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»Die Security-Firma hat angerufen, um einen Termin für die Installation zu vereinbaren«, eröffnete mir Lynn, als ich ins Great Bods kam, und überreichte mir dabei die Liste der Anrufer. »Und ich habe die Zeitungsannonce für eine stellvertretende Geschäftsführerin entworfen, weil ich mir gedacht habe, dass du mit deiner bevorstehenden Hochzeit viel zu beschäftigt für diesen Kleinkram bist. Sie liegt auf deinem Schreibtisch.«
»Danke«, sagte ich. »Gab’s heute irgendwelche Beschwerden?«
»Nein, alles bestens. Was ist mit dir?« Sie sah mich fragend an. »Ist dir heute wieder jemand gefolgt?«
»Wenn, dann habe ich es nicht bemerkt.« Was verflucht ärgerlich war, wenn ich es recht überlegte. Man hätte doch erwarten können, dass die blöde Kuh, die mir zwei Tage in Folge hinterhergefahren war, heute auch auftauchen würde, nachdem ich gestern einen Riesenstreit mit Wyatt gehabt hatte, ob sie mich tatsächlich verfolgte oder nicht. Dann hätte ich Lynn bezeugen lassen können, dass sie da war, und das Kennzeichen notiert und so weiter und so fort. Aber nein, diese Psychopathen können einfach nie kooperativ sein.
Nachdem Lynn gegangen war, widmete ich mich, so schwer es mir fiel, meinem Job. Auf Wyatt wütend zu sein verschaffte mir Erleichterung, weshalb ich mich auf dieses Gefühl statt auf meine Trauer konzentrierte. Ärger ist eindeutig produktiver. Wütende Menschen erledigen eine Menge. Zu Tode betrübte Menschen sitzen nur herum und sind zu Tode betrübt, was wohl okay ist, wenn man gern von anderen bemitleidet werden möchte.
Ich habe es eher mit dem Wütendsein. Den Rest des Tages absolvierte ich im Stechschritt und mähte dabei eine Aufgabe und Pflicht nach der anderen nieder. Aus einem unerfindlichen Grund war an diesem Tag nachmittags und abends wenig Andrang, wodurch ich Gelegenheit hatte, Liegengebliebenes zu erledigen, und mir trotzdem noch freie Zeit blieb.
Zum ersten Mal, seit ich selbst um ein Haar niedergemäht worden wäre, trainierte ich; nichts allzu Forderndes, keine Gymnastik und kein Jogging, weil ich meine Bekanntschaft mit den Kopfschmerzen aus der Hölle nicht erneuern wollte. Ich absolvierte einen intensiven Yoga-Zyklus, bis ich ins Schwitzen geriet, stemmte dann ein paar kleinere Gewichte und ging zuletzt schwimmen. Ich befürchtete halbwegs, ich könnte mich so verausgaben, dass mir keine Kraft für meine Wut blieb, aber von wegen; die köchelte immer noch vor sich hin, als ich fertig war.
An diesem Abend hatte ich es nicht besonders eilig, abzuschließen und heimzufahren. Nicht dass ich absichtlich getrödelt hätte, wohlgemerkt; ich beeilte mich nur nicht. Alles, was erledigt werden musste, erledigte ich, und ich fühlte mich äußerst tugendhaft, weil ich so pflichtbewusst war.
Ich hatte nie zuvor Angst gehabt, wenn ich abends allein das Studio verließ, doch an jenem Abend öffnete ich, bevor ich ins Freie trat, die Tür erst einen Spalt weit und sah mich ausgiebig um, weil ich sichergehen wollte, dass mir niemand im Schatten auflauerte. Vielen Dank, Psychotussi, dass ich deinetwegen auf meinem eigenen Parkplatz Angst haben muss. Furcht ist für mich kein natürlicher Zustand, und ich kann nur schlecht damit umgehen. Mich macht sie sauer.
