6
Drei Stunden später hatte Madison genug davon, in jedem Unternehmen, das auf ihrer Liste stand, wie bei einem Déjà-vu-Erlebnis ständig dieselbe Szene neu zu durchleben. Sie stieg aus der Straßenbahn und gab dem Fahrer das Bestechungsgeld, das sie ihm dafür versprochen hatte, dass er sie ohne Ticket mitfahren und bei einer Frühstückspension aussteigen ließ, die eigentlich kein planmäßiger Stopp auf seiner Route war.
Damon hatte angeblich fünfzigtausend Dollar in diese Pension investiert, doch Madison ging davon aus, dass auch dieser Vertrag gefälscht war – genau wie die Kontrakte mit den anderen fünf Unternehmen, die sie an diesem Tag aufgesucht hatte. Jeder, mit dem sie sprach, erzählte ihr dieselbe Geschichte: Sie kannten keinen Damon, und die Papiere waren gefälscht.
Ein paar waren – wie Mr MacGuffin – höflich und sogar ehrlich besorgt gewesen. Andere hatten offen feindselig reagiert. In ihrer Handtasche lagen die Geschäftskarten zweier Rechtsanwälte, und ein paar Drohungen hatte sie auch noch mit auf den Weg bekommen.
Sie ging in die Frühstückspension. Zwanzig Minuten später, nachdem sich – wie erwartet – herausgestellt hatte, dass die Pension ebenfalls eine Niete war, trat sie wieder hinaus auf die Straße und strich sie von ihrer Liste. Sie schob den Zettel zurück in ihre Handtasche und sah auf, nur um direkt in die dunklen Augen Pierce Buchanans zu blicken.
Sein Pontiac GTO parkte am Bordstein. Er lehnte sich gegen die Tür, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die gespreizten Beine vor sich ausgestreckt. Einen Moment lang kam es ihr so vor, als hätte es die vergangenen Monate nicht gegeben. Sie erinnerte sich an ihre ersten Dates im Pfannenstiel, als er ihrem Bruder dabei geholfen hatte, den Fall, den sie zusammen gelöst hatten, abzuschließen. Nach dem dritten oder vierten Date hatte sie entschieden, dass es besser war, ihn nicht länger zu treffen. Es war zu schön mit ihm, zu perfekt – es machte ihr Angst. Sie war ihre eigenen Wege gegangen, doch das befreite Gefühl hatte nur wenige Wochen vorgehalten.
Sie hatte ihn vermisst und sich nichts sehnlicher gewünscht, als ihn wiederzusehen. Also war sie zu ihm nach Jacksonville gefahren, und er hatte sie mit offenen Armen empfangen. Sie hatten die Abende am Strand verbracht, sich in einem gemieteten Boot den St. Johns River hinuntertreiben lassen und die Lastkähne dabei beobachtet, wie sie auf dem Weg zum Hafen an ihnen vorbeischipperten.
Alles war wunderschön gewesen bis zu dem Tag, als in seiner Abwesenheit ein Juweliergeschäft angerufen und eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte: Der von ihm bestellte Verlobungsring könne jetzt abgeholt werden. Sie fühlte sich eingesperrt, es fühlte sich an, als ob die Wände auf sie zukämen. Bei dem Gedanken an eine erneute Heirat brach ihr der Angstschweiß aus, und sie bekam kaum noch Luft.
Also hatte sie ihm, sobald er nach Hause kam, eine grausame Lüge erzählt, denn sie wollte nicht, dass er seine Zeit verschwendete und darauf wartete, dass sie ihre Meinung änderte und zu ihm zurückkehrte. Sie hatte ihre Worte so gewählt, dass sie sicher sein konnte, dass er sie gehen lassen würde. »Ich liebe dich nicht. Eine gemeinsame Zukunft kann es für uns nicht geben.«
Madison schob die schmerzlichen Erinnerungen unbarmherzig beiseite. »Was machst du hier?«, fragte sie.
Er richtete sich auf und öffnete die Beifahrertür. »Das war die letzte Station auf deiner Liste, stimmt’s? Wie wär’s mit einem späten Mittagessen, ich lade dich ein.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Wie meinst du das, die letzte Station auf meiner Liste?«
»Jedes Mal, wenn du ein Gebäude verlässt, hakst du auf deinem Zettel einen Namen ab. Es sah so aus, als befände sich diese Frühstückspension ganz unten auf der Liste, also dachte ich, dass du für heute fertig wärst.«
»Welche Liste?«, fragte sie noch einmal. War er ihr tatsächlich den ganzen Tag gefolgt, und sie hatte es nicht bemerkt? Dieser Gedanke ärgerte und alarmierte sie gleichermaßen. Wenn es für ihn so leicht war, ihr zu folgen, was war ihr sonst noch entgangen?
Sie musterte ihre Umgebung und zog ihre Jacke enger um sich, während sie die Schatten nach der Silhouette einer vertrauten Gestalt absuchte.
Damon.
»Die Liste, die du gerade in deine Handtasche gesteckt hast«, antwortete Pierce.
