8

Am Samstag ließ ich es langsam angehen. Ich fühlte mich deutlich besser; mein Kopf schmerzte zwar noch, aber dank des Ibuprofens weniger intensiv. Mom erstattete Meldung, dass sie den Hochzeitstortenkonditor noch nicht erreicht hatte; Jenni rief an, um mitzuteilen, dass sie einen Spalierbogen aufgestöbert hatte, der die perfekte Größe hatte, aber einen Anstrich brauchte. Sie hatte ihn ausgerechnet auf einem privaten Flohmarkt aufgetrieben, und die Verkäuferin wollte ihn nicht zurücklegen, denn schließlich konnte jederzeit noch jemand vorbeikommen, der just in diesem Moment einen Spalierbogen brauchte. Sie wollte fünfzig Dollar dafür.

»Nimm ihn«, befahl ich Jenni. Fünfzig Dollar! Das war praktisch geschenkt, es war ein Wunder, dass sich noch niemand das Ding unter den Nagel gerissen hatte. »Hast du genug Bargeld dabei?«

»Ich kann so viel zusammenkratzen, aber ich brauche einen Pick-up, um den Bogen abzutransportieren. Ist Wyatt mit seinem Pick-up zu dir gefahren?«

Ich saß oben im kleinen Schlafzimmer und surfte auf der Suche nach einem Hochzeitskleid online durch die eleganteren Geschäfte, während er unten die Wäsche machte, darum konnte ich ihn nicht fragen, es sei denn, ich trat an die Treppe und rief nach unten. Da war es erheblich einfacher, ans Fenster zu treten und hinauszuschauen. Wyatts riesiger schwarzer Chevrolet Avalanche, ein mobiles Monument seiner Männlichkeit, stand am Straßenrand. »Der ist da.«

»Kann er vorbeikommen und den Spalierbogen abholen?«

»Gib mir die Adresse, dann schicke ich ihn hin.« Jetzt musste ich nach unten, aber ich hielt mich dabei am Geländer fest und den Kopf so ruhig wie möglich, ich versuchte mich langsam und nicht ruckartig zu bewegen. Ich rief Wyatt nicht, weil er dann in seiner Arbeit innehalten würde, und ich wollte ihn so gern beim Wäschewaschen beobachten. Es macht mich echt an, ihn bei der Hausarbeit zu beobachten. Er ist so testosterongeladen, dass man meinen sollte, er wäre eine Katastrophe im Haus, aber Wyatt zeigt bei der Hausarbeit die gleiche Kompetenz wie an seinem Automatikrevolver. Er hatte jahrelang allein gelebt und dabei gelernt zu kochen und die Wäsche zu machen, außerdem war er gut im Reparieren und Ausbessern. Alles in allem war es höchst praktisch, ihn im Haus zu haben, außerdem machte es mich scharf, wenn ich ihm beim Aufhängen meiner Wäsche zuschaute. Okay, ich bin leicht zufriedenzustellen; es machte mich scharf, wenn ich ihm bei irgendwas zuschaute.

Schließlich sagte ich: »Jenni hat einen Spalierbogen gefunden. Könntest du ihn bitte abholen?«

»Klar. Wozu braucht sie einen Spalierbogen?« Mir ging auf, dass ich meine Hochzeitspläne zwar ausführlich mit ihm besprochen hatte, aber offenbar hatte er dabei mir das Sprechen überlassen und nicht einmal das Zuhören übernommen. »Den brauchen wir für unsere Hochzeit«, erklärte ich mit bemerkenswerter Geduld, wenn ich das sagen darf. Er war dabei, meine Wäsche aufzuhängen; ich wollte ihm nicht ans Bein pinkeln, bevor er damit fertig war.

»Kapiert. Jenni will den Spalierbogen nicht für sich, sondern für uns.«

Okay, er hörte also doch ein bisschen zu. Höchstwahrscheinlich jedoch hatte ihm Dad nur geraten, allem zuzustimmen, was ich für die Hochzeit planen würde. Ein guter Rat.

