24

Kaum hatten wir unser Essen bestellt und der Sommelier den Wein eingeschenkt, fragte sie mich: »Also, worüber willst du mit mir reden?«

»Du kommst gleich zur Sache? Kein Smalltalk?«

»Hab ich mir so angewöhnt«, sagte sie ernst.

»Ich bin noch nicht mal dazu gekommen, dir Komplimente zu machen.«

Sie sah gut aus, trug einen schwarzen Hosenanzug, der sich ganz ausgezeichnet von dem Cocktailkleid-Look abhob, den wir im Massagesalon gern sahen. Unsere Köpfe reflektierten in den riesigen Spiegeln an den Restaurantwänden. Wir passten gut zueinander, wirkten smart und wohlhabend. Niemand hätte erraten, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienten.

»Vielleicht ist mir das auch lieber. Komplimente habe ich in meinem Leben genug bekommen.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Und immer, wenn’s darauf ankam, haben sie nie viel bedeutet.«

»Okay, du willst die Wahrheit? Du faszinierst mich.«

»So faszinierend bin ich nicht.«

»Doch, das bist du. Niemand versteht, warum du da arbeitest.«

»Im Massagesalon?« Sie wollte, dass ich es laut aussprach, wollte wissen, ob sie mich öffentlich in Verlegenheit bringen konnte.

»Ja, im Massagesalon.«

»Weil ich dafür zu schade bin?«

»Ja.«

»Was ist mit den anderen Mädchen dort? Sind die nicht zu schade für den Job? Bin ich besser als die?«

»Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass du heute dort aufhören und in null Komma nichts etwas Besseres finden könntest. Das kann ich dir versichern. Das würden alle machen, wenn sie könnten, und sie würden es keinen Augenblick bereuen.«

»Aber sie können nicht.«

»Nein.«

»Warum nicht?«, forderte sie mich heraus. »Weil du sie nicht gehen lässt?«

»Um Gottes willen, nein, wir halten niemanden, der gehen will. Glaubst du das? Dass wir Mädchen gegen ihren Willen zur Arbeit zwingen?«

»Ich weiß es nicht.« Sie runzelte die Stirn. »Bis jetzt hab ich nicht versucht, aufzuhören. Aber eines der Mädchen hat behauptet, dass sie gehen wollte und nicht konnte. Sie hat es immer wieder versucht, aber es war nicht möglich. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, aber sie wirkte sehr traurig.«

»Ich vermute, sie meinte, dass sie das Geld braucht. Die meisten Mädchen haben Schulden oder müssen Kredite abstottern, oder sonst etwas hält sie davon ab, aufzuhören. Es gibt andere Jobs, aber keine so gut bezahlten. Ich will nicht behaupten, dass die Arbeit schön ist, das weißt du sicher besser als ich, aber die Mädchen machen sie freiwillig. Ich meine, vielleicht haben sie das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, aber sie können jederzeit kündigen und etwas anderes machen.«

»Verstehe«, sagte sie.

»Ich kann ihren Standpunkt nachvollziehen. Aber du faszinierst mich.«

»Warum?«

»Wie gesagt, weil du Alternativen hast. Wenn man aussieht wie du und auch noch so spricht wie du, dann liegt das auf der Hand.«

»Was liegt auf der Hand? Und wie spreche ich denn?«

»Gebildet, vornehm, fein.«

»Fein?« Sie setzte einen sehr niedlichen Blick auf, senkte den Kopf und hob gleichzeitig die Augenbrauen, sah mich von unten an. »Den Ausdruck hab ich nicht mehr gehört, seit ich ein kleines Mädchen war. Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich soll mich wie eine Lady hinsetzen und mich nicht gehenlassen. Fein ist so ein altmodisches Wort.«

»Aber dass deine Mutter es benutzt hat, beweist doch, dass ich recht habe. Du kommst aus besseren Kreisen.«

»Was bildest du dir noch ein, über mich zu wissen?«

Ich merkte, dass ihr dieses kleine Ratespielchen allmählich Spaß machte, vielleicht, weil es sich um sie drehte. Die meisten Frauen sprechen gern über sich. Männer, die das begriffen haben, können sich darauf einstellen.