Sie wandte sich ihm zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bist du mir etwa den ganzen Tag gefolgt?«
»Technisch gesehen nicht. Ein anderer FBI-Agent hat dich im Auge behalten, während ich noch ein paar Dinge erledigt habe. Danach bin ich dir gefolgt.«
Das Blut stieg ihr in die Wangen, und zornig drehte sie sich um. Sie marschierte an der geöffneten Beifahrertür vorbei und ging rasch die Straße hinunter.
»Feigling.« Seine Beschimpfung hallte zwischen den Häusern wider.
Sie versteifte sich, ging aber weiter.
Bei dem Geräusch eines starken Motors, der angelassen wurde, beschleunigte sie ihr Tempo. Pierce’ Angeberauto flitzte direkt vor ihr in eine Parklücke. Als er ausstieg, rannte sie um die Häuserecke auf die Congress Street.
Sie hörte seine Schritte schon hinter sich auf dem Bürgersteig, noch ehe er sie an den Schultern packte. Er zwang sie, stehen zu bleiben, und drehte sie so herum, dass sie mit dem Gesicht zu dem Gebäude stand, das vor ihr aufragte.
»›Molly MacPherson’s Scottish Pub and Grill‹«, las er von dem Schild über der Tür ab. »Nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, aber es wird schon gehen. Lass uns zusammen ein Bier trinken gehen, Mads.« Er legte den Arm fest um sie und ignorierte ihre Versuche, sich zu befreien.
Drohend hob sie den Ellenbogen, allerdings war es nur ein Bluff, denn sie hätte ihm niemals einen Stoß in die geprellten Rippen versetzt.
Er hielt ihren Arm fest. »Wenn du das tust, lasse ich dich wegen versuchter Körperverletzung eines Bundesagenten einsperren. Das meine ich ernst.«
Sie versuchte sich ihm zu entwinden, verärgert darüber, dass er nicht bemerkt hatte, dass sie nur bluffte. Dieses Mal ließ er sie los.
»Das ist schon das zweite Mal, dass du mich entführst. Ist das etwa kein Verbrechen?«
Seine Gesichtszüge verhärteten sich, und er sah wütend aus. »Wir beide müssen uns unterhalten. Das können wir hier oder auf dem Revier tun. Ich bin mir sicher, dass ich Lieutenant Hamilton dazu überreden kann, einen Grund zu finden, um dich festzunehmen.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Wie zum Beispiel unerlaubter Waffenbesitz.«
Madison holte tief Luft und schob die Handtasche auf ihre andere Seite außerhalb seiner Reichweite.
Die Wirtin kam zu ihnen und fragte, wo sie sitzen wollten.
Madison unterdrückte ihre Verärgerung und lächelte. »Eine Nische wäre schön.«
»Möglichst weit entfernt von den anderen Gästen«, fügte Pierce hinzu.
Die Wirtin nickte, schnappte sich in Servietten eingewickelte Bestecksets und zwei Speisekarten und führte sie in den hinteren Teil des Restaurants.
Molly MacPherson’s war die Art von Etablissement, dem Madison normalerweise nicht mehr als einen flüchtigen Blick gegönnt hätte. Sie mochte kleine, einheimische Lokale, in denen es keine Touristen gab. Nach der Anzahl der Savannah-T-Shirts und der Einkaufstüten unter den Tischen handelte es sich bei den übrigen Gästen fast ausschließlich um Besucher von außerhalb der Stadt.
Die Volksmusik, die aus den Lautsprechern drang, war ein bisschen zu laut, doch der dynamische Rhythmus verlieh dem Lokal eine heitere Atmosphäre, und Madisons Stimmung verbesserte sich zusehends.
Als sie an einem Schottenrock tragenden Kellner vorbeikam, konnte sie sich eine gewisse Faszination nicht verkneifen. Gab es da nicht so ein Gerücht darüber, was Männer unter ihren Schottenröcken trugen – oder besser – nicht trugen? Der Kellner, der ihr Interesse bemerkte, grinste anzüglich und zwinkerte ihr zu. Madison grinste, zwinkerte zurück und blieb stehen, um ihn wegen seines Schottenrocks zu befragen.
Pierce, der ihre Absicht zu ahnen schien, schüttelte den Kopf, legte den Arm um ihre Taille und führte sie zu ihrem Tisch.
Madison musterte ihn stirnrunzelnd, ihre Stimmung strebte einem neuen Tiefpunkt entgegen, während sie in die Nische glitt und sich mit dem Rücken zur Wand setzte. Sie spähte zum Eingang, um sich zu vergewissern, dass Damon nicht dort stand. Sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass er ihr heute gefolgt war, aber wenn ein FBI-Agent ihr den ganzen Tag unbemerkt folgen konnte, dann war alles möglich.
Anstatt sich ihr gegenüberzusetzen, glitt Pierce auf den Sitzplatz neben ihr. Da er im Gegensatz zu ihr nicht daran interessiert zu sein schien, die Tür zu beobachten, ging sie davon aus, dass er ungestört mit