier genügt es nicht, nach einem knappen Nicken seiner Wege zu gehen, hier müssen wir uns nach der Familie erkundigen und das Gespräch normalerweise mit einer Einladung zu uns nach Hause beschließen, was meinen eng gestrickten Terminplan endgültig über den Haufen werfen würde, falls jemand mich beim Wort nehmen sollte, was Gott verhüten mochte.

Shay, meine Friseuse, legte gerade letzte Hand an ihre Kundin, als ich eintraf, womit ich ein paar Minuten Zeit hatte, mehrere Frisurenbücher durchzublättern. Weil es einer jener Tage zu sein schien, an denen mir alles in den Schoß fiel – wurde auch Zeit, dass ich so einen Tag erleben durfte! –, stieß ich sogleich auf eine Frisur, die mir gefiel.

»Die da«, sagte ich zu Shay, als ich an der Reihe war, auf ihren Stuhl zu klettern, und deutete dabei auf das entsprechende Bild.

»Sehr niedlich«, sagte sie und studierte den Schnitt. »Aber bevor ich zu schneiden anfange, sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob sie die Haare tatsächlich so kurz haben wollen. Sie werden zehn, fünfzehn Zentimeter verlieren.«

Ich hob mein Haar an, um ihr die rasierte Stelle an meinem Haaransatz zu zeigen. »Ich bin sicher.«

»Das denke ich auch. Was ist passiert?«

»Ich habe auf dem Parkplatz beim Einkaufszentrum einen Asphaltköpfer hingelegt.« Diese Version ersparte mir weitere Erklärungen. Vor ein, zwei Tagen wäre ich vielleicht in der Stimmung für Dramatik und tränenreiches Mitleid gewesen, aber inzwischen schaute ich wieder nach vorn und wollte diese Episode hinter mir lassen.

Sie feuchtete meine Haare mit einem Wassersprayer an, kämmte sie zurück und begann zu schneiden. Einmal bekam ich kurz Panik, als eine fünfzehn Zentimeter lange blonde Strähne auf das Cape in meinem Schoß fiel, aber ich blieb standhaft und wimmerte nicht einmal. Außerdem war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen, und jedes Wimmern wäre Energieverschwendung gewesen.

Als Shay ihr Zauberwerk mit Fön und Brennschere vollendet hatte, war ich absolut begeistert. Mein neuer kinnlanger Haarschnitt sah schick, beschwingt und sexy aus. Auf der einen Seite waren die Haare zurückgekämmt, sodass meine Ohrringe zu sehen waren, während sie auf der anderen die halbe Braue bedeckten, womit gleichzeitig die Naht und der rasierte Fleck kaschiert wurden. Ich schüttelte vorsichtig den Kopf, nur für den Fall, dass die Kopfschmerzen eine neue Attacke starten wollten, aber ich blieb schmerzfrei, während meine Haare äußerst zufriedenstellend zur Seite flogen und hüpften, um gleich darauf wieder in Position zu springen.

Wenn du weißt, dass du gut aussiehst, wirkt die ganze Welt wie ausgewechselt.

Sobald ich wieder im Auto saß, rief ich Wyatt an. »Ich habe mir die Haare schneiden lassen«, sagte ich ihm. »Kurz.«

Er verstummte, und ich konnte Hintergrundgeräusche hören, die mir verrieten, dass er nicht allein war. »Wie kurz?«, fragte er nach einer Weile mit argwöhnisch tiefer Stimme.

Ich habe noch keinen Mann getroffen, der kurze Haare an einer Frau mag. Ich glaube, ihre DNA nimmt durch das ständige Testosteronbombardement Schaden. »Kurz.«

Er murmelte etwas, das wie »Scheiße« klang.

»Ich wusste, dass es dir nicht gefallen würde«, erklärte ich ihm fröhlich, »darum habe ich gedacht, dass ich dir heute Abend zur Wiedergutmachung einen blase. Tschüssi.«

Ich schaltete das Handy aus und war ungeheuer zufrieden mit mir. Es hätte mich sehr überrascht, wenn er in der Lage gewesen wäre, an diesem Tag an etwas anderes als an mich zu denken.

Ich hatte noch Zeit, etwas zu essen zu holen, bevor ich zu arbeiten begann, und hielt an meinem liebsten Grillrestaurant an, um ein Sandwich mitzunehmen. Der Verkehr war dicht, weil der Mittagspausentreck durch die Stadt zog, um vor ein Uhr wieder bei der Arbeit zu sein. Ich wartete als Letzte auf der Linksabbiegerspur auf den grünen Pfeil, als ich etwas Weißes in meinem Rückspiegel aufblitzen sah.