»Das ist die Adresse.« Ich drückte ihm den Zettel und fünfzig Dollar in die Hand. »Sie musste ihn gleich bezahlen, damit ihn die Dame nicht weiterverkauft, der Fünfziger ist also für sie.«

Er nahm die fünfzig Dollar, steckte sie in die Tasche und sah mich scharf und prüfend an. »Kommst du zurecht, bis ich wieder hier bin?«

»Ich strecke nicht mal den Zeh aus dem Haus. Ich werde nichts abholen. Ich werde nichts tun, wobei ich den Kopf drehen muss. Ich komme schon zurecht.« Ich langweilte mich tödlich, aber ich fügte mich in meine Beschränkungen – einstweilen. Morgen konnte das schon ganz anders aussehen.

Er küsste mich auf die Stirn und umfasste dabei mit seiner festen, rauen Hand zärtlich meinen Nacken. »Versuch wenigstens anständig zu bleiben«, sagte er, als hätte ich keinen Ton gesagt. Ich weiß gar nicht, wie er darauf kommt, dass ich immerzu in Schwierigkeiten gerate – ach, Moment, vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass ich angeschossen, in einen Unfall verwickelt, entführt, mit einer Waffe bedroht und nun um ein Haar überfahren worden war.

Wenn ich es recht bedachte, war mein Leben, seit ich mit ihm zusammen war, ein einziges Chaos, und … »Hey! Nichts von dem, was passiert ist, war meine Schuld!«, entrüstete ich mich, als mir aufging, dass er das Gegenteil angedeutet hatte.

»Aber sicher doch. Du bist ein Ärgermagnet«, sagte er und schlenderte aus der Tür.

Natürlich ging ich ihm nach. »Bevor du aufgetaucht bist, war mein Leben ruhig und friedlich! Mein Leben war der Stille Ozean! Falls hier jemand Ärger anzieht, dann du!«

»Nicole Goodwin wurde auf deinem Parkplatz ermordet, bevor ich auftauchte«, merkte er an.

»Was aber nichts mit mir zu tun hatte. Ich habe sie nicht umgebracht.« Darauf war ich wirklich stolz, denn es gab Zeiten, in denen ich sehr, sehr nahe dran gewesen war.

»Du hast dich mit ihr gestritten, nur deshalb hat sie auf deinem Parkplatz gewartet, und genau darum wurde sie dort ermordet, was wiederum diese durchgeknallte, kackblöde Gattin deines Exmannes auf die Idee brachte, dich umbringen zu wollen und die Tat Nicoles Mörder in die Schuhe zu schieben.«

Manchmal finde ich es wirklich schlimm, wie sein Verstand arbeitet. Er grinste mich an und stieg in den Wagen. Ich konnte nirgendwo dagegen treten, ohne dass mein Kopf wieder zu dröhnen begann – eigentlich konnte ich so gut wie gar nichts tun, ohne dass mein Kopf wieder zu dröhnen begann –, deshalb begnügte ich mich damit, ihm die Autotür vor der Nase zuzudonnern und mich auf die Suche nach einem Stift und Zettel zu machen, um eine Liste seiner neuesten Verfehlungen zu erstellen. Ich schrieb: »Ärgert und reizt mich, wenn ich verletzt bin«, und ließ die Liste so liegen, dass sie ihm ins Auge fallen musste. Dann besann ich mich der Tatsache, dass ein einziger Punkt noch keine Liste darstellt, kehrte zurück und ergänzte: »Gibt mir die Schuld an Dingen, für die ich nichts kann.«

Für eine richtige Liste war meine immer noch eher blutleer. Sie gefiel mir ganz und gar nicht. Ich knüllte den Zettel zusammen und warf ihn weg; lieber gar keine Liste als eine, deren Wirkung verpuffte.

Frustriert ging ich wieder nach oben, wo ich weiter im Internet surfte, aber auch das war fruchtlos. Fast eine Stunde später schaltete ich den Computer aus. Ich hatte überhaupt keinen Spaß.

Das Telefon läutete, und ich griff noch beim ersten Läuten nach dem Hörer, ohne erst auf das Display zu sehen, hauptsächlich, weil ich so gelangweilt und frustriert war.

»Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe«, hörte ich ein bösartiges Flüstern, dann klickte es, und die Verbindung war getrennt.

Ich hielt das Telefon vor mein Gesicht und starrte es an. Hatte ich wirklich gehört, was ich gehört zu haben glaubte? Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe?

