28

Ich stieg über den Toten in meiner Küche, ignorierte das Blut, das aus der Wunde in seinem Hals spritzte und sich über den gesamten Küchenfußboden verteilte.

Dann nahm ich mein Handy und wählte Palmers Nummer.

»Ich brauche jemanden vom Reinigungsdienst«, sagte ich.

Bedeutungsschwangeres Schweigen.

»Kommt sofort, Sir«, sagte Palmer schließlich, als sei dies die selbstverständlichste Bitte der Welt.

Ich legte auf und setzte mich aufs Sofa, schreckte aber sofort wieder hoch. Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Nachdem ich einen Augenblick lang nachgedacht hatte, rief ich instinktiv Kinane an. Ich wollte, dass er hier war, wenn Palmer kam.

 

Zwanzig Minuten später betrachtete Palmer die Leiche. Sie lag in einer dunklen Lache aus geronnenem Blut, das Gesicht war gerötet und voller Brandblasen. Ich hatte die Pistole auf die Anrichte gelegt, und auch diese nahm er zur Kenntnis. »Was ist passiert?«, fragte er.

Ich zuckte mit der Schulter. »Ich hab was gehört, mich umgedreht, und da stand er vor mir. Dann hab ich ihm heißen Kaffee ins Gesicht gekippt.« Meine Stimme flatterte, was ich dem verzögerten Schock zuschrieb. »Nach dem Messer musste ich erst greifen«, sagte ich und hielt inne. Eigentlich hatte ich mehr ins Detail gehen wollen, aber jetzt, wo er da war und alles mit eigenen Augen sah, schien es mir nicht mehr nötig. Ich war heilfroh, noch am Leben zu sein, und hätte auf keinen Fall mit dem Kerl auf dem Boden tauschen wollen. Aber mir war kotzübel. Immer wieder dachte ich daran, wie sich die Messerspitze in seinen Hals bohrte, an seinen verzweifelten Blick. Ich wusste, dieser Moment würde eines der Bilder werden, die mich immer begleiten und mir zusammen mit den anderen den Schlaf rauben.

Palmer zog seine schwarzen Lederhandschuhe an und durchsuchte die Taschen des Toten. Er fand nichts.

»Was hältst du von ihm?«

»Könnte jemand aus der Stadt sein, den wir nicht auf dem Schirm haben, vielleicht ist er erst vor kurzem aus der Armee ausgeschieden oder auf Arbeitssuche? Wäre vorstellbar, weil die Aktion überstürzt wirkt, wie ein Auftrag auf den letzten Drücker.«

»Wieso?«

»Weil du ihn gehört hast«, sagte er schlicht.

Palmer meinte, wäre der Killer gut gewesen, hätte ich ihn nicht gehört, und ich musste zugeben, dass er recht hatte. Vielleicht würde ich mir eines Tages selbst auf die Schulter klopfen und mich freuen, dass der Mann, der David Blake hatte töten wollen, tot war. Die Geschichte war eine, von der wir uns wünschten, dass sie sich herumsprach, aber ich machte mir nichts vor. Ich hatte das Gehirn für diesen Job, nicht die Muskeln. Wäre er mit der Pistole auch nur besser als mittelmäßig gewesen, würden Palmer und Kinane jetzt meine Leiche wegschaffen.

»Gut«, sagte ich.

»Wahrscheinlich haben sie ihn losgeschickt, als sie gemerkt haben, dass du hier bist.«

»Hab ich auch schon gedacht«, erwiderte ich ausdruckslos.

»Alles okay?«, fragte mich Kinane, und mir wurde klar, wie schlecht ich ausgesehen haben musste, denn es war das erste Mal, dass er sich nach meinem Wohlbefinden erkundigte.

»Ich komm drüber weg.«

 

Als wir draußen standen, fragte Palmer: »Kann ich mit dir sprechen?« Ich nickte Kinane zu, der daraufhin schon mal zum Wagen ging.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte Palmer.

»Tatsächlich?«

»Ja«, sagte er, »du fragst dich, wie’s kommt, dass ein Killer bei dir auftaucht, obwohl du erst seit zwei Stunden im Haus warst. Du denkst, ich war der Einzige, der davon wusste.«

»Vielleicht«, sagte ich, aber es hatte keinen Sinn, unehrlich zu ihm zu sein, denn genau das dachte ich natürlich.