»Kein Akzent, du hast also eine ›gute‹ Schule besucht. Ich vermute, du hast gute Zeugnisse, vielleicht sogar einen Uni-Abschluss?« Sie nickte langsam. »Dann vermute ich, ist irgendwas passiert.«

»Zum Beispiel?«

»Ich weiß nicht«, gestand ich, »aber irgendwas Schlimmes. Keine Frau arbeitet da, die nicht …«

»Im Massagesalon«, korrigierte sie mich in einer Lautstärke, die die unseres Gesprächs überstieg.

»Im Massagesalon«, sagte ich ebenso laut und ließ mir nichts anmerken. »Frauen, denen es gut im Leben geht, kommen nicht bei uns hereinspaziert und sagen: ›Ich hab gerade meinen Uni-Abschluss gemacht, bin dem Mann meiner Träume begegnet und habe im Lotto gewonnen. Darf ich hier anfangen?‹«

»Was denn sonst?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Elaine kümmert sich darum. Sie unterhält sich erst mal ausführlich mit den Mädchen, findet heraus, ob sie das wollen. Und ob sie wissen, was auf sie zukommt. Du weißt das. Mit dir hat sie sich auch unterhalten.«

»Du hast nachgefragt?«

»Ja.«

Besonders gut schien ihr das nicht zu gefallen. »Und was hat sie über mich gesagt?«

»Nicht viel«, lenkte ich ein, »nur irgendwas von einem Mann.« Sie verschränkte trotzig die Arme. »Hey, geht mich ja gar nichts an.«

»Da hast du recht«, erklärte sie, löste die Arme wieder und nahm einen Schluck Wein.

»Okay, also dann, was ist mit deinem Namen? Verrätst du ihn mir?«

»Wollen wir jetzt so tun, als würdest du ihn nicht kennen? Du hast Elaine doch längst danach gefragt.«

»Ich will ihn von dir hören. Ich hätte gern die Erlaubnis, dich mit deinem richtigen Namen anzusprechen, ›Nenn-mich-Tanja‹.«

»Simone«, sagte sie. Sie guckte ein bisschen verlegen. »Meine Mutter hat mich nach Simone de Beauvoir benannt.«

»Oh, nein.«

»Ich fürchte – doch. Was sagt das über sie aus?«

»Dass sie sehr ernsthaft, liberal und aus unglaublich vornehmem Hause ist.«

»Unglaublich vornehm – das weiß ich nicht«, protestierte sie mit einer Stimme, die mehr denn je nach Gräfin klang. »Aber ernsthaft war sie. Sie hat Philosophie studiert, und ich hatte den Eindruck, dass sie recht liberal war, in jüngeren Jahren, bevor sie ihn kennengelernt hat.«

»Das heißt, den lieben Papa?«

»Den lieben Papa«, bestätigte Simone.

»Und was stimmt nicht mit Papa?«

»Ach, gar nichts«, ihr Tonfall triefte nur so vor Sarkasmus. »Er ist perfekt, arbeitet in der City, hat mit Finanzen zu tun. Kommt spät abends nach Hause, wenn alle schon im Bett sind, legt sich schlafen und träumt wahrscheinlich von Geld. Der perfekte Vater, schon deshalb, weil er nie da war, um mich von irgendetwas abzuhalten, und ich machen konnte, was ich wollte.«

Wieder forderte sie mich heraus, wollte wissen, wie ich auf all das reagieren würde. Egal, was ich gesagt hätte, es wäre sowieso falsch gewesen und sie hätte mich zerpflückt. Es ging also nicht nur darum, einen Ex-Freund zu bestrafen, es ging auch darum, Papa den Stinkefinger zu zeigen. Er hatte sie über die Jahre hinweg vernachlässigt, ihre Mutter fertiggemacht, und jetzt ging sie anschaffen, um ihm eins auszuwischen. Eine eigentümliche weibliche Logik, fand ich, als würde man sich die Nase abschneiden, um dem eigenen Gesicht eine Harke zu zeigen.

»Das war also Papa«, sagte ich schlicht, »und was ist mit dem Freund, von dem mir Elaine nichts erzählen durfte?«

»Der war ein Arschloch.«

»Wie alle Männer«, warf ich trocken ein.