Was zum Teufel? Falls ich richtig gehört hatte, was ich nicht beschworen hätte, dann ergab der Anruf nur Sinn, wenn die Buick-fahrende Irre eine Ahnung hatte, wer ich war, und nachdem mein kleiner Unfall nicht in der Zeitung gemeldet worden war – wahrscheinlich, weil man ihn für belanglos hielt, was mich ein bisschen wurmte –, hieß das, dass sie ganz genau wusste, wer ich war. Das rückte den Vorfall in ein ganz neues Licht – eines, das mir gar nicht gefiel. Dennoch war dies das einzige Mal, dass mich jemand in irgendeiner Hinsicht »nicht erwischt« hatte, jedenfalls seit die Frau meines Exmannes, Debra Carson, das letzte Mal auf mich geschossen hatte. Beim ersten Mal hatte sie mich getroffen; beim zweiten Mal hatte sie aus Versehen ihren Ehemann erwischt.

Allerdings konnte es Debra kaum gewesen sein, oder? Sie war auf Kaution freigelassen worden, genau wie er, aber als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie außer sich gewesen vor Begeisterung, weil Jason sie so liebte, dass er ebenfalls versucht hatte, mich umzubringen, und da sie mich damals nur aus Eifersucht umbringen wollte, galt dieses Motiv eigentlich nicht mehr, oder?

Ich sah aufs Display, doch ich hatte den Anruf so schnell entgegengenommen, dass der Eintrag noch nicht zu sehen gewesen war. Der letzte eingegangene Anruf war der von Jenni.

Alarmiert rief ich Wyatt an. »Wo steckst du?«

»Ich habe gerade den Spalierbogen bei meiner Mom abgeladen. Was ist los?«

»Ich wurde gerade angerufen. Eine Frau hat gesagt: ›Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe‹ und gleich wieder aufgelegt.«

»Moment mal«, sagte er, ich hörte etwas rascheln, und dann sagte er: »Wiederhole das noch mal.« Seine Stimme klang lauter und ein bisschen klarer, und ich konnte fast vor mir sehen, wie er den Hörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt hatte, während er nach seinem Stift und dem Notizbuch kramte, das er immer bei sich trug.

»Sie sagte: ›Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe‹«, wiederholte ich gehorsam.

»Hast du den Namen auf dem Display erkannt?«

Natürlich war das seine erste Frage. »Ich bin so schnell ans Telefon gegangen, dass noch nichts angezeigt wurde«, wiederholte ich.

Es blieb kurz still. Wahrscheinlich sieht er immer erst nach, wer ihn anruft. Normalerweise tue ich das auch. Offenbar kam er zu dem Entschluss, das auf sich beruhen zu lassen, denn er sagte nur: »Okay. Bist du sicher, dass sie genau das gesagt hat?«

Ich dachte darüber nach, versuchte die Worte noch einmal in meinem Kopf zu hören, und musste ehrlicherweise zugeben: »Nicht hundertprozentig, nein. Sie hat geflüstert. Aber so hat es sich angehört. Wenn du es in Prozentzahlen wissen willst, dann bin ich zu achtzig Prozent sicher, dass sie genau das gesagt hat.«

»Und du bist sicher, dass es das Flüstern einer Frau war und dass dir kein Teenager einen Telefonstreich gespielt hat?«

Solche Fragen zu stellen gehört zu seinem Job, und ich hatte inzwischen begriffen, dass Polizisten nie etwas unbesehen glauben, trotzdem ärgerten mich seine Zweifel. Ich schob den Ärger ins hinterste Eck – wo ich ihn später wieder hervorholen konnte – und ging noch einmal in Gedanken durch, was ich gehört hatte. »Da bin ich mir noch sicherer, zu vielleicht fünfundneunzig Prozent.« Der einzige Grund, nicht hundertprozentig sicher zu sein, war, dass in einem kurzen Zeitfenster zwischen Kindheit und Pubertät eine Knabenstimme klingen kann wie eine Frauenstimme, und weil außerdem manche Frauen tiefe und manche Männer hohe Stimmen haben. In dieser Beziehung gibt es keine hundertprozentige Sicherheit.