Automatisch sah ich in den Spiegel. Ein weißes Auto saß auf meiner Stoßstange, und das so dicht, dass ich die Marke nicht erkennen konnte. Der Fahrer trug eine Baseballkappe und Sonnenbrille. Ein Mann? Sicher war ich da nicht. Vielleicht ein klein gebauter Mann. Ich ließ den Wagen so weit vorwärtsrollen, dass ich das Markenzeichen auf der Kühlerhaube erkennen konnte; es war ein Chevrolet. Augenblicklich setzte der Fahrer mit seinem Wagen nach und blieb noch dichter hinter mir stehen als zuvor.

Mein Magen verkrampfte sich. Ich musste diese Paranoia überwinden. Ich musste endlich wieder logisch denken, schließlich war ich von einem beigen Buick und nicht von einem weißen Chevrolet um ein Haar überfahren worden. Was war schon dabei, dass ich gestern zweimal einen weißen Chevrolet im Rückspiegel gesehen hatte? Es ist nicht so, als wären weiße Chevrolets eine Rarität; hätte ich darauf geachtet, hätte ich wahrscheinlich auf jeder Fahrt mindestens einmal einen weißen Chevrolet hinter mir bemerkt. Super.

Mein Magen ließ sich nicht durch logische Argumente besänftigen und blieb verkrampft. Die Abbiegeampel wurde grün, und die Autoschlange kroch langsam vorwärts, erst der Kopf, dann der nächste Wagen und so weiter, bis schließlich alle Autos in Bewegung waren. Ich versuchte mehr Abstand zwischen meinen Wagen und den weißen Chevy zu bringen, doch der Abstand wurde sofort geschlossen. Ich sah wieder in den Spiegel; ich konnte erkennen, dass der Fahrer beide Hände am Lenkrad hatte, wodurch es so aussah, als würde er oder sie absichtlich so dicht auffahren.

Ich fuhr einen wendigen, reaktionsschnellen Wagen mit einem mächtigen Motor, der ohne zu murren bis zu 7000 Umdrehungen pro Minute schaffte. Falls ich damit keinen Chevy abhängen konnte, konnte ich meinen Mercedes auch gegen einen Japaner eintauschen.

Ich überblickte kurz den Verkehr um mich herum und zog mein Cabrio dann abrupt nach rechts auf die mittlere Spur in einen Zwischenraum, der gerade groß genug für mein Cabrio war. Eine Hupe blökte beängstigend nah hinter mir, aber ich hatte schon auf die rechte Spur gewechselt und schoss dort nach vorn, wobei ich in drei Sekunden ebenso viele Wagen überholte. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass sich der weiße Chevy auf der mittleren Spur einzufädeln versuchte, wobei er beinahe einen Lieferwagen rammte, bevor er erschrocken auf die linke Spur zurückzuckte.

O mein Gott. Wenn es wirklich passierte, dann war es keine Paranoia! Der Wagen verfolgte mich tatsächlich!

Ich stieg auf die Bremse und bog rechts und danach gleich wieder rechts ab. Eigentlich wollte ich einmal um den Block fahren und mich dann meinerseits hinter den Chevy hängen, aber die modernen Städteplaner legen in ihrer unergründlichen Weisheit die Straßen heutzutage nicht mehr rasterförmig an. Statt um einen netten, gewöhnlichen Block zu fahren, kutschierte ich eine breite Straße entlang, die sich mal nach links und mal nach rechts wand und von der lauter Sackgassen abzweigten. In den Sackgassen hatten sich die unterschiedlichsten Unternehmen niedergelassen, ich befand mich also nicht einmal in einer Wohngegend. Verzeihung, aber hat diesen dämlichen Städteplanern noch niemand verraten, dass ein Raster die effektivste Weise ist, den Verkehr zu lenken?

Nach mehreren frustrierenden Minuten gab ich es auf, wieder auf die Hauptstraße stoßen zu wollen, und machte kehrt, um denselben Weg zurückzufahren.

Das war wirklich extrem schräg. Damit meine ich nicht die Straßenführung, sondern die Sache mit dem weißen Chevrolet. Ich kenne nicht einmal jemanden, der einen weißen Chevrolet fährt! Also gut, vielleicht schon, aber ich weiß es nicht. Nehmen wir etwa Shay; ich habe keine Ahnung, welches von den Autos, die vor dem Friseursalon parken, ihr gehört. Oder mein Lieblingsverkäufer im Supermarkt. Habe ich mich klar ausgedrückt? Alle möglichen Leute könnten einen weißen Chevy fahren, ohne dass ich es weiß.

