17

Kinane wartete im Wagen auf mich. Ich sah ihm an, dass etwas nicht stimmte. Kaum war ich eingestiegen, sagte er: »Jack Conroy hat sich gemeldet.«

»Ach du Scheiße. Was will er?«

»Genau« – Kinane schien erleichtert, dass ich die Sache ernst nahm – »er will sich treffen.«

»Mit wem?«

»Na ja, das ist es ja, mit dir« – er räusperte sich – »und zwar nur mit dir.«

Es gibt nicht viele Leute in unserer Branche, die mich verunsichern. In Gegenwart dieser Typen lernt man sehr schnell, Autorität auszustrahlen. Wenn nicht, spüren sie sofort dein Unbehagen, deine Angst; und dann reißen sie dich in Stücke und spucken dich wieder aus. Also benahm ich mich, wie man es von einem Chef erwartete, und nach einer Weile hatte ich mich an die Gesellschaft von Mördern gewöhnt. Aber Jack Conroy hatte definitiv etwas zutiefst Verunsicherndes.

Man wäre niemals darauf gekommen, womit er sein Geld verdiente. Er kleidete sich wie ein gewöhnlicher Arbeiter; schlichte schwarze Jacke mit Kragen, Sweatshirt, Jeans, schwarze Schuhe. Man hätte ihn für einen Maurer gehalten, hätte man sich seine Hände nicht genauer angesehen. Sie waren groß und kraftvoll, aber keine rauhen Bauarbeiterpranken. Sie waren der einzige Hinweis auf seinen wahren Beruf, die Hände und der Blick. Ich glaube nicht an den ganzen Blödsinn, von wegen Augen seien Fenster zur Seele, aber wenn doch etwas dran war, dann hatte Conroy keine Seele, denn hinter seinen Augen lag absolut nichts.

Wir erklärten uns zu einem Gespräch bereit, kamen aber zu mehreren. Palmer tastete ihn gleich an der Tür ab, dahinter kam Kinane, dann Hunter. Kinanes drei Söhne standen zwischen mir und ihm, alle bewaffnet, und Danny stand dicht neben mir.

Jack Conroy spreizte die Arme und lächelte uns schicksalsergeben an: »Ich müsste schon bescheuert sein, wenn ich mit einer Knarre hier reinkäme«, sagte er.

»Und ich wäre bescheuert, wenn ich mich nicht vergewissern würde«, behauptete ich.

»Na schön«, sagte er.

Nachdem Palmer Conroy gefilzt hatte, ließ er ihn seine Jacke ausziehen und über den Stuhl hängen. Wir befanden uns im Cauldron, die getönten Scheiben schenkten uns die nötige Abgeschiedenheit.

Wir hatten früher schon mit Jack Conroy gearbeitet, mehr als einmal, und zwar, weil er gut war, sehr gut sogar. Bekam er einen Auftrag, führte er ihn zuverlässig aus, oft so, dass es nach einem tragischen Unfall aussah. Konkurrierte man geschäftlich mit Bobby, half einem Wachsamkeit allein wenig. Conroy sah man nicht kommen. Er war ganz besonders geschickt darin, Autounfälle mit Fahrerflucht und ohne Zeugen zu arrangieren. Oft sah es auch nach einem Sturz vom Dach eines Hauses oder nach Selbstmord aus. Conroy ließ Hinweise auf Spielschulden oder eine Geliebte zurück, und die Polizei stürzte sich dankbar darauf, weil es sonst keine verwertbaren Spuren gab.

Manchmal allerdings wollten wir gar nicht, dass ein Mord geheim blieb. In diesen Fällen legten wir Wert darauf, dass sich herumsprach, dass man sich lieber nicht mit uns anlegte. Dann erschoss, erstach oder tötete Conroy seine Opfer mit seinen trügerisch weichen, weißen Händen. Mann oder Frau, er ließ uns nie im Stich, und deshalb begegnete ich ihm auch mit dem gebührenden Respekt und plazierte ein halbes Dutzend meiner Leute zwischen ihn und mich.

Palmer zeigte auf einen Stuhl in der Mitte des Raums. Conroy betrachtete ihn skeptisch, ging aber darauf zu und setzte sich. Er legte die Hände flach auf die Knie, so dass ich sie sehen konnte. Anscheinend hatte er mitbekommen, dass wir nervös waren, und wählte diese Haltung wahrscheinlich ebenso im Interesse seiner eigenen Sicherheit wie zu unserer Beruhigung.