»Genau.« Jetzt war ich an der Reihe, die Augenbrauen hochzuziehen. »Oder etwa nicht?« Sie schien es ernst zu meinen, aber wahrscheinlich wollte sie mich nur wieder provozieren.

»Nein, nicht alle.«

»Bist du die Ausnahme?«

»Um Gottes willen, nein, ich bin ein totales Arschloch, ein ausgemachter schlimmer Finger, die Sorte Mann, vor der dich deine Mutter gewarnt hat. Du solltest dich von mir fernhalten!« Jetzt lachte sie wieder, was gar nicht schlecht war. »Hätte ich dich lieber anlügen sollen, was meinst du?«, fragte ich gespielt unschuldig.

»Wäre vielleicht die bessere Taktik gewesen.«

»Ich weiß nicht so genau. Frauen erzählen Männern ständig, dass sie nur jemanden wollen, der sie gut behandelt und zum Lachen bringt, aber das ist totaler Blödsinn. Das wollen sie gar nicht.«

»Was wollen sie denn dann?«

»Einen anstrengenden, gefährlichen und unzuverlässigen Typen. Sie wollen einen Mann, der sie fertigmacht und sitzenlässt. Erst dann sind sie davon überzeugt, dass er der Richtige ist, und wollen einen netten Menschen aus ihm machen. So einen, wie sie ihn sich besser gleich gesucht hätten.«

»Da ist was dran«, gab sie zu. »Wenn ich mir meine Fallakte so ansehe, liegst du nicht ganz daneben, aber vielleicht bin ich auch gar nicht repräsentativ.«

»Was ist mit deinem Arschloch? Ist er noch aktuell?«

»Falls du meinst, ob ich noch mit ihm schlafe: Nein, er ist nicht mehr aktuell. Gibt es ihn noch? Na ja, er wohnt noch in derselben Stadt, aber abgesehen davon …«

Sie lässt den Satz ausklingen.

»Er hat dich richtig scheiße behandelt, oder?«

Einen Augenblick lang sah sie aus, als wollte sie gleich weinen, aber dann riss sie sich zusammen. »Sehr schlecht.«

»Hart in der Realität aufgeschlagen?«

»Kann man so sagen.«

»Das beantwortet aber nicht die Frage.«

»Welche Frage?«

»Warum du in dem Massagesalon arbeitest?«

»Ich brauche Geld.«

»Wegen ihm?« Sie nickte.

»Was ist passiert?«

»Ich hab’s dir doch gesagt, der war scheiße. Wir waren zusammen. Ich dachte, es sei Liebe. Ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich ihm Geld geliehen habe. Dann haben wir uns getrennt, und er hat mir nichts davon zurückgegeben.«

»War’s viel?«

»Genug.«

»Wie heißt er?«

»Wozu willst du das wissen?«

Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es mir eigentlich nicht wichtig. »Weiß nicht«, sagte ich. »Vielleicht kenne ich ihn, mehr nicht. Ich könnte mal ein Wörtchen mit ihm wechseln, über dein Geld, es zurückfordern.«

Sie schnaubte. »Das glaube ich kaum.«

»Warum nicht?«

»Weil er keiner ist, mit dem man einfach mal ein Wörtchen wechselt. Das ist ein großer bedrohlicher Drecksack, der sehr wichtig tut. Vor dem haben nicht nur Frauen Angst, glaub mir.«

»Na ja, ich nicht.«

»Bist du dir da so sicher?« Sie klang skeptisch, dann sah sie mich an, als würde sie mich zum ersten Mal richtig wahrnehmen.

»Na schön, Mr. Blake, wenn du keine Angst vor meinem Ex hast, obwohl du jetzt weißt, wie er drauf ist, dann frage ich mich, was für ein Mann du bist.«

»Einer, der’s nicht gern hört, dass eine Lady von einem blöden Wichser übers Ohr gehauen wird.«

»Dann bin ich also eine Lady?«

»Na klar.«

»Keine Nutte?« Sie forderte mich erneut heraus.

»Ich denke mal, faktisch bist du beides.« Es entstand eine Pause, während sie es sacken ließ, dann lachte sie wieder.

»Charmant«, sagte sie.