Hatte ich irgendetwas an mir, das die Irren dieser Stadt endgültig in den Wahnsinn trieb? Undefinierbare Anziehungskräfte, die solche Menschen in meinen Orbit zogen? Und hatte ich irgendeine Möglichkeit, sie wieder abzustoßen und auf ihre eigene Umlaufbahn zu schießen? Es gab wirklich genügend Leute, die es mehr verdient hatten als ich, verfolgt zu werden.

Bevor ich wieder auf die Hauptstraße bog, sah ich mich ausgiebig um und entdeckte sofort vier verschiedene weiße Chevrolets. Ehrlich, die Dinger waren überall. Allerdings schien mich keiner der Fahrer zu beachten, sodass ich mich wieder in den Verkehr einfädelte und geradewegs in die Innenstadt zu meinem Studio zurückfuhr.

Ein weißer Chevrolet parkte direkt gegenüber dem Great Bods am Straßenrand. Jemand saß auf dem Fahrersitz und schaute in den Außenspiegel. Ich sah, wie die Sonnenbrille im Spiegelglas reflektierte, und mir sackte der Magen in die Knie.

Ich bog mit qualmenden Reifen und auf zwei Rädern um die Ecke, fuhr aber nicht hinter das Gebäude, weil ich es nicht für besonders schlau hielt, allein zu sein. Stattdessen hielt ich auf dem Kundenparkplatz und kam schlitternd zum Stehen. Dann hechtete ich aus dem Auto und rannte auf die Eingangstür des Great Bods zu, während ich gleichzeitig das Handy aus der Handtasche zu zerren versuchte. Falls diese Knalltüte mich erwischen wollte, müsste sie oder er mich zumindest vor Zeugen angreifen und nicht auf einem menschenleeren Hinterhof.

Vielleicht hätte ich den Notruf anrufen sollen, aber das tat ich nicht. Ich drückte einfach die Wahlwiederholung und rief Wyatt an, wobei ich herumwirbelte und durch die Schaufensterscheibe auf den weißen Chevrolet am Straßenrand starrte.

»Blair?«, fragte Lynn in meinem Rücken. »Was ist denn los?«

»Blair«, sagte Wyatt in mein Ohr, sodass ich meinen Namen in Stereo hörte.

»Jemand verfolgt mich«, erklärte ich. Meine Zähne klapperten, weil so viel Adrenalin in meinen Adern köchelte. »Jemand in einem weißen, viertürigen Chevrolet Malibu … sieht nach einem neuen Modell aus, vielleicht 2005 oder 2006. Gestern hat mich der Wagen auch schon verfolgt, und –«

Auf der anderen Straßenseite bog der Chevrolet aus seiner Parklücke und gondelte gemütlich davon, ohne besonders zu beschleunigen, fast als hätte der Fahrer oder die Fahrerin fertig eingekauft und nur auf eine Lücke im Verkehr gewartet, um endlich loszufahren.

»Der Wagen ist gerade weggefahren«, schloss ich. Ich fühlte mich so luftleer wie eines von Moms Soufflés. Mom brachte einfach kein richtiges Soufflé zustande. Lynn stellte sich neben mich, glotzte aus dem Fenster und sah mich verdattert an.

»Hast du das Kennzeichen?«, fragte Wyatt.

»Der Wagen war hinter mir.« Ich bin ziemlich sicher, dass es sich nicht um eine Verfolgung handelt, wenn der Wagen vor dir her fährt.

Er ging nicht weiter darauf ein. Das nenne ich Größe. »Wie meinst du das, er ist gerade weggefahren?«

»Er parkte auf der Straße gegenüber dem Great Bods. Jetzt ist er gerade weggefahren.«

»Die Person ist dir zum Studio gefolgt?«

»Nein, ich bin unvermittelt abgebogen und habe ihn … sie … wen auch immer abgeschüttelt, aber als ich zum Studio kam, stand der Wagen schon auf der anderen Straßenseite.«

Ich begriff sofort, dass das eigentlich unmöglich war, auch wenn die Stille am anderen Ende der Leitung das nicht laut und deutlich verkündet hätte. Wie gesagt, es gilt kaum als Verfolgung, wenn man vor jemandem herfährt; der Wagen war aber schon hier, als ich eintraf. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie es derselbe Wagen gewesen sein könnte, und die erschien mir genauso undenkbar.

