Danach

Marti schlug mit dem Gewehrkolben immer wieder gegen die Tür. Seine rechte Hand war fest mit einem zerschlissenen Spanngurt umwickelt, den er irgendwo im Staub vor den Laderampen gefunden hatte. Das andere Ende hatte er an der Klinke verknotet. Laut und rhythmisch hallten seine Schläge über den Hinterhof und hinterließen Dellen im Blech. Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn. Sie kitzelten ihn an den Schläfen und brannten in den Augen. Marti hielt kurz inne und wischte sich mit dem Hemdzipfel übers Gesicht. Er schmeckte Salz.

Drinnen im Gebäude tat sich endlich etwas. Marti ließ dem Strick etwas mehr Luft und stieß die Tür weiter auf. Das Geräusch, eine Art Knurren, kam aus dem Dunklen des Lagerraums.

»Komm schon«, rief Marti. »Hier bin ich!«

Es sollte frech und mutig klingen, aber seine Stimme überschlug sich. Marti schluckte ein paar Mal trocken. Es fühlte sich an, als ob er überhaupt keine Spucke mehr im Mund hatte. Endlich sah er, wie sich der schmutzige Plastikvorhang bewegte. Zwei Arme schoben sich wie blinde Fühler durch die breiten Lamellen und verharrten. Ihr Besitzer trug ein Hemd, einen goldenen Ehering und eine teure Uhr. Das musste der Marktleiter sein. Er war nach seiner Mutation wahrscheinlich vor dem grellen Oberlicht ins Finstere der Lagerhalle geflüchtet. Jetzt knurrte und gurgelte der Mann wie ein alter Wolf.

»Hierher, du feige Assel! Hier bin ich. Komm zu mir. Komm schon. Weiter«, lockte Marti ihn.

Er machte einen Schritt in seine Richtung, um ihn stärker in Versuchung zu bringen. Doch der Infizierte bewegte sich nicht. Nur seine Arme ragten weiter aus dem Vorhang. Die knochigen schwarzen Finger zuckten unkontrolliert, wie nervöse Augenlider. Marti überlegte, einfach auf ihn zu schießen. Aber er wusste ja nicht, ob noch andere Untote im Gebäude waren. Außerdem war er zu weit entfernt, um sicher zu sein, dass die Schrotladung auch maximalen Schaden anrichtete.

Er beschloss, sich der Gestalt hinter dem Vorhang zu nähern. Langsam, Schritt für Schritt ging er mit dem Gewehr im Anschlag auf ihn zu. Je näher er kam, umso leiser und bedrohlicher wurde das Knurren. Als Martis Gewehrlauf schon fast die Plastiklamelle vor dem Kopf des Kranken berührte, verstummte er ganz. nähern

»Friss das!«, sagte Marti und krümmte den Zeigefinger.

Genau in diesem Augenblick machte der Markleiter einen Satz nach vorn. Der Rückstoß riss die Flinte nach oben, der Schuss verfehlte sein Ziel. Herumfliegender Wandputz und Staub deckte beide ein. Der Zombie schrie und taumelte. Eine abgerissene Lamelle behinderte ihn und er stürzte halb zu Boden, halb gegen die gegenüberliegende Wand. Auch Marti wich zurück und ehe er sich versah, warf der Zombie sich ihm schon wieder mit rudernden Armen entgegen. Seine Bewegungen waren unvermittelt und blitzschnell wie bei einem Krokodil, jedoch so unkoordiniert, dass Marti die Attacken mit dem Flintenlauf abwehren konnte. Noch im Zurückweichen spannte er den zweiten Hahn. Beim nächsten Angriff des Untoten – Marti war schon fast schon wieder aus dem Gebäude hinausgestolpert – zog er die Tür mit Hilfe des Spanngurts mit aller Kraft zu. Der Kopf und die Arme des Markleiters wurden eingeklemmt. Aus der Nähe und im hellen Sonnenlicht betrachtet, sah er noch fürchterlicher aus als es sich Marti vorgestellt hatte. Seine rollenden Augäpfel traten weit aus den eingefallenen Höhlen. Sie waren mit schwarzen, zerrissenen Äderchen durchzogen. Aus Nase und dem Mund lief stinkender, schleimiger Rotz und tropfte auf seine Kleidung. Immer wieder riss der Mann den Mund weit auf und schnappte mit den Zähnen zu, die nicht mehr weiß, sondern braun und dreckig im faulenden Zahnfleisch steckten. Die Haut in seinem Gesicht war aschfahl, die dunkle Schlagader auf der Stirn zeichnete sich wie ein Kainsmal ab. In den zerfransten Mundwinkeln hatten sich eitrige, wuchernde Pusteln gebildet, eine Art Monsterherpes, das jeden Augenblick aufzuplatzen drohte. Das sollte der nette Chef und Familienvater sein, der früher allen Kunden ein freundliches »Grüß Gott« entgegengeschmettert hatte? Marti konnte es nicht fassen.

»Tut mir leid«, sagte er angewidert und drückte dem Untoten die Mündung genau zwischen Kinn und Kehle. »Das wird jetzt etwas wehtun.«

Die Schrotladung blies nicht nur die Schädeldecke weg. Sie ließ den ganzen Kopf wie eine prall gefüllte Melone explodieren. Püriertes Hirn, Knochensplitter und Schrotkügelchen vermischten sich zu einer flüssigen Masse, welche die Tür, den Türstock und die dahinterliegende Wand mit einem großflächigen Action Painting des Grauens besprühten. Die Arme des Mannes hörten augenblicklich auf zu rudern. Sein Körper rutschte, von der Schwerkraft erfasst, im Türspalt nach unten. Schwarzes dickflüssiges Blut blubberte wie flüssige Trinkschokolade aus dem aufgerissenen Halsstumpf. Es lief am Rumpf herab und bildete auf dem Boden eine übel stinkende Lache, die sich rasch ausbreitete.

Marti kippte die Flinte auf und schnippte die beiden leeren Patronenhülsen heraus. Er schob zwei neue hinein und klappte das Gewehr wieder zusammen.

»So muss das«, sagt er und löste den Gurt von seiner Hand.

Zombifiziert, Band 5: Letzte Sekunden
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