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Als Alan Gladwell in Bangkok hinter Schloss und Riegel saß, konnte ich gelassen nach Newcastle zurückkehren und meine Geschäfte zu Ende führen. Der Golfclub war der beste im ganzen Nordosten, was sich auch an den Mitgliedsbeiträgen ablesen ließ. Ich brauchte nur zwei Minuten die Straße runter zum Clubhaus, auf allen Greens wurde gespielt. Ich parkte in der Nähe des Haupteingangs, in einem Bereich, der eigentlich nicht als Parkplatz vorgesehen war, aber ich hatte ohnehin nicht vor, lange zu bleiben.
Die Wände der Bar waren mit Eichenholz getäfelt, und gerahmte Jagdszenen schmückten die Wände. Da hing außerdem eine große Tafel mit den Namen aller ehemaligen Club-Captains, dazu das Jahr, in dem sie den Vorsitz geführt hatten, und eine Vitrine mit alten Silberpokalen. Männer in Blazern standen in kleinen Gruppen zusammen, tranken vor dem Mittagessen Scotch oder Gin Tonic, und der Barmann, der sie bediente, trug eine Fliege. Dies war der Ort, an dem man die besten Chancen hatte, den bekanntesten Sozialisten des Nordostens anzutreffen, wie mir die liebe alte Sekretärin aus seinem Wahlbüro versichert hatte, nachdem ich sie davon überzeugen konnte, dass ich eine dringende Nachricht für Ron Haydon hatte. Und prompt war er da.
Mein Abgeordneter bestellte Getränke für seine Golfkumpels, die ein Stückchen weiter weg auf ihn warteten und über dreckige Witze lachten.
Ich ging direkt auf Haydon zu und zeigte ihm die Mappe.
»Was ist das?«, fragte er barsch.
»Unterlagen.«
»Dann habt ihr also eine Akte über mich, oder wie?«, fragte er und baute sich vor mir auf, streckte die Brust raus und zog die Fäuste an, als wollte er mir eine reinhauen.
»Ich bin nur hier, um Ihnen einen Vorgeschmack auf die Geschichte zu geben, die Ende der Woche öffentlich wird. Sämtliche Boulevardblätter werden damit aufmachen. Das wollt ihr doch, ihr Politiker, um jeden Preis auf der Titelseite erscheinen, oder? Nur diesmal wahrscheinlich lieber nicht.«
»Wovon schwafeln Sie?«
Ich reichte ihm die Mappe, und er schnaubte, tat so, als sei ihm der Inhalt völlig gleichgültig, was ihn aber nicht davon abhielt, sie aufzuschlagen und darin zu lesen. Nach der ersten Seite wich die Farbe aus seinem Gesicht, und er blätterte wild in den Dokumenten, die ich sorgfältig zusammengestellt hatte. Er prüfte eines nach dem anderen. Als er schließlich wieder zu mir aufblickte, war er bereits ein geschlagener Mann.
»Wo haben Sie …«, dann verstummte er. Ich wusste, er würde sich fragen, woher ich diese belastenden Unterlagen hatte. Ich, ein kleiner Gangster aus Newcastle, hatte offensichtlich Zugang zu vertraulichen Papieren eines riesigen US-amerikanischen Konzerns; selbstverständlich hatte ich all das Amrein und seinen folgsamen Journalisten zu verdanken. Sie standen zwar auf Amreins Gehaltsliste, waren aber trotzdem verdammt gut in ihren Jobs. Was sie ausgegraben hatten, war Gold wert. Und man muss schon sagen, Amrein hatte sich nicht lumpen lassen …
Ich hatte Ron Haydon gerade die Kopie eines Artikels in die Hand gedrückt, den keine Zeitung ablehnen würde. Es ging um Korruption, die Überschrift lautete: »Minister lässt sich kaufen – ehemaliger Staatsminister kassiert Bestechungsgeld vor Abstimmung zum Irakkrieg«.
Ich nickte. »Natürlich lassen sich die Zeitungen eine noch knalligere Schlagzeile einfallen. Mal sehen, was zum Schluss daraus wird. Ehrlich gesagt, ich bin enttäuscht. Angeblich sind Sie doch einer von den Guten, ein Mann des Volkes, einer mit Prinzipien, der sich für die Arbeiterklasse einsetzt. Wer hätte gedacht, dass der rote Ronnie so hohe Summen von einer amerikanischen Firma kassiert, die so rechtslastig ist, dass selbst den Yanks ganz schummrig wird? Sie wissen, dass die CIA, das FBI und die NSA allesamt gegen das Unternehmen ermitteln? Seit Jahren sind die da unten im Irak mit einer eigenen Privatarmee aktiv, erschießen jede arme Sau, die sich ihren Konvois auch nur auf hundert Meter nähert. Die haben mehr Zivilisten auf dem Gewissen als die US Air Force, und von diesen Leuten haben Sie Geld genommen.«
»Das ist gelogen.« Aber seine Stimme brach, und ich wusste, dass er der Einzige war, der log.