Mein Auto stand allein unter dem Vordach, wo es auch an tausend anderen Abenden gestanden hatte – wobei das nur eine Schätzung ist; ich finde es bedenklich, wenn sich jemand die Zeit nimmt nachzuzählen, wie viele Abende er oder sie schon gearbeitet hat –, an diesem Abend war ich nervös und ausgesprochen dankbar für die hellen Scheinwerfer, die jeden Zentimeter des Parkplatzes erhellten. Nachdem ich die Studiotür abgeschlossen hatte, eilte ich zu meinem Auto und verriegelte gleich nach dem Einsteigen die Türen. Die Türen verriegeln sich automatisch, wenn ich anfahre, aber dabei wären, mal überlegen, vielleicht fünf Sekunden geblieben, in denen ich verwundbar und ungeschützt gewesen wäre. In fünf Sekunden kann eine Menge passieren, vor allem wenn man es mit Psychotussis zu tun hat. Im Allgemeinen sind sie unglaublich schnell. Wahrscheinlich, weil sie nicht mit einem Gewissen belastet sind.
Ich fuhr auch nicht auf dem üblichen Weg nach Hause. Statt wie sonst rechts aus dem Parkplatz zu biegen und auf die Hauptstraße vor dem Studio zu fahren, bog ich nach links und verschwand in ein Wohngebiet, in dem ich jeden Wagen hinter mir augenblicklich bemerken würde und von wo aus ich in einem großen Bogen nach Hause fuhr. Nada, niemand folgte mir, jedenfalls nicht in einem weißen Chevrolet.
Als ich in meiner Siedlung ankam, dem Beacon Hills Condominiums, fielen mir zwar sehr wohl mehrere weiße Autos vor den verschiedenen Gebäuden auf, aber wie Wyatt richtig bemerkt hatte, waren weiße Autos nicht weiter ungewöhnlich, und ja, diese weißen Autos parkten wahrscheinlich jede Nacht hier, weil sich außer mir niemand dafür zu interessieren schien. Es gibt in der Häuserreihe neben meiner eine Dame, die einen ganz individuellen Ansatz verfolgt, sobald ein fremder Wagen auf dem ihr zugewiesenen Parkplatz steht: Sie lässt die Luft aus allen Reifen. Ein Typ in einem der anderen Gebäude stellt in so einem Fall seinen Pick-up quer vor dem Falschparker ab, sodass der nicht wegfahren kann, ohne ihn erst aufzuspüren. Wie deutlich zu sehen, hat der städtische Parkplatzkampf etwas von einem Guerillakrieg. Nachdem ich an diesem Abend keine kriegerischen Akte beobachtete, ging ich davon aus, dass es in dieser Nacht auch keine Falschparker gab.
Wyatts riesiger Avalanche parkte direkt vor meinem Haus. Ich lebe in der dritten Häuserreihe, gleich im ersten Haus. Die Wohnungen am Ende des Gebäudes haben mehr Fenster sowie einen zusätzlichen, überdachten Parkplatz und kosten daher mehr. In der Wohnung am Ende zu wohnen bedeutete aber auch, dass ich nur auf einer Seite Nachbarn hatte, was wirklich segensreich sein kann, vor allem da ich mit einem weiteren, vielleicht lautstarken Streit rechnete.
Ich ging die Stufen hinauf und schloss die Nebentür auf. Im Wohnzimmer hörte ich den Fernseher laufen. Wyatt hatte die Alarmanlage nicht wieder eingeschaltet, weil er gewusst hatte, dass ich bald eintreffen würde, und ich selbst verriegelte zwar die Tür, schaltete die Alarmanlage aber ebenfalls nicht wieder ein – weil er gehen würde. Bis in meine Knochen spürte ich genau, dass er heute nicht in der Absicht hergekommen war, die Nacht bei mir zu verbringen. Er würde sagen, was er zu sagen hatte, und dann gehen. Und ich würde bestimmt nicht versuchen, ihn aufzuhalten, jedenfalls nicht heute Nacht.
Ich ließ die Tasche mit meinen verschwitzten Trainingssachen vor der Waschmaschine auf den Boden fallen und ging dann durch die Küche ins Esszimmer. Von dort aus konnte ich bis ins Wohnzimmer sehen, wo er auf der Couch lagerte und ein Baseballspiel anschaute. Er saß entspannt und offen da – mit ausgestreckten, langen Beinen, die Arme links und rechts über die Rückenlehne gebreitet. Es war typisch für ihn, ein Möbelstück, einen Raum, eine Szene mit seiner physischen Präsenz und seinem Selbstbewusstsein zu beherrschen. Ein andermal wäre ich ins Wohnzimmer geeilt, hätte mich an ihn gekuschelt und es genossen, wie er mich in den Arm schloss und mich drückte, aber diesmal blieb ich wie festgewachsen im Esszimmer stehen.