»Ich nehme kein Blatt vor den Mund«, erwiderte ich. »Du doch auch nicht.«

»Okay, dann hast du vielleicht keine Angst, aber ich werde dir trotzdem nicht verraten, wer er ist.«

»Warum nicht? Ist er ein Gangster?«

»Er hält sich für einen.«

»Wie so viele in dieser Stadt.« Am liebsten hätte ich ihr erklärt, dass dieser Typ nach fünf Minuten allein mit Kinane darum betteln würde, ihr das Geld mit Zinsen zurückzahlen zu dürfen, aber ich glaubte, möglicherweise würde sie wenig davon halten.

»Ich werde dir seinen Namen nicht verraten, weil ich damit entweder dich oder ihn in Gefahr bringe.« Und sie sah mich durchdringend an. »Allmählich habe ich den Verdacht, eher ihn.«

»Was interessiert es dich? Er hat dich beklaut.«

»Das war meine Schuld. Ich war so blöd, ihm das Geld zu leihen. Außerdem will ich nicht, dass ihm etwas zustößt, nicht so.«

Nein, dachte ich, du willst nur, dass er mitbekommt, dass du im Puff arbeitest, als würde das sein Leben zerstören.

»Du musst ihm eine schöne Stange Geld geliehen haben, dass du jetzt im Salon arbeiten musst, um deine Schulden abzustottern.«

Sie seufzte. »Es war nicht nur das. Ich hab meinen Job verloren, wegen des Lebens, das wir zusammen geführt haben. Wegen der ständigen Partys.« Sie meinte, wegen der Drogen. »Ich musste meine Wohnung aufgeben, aber ich kannte den Salon, also dachte ich, ich versuch es mal. Ich meine, viel mehr hatte ich doch nicht zu verlieren, oder?«

»Und sich vom lieben Papa Geld zu leihen, das kam nicht in Frage, vermute ich?«

»Genau«, sagte sie mit derart eiserner Entschlossenheit, dass ich es aufgab. Trotzdem konnte ich nicht verstehen, wie es zwischen Vater und Tochter zu einem so zerrütteten Verhältnis kommen konnte, dass sie lieber Sex mit Fremden hatte, als ihn um Geld zu bitten.

»Woher kanntest du den Salon?«

»Mein Ex hat mir davon erzählt. Ich hab ja gesagt, er hatte seine Finger in krummen Geschäften. Irgendwann sind wir mal daran vorbeigefahren, da meinte er: »Siehst du den Laden da, das ist ein Puff.« Und ich weiß noch, dass ich über die Frauen gelacht habe, die es nötig haben, in solchen Läden zu arbeiten. Ich hab keinen Augenblick weiter darüber nachgedacht, bis kein Geld mehr da war und meine Wohnung geräumt wurde.« Sie redete, als hätte sie sich total im Griff, aber unbewusst spielte sie dabei mit einer langen Haarsträhne.

»Ich bin hingefahren und hatte erst mal viel zu viel Schiss, um überhaupt reinzugehen, aber irgendwie hab ich dann doch meinen Mut zusammengenommen. Da saß dann Elaine, und die schien mir okay. Ich meine, sie hat Haare auf den Zähnen, aber wer ein Mädcheninternat besucht hat, ist Schlimmeres gewohnt.«

Sie hörte einen Moment lang auf, an ihren Haaren herumzufummeln, nahm ihr Weinglas am Stil, trank einen langen Schluck und fuhr fort: »Fast hätte ich es am ersten Abend nicht durchgezogen. Ich konnte mich nicht mal entscheiden, was ich anziehen wollte. Ist das nicht verrückt? Stundenlang habe ich den Inhalt meines Kleiderschranks angestarrt und versucht, etwas Passendes zu finden.« Und sie lachte ohne jeden Humor. »Die Männer kommen ja nicht wegen der Klamotten, die man trägt. Und es ist ja auch nicht so, dass man sie lange anbehielte. Das wusste ich, aber …« Sie verstummte und blinzelte angesichts der absurden Vorstellung, dass sich jemand Gedanken darüber macht, was er im Puff anziehen soll.