»Wissen Sie, ist schon komisch. Als Sie während der Abstimmung umgefallen sind, obwohl Sie monatelang jedem, der’s hören wollte, erzählt haben, wie illegal der ganze Krieg sei, fanden wir das alle schrecklich. Ich meine, alle hier oben haben sich für Sie geschämt, aber in der Politik ist so was ja ein alter Hut; ein Politiker opfert seine Prinzipien für das allgemeine Wohl und aus Eigeninteresse. Wir dachten, der Premierminister habe Sie bearbeitet. Und jetzt stellt sich heraus, Sie wurden von einem amerikanischen Bauunternehmen gekauft.«
»Da liegt ein Fehler vor«, erklärte er, »sollte irgendjemand auch nur ein Wort davon drucken, ziehe ich vor Gericht.«
»Finanziell wäre das Ihr Ruin, denn alle werden darüber berichten, und Sie werden verlieren«, versicherte ich ihm. »Das Problem mit den Bestechungsgeldern von amerikanischen Unternehmen ist, dass diese Firmen viel zu bürokratisch sind. Sogar über geheime Transaktionen bewahren die Aufzeichnungen auf. Die an Sie überwiesenen Summen sind irgendwo in den Firmenunterlagen verzeichnet, tief vergraben, aber sie sind da. Natürlich ausgewiesen als Beratungsgebühr oder sonstige Dienstleistungsvergütung, ›Bestechungsgeld‹ steht da ja nicht, aber niemand wird darauf reinfallen. Sie wollen doch nicht erklären müssen, welche Dienstleistung Sie angeblich erbracht, dem Finanzamt dann aber lieber doch nicht gemeldet haben. Ist ja nicht so, dass man derart große Summen einfach übersehen würde. Und wahrscheinlich wird man auch wissen wollen, warum das ganze Geld auf Schwarzgeldkonten geflossen ist.«
»Na schön« – er hob eine Hand, um mich zu unterbrechen – »sagen wir’s mal so …« Er leckte sich nervös über die Lippen. »Sagen wir mal, ich kann meine Unschuld nicht beweisen, ohne dass mein Ruf Schaden nimmt. Schließlich glauben die Leute, was in der Zeitung steht, egal, ob’s stimmt, sogar heute noch. Menschenskinder …« Er verdrehte die Augen angesichts solcher Ungeheuerlichkeit. »So gesehen liegt es im Interesse aller, dass die Geschichte nicht öffentlich wird.«
»Sie meinen, es liegt in Ihrem Interesse.«
»Im Interesse der Allgemeinheit, mein Lieber.« Er rang sich ein Lachen ab, obwohl ihm der Schreck in allen Gliedern saß. Durch und durch Politiker, klopfte er mir freundlich auf die Schulter. »Auch in Ihrem«, behauptete er.
»Na schön«, sagte ich, »was schwebt Ihnen vor?«
Er schenkte mir sein Hundert-Watt-Lächeln. »Na ja, erst mal suche ich mir ein neues Hobby« – er lachte wieder – »Sie wissen schon, Fliegenfischen …« Ich sagte nichts, ließ ihn weitere Angebote machen. »Ich trete von meinem Amt bei der Polizeibehörde zurück; aus gesundheitlichen Gründen oder weil ich mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte, der übliche Blödsinn.«
Ich runzelte die Stirn. »Ist das alles?«
»Ich könnte Ihnen ein guter Freund sein. Ich weiß viel und kenne Leute, wichtige Leute. Ich habe Kontakte.«
»Wichtige Freunde?«
»Wichtige Freunde«, pflichtete er mir bei, und Hoffnung blitzte in seinen Augen auf, er hätte endlich einen Draht zu mir gefunden.
»Aber die wollen Sie mir nicht vorstellen, ich bin doch ein Gangster, schon vergessen? Ein Gangster in Ihrer Stadt.«
»Hey, hören Sie, an dem Abend hab ich mich ein bisschen in Rage geredet. Ich hatte was getrunken und wollte mich volksnah geben, da dachte ich, ich halte mal einen Vortrag und jage Ihnen ein bisschen Angst ein, aber ich hab nicht ernst gemacht, nicht so richtig. Sehen Sie, ich bin Realist. In dieser Stadt gibt es keinen größeren Realisten als mich, mein Sohn. Ich weiß, das war immer so und wird immer so bleiben, auch wenn wir beide längst unter der Erde sind.«
»Dann können wir also Freunde werden?«
»Genau das meine ich, Mann«, sagte er, breitete die Arme aus und strahlte mich an, als wäre ich der künftige Schwiegersohn, den er sich insgeheim immer gewünscht hatte.
Ich schwieg lange. Er sah mich erwartungsvoll an, wahrscheinlich klopfte sein Herz irgendwo in seiner Kehle.
»Nein«, sagte ich entschieden.
»Hören Sie mal« – jetzt bettelte er –, »hören Sie mir zu. Ich habe eine Frau und Kinder, du liebe Güte, ich habe sogar Enkelkinder, tun Sie mir das nicht an, tun Sie denen das nicht an. Bitte, ich flehe Sie an.«
Jetzt war es an mir, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen. »Du kannst mich mal, Ron«, sagte ich, »du wanderst in den Knast.« Ich ließ ihn an der Bar stehen. Als ich ging, brachen seine Golfclubfreunde wieder in lautes Gelächter aus. Jemand musste noch einen dreckigen Witz erzählt haben, nur Ron lachte nicht.