Irgendwie war es mir nicht möglich, in mein eigenes Wohnzimmer zu treten und auf meinen eigenen Möbeln Platz zu nehmen, jedenfalls nicht jetzt, nicht solange er dort saß. Also stellte ich die Handtasche auf dem Esstisch ab und blieb in sicherer Entfernung stehen, um ihn zu beobachten.
Natürlich hatte er gehört, dass ich heimgekommen war, wahrscheinlich war ihm aufgefallen, wie der Scheinwerferstrahl über die Fenster geschwenkt war, als ich in die Einfahrt gebogen war. Er drehte den Fernseher leiser und warf die Fernbedienung auf den Couchtisch, bevor er sich zu mir umdrehte. »Willst du dich nicht setzen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
Seine Augen wurden schmal; das gefiel ihm nicht. Die sexuelle Spannung erfüllte den Raum mit einem spürbaren Knistern, trotz unserer momentanen … war der Ausdruck »Entfremdung« zu stark dafür? Als er mich zu erobern versucht hatte, hatte er die sexuelle Spannung zwischen uns skrupellos ausgenutzt, so wie er alle Waffen in seinem Arsenal eingesetzt hatte, um meinen Widerstand zu brechen. Berührungen sind eine mächtige Waffe, und er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mich zu jeder Zeit und auf jede ihm beliebige Weise zu berühren – und genauso von mir berührt zu werden.
Als er aufstand, schienen seine breiten Schultern fast den Raum auszublenden. Er war erst heimgefahren und hatte sich umgezogen; jetzt trug er Jeans und ein zugeknöpftes grünes Hemd mit bis zu den Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln. »Es tut mir leid«, sagte er.
Mein Magen sackte ins Bodenlose, während ich darauf wartete, dass er den Satz beendete, dass er sagte: »Ich kann das nicht, ich kann dich nicht heiraten.« Ich sackte geistig zusammen und musste mich mit der Hand am Tisch abstützen, falls mein Körper es dem Geist nachtun würde.
Aber er sagte nicht mehr als diese vier Worte; erst als ein paar Sekunden verstrichen waren, kapierte ich, dass er sich bei mir entschuldigte.
Das war so verkehrt, dass es mich wie eine Ohrfeige traf, und ich wich zurück. »Wage es nicht, dich zu entschuldigen!«, fauchte ich ihn an. »Nicht wenn du glaubst, dass du im Recht bist, und dich nur entschuldigst, um … mich zu besänftigen!«
Seine Brauen hoben sich ungläubig. »Blair, wann hätte ich dich je besänftigt?«
Diese Frage nahm mir für einen Augenblick den Wind aus den Segeln. »Ähm … noch nie«, musste ich zugeben. Die Erkenntnis bewirkte, dass es mir insgesamt besser ging, nur nicht der kleinen, eigensinnigen Diva in mir, die von Zeit zu Zeit ganz gern besänftigt worden wäre. »Wofür entschuldigst du dich dann?«
»Dafür, dass ich dich so verletzt habe.«
Verflucht, verflucht, verflucht! Ich drehte ihm den Rücken zu, bevor er die Tränen sehen konnte, die mir auf einmal in den Augen brannten. Von Anfang an hatte er die unheimliche Gabe besessen, meine Abwehr zu unterlaufen, indem er schlicht und einfach die Wahrheit sagte. Ich wollte ihm nicht zeigen, wie sehr er mich verletzt hatte, er sollte doch denken, dass ich stinksauer war!
Er sagte damit nicht, ihm sei klar geworden, dass er mir mit dem, was er gestern Abend gesagt hatte, Unrecht getan hatte, sondern nur, dass es ihm leidtat, mich verletzt zu haben. Er hatte diese Dinge auch nicht aus Gehässigkeit gesagt oder um mich zu verletzen. Wyatt war kein gehässiger Mensch. Er hatte all das gesagt, weil er es für wahr hielt – und ja, genau das war so verletzend.
