Danach

Marti war schlimm dran. Er lag mit dem Rücken seitwärts auf dem Beifahrersitz und trat mit den Füßen immer wieder nach oben, gegen die Fahrertür. Sie hatte sich bei der Kollision mit dem Baum verklemmt. Etwas Feuchtes, Klebriges sickerte an seinem Hinterkopf den Nacken hinunter, die Platzwunde vom Baumarkt hatte wieder zu bluten begonnen. Endlich gelang es ihm, die Tür mit seinen Tritten zu lösen. Draußen im Wald hörte er ein Gluckern und Plätschern, wie von fließendem Wasser. Aber da war noch ein anderes Geräusch.

Die Flinte, dachte Marti und tastete mit der Hand blind den Fußraum ab. Die Dämmerung war hier unten bereits weit fortgeschritten, bald würde es ganz dunkel sein. Er berührte etwas Weiches, Warmes. Es war Hänschen, der sich zitternd und keuchend zwischen den herumliegenden Lebensmittelpackungen und Gerätschaften verkrochen hatte. Zum Glück hatte er den Aufprall und den anschließenden Überschlag überlebt. Mehr konnte Marti im Moment nicht feststellen.

»Shhhhhh«, flüsterte er und streichelte Hänschen über den Kopf. Die Ohren des Schweinchens glühten, als hätte es Fieber. Endlich fand Marti das Gewehr. Es hatte sich zwischen Gas- und Bremspedal verkeilt und war zum Glück nicht von selbst losgegangen.

Auf einmal begriff er, dass das Geräusch aus dem Autoradio kam. Die letzte, noch fehlende Zahl des Sicherheitscodes war offensichtlich durch Zufall eingelockt worden. Jetzt hörte er das leise Rauschen im Äther. Über den Suchlauf versuchte Marti, einen Sender hereinzubekommen. Plötzlich dudelte es. Schreckliche Fahrstuhlmusik, wie sie auch bei Quizsendungen gespielt wurde. Aber für Marti war es in diesem Augenblick die schönste Melodie der Welt.

»Ja, ja, ja!«, rief er und drehte begeistert lauter. »Wir sind nicht die Einzigen, Schweini! Es gibt Überlebende, es wird gesendet.«

In diesem Moment endete der Song. Eine männliche, besonders sonor klingende Stimme begann zu sprechen: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, dies ist eine automatische Ansage des deutschen Katastrophenschutzes des Regierungsbezirks der Oberpfalz. Wenn Sie diese Nachricht erhalten, befinden sich in einem Quarantänegebiet. Bitte bleiben Sie ruhig. Legen Sie sich einen Vorrat an Wasser und Lebensmitteln an. Verlassen Sie nach Möglichkeit nicht Ihre Häuser, suchen Sie keinen Kontakt zu anderen Menschen, vor allem nicht, wenn Sie sich unwohl fühlen. Wenn Sie Anzeichen einer Krankheit an sich oder einem Ihrer Angehörigen feststellen, markieren Sie Ihre Eingangstüren bitte mit einem weißen Laken. Hilfe ist bereits unterwegs. Gehen Sie kein Risiko ein und handeln Sie nicht eigenmächtig. Ich wiederhole. Dies ist eine automatische Ansage des …

»Fuck you!«

Marti hämmerte mit dem Gewehrkolben so lange und wütend gegen das Display, bis das Radio verstummte. Umständlich drehte er sich um und stieß mit dem Flintenlauf die Tür nach oben, bis sie fast senkrecht stehenblieb und den Blick auf den Nachthimmel freigab. Er kletterte hinaus.

Im Freien tastete er sich instinktiv ab. Seine linke Schulter schmerzte fürchterlich und stand seltsam verdreht nach vorn. Er konnte den Arm kaum bewegen. In einem Anfall von Angst und Zorn packte er sein Gelenk mit der rechten Hand und kugelte es wieder ein. Es tat so höllisch weh, dass er fast ohnmächtig wurde. Schwer atmend lehnte er sich mit dem Rücken gegen den motorwarmen Unterboden des Wagens. Er spürte, wie seine Füße in den Gummistiefeln ganz kalt wurden.

Der Benz hatte sich nach dem Crash einmal überschlagen und war danach auf der rechten Seite in einem kleinen Bach liegen geblieben. Um ihn wieder flott zu bekommen, brauchte man schweres Gerät, eine Seilwinde oder einen großen Traktor. Die Fahrt war erst einmal beendet.

Da hörte Marti ein hässliches, erstickt klingendes Gurgeln, das ihm nur allzu bekannt vorkam. Er spannte beide Hähne der Schrotflinte. Dann griff er ins Innere des Wagens und schaltete die Scheinwerfer an. Sie waren defekt. Also drückte er den Knopf für die Warnblinkanlage und humpelte um den Wagen herum. Im orangen, rhythmisch aufflammenden Licht sah er den Polizisten mit eingeklemmten Beinen unter dem Wagen im knöcheltiefen Wasser liegen. Der Kranke versuchte, seinen Kopf nach oben zu halten, um nicht zu ertrinken. Er bot einen jämmerlichen Anblick. Ihm fehlte ein Arm. Die Hörner des toten Rehbocks hatten sich tief in seine Eingeweide gebohrt.

Doch kaum hatte er Marti entdeckt, ging ein wildes Rucken und Zucken durch seinen geschundenen Körper. Er riss den Mund weit auf und schnappte nach ihm, wie ein Terrier nach einem Knochen. Das Gurgeln schwoll zu einem hässlichen Pfeifen an.

»Schluss damit«, sagte Marti kalt und presste ihm den Gewehrlauf unter den Kiefer. Doch dann überlegte er es sich anders. Der Knall würde die Irren von der Straße direkt zu ihm ins Tal locken. Wenn er die Nacht überleben wollte, musste er möglichst leise und unauffällig agieren. Er ging zurück und zog hinten einen Spaten aus dem Geländewagen. Breitbeinig stellte er sich über den hilflosen Polizisten. Im Takt der Blinklichter holte er weit aus und trennte ihm den Kopf mit der scharfen Spatenkante sauber vom Körper. Drei Mal schlug er zu. Stinkendes schwarzes Blut spritzte auf seine Hose und die Stiefel. Der Rumpf des Enthaupteten zuckte noch einmal, dann wurde der Schädel vom Bachlauf überspült.

Endlich Ruhe.

Ohne Zeit zu verlieren, kletterte Marti zurück ins Auto. Er packte die Sporttasche mit den Waffen und der Munition und stopfte noch eine Colaflasche, Zigaretten und etwas Proviant dazu. Dann zog er das zeternde Hänschen an allen Vieren aus der Kabine. Er schulterte die Tasche und nahm das Schweinchen, das immer noch unter Schock stand, Huckepack. So beladen humpelte er mühsam den steinigen Bachlauf hinauf, während die Nacht sich wie ein schwarzer Kater zwischen die Baumstämme schlich.

Zombifiziert, Band 5: Letzte Sekunden
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