»Also, was können wir für dich tun, Jack?«, fragte ich. »Ist eine Weile her, seit wir miteinander ins Geschäft gekommen sind.«

»Ja, ist eine Weile her«, sagte er, als würden wir über Maler- oder Tapezierarbeiten und nicht über den Mord an einem Stadtverordneten sprechen. Letzterer hatte nicht nur Bobbys Geld kassiert und es dann aber unterlassen, die Räder der Baubehörde wie versprochen zu schmieren, sondern auch noch gedroht, der Polizei alles über den Deal zu erzählen. Bobby war so stinkwütend gewesen, dass er Conroy gebeten hatte, den Mord an dem verheirateten Stadtverordneten nach dem Freitod einer gequälten Schwuchtel aussehen zu lassen. Ich denke, auf eine gewisse, schöne Weise war das durchaus fair. Councillor Barry war einer der bigottesten Typen der Labour Party überhaupt. Allerdings glaube ich kaum, dass seine Frau und seine Familie lachten, als ihnen mitgeteilt wurde, er sei mit schwulen Pornos, den Telefonnummern mehrerer männlicher Callboys in seinem Handy und den »Liebesbriefen« eines jungen Mannes von zweifelhaftem Charakter tot aufgefunden worden.

»Das ist aber doch kein Freundschaftsbesuch«, sagte ich zu Conroy. »Deine Nachricht klang nicht danach.«

»Nein«, sagte er, »ein Freundschaftsbesuch ist das nicht.«

Ich legte den Kopf schief und sah ihn fragend an, um ihm auf die Sprünge zu helfen.

»Vor ein paar Tagen hatte ich Besuch«, erklärte er.

»Ach was?«

»Ja. Von einem Vermittler.«

»Verstehe.« Er wollte mir erklären, dass er die Identität seines Kunden nicht kannte.

»Trotzdem weiß ich, wer’s ist. Wir kennen ihn alle, aber ich hab mich gewundert, weil er normalerweise nicht auf so was steht. Ich meine, du hättest den nicht zu mir geschickt. Er fragt mich direkt, ob ich Interesse an einem Auftrag hätte, ein ›bekanntes Gesicht aus der Stadt‹, wie er sich ausdrückte, und ich sagte: ›Kommt darauf an.‹ Er fragte: ›Worauf?‹ Und ich erwiderte: ›Darauf, wer’s ist und von wie viel wir sprechen.‹ Und dann wurde es interessant.«

»Erzähl weiter.«

»Er meinte, für mich seien fünfzig drin, wenn ich den Auftrag annehme.«

»Fünfzigtausend? Das ist eine Menge Geld, Conroy.«

»Hab ich auch gedacht.« Er hielt einen Augenblick inne und biss sich auf die Unterlippe, dann fuhr er fort: »Bis er mir gesagt hat, wer dran glauben soll.«

»Und wer war das?«, fragte ich ihn, obwohl ich die Antwort längst kannte.

»Na ja«, erwiderte er ein bisschen nervös, »du.«

Einer von Kinanes Jungs machte einen Schritt nach vorn, als wollte er Conroy eine reinhauen, was keineswegs intelligent gewesen wäre.

»Hey«, pfiff ich ihn zurück.

»Zurück in deine Box.« Conroys Stimme wurde zu einem leisen Knurren, während er Kinanes Sohn niederstarrte.

»Also«, fragte ich Conroy, »was hast du ihm geantwortet, deinem Vermittler?«

»Hab gesagt, er soll sich verpissen.«

Ich sah Conroy schweigend an, versuchte, möglichst ausdruckslos zu gucken, und schwieg. Bobby hatte mir schon vor Jahren den Wert des Schweigens erklärt. Menschen fühlen sich unbehaglich damit. Früher oder später haben sie das Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen, und manchmal erzählen sie dann etwas.