Ich besiegte die Tränen, indem ich absichtlich an etwas Widerwärtiges dachte wie an Menschen, die barfuß einkaufen gehen. Das funktioniert garantiert. Wer es nicht glaubt, sollte es ausprobieren. Ich verlor augenblicklich den Drang zu weinen und war wieder in der Lage, mich Wyatt mit kontrollierten Gefühlen zuzuwenden.
»In diesem Fall vielen Dank für die Entschuldigung, die aber nicht nötig gewesen wäre«, sagte ich abwägend.
Er beobachtete mich aufmerksam, ganz auf mich konzentriert, so wie er beim Football auf den Mann mit dem Ball konzentriert gewesen war. »Hör auf, mich auf Distanz zu halten. Wir müssen darüber reden.«
Ich schüttelte den Kopf. »O nein. Noch nicht. Ich bitte dich nur, die Dinge eine Weile laufen zu lassen, damit ich Zeit zum Nachdenken habe.«
»Hierüber?«, Er beugte sich zur Seite und nahm ein aufgeschlagenes Notizbuch von der Couch, auf der er gesessen hatte. Ich erkannte das Notizbuch, in das ich gestern Abend meine Liste von Aussagen geschrieben hatte, die er mir gegenüber gemacht hatte – und das ich garantiert auf meinem Nachttisch liegen gelassen hatte.
Ich war geschockt. »Du hast geschnüffelt!«, warf ich ihm an den Kopf. »Das ist meine Liste, nicht deine! Deine liegt auf der Theke!« Ich deutete auf seine Liste von Verfehlungen, die immer noch dort lag, wo ich sie hingelegt hatte; er hatte noch keinen einzigen Blick darauf geworfen. Dafür wusste er jetzt, dass ich gestern Nacht lange wach im Bett gesessen und mich mit ihm beschäftigt hatte, und das gefiel mir nicht, obwohl er die Liste wahrscheinlich nicht hätte sehen müssen, um sich denken zu können, dass ich nicht viel Schlaf gefunden hatte.
»Du weichst mir aus«, bemerkte er ruhig und kein bisschen unangenehm berührt. »Irgendwoher muss ich meine Informationen beziehen. Und da ich solche Situationen nicht löse, indem ich mich entziehe …«
Die Anschuldigung war deutlich herauszuhören. Ich sagte: »Ich will mich der Situation nicht entziehen. Ich habe versucht, mir über alles klar zu werden. Wenn ich mich der Sache entziehen wollte, würde ich überhaupt nicht darüber nachdenken.« Das war richtig, und das wusste er. Ich bin begnadet darin, mich unangenehmen Dingen zu entziehen. Allerdings verriet ich ihm nicht, dass er ebenfalls recht hatte, dass es nämlich eine Reihe von Fragen gab, denen ich mich noch nicht gestellt hatte, weil sie nämlich das Ende von UNS, in Großbuchstaben, als Paar bedeuten konnten.
»Aber du entziehst dich mir.«
»Das muss ich.« Ich hielt seinem Blick stand. »Wenn du in der Nähe bist, kann ich nicht klar denken. Ich kenne dich; ich kenne uns. Es wäre viel zu einfach, miteinander ins Bett zu gehen und alles zu übertünchen, ohne dass wir irgendwas geregelt hätten.«
»Und in der Arbeit kannst du nicht denken?«
»Wenn ich in der Arbeit bin, habe ich zu tun. Verbringst du deine Arbeitszeit damit, an mich zu denken?«
»Jedenfalls verbringe ich damit mehr Zeit, als ich sollte«, bekannte er grimmig.
Nach diesem Eingeständnis ging es mir ein wenig besser, aber nur ein wenig. »Bei der Arbeit werde ich zu oft abgelenkt. Ich brauche Ruhe, Zeit für mich allein, damit ich über alles nachdenken und dann entscheiden kann, wo ich stehe. Und danach können wir reden.«
»Findest du nicht, dass das etwas ist, worüber wir gemeinsam nachdenken sollten?«
»Wenn ich genau weiß, worüber wir nachdenken müssen … aber erst dann.«
Frustriert fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. »Wie meinst du das? Hierüber sollten wir reden.« Er hielt das Notizbuch hoch wie ein Beweisstück.
Ich zuckte mit den Achseln, weil ich momentan nicht in der Lage war, die Liste Punkt für Punkt durchzugehen, wie es ihm wahrscheinlich vorschwebte.