Er stellte keine weitere Fragen, äußerte sich auch nicht zu dem Anruf, sondern sagte nur: »Ich bin in einer Viertelstunde da. Falls wieder jemand anruft, gehst du nur hin, wenn du weißt, wer es ist. Sonst schaltest du den Anrufbeantworter ein.«

Gott sei Dank kamen keine weiteren Anrufe, und er war schon in zwölf Minuten da, nicht dass ich auf die Uhr gesehen hätte oder so. Zwölf Minuten waren immerhin so lang, dass ich mich zu fragen begann, ob ich überreagiert hatte, ob mich der Vorfall auf dem Parkplatz zusammen mit dem Hochzeits-Ultimatum möglicherweise an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben hatte. Ehrlich gesagt begann ich mich paranoid zu fühlen. Telefonstreiche waren nichts Neues für mich, doch noch nie hatte ich mich gefragt, ob mir jemand tatsächlich ans Leder wollte.

Ich empfing Wyatt an der Tür und sank in seine Arme. »Ich habe mir das alles durch den Kopf gehen lassen«, sagte ich in seine Schulter, »und ich glaube, dass mir möglicherweise der Stress zusetzt, den du mir mit deiner Deadline gesetzt hast.«

Er blieb nicht einmal stehen, sondern schob mich behutsam ins Haus zurück. »Ich bin noch nicht durch die Tür, und schon ist es meine Schuld.«

»Nein, es war von Anfang an deine Schuld, aber du erfährst es erst jetzt.«

Er schloss die Haustür und verriegelte sie. »Willst du damit sagen, du glaubst, dass du überreagiert hast?«

Es gefiel mir nicht, wie er es ausdrückte, obwohl ich insgeheim das Gleiche gedacht hatte. Überreagieren klingt so … unreif. »Ich bin gestresst«, korrigierte ich. »Nicht nur, weil mich um ein Haar ein Auto überfahren hätte, sondern auch, weil ich angeschossen, in einen Autounfall verwickelt, von diesem Schwachkopf Jason mit vorgehaltener Waffe entführt und zuletzt um ein Haar noch mal von seiner schwachköpfigen Frau erschossen wurde … Es ist, als würde ich inzwischen damit rechnen, dass mir solche Dinge zustoßen.«

»Du glaubst also nicht mehr, dass sie ›Zu schade, dass ich dich nicht erwischt habe‹ gesagt hat?« Er hielt mich immer noch in den Armen, aber gleichzeitig studierte er mit leicht zusammengekniffenen Augen mein Gesicht, so als wollte er jede kleine Gefühlsregung mitbekommen.

Das konnte ich schlecht behaupten, denn ich glaubte sehr wohl, dass sie genau das gesagt hatte. »Ich glaube, dass sie sich verwählt haben oder dass es ein Telefonstreich gewesen sein könnte – entweder das, oder Jasons schwachsinnige Frau ist wieder durchgeknallt und versucht auf ein Neues, mich unter die Erde zu bringen.«

Okay, so leicht lässt sich eine Paranoia also nicht überwinden.

»Wenn du glaubst, dass du damit eine Fristverlängerung aushandeln kannst, dann vergiss es.« Seine Augen wurden noch schmaler.

Ich sah finster und wirklich wütend zu ihm auf. Ich hatte grässliche Ängste ausgestanden, und obwohl ich es inzwischen für wahrscheinlicher hielt, dass der Anruf keinen ernsten Hintergrund hatte, so hatte ich doch keine Sekunde daran gedacht, ihn zu verwenden, um eine Fristverlängerung auszuhandeln. Er hatte mich mit seiner verdammten Deadline herausgefordert; auf gar keinen Fall würde ich jetzt feige einknicken. Ich würde diese Hochzeit organisieren, selbst wenn ich wie eine Fünfzigerjahre-Horrorfilmmumie in einem Rollstuhl und mit einer Schleppe aus ausgeleierten Verbänden vor den Altar geschoben werden musste.

»Habe ich dich um eine Fristverlängerung gebeten?«, fuhr ich ihn an und löste mich dabei ein bisschen zu abrupt aus seinen Armen, was mein Schädel mit einem wütenden Pochen quittierte.

»Du hast dich jedenfalls oft und lange über mein Ultimatum beschwert.«

»Das ist etwas ganz anderes! Diese Hochzeit wird stattfinden, und wenn es mich umbringt!« Und er würde bis an sein Lebensende vorgehalten bekommen, was ich dafür an Ärger und Schwierigkeiten auf mich genommen hatte. So läuft der Hase nämlich. Warum sollte ich diesen Vorteil nur wegen einiger Schürfwunden und einer Gehirnerschütterung aus der Hand geben? Nicht dass es ihn stören würde, das vorgehalten zu bekommen, in der Beziehung ist er eigensinnig, aber er würde es trotzdem bei jedem Streit zu hören bekommen.