»Ehrlich, ich schwör’s bei Gott«, versicherte Conroy mir. »Warum, glaubst du, bin ich sonst hier?«

»Weiß nicht«, sagte ich. »Warum bist du hier?«

»Um dir davon zu erzählen.«

»Warum kommst du damit zu mir? Warum hast du den Kerl nicht einfach weggeschickt und dich rausgehalten? Muss doch verlockend gewesen sein.«

Conroy dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete: »War’s auch. Wenn ich ehrlich bin, ich hab mir’s überlegt. Aber dann dachte ich, es würde dir nicht gefallen, wenn du von anderen hörst, dass mir ein Job angeboten wurde und ich damit nicht zu dir gekommen bin. Ich meine, ich agiere auf deinem Gebiet. Ich lebe hier, das ist meine Heimat, und du, na ja, du bist die Nummer eins.« An der Stelle wirkte er ein bisschen unsicher, als hätte er gerade ein Geheimnis ausgeplaudert, das eigentlich niemand wissen durfte, also hängte er noch schnell ein »so irgendwie« an.

Wunderte ich mich darüber, dass Conroy wusste, dass ich der Chef war? Nicht wirklich. Natürlich wurde spekuliert, immerhin war Bobby seit zwei Jahren nicht mehr gesehen worden.

»Hast du deshalb so lange gebraucht, bis du gekommen bist?«, fragte ich. »Weil du’s dir überlegt und Pro und Kontra abgewogen hast? Damit hast du ein riskantes Spiel gespielt, meinst du nicht?«

So nervös hatte ich Conroy noch nie erlebt. Er war allein gegen uns alle, und wir befanden uns auf heimischem Terrain. Ein Wort von mir, und er würde als Bündel in einem Kofferraum verschwinden und den Schweinen zum Fraß vorgeworfen werden, und das wusste er.

Er schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Du warst im Ausland, jedenfalls wurde mir das versichert. Wie hätte ich dich schneller kontaktieren sollen? Ich wollte direkt mit dir sprechen, nicht mit einem deiner Jungs. Zum Schluss hab ich dann Kinane angesprochen, weil ich gehört hab, dass du wieder da bist.«

»Du meinst, du hast gehört, dass jemand versucht hat, mich umzubringen, und du hattest Schiss, ich kriege mit, dass du für den Job ebenfalls angefragt wurdest.«

»Stimmt schon, aber du musst auch verstehen, in welcher Branche ich arbeite. Wenn sich herumspricht, dass ich nach einer Anfrage zu meinem potenziellen Opfer renne und ihm davon erzähle, bekomme ich keine Aufträge mehr. Aber wie gesagt, du bist ein Sonderfall. Das ist deine Stadt hier.« Er sah sich im Raum um, als hätte er mit »deine Stadt« auch alle anderen Anwesenden gemeint, tatsächlich aber hatte er nur von mir gesprochen. Mich beunruhigte, dass mich der sogenannte Vermittler als »bekannt« bezeichnet hatte. Ich dachte, ich hätte mich weitestgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Den Großteil des Jahres verbrachte ich schließlich in Thailand, aber wahrscheinlich hatten die Jungs die Geschäfte in meinem Namen geführt, was ungefähr auf dasselbe hinauslief, als hätte ich neben ihnen gestanden. Ich sah es praktisch vor mir: »Blake will, dass das so und so läuft«, »Blake erwartet dieses oder jenes«. Damit war ich dann derjenige, den es aus dem Weg zu räumen gilt, wenn man sich die Stadt unter den Nagel reißen möchte. »Ich wollte dich nur warnen«, schloss er.

»Das hättest du auch über Kinane tun können.«

Er wählte seine Worte sorgfältig. »Wenn es jemand darauf abgesehen hat, den Chef auszuschalten, wem soll man dann noch vertrauen, außer sich selbst? Nichts für ungut, Joe.«

»Schon klar«, erwiderte Kinane, weil Conroy nicht ganz Unrecht hatte. Damit hätte er den Mann warnen können, der den Mord in Auftrag geben wollte.

Ich wechselte die Taktik: »Wer war der Vermittler?«

»Genau das wollte ich dir ja erzählen« – er sah sich im Raum um – »und genau deshalb wollte ich dich allein treffen.«

Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Das wird nicht passieren.«

Er zuckte mit den Schultern, als würde ihm gerade klar, wie absurd sein Ansinnen war. »Na schön«, sagte er.

»Hör auf, mich hinzuhalten, Conroy«, sagte ich, »nenn den Namen des Vermittlers.«

Er atmete tief durch und brauchte eine Ewigkeit, bis er etwas sagte. Jemanden zu verpfeifen war ihm offensichtlich zuwider. Schließlich sagte er: »Billy Warren.« Fast wäre ich vom Stuhl gefallen.

Gangland: Thriller
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