»Wahrscheinlich haben die das Haus beobachtet. Ich glaube, irgendwoher haben die eine Liste sämtlicher Häuser und Wohnungen, in denen du übernachtest. Und wenn du hier bist, gibt jemand Bescheid, sobald er deinen Wagen vorfahren sieht.«

»Und woher haben sie die Liste sämtlicher Wohnungen, wenn nicht …«

»… von einem unserer Leute?« Er beendete den Satz für mich.

»So viele kommen nicht in Frage, oder?«

»Die wissen, wo du übernachtest, wenn du hier bist?« Er stieß einen Seufzer aus. »Da wären schon ein paar. Ein Staatsgeheimnis ist das nicht unbedingt.«

»Nein«, räumte ich ein, »vielleicht hätte es das sein sollen.« Rückblickend betrachtet war es Schlamperei. Ein nebensächliches Detail, das mich aber beinahe das Leben gekostet hätte.

»Außerhalb der Firma kann das niemand wissen. Ich glaube, wir haben eine undichte Stelle.«

»Dann kommen uns die Peilsender ja gelegen.«

»Falls einer von unseren Leuten irgendwo war, wo er nicht hätte sein sollen, krieg ich das raus. Jemand hintergeht uns.«

»Vielleicht hast du recht«, gab ich zu.

»Aber überzeugt bist du nicht.« Er meinte, ich hatte ihn immer noch im Verdacht.

Ich zuckte mit den Schultern. Was mich betraf, so waren grundsätzlich alle in meiner Crew schuldig, bis ihre Unschuld bewiesen war, nicht andersherum.

»Da ist noch was, das ich dir zeigen muss.« Er nickte Richtung Wagen, der ein paar Meter weiter parkte. Ich folgte ihm, obwohl ich inzwischen wirklich keine Ahnung mehr hatte, wem ich vertrauen konnte. Palmer blickte sich um, ließ den Kofferraum aufschnappen und hob den Deckel halb an, gerade genug, damit ich hineinsehen konnte. Darin lag ein Mann. Er bewegte sich nicht. Ich war kein Experte, aber wenn ich eine Diagnose hätte stellen müssen, hätte ich gesagt, er hatte sich das Genick gebrochen.

»Bei mir war auch einer«, erklärte Palmer.

»Was ist passiert?«

»Ich bin nach Hause gekommen«, erklärte er, »und der Kerl hier hat schon im Haus auf mich gewartet.«

»Wie hast du ihn entdeckt?«

»Ich markiere meine Tür.« Er wich mir aus. »Wenn jemand drin ist, merke ich das.« Anscheinend war das die einzige Erklärung, die ich von ihm bekommen würde. Ich hatte schon öfter mal gehört, dass Leute unauffällige Zeichen an ihrer Haustür anbringen und jeden Abend prüfen, ob sie noch da sind, aber das war mir ein bisschen zu sehr John le Carré.

»Ich dachte, ich verklapp sie beide zusammen.« Anscheinend gab es noch eine ganze Menge, das ich nicht über Palmer wusste. Wo auch immer er sein Können erworben hatte, der Mann im Kofferraum war ihm eindeutig unterlegen.

Ich hörte nicht richtig zu, weil mir ein Gedanke kam. Jemand hatte einen Killer auf mich angesetzt und gleichzeitig auch einen auf Palmer, am selben Abend. Kinane war nicht zu Hause gewesen, ihn hätten sie nicht erwischen können. Aber was war mit den anderen aus meiner Crew?

»Ruf alle an«, sagte ich, »vergewissere dich, dass sonst niemand Besuch bekommen hat.« Ich nahm mein Handy und rief Danny an. Keine Antwort. Wo, zum Teufel, steckte er?

 

Es dauerte nicht lange, dann bekam ich die Nachricht. Ich saß bei Kinane im Wagen, als mein Handy klingelte. Es war Sharp, er klang panisch: »Alles in Ordnung? Ist was passiert?«

»Kann man wohl sagen«, erwiderte ich. »Ist aber noch mal gutgegangen. Warum? Was hast du gehört?« Ich fragte mich, woher Sharp so schnell vom jüngsten Angriff auf mein Leben erfahren hatte.

»Hier ist die Hölle los, das ist wie in der Nacht der verfluchten langen Messer. Hunter hat’s erwischt. Er ist tot.«

»Hunter? O Gott, nein.« Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Hunter war seit Menschengedenken einer von Bobbys Leuten gewesen, und jetzt lebte er nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, als würde die Welt einstürzen.

»Und noch was«, sagte er, als sei Hunters Tod unsere geringste Sorge, »auf deinen Bruder wurde geschossen.«

Gangland: Thriller
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