Ich piekte ihn in die Brust. »Nur eines könnte verhindern, dass wir in vier Wochen heiraten –«

»In drei Wochen und sechs Tagen.«

Ich durchbohrte ihn mit meinem Blick. Verflucht noch mal, er hatte recht. »Vier Wochen« klang so viel länger als »drei Wochen und sechs Tage«, obwohl zwischen beiden nur ein Tag lag. Die Zeit zerrann mir zwischen den Fingern. »– und das ist, dass du mit deinem Kram nicht fertig wirst.«

»Meinem Kra –«, setzte er an, dann meldete sich die Erinnerung zurück. Die Blumen. »Scheiße.«

»Du hast sie vergessen? Du hast die Blumen für unseren Hochzeitstag vergessen?« Meine Stimme hob sich deutlich. Wer ist hier die beste Schauspielerin? Hätte er nur eine Minute lang nachgedacht, wäre ihm aufgegangen, dass ich etwas so Entscheidendes auf gar keinen Fall einem nicht schwulen Mann überlassen würde, aber bislang war ihm noch keine ruhige Minute vergönnt gewesen. Rache ist etwas Köstliches.

»Beruhige dich«, erklärte er gereizt und ging an mir vorbei in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Ich nehme an, einen Spalierbogen auf- und wieder abzuladen macht durstig, auch wenn es draußen immer noch frisch war. »Das erledige ich schon noch.«

»Ich bin ganz ruhig. Ich bin angepisst, aber ruhig. Ruhig angepisst. Wie findest du das?« Ich klang ebenfalls leicht gereizt. Die letzten Tage waren purer Stress gewesen. Der Beweis dafür war, dass wir in einen Streit, einen ernsthaften Streit zu schlittern drohten.

Er kippte das Wasser hinunter und stellte das leere Glas mit einem hörbaren Klacken ab. »Bekommst du deine Periode oder was?«

Mit unbeirrbarem Instinkt hatte er den großen roten Knopf gefunden und gedrückt. Wyatt kämpft mit allen Mitteln, und dazu gehören auch schmutzige Tricks. Ich durchschaute das, weil ich nicht anders kämpfe, aber ich reagierte dennoch. Ich konnte spüren, wie mein Blut zu köcheln begann. »Was?«

Er drehte sich um, von Kopf bis Fuß kontrollierte Aggression, und hatte nichts Besseres zu tun, als noch einmal in dieselbe Kerbe zu schlagen. »Wieso werden alle Frauen so zickig, wenn sie ihre Tage bekommen?«

Ich verharrte kurz, bis ich den Drang niedergekämpft hatte, mich auf ihn zu hechten und ihm alle Glieder einzeln auszureißen. Zum einen wäre jeder Versuch zu hechten und Glieder auszureißen wesentlich schmerzhafter für mich als für ihn. Es kostete mich alle Kraft, doch ich sagte so lieblich wie möglich: »Es ist nicht so, dass wir zickig wären; wenn wir unsere Tage bekommen, sind wir einfach müde und erschöpft und haben daher weniger Bock auf den Bockmist, den wir normalerweise stillschweigend erdulden.« Bis zum Ende des Satzes war alle Lieblichkeit erschöpft, meine Kiefermuskeln mahlten, und ich fürchtete, dass mir gleich die Augen aus dem Kopf springen würden.

Wyatt trat einen Schritt zurück, doch um zu erschrecken war es jetzt zu spät.

Ich trat einen Schritt vor, senkte das Kinn, kniff die Augen zusammen und fixierte ihn so, wie ein halb verhungerter Puma ein verletztes Karnickel fixiert. »Außerdem sind es genau solche Fragen, die eine normalerweise engelsgeduldige Frau davon träumen lassen, hohnlachend über dem blutigen … verstümmelten … entmannten Leichnam ihres Mannes zu stehen.« Es ist wirklich unmöglich, mit eisern zusammengebissenen Zähnen lieblich zu klingen, das weiß ich jetzt.