»Sie kennen mich«, erklärte ich verblüfft. »Sie wissen, wer ich bin und wo ich arbeite.«

Lynn fragte: »Wer?«

Wyatt fragte: »Hast du jemanden im Wagen erkannt?«

Ich schloss die Augen, weil mir von den zwei verschiedenen Stimmen in beiden Ohren leicht schwindlig wurde. Weil Wyatt Polizist war, konzentrierte ich mich auf ihn. »Nein. Er … sie – verflucht, ich konnte nicht mal erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war! Baseballkappe, Sonnenbrille. So viel konnte ich sehen. Die Windschutzscheibe war getönt.«

»Was ist mit gestern? Bist du sicher, dass dir gestern dieselbe Person gefolgt ist?«

»Gestern saß eine Frau am Steuer. Langes Haar. Sie ist mir fast hinten reingefahren.«

»Hast du sie erkannt?«

»Nein, aber … sie ist mir bis hierher nachgefahren.« Erleichterung durchspülte mich, weil ich damit erklären konnte, warum der Chevrolet vor mir hier gewesen war. »Daher weiß sie, wo ich arbeite!«

»Du bist aber nicht sicher, dass es dieselbe Person ist.«

Er war so gründlich und logisch, wie Cops eben arbeiten müssen. Verstandesmäßig begriff ich das durchaus. Rein emotional hingegen hätte ich ihn am liebsten angefahren, er solle aufhören, so dumme Fragen zu stellen, und stattdessen alle Fahrer von weißen Chevys zusammentreiben und blutig knüppeln. Na schön, ausgenommen die alten; ich konnte erkennen, dass die Person am Steuer höchstens mittelalt war. Die Jugendlichen brauchte er auch nicht zu verprügeln, denn ich war sicher, dass hinter dem Steuer kein Teenager gesessen hatte. Das kann man ihnen ansehen, finde ich. Teenager haben so etwas Unfertiges, noch nicht Ausgewachsenes an sich. Die großen konnten auch ausgesondert werden und die ganz kleinen. Okay, die Leute, die er für mich blutig schlagen sollte, waren von mittlerer Größe und zwischen zwanzig und vielleicht fünfzig Jahre alt. Das konnte doch nicht allzu schwer sein, oder?

Wyatt nahm mein Schweigen als Verneinung, was es nicht war, und fragte: »Saß außer dem Fahrer noch jemand im Wagen?«

Ich hatte »sie« und »ihnen« gesagt, weshalb die Frage nur folgerichtig war, aber ich war nur deshalb so verwirrt, weil gestern eine Frau am Steuer gesessen hatte und ich mir heute nicht sicher war, weshalb es auch zwei verschiedene Fahrer sein konnten, aber woher sollte ich das verflucht noch mal wissen? »Nein.«

»Aber du bist nicht sicher, dass beide Male dieselbe Person am Steuer saß?«

Das war ich sehr wohl. Jener Teil meiner selbst, der mein Bauchgefühl beherbergte und der gerade Todesängste ausgestanden hatte, war absolut sicher, weil ich andernfalls davon ausgehen musste, dass ich zwei Tage hintereinander von zwei verschiedenen Personen in einem weißen Chevrolet verfolgt worden war. Okay, das war gar nicht so weit hergeholt. Aber die plausibelste Antwort ist nicht immer die richtige Antwort.

Wyatt probierte es erneut. »Könntest du vor Gericht und unter Eid aussagen, dass du beide Male dieselbe Person gesehen hast?«

Mann, nagle mich doch gleich an die Wand! Jetzt wurde ich richtig stinkig. »Nein, nicht unter Eid.« Dann ergänzte ich eigensinnig: »Trotzdem war es dieselbe Person.« Da hast du’s.

Er seufzte. »Das ist nichts, womit ich arbeiten kann.«

»Das habe ich mir schon gedacht.«

Ungeduldig meinte er: »Nächstes Mal notierst du das Kennzeichen.«

»Bestimmt«, sagte ich höflich. »Entschuldige, dass ich diesmal nicht daran gedacht habe.« Jawohl, ich hätte auf der Abbiegespur aussteigen, seelenruhig an der Knalltüte vorbeispazieren und mich hinter dem Chevrolet aufbauen sollen, um das Kennzeichen zu notieren. Die Knalltüte hätte doch bestimmt nichts dagegen gehabt, oder?

Nach verdächtig langem Schweigen sagte er: »Ich weiß nicht, ob ich es heute Abend zum Great Bods schaffe, bevor du abschließt.«

»Das ist okay. Kein Problem.« Ich hatte das Great Bods jahrelang ohne ihn abgeschlossen; ich war ziemlich sicher, dass ich noch wusste, wie das ging. »Und pass auf dich auf, okay? Adieu.«

Ich hörte ihn mit unterdrückter Wut »Fuck« sagen, dann legte er auf.

Lynn stand immer noch neben mir. »Ich schätze, was du da tust, könnte man als lächeln bezeichnen, weil ich alle deine Zähne sehen kann, aber ganz ehrlich, es sieht verflucht gruslig aus. Tolle Frisur übrigens.«

»Danke.« Ich hob mein Haar kurz an und ließ es zurückschwingen. Dabei lächelte ich immer weiter.