Davor

Niemand antwortete. Felix humpelte ein Stück um die Hütte herum und strich mit der flachen Hand über die grob behauenen Steinquader. Tatsächlich fand er die mysteriösen Runen, die Rob auf dem Foto entdeckt hatte. Sie waren vom Regen schwarz gewaschen und mit einer leichten Moosschicht bedeckt. Sofort war er elektrisiert, seine Schmerzen im Knöchel und die Müdigkeit waren wie weggeblasen.

Er stieg hinauf zu der kleinen Veranda und blickte durch die blinden, mit Spinnenweben überzogenen Scheiben. Da standen ein Ofen, ein paar Stühle und ein Tisch, auf dem eine verbeulte Petroleumlampe brannte. Felix klopfte fest gegen den Verschlag. Die Hütte war nicht versperrt, das schwere, verrostete Eisenschloss war nur ausgehängt. Das war also das Gegenstück zu Tims altem Schlüssel. Hatte er das ominöse Familiengeheimnis entdeckt? Aber was war es genau? Eine Jagdhütte? Der Zugang zu einem Weinkeller?

»Hallo?«, rief er noch einmal. Er stieß die Tür auf. »Tim? Sofie?«

Der Raum war leer. Außer einem kleinen Tisch, einem rostigen Blechschrank und einer breiten Pritsche gab es nur noch ein Regal, auf dem Konserven und Lebensmittelpackungen standen. Jemand hatte einen alten Wehrmachtsrucksack in die Ecke geworfen, auf der fleckigen Matratze lag ein Mantel. Das Licht in der Petroleumlampe flackerte. Vor kurzer Zeit musste noch jemand hier gewesen sein.

Felix blieb ungefähr drei Sekunden lang unschlüssig stehen. Dann hörte er es hinter sich im Wald laut knacken.

Er fuhr herum. »Ich weiß, dass Sie hier sind!«, rief er in die Finsternis.

»He! Arschloch!«, rief jemand zurück.

Drei Gestalten näherten sich, schon hatten sie das Wasser erreicht.

»Jetzt bist du dran!«

Es war der Pole mit seinen Italienern.

Ohne groß zu überlegen, stürzte Felix in die Hütte und schlug die Tür hinter sich zu. Mit einem dicken Balken verriegelte er sie von innen. Dann löschte er die Lampe.

»Komm raus!«, brüllte der Pole. Er trat wütend gegen das Holz der Tür. »Du feige Sau! Jetzt machen wir dich fertig.«

Die Fensterscheiben zerbarsten, Scherben splitterten über die Dielen. Felix warf den Tisch um und ging hinter der Platte in Deckung. Die drei standen vor der Hütte und sprachen leise.

Zum Weglaufen war es zu spät: Mit seinem verstauchten Knöchel würde er nicht weit kommen. Felix holte sein Handy heraus. Kein Empfang. Aber die Hütte war aus massiven, alten Eichenstämmen errichtet. Und die Gitter an den Fenstern waren aus Eisenstangen. Wer immer den Schuppen gebaut hatte, wollte nicht, dass hier so einfach jemand hereinspazierte.

Das begriffen auch die drei Männer da draußen. Nachdem sie eine Weile getreten und geflucht hatte, zogen sie sich zur Beratung zurück. Felix lugte aus dem Fenster. Er sah die drei unten an der Furt zusammenstehen und ahnte nichts Gutes.

In der Dunkelheit des Raumes entdeckte er einen schwachen Schimmer, zwischen den Ritzen des Fußbodens gleich neben der Pritsche. Behutsam und sehr darauf bedacht, dass er sich nicht an den herumliegenden Glasscherben schnitt, kroch Felix zu der Stelle und fand eine Klappe. Als er sie öffnete, schlug ihm der kühle, modrige Hauch von Stein und Feuchtigkeit entgegen.

»Hallo, ist da wer?«, rief er nach unten.

Eine Leiter führte nach unten, wo irgendwo elektrisches Licht brannte. Er konnte den Boden erkennen und eine Menge übereinandergestapelter Kisten. Die Hütte besaß offensichtlich eine Art Keller.

»He!«, rief da der Pole draußen vor der Hütte. »Seht mal da.«

Trampelnde Schritte waren zu vernehmen, dann ein metallisches Knarren. Felix schlich zurück zum Fenster. Die drei machten sich an einem Moped zu schaffen. Was zum Teufel.

Der Pole taumelte schon wieder die Terrasse hoch. »Schreiberling!«, krächzte er und war schon heiser vom Brüllen. An seinem schweren Zungenschlag erkannte Felix, dass er inzwischen vollkommen betrunken war.

»Was willst du von mir?«

»Du kleines Arschloch! Du kleiner, neunmalkluger Pisser! Ich spucke auf dich. Du hast wohl gedacht, du kannst uns alle mit deiner Story anpinkeln und kommst damit auch noch davon, was?«

»Hey! Lasst uns darüber reden, okay?«

»Scheiß auf Reden. Wir haben lange genug gewartet. Jetzt ist Zahltag!«

In einem Moment sah Felix den Mofatank und begriff. Er sprang zur Pritsche und warf sich schützend den Mantel über die Schultern.

»Mit schönen Grüßen von Alfredo!«

Flüssigkeit spritzte durch die Fenster und über den Boden. Es roch nach Benzin. Ihm blieb keine Zeit mehr. Ein zweiter Ausgang, vielleicht gab es einen zweiten Ausgang. Er hörte noch, wie einer der drei ein Zippo schnalzen ließ. Dann kroch Felix, ohne einen weiteren Augenblick zu verlieren, zur Klappe und rutschte mit den Beinen voran hinunter ins Licht.

Zombifiziert, Band 5: Letzte Sekunden
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