»Offenbar hast du gestern Nacht über alles nachgedacht, sonst hättest du keine Liste gemacht.«
»Nur über ein paar Punkte. Die drei offensichtlichsten jedenfalls.«
»Und dann hattest du den ganzen Vormittag, um über die vier anderen nachzudenken.«
Mann, war ich hier die Hauptverdächtige in einem dreifachen Mordfall? Ich wartete nur darauf, dass er mir mit der Stehlampe ins Gesicht leuchtete. »Ganz zufällig hatte ich heute Vormittag andere Dinge zu tun. Da war ich mit Jazz unterwegs.«
Seine Miene geriet in Bewegung und wurde weicher. Dass ich mit Jazz unterwegs gewesen war, bedeutete, dass ich mit meinen Hochzeitsvorbereitungen fortfuhr. »Und?«
»Und morgen Vormittag werde ich ebenfalls beschäftigt sein.« Damit, den Stoff für mein Hochzeitskleid zu suchen und möglichst mit Monica Stevens zu sprechen.
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Mehr wirst du nicht von mir erfahren.«
Die ganze Zeit hatten wir uns gegenübergestanden wie feindliche Soldaten, er im Wohnzimmer, während ich im Esszimmer geblieben war, sodass etwa vier Meter zwischen uns lagen. Das war nicht weit genug, ich konnte immer noch die Anziehungskräfte zwischen uns spüren und immer noch die Glut in seinen Augen erkennen, die mir verriet, dass er mit dem Gedanken spielte, mich auf der Stelle anzuspringen. Die Vorstellung, von ihm angesprungen zu werden, war ungeheuer verlockend. Trotz der vielen ungeklärten Punkte zwischen uns begehrte ich ihn.
Die Versuchung, mich in seine Arme zu werfen und alles zu vergessen, war fast übermächtig. Ich kenne mich, ich weiß, wie absolut und jämmerlich schwach ich ihm gegenüber bin, darum wandte ich den Blick ab, um den Augenkontakt zu brechen, der mich zu lähmen schien. Dabei fiel mir das rot blinkende Licht an der Basisstation meines Telefons ins Auge, und ich ging automatisch hinüber, um die Taste zu drücken und die Nachricht abzuhören.
»Ich weiß, dass du alleine bist.«
Das Flüstern war kaum zu hören, aber es feilte an meinen Nerven und ließ mir die Haare zu Berge stehen. Ich sprang zurück, als hätte sich der Anrufbeantworter in eine Giftschlange verwandelt.
»Was ist denn?«, fragte Wyatt scharf. Im nächsten Moment war er an meiner Seite und hatte mich fest im Griff. Von seinem Standort aus hatte er die Nachricht bestimmt nicht gehört.
Mein erster Impuls war, ihm nichts zu verraten, nicht nachdem er mir unterstellt hatte, ich würde ihn wegen jeder Kleinigkeit anrufen. Verletzter Stolz kann die Menschen zu törichten Reaktionen verleiten. Wenn ich allerdings Angst habe, dann kann mich mein verletzter Stolz im Mondschein besuchen, und dass ich überall verfolgt wurde, jagte mir mächtig Angst ein.
Ich deutete wortlos auf den Anrufbeantworter.
Er drückte auf die Abspieltaste, und gehorsam meldete sich das Flüstern wieder. »Ich weiß, dass du alleine bist.«
Seine Miene blieb fest und verschlossen. Ohne ein weiteres Wort kehrte er ins Wohnzimmer zurück, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Dann kehrte er zurück und spielte die Nachricht ein drittes Mal ab.
»Ich weiß, dass du alleine bist.«
Das kleine Fenster nannte Datum und Uhrzeit des Anrufes sowie Name und Telefonnummer des Anrufers. Die Nachricht stammte von dem Anschluss aus Denver und war um 0 Uhr 24 eingegangen.
Er sah sofort im Anrufverzeichnis nach. Wenn dieselbe Person mehr als einmal anrief, wird nicht jeder Anruf eigens aufgeführt, sondern nur die Anzahl der Anrufe insgesamt. Diese Irre aus Denver hatte siebenundvierzigmal angerufen, das letzte Mal um 3 Uhr 27.
»Wie lange geht das schon so?«, fragte er schmallippig, während er das Handy von seinem Gürtel abklemmte.