Er trat noch einen Schritt zurück und tastete tatsächlich mit der rechten Hand nach seiner Waffe, obwohl die natürlich oben auf dem Nachttisch lag. »Es ist gegen das Gesetz, einen Polizisten zu bedrohen«, warnte er mich.

Ich blieb kurz stehen, überlegte mir das und wedelte den Einwand dann beiseite. »Für manche Sachen«, knurrte ich, »würde ich sogar die ewige Verdammnis auf mich nehmen.«

Dann drehte ich mich in einer herkulischen Kraftanstrengung um, verließ die Küche, ging nach oben und legte mich aufs Bett. Mein Kopf klopfte wie wild, wahrscheinlich weil mein Blutdruck in den letzten Minuten nach oben geschossen war.

Er folgte ein paar Minuten später, legte sich neben mich und nahm mich in den Arm, bis mein Kopf auf seiner Schulter zu liegen kam. Ich kuschelte mich mit einem Seufzer an ihn und spürte, wie die Spannung in meinem Körper schmolz, sobald ich von seinem warmen, festen und muskulösen Körper umgeben war. In seinen Sachen hing immer noch ein Anflug von kalter Luft, das Aroma des näher rückenden Winters, weshalb ich meine Nase in seine Achsel drückte und genüsslich zu schnüffeln begann.

»Weinst du?«, fragte er argwöhnisch.

»Natürlich nicht. Ich rieche an deinen Sachen.«

»Warum? Ich habe sie frisch angezogen.« Er hob den Arm, auf dem ich nicht lag, und schnüffelte selbst. »Ich rieche nichts.«

»Sie riechen nach Winter, nach Kälte.« Ich schmiegte mich an ihn. »Da bekomme ich Lust zu kuscheln.«

»Wenn das so ist, werde ich ab sofort alle meine Sachen nach draußen hängen.« Seine Mundwinkel hoben sich, als er sich mir zudrehte, und seine Hand wanderte unter meinen Po, um meine Hüften gegen seine zu pressen. Wie zu erwarten drängte eine volle Erektion gegen meinen Unterleib. Auf manche Dinge ist eben Verlass.

Ich habe wirklich wahnsinnig gern Sex mit ihm. Ich hätte wirklich wahnsinnig gern Sex mit ihm gehabt. Und das Wissen, dass wir keinen haben konnten, dass die Kopfschmerzen, falls wir es versuchen sollten, zu heftig würden, als dass ich noch Spaß daran finden könnte, turnte mich auf ganz eigene Weise an. Verbotene Früchte und so weiter. Wir konnten uns nach unserem Streit nicht so versöhnen, wie wir es sonst immer taten, das machte die Versöhnung noch köstlicher.

Er hatte mich im Nu halb nackt, und seine Hand lag zwischen meinen Beinen, wo sich zwei dicke Finger langsam vor- und zurückschoben, während sein Daumen anderen Geschäften nachging.

»Lass mich nicht kommen«, stöhnte ich und drängte mit durchgedrücktem Rücken gegen seine Hand. »Sonst platzt mir der Kopf.« O Gott, ich war so nahe dran. Jetzt aufzuhören wäre so wunderbar frustrierend und würde mich in den Wahnsinn treiben.

»Ich glaube nicht«, murmelte er, und dann setzte er eine Spur von Küssen auf meinen Hals, die ein Feuerwerk hinter meinen geschlossenen Augenlidern entfachten. »Kein Rumgehopse. Entspann dich nur, ich erledige den Rest.« Dann biss er mich leicht in die Halsbeuge, und damit war Schluss mit »nahe dran«. Ich war da, und der Orgasmus ließ mich in zahllosen Wellen erschauern, während er mich aufs Bett drückte und mich dadurch an jeder Bewegung hinderte.

In gewisser Hinsicht hatten wir beide recht. Ich hatte Kopfschmerzen, aber wen kümmerte das schon?

»Was ist mit dir?«, murmelte ich schon im Halbschlaf.

»Ich werde mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen, wie du dich revanchieren kannst.«

Etwas Besonderes? »Besonderes«? Wir taten schon alles, wozu ich bereit war. Leicht erschrocken zwang ich die Lider auf. »Was meinst du mit ›Besonderes‹?«

Er lachte leise und antwortete nicht. Noch während ich mich fragte, wo ich eine Rüstung besorgen konnte, schlief ich ein.

Wyatt hat das Versöhnen zu einer wahren Kunst erhoben.