Davor

Marti zündete sich eine Zigarette an. Er beschloss, Eva und diesen barfüßigen Typen alleine zu lassen. Es gab Leute, die er von Anfang an nicht leiden konnte. Dieser barfüßige Hippie war einer von ihnen. Marti hatte ihm in die Augen gesehen und gedacht: Was für ein Idiot. Da half auch kein Weed.

»Ich schau mal rum«, sagte er und wanderte eine Weile durchs Haus. Irgendwann, die Band spielte bereits die erste Zugabe, stand er alleine vor dem Büffet. Er stellte die Flasche auf den Tisch und suchte nach einem Teller.

»Keiner mehr da.«

Er drehte sich um. Eine junge Frau mit glattem, langem Haar stand hinter ihm am Büffet.

»Macht nichts.« Marti schob sich ein Stück Brot zwischen die Zähne.

Sie blieb stehen. »Hast du vielleicht meine Tochter gesehen?«

»So 'ne Kleine? Mit Schürze und kurzen Haaren?«

»Genau. Sie heißt Luise. Weißt du wo sie steckt?«, fragte sie.

»Nein. Aber ein Freund passt auf sie auf. Die beiden suchen dich.« Marti griff nach der Flasche. »Er hat gesagt, er kennt dich. Die da ist für dich. Alles Gute!«

Sie nahm die Weinflasche und las das Etikett. »Ist Timmi etwa wieder da?«

»Wer?«

»Na, Tim. Tim Zucker. Wir sind Nachbarn. Seine Eltern wohnen ganz in der Nähe. Denselben Wein hat er mir vor einem Monat aus Kalifornien geschickt, eine ganze Kiste davon. Dasselbe Etikett, derselbe Jahrgang. Er und meine Schwester sind nämlich für ein halbes Jahr in die Staaten …«

Marti hörte auf zu kauen und schluckte hinunter. »Deine Schwester heißt jetzt aber nicht etwa zufällig Sofia?«

»Woher weißt du das denn?«

Marti musste lachen.

Sie sah ihn verwundert an.

»Gestatten, Martinek. Redakteur bei der ›Woche‹.«

Sie gab ihm artig die Hand. »Ich bin Lola. Lola Schreiber. Ich hab seit ein paar Wochen nichts mehr von den zweien gehört … Sofia hat noch nie einen Geburtstag von mir vergessen. Langsam mach ich mir Sorgen.«

»Da bist du nicht die Einzige.«

»Um Gottes Willen, was ist denn passiert?«

»Ehrlich gesagt, so genau weiß ich das auch nicht. Deine Schwester ist wohl jedenfalls wieder in Deutschland. Sie war hier im Krankenhaus. Sie hatte einen Unfall.«

»Oh Gott, Sofia ist im Krankenhaus? Hier? Das kann doch nicht wahr sein. Ich muss sofort zu ihr.«

»Moooment.« Marti zog sein iPhone aus der Hosentasche. Er zeigte ihr das abfotografierte Polaroid, das Felix in Tims Büro gefunden hatte.

»Das ist sie. Das ist meine Schwester. Wo ist sie? In welchem Krankenhaus? Ist es schlimm?«

»Beruhige dich. Ich bin auf der Suche nach ihr. Sie ist verschwunden.«

»Verschwunden? Das verstehe ich nicht. Ich dachte, sie ist krank?«

»Das ist sie auch. Sie hatte in den USA einen Autounfall. Danach lag sie im Koma. Und plötzlich war sie weg.«

»Das … kann doch alles nicht wahr sein. Du musst dich irren.« Lola wollte ihr Haargummi lösen, um ihre Haare neu zu ordnen, doch ihre Hände zitterten zu sehr. »Und ich dachte die ganze Zeit, es geht ihr gut …«

Marti nahm sie kurz in den Arm. »Aber die Polizei hat doch eure Eltern informiert …«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben keinen Kontakt mehr. Sorry. Ich muss jetzt unbedingt meine Tochter finden.«

Marti wurde verlegen. Mit hektischen Frauen kam er nicht gut klar. »In Ordnung«, sagte er. »Komm, lass sie uns suchen …«

Die Musik hatte unvermittelt aufgehört. Vor dem Fenster rannten Leute vorbei und riefen durcheinander. Draußen war der Himmel über der Scheune auf einmal gelb und rot. Gemeinsam stürzten sie aus dem Haus. Auf dem Platz gab es einen kleinen Tumult. Die Leute zeigten aufgeregt zum Wald. Sie riefen durcheinander, viele rannten bereits hinunter, zur Wiese. Einige der Partygäste zückten ihre Handys und telefonierten. Andere machten Fotos.

»Luise!«, rief Lola. »Luise, wo bist du?« Vollkommen aufgelöst irrte sie hin und her und sprach vergeblich irgendwelche Leute an.

Marti folgte ihr auf dem Fuße. Irgendwann kamen sie hinter die Scheune und schauten auch hinab ins brennende Tal. Die Flammen breiteten sich rasch aus, Rauchschwaden türmten sich hoch zu den Sternen. Auf einem schmalen Pfad kam das Mädchen angelaufen.

»Luise! Da bist du ja! Wo warst du denn nur?«

Die Kleine rannte mit flatternden Zöpfen in die weit ausgebreiteten Arme ihre Mutter. »Bei Hertha.« Sie strahlte. »Es brennt, Mama, es brennt. Mama! Du weinst ja!«

»Jetzt ist ja alles gut.«

Marti zückte sein Handy. Er versuchte zweimal Felix zu erreichen. Aber er bekam ihn nicht an den Apparat. Immer ging sofort die Mailbox ran. Schließlich machte er auch ein paar Bilder, aber die Kamera war zu schlecht. Er wählte die Notfallnummer der Redaktion und orderte einen Fotografen.

In den Dörfern ringsum heulten die Sirenen los, eine nach der anderen. Sie vereinigten sich zu einem schrägen Orchester, untermalt vom lauten Prasseln und Knacken der brennenden Bäume. Minuten später raste auch schon der erste Löschzug wie ein blinkendes Raumschiff über die Landstraße heran. Er bremste stark ab und die Einsatzkräfte versuchten sofort, über einen schmalen Feldweg an den Brandherd heranzukommen.

Auf dem Hof hielten zwei Polizeiautos mit quietschenden Vorderreifen. Vier Beamte sprangen aus den Fahrzeugen und begannen, die Leute von der Wiese zu treiben. Wind kam auf. Glut und Ascheteilchen, groß wie Nachtfalter, wirbelten herum und die Luft roch brandig. In kürzester Zeit war das Feuer so stark, dass man die Hitze noch Hunderte von Metern entfernt auf der nackten Haut spüren konnte. Die ersten Gäste drückten sich Papiertaschentücher und T-Shirts auf Mund und Nase, andere flüchteten hustend zu ihren Fahrzeugen.

Vom Feuerschein geblendet, starrte Marti fasziniert in das nächtliche Inferno. In Gedanken bastelte er schon an seiner Headline.

Als die ersten Stämme krachend und in Funken berstend zu Boden stürzten, fuhr ein raunender, wohliger Schauer durch die Menge.

Endlich passierte mal etwas.

Zombifiziert, Band 5: Letzte Sekunden
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