»Du weißt selbst, wie lange das schon so geht. Den zweiten Anruf hast du selbst entgegengenommen, und zwar am Freitagabend, nachdem ich aus dem Krankenhaus gekommen bin und wir Pizza gegessen haben.«
Nickend tippte er eine Nummer in sein Handy ein. »Foster, hier ist Bloodsworth«, sagte er in sein Handy, und dabei drückte er mich immer noch mit dem freien Arm an seine Seite. »Wir haben ein Problem hier. Jemand hat Blair seit letzten Freitag insgesamt siebenundvierzigmal angerufen –« Er verstummte und sah mich an. »Oder hast du den Telefonspeicher gelöscht, seit du aus dem Krankenhaus gekommen bist?«
Ich schüttelte den Kopf. Den Telefonspeicher zu löschen, stand nicht auf meiner Prioritätenliste.
»Okay. Also siebenundvierzigmal. Gestern Abend hat die Anruferin eine Nachricht aufgesprochen, die Anlass zu der Vermutung gibt, dass Blairs Wohnung überwacht wird.«
»Überwacht?«, quiekte ich. Bei dieser Vorstellung verließ mich meine ganze Kraft. »Heilige Scheiße!«
Wyatt drückte mich fester, entweder zum Trost oder um mir zu zeigen, dass ich mich mit meinen Kommentaren zurückhalten sollte. Ich entschied mich für den Trost.
»Das Display zeigt eine Nummer und als Ortsangabe Denver, Colorado, weshalb ich glaube, dass es eine Telefonkartennummer ist«, fuhr er fort. »Wie weit können wir diese Nummern zurückverfolgen? Dachte ich mir. Mist. Okay.« Er hörte kurz zu und sah dann auf mein Telefon. »Ein digitales Gerät. Okay. Ich bringe es mit.«
Er klappte das Handy zu und hakte es wieder an seinem Gürtel fest, zog dann den Telefonstecker wie auch den Stromstecker des Telefons ab und wickelte beide Schnüre um den Apparat, sodass er den schnurlosen Hörer festgezurrt hatte.
»Verhaftest du jetzt mein Telefon?«, wollte ich wissen.
»Ja doch. Verflucht noch mal, ich wünschte, du hättest mir das früher erzählt.«
Das war zu viel. »Ich bitte vielmals um Verzeihung!«, geiferte ich entrüstet. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dich sehr wohl angerufen, als sie das erste Mal etwas zu mir sagte; ruf dir den letzten Samstag in Erinnerung und die Frau, die ›Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe‹ in mein Telefon geflüstert hat! Du hast damals gemeint, es sei ein schlechter Scherz. Und was all die anderen Anrufe betrifft, stammen die, soweit ich weiß, allesamt von gestern Nacht, weil mir nichts im Display aufgefallen ist und bis jetzt keine Nachricht hinterlassen wurde. Nach dem vierten Anruf gestern Nacht habe ich alle Apparate stumm geschaltet.«
Er fuhr herum und sah mich finster an. »Soll das heißen, es ist dieselbe Stimme wie damals?«
»O ja, das ist sie«, erklärte ich ihm streitlustig. »Ja, ich weiß, sie flüstert nur. Beim ersten Mal hat sie auch nur geflüstert. Nein, ich kann nicht hundertprozentig sicher sein, aber ich bin zu neunundneunzig Prozent sicher, dass es dieselbe Stimme ist, und ich glaube, es ist eine Frau! Da hast du’s!« Wenn jemand reif und vernünftig ist, dann ich.
»Und damit nicht genug«, fuhr ich fort, nachdem ich erst in Fahrt gekommen war, »mich hat auch eine Frau verfolgt! Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, Lieutenant! Es war eine Frau, die mich auf dem Parkplatz platt zu fahren versuchte, eine Frau, die mich mit Anrufen terrorisiert – oje, wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass mich plötzlich drei verschiedene Frauen auf dem Kieker haben? Nicht besonders hoch, oder? Meine Güte, meinst du wirklich, es könnte ein und dieselbe Irre sein?«
Man könnte »sarkastisch« durchaus zu meinen herausragenden Charakterzügen zählen.
»Schon möglich«, sagte Wyatt mit grimmigem Gesicht. »Mit wem hast du dich diesmal angelegt?«