»Aber ich hab’s durchgezogen. Ich hatte einen Punkt in meinem Leben erreicht, an dem ich dachte, ich würde nie wieder einen Mann an mich heranlassen, es sei denn, er war bereit, dafür zu bezahlen. Am ersten Abend habe ich fünf Kunden massiert. Nur einer wollte mehr als ein »Happyend«. Das erste Mal war …« Sie brauchte einen Moment, bis sie das richtige Wort gefunden hatte. »… schwierig, aber ich habe genug Geld mit nach Hause genommen, so dass ich am nächsten Abend wiederkam. Drei Tage später meinte Elaine, ich könne bleiben.«

»Weil du Kohle gemacht hast.« Ich meinte, für unser Haus, und sie nickte.

»Hast du deine Schulden schon abbezahlt?«

»Noch nicht ganz.«

»Hörst du auf, wenn du’s geschafft hast?«

»Warum sollte ich? Irgendwie muss ich ja Geld verdienen.«

»Ja, aber nicht unbedingt auf diese Weise. Ich bin ja kein Moralapostel, aber es muss doch leichtere Jobs geben.«

»Als für dich zu arbeiten, meinst du?« Seltsamerweise hatte ich es so noch nicht betrachtet. Seitdem es Bobby nicht mehr gab, war ich der wichtigste Mann der Firma, aber wir hatten so vieles laufen, dass der Massagesalon nur ein Projekt unter vielen war. Ich hatte sogar schon mit der Idee gespielt, ihn zu schließen, aber er brachte durchaus Geld ein, also ließ ich es bleiben. Abgesehen davon, dass ich die Einnahmen zählte und wusch, hatte ich nicht mehr viel damit zu tun. Wahrscheinlich konnte man behaupten, dass ich von unmoralischen Einkünften lebte, auch wenn das Geld aus dem Massagesalon nur einen winzigen Prozentsatz meines Einkommens ausmachte. In den Augen des Gesetzes war ich ein Zuhälter, aber tatsächlich stellten wir nur eine Dienstleistung zur Verfügung. Den Laden besuchten Männer, die anderswo keinen Sex bekamen, und dort arbeiteten Frauen, die mehr als einen Mini-Job brauchten. Ich stellte nur eine sichere, saubere Umgebung zur Verfügung, so dass sie sich begegnen konnten, ohne ausgeraubt oder verprügelt zu werden. Das war’s.

»Manche Männer sind okay«, sagte sie, um sich zu rechtfertigen. »Die meisten sind höflich. Fast alle sind nervös und schon deshalb recht umgänglich. Ich hatte damit gerechnet, dass sie dreist wären und möglichst lange ihren Spaß haben wollten, aber tatsächlich bringen es die meisten schnell hinter sich und verschwinden wieder. Ganz wenige machen Schwierigkeiten, und dafür gibt es ja immer noch Max.«

Max wurde dafür bezahlt, dass er sich um alles kümmerte, was den Mädchen und Elaine zu viel wurde. Er hielt sich im Hintergrund, es sei denn, es gab Ärger, aber wir achteten darauf, dass er nicht übersehen wurde. Normalerweise genügte sein Anblick, um zu gewährleisten, dass alle ordentlich bezahlten und den Mädchen Respekt entgegenbrachten. Max hatte wahrscheinlich den leichtesten Türsteherjob in ganz Newcastle. Nur gelegentlich benahm sich ein Kunde daneben, aber ohne einen Mann wie ihn hätten wir einen solchen Laden gar nicht führen können, da wir es uns nicht leisten konnten, dass der Salon einen schlechten Ruf bekam und die Behörden darauf aufmerksam wurden. Wenn es Unannehmlichkeiten gab, griff er ein und sorgte für Ruhe und Ordnung.

»Viele von den Männern sind zu Tode erschrocken«, sagte sie plötzlich, als wäre es ihr eben erst klargeworden. »Die wollen gar nicht dorthin. Aber natürlich brauchen sie’s, sie können nicht anders. Alle Männer sind so, wie Hunde. Sie wollen Dampf ablassen und sich hinterher aus dem Staub machen.«

»Du hast keine hohe Meinung von uns Männern, oder?«

»Nein.«

»Wie wirst du dann aber damit fertig?«

»Meistens ziehe ich mich einfach aus, massiere sie und hole ihnen einen runter – mehr brauchen die nicht. Die fassen mich nicht mal an, und es dauert auch nicht lange.«

Noch ein Schluck Wein, dann merkte sie, dass ihr Glas fast leer war. Ich schenkte ihr nach, und sie fuhr fort. Schon komisch, erst musste ich ihr die Würmer aus der Nase ziehen, jetzt hörte sie gar nicht mehr auf zu reden.

»Manche wollen das Komplettprogramm mit Sex, und das muss ich ihnen auch erlauben. Schließlich bezahlen sie, aber dann lege ich mich hin und wende den Kopf ab. Natürlich gefällt denen das nicht, aber mehr ist bei mir nicht drin, niemals. Die meisten wollen das Gefühl haben, als würden sie mit ihrer Freundin schlafen.« Bei der Vorstellung schnaubte sie verächtlich. »Ich soll sie küssen, ihnen die Zunge in den Mund schieben, dafür bieten sie oft auch mehr Geld.«

»Und du lässt dich nicht darauf ein?«

»Niemals«, erklärte sie, »den Service bekommt keiner von mir.«

Sie trank noch mehr Wein, sah mich an, als würde sie auf eine Bemerkung warten. Als ich schwieg, fuhr sie fort: »Einer wollte nicht nachgeben, meinte, eigentlich würde es mir gefallen. ›Du stehst doch drauf‹, hat er gesagt, ›du stehst drauf, Darling.‹« Sie schüttelte den Kopf über so viel Blödheit. »Der hat tatsächlich geglaubt, ich würde auf ihn abfahren, weil ich feucht war. Ich hab ihn ausgelacht und gesagt: ›Träum weiter, das ist Gleitcreme.‹ Das hätte ich nicht sagen sollen, hat ihm gar nicht gefallen, dass ich ihn ausgelacht habe. Männer mögen es nicht, wenn man sie auslacht. Sie nehmen sich viel zu ernst, ganz besonders im Bett. Ich dachte, er würde mich schlagen. Hätte er wahrscheinlich auch gemacht, hätte er keine Angst vor Max gehabt.«

»Wahrscheinlich hast du’s mit ein paar echt seltsamen Typen zu tun.«

»Da ist einer, der sich einmal die Woche einen Termin bei mir geben lässt, aber immer nur meine Füße angucken will. Er interessiert sich für keinen anderen Körperteil, will mich nicht nackt sehen, gar nichts. Bloß meine Füße betrachtet er, dann spielt er an sich herum und geht wieder.«

Jetzt kamen die Teller mit der Vorspeise. Falls der Kellner den letzten Satz mitbekommen hatte, so ließ er sich nichts anmerken. Für mich gab es Gänsestopfleber; für Simone irgendwas teures Grünes mit einem hauchdünnen Scheibchen Parmesan obendrauf, das auch aus einer Fertigsalattüte aus dem Supermarkt hätte stammen können.

»Was, wenn ich dir was Besseres beschaffe?«, fragte ich. »Wo du genauso viel verdienst?«

»Zum Beispiel?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß noch nicht, aber ich bin sicher, dass ich eine bessere Verwendung für deine Talente finden könnte.« Sie sah mich misstrauisch an, als würde ich ihr vorschlagen, sie an einen arabischen Scheich oder einen russischen Milliardär zu verscherbeln. »Ein Job, bei dem du deine Klamotten anbehalten kannst«, fügte ich hinzu.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich das nicht will.« Jetzt hatte sie wieder auf trotzig geschaltet.

»Warum lässt du dir nicht helfen?«, fragte ich ruhig.

Sie sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Du hältst mich für etwas, das ich nicht bin.«

»Jetzt kannst du also schon Gedanken lesen oder was?«, schoss ich zurück. »Also, wofür halte ich dich?«

»Für etwas Kaputtes, das du wieder heil machen kannst. Du glaubst, in mir ist was zerbrochen und du kannst es mit Geld reparieren.«

»Aber so einfach ist es nicht?« Möglicherweise hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Trotzdem war ich fest davon überzeugt, ihr helfen zu können.

»Nein.«

»Warum nicht?«

Sie seufzte und fasste sich an den Kopf. »Weil ich hier oben gearscht bin.«

Es fiel mir schwer, nicht zu lachen. Sie klang wie ein melodramatischer Teenager, aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich mit ihr zu streiten, solange sie in dieser Stimmung war. Stattdessen lächelte ich sie an und sagte: »Iss dein Hasenfutter.«

Gangland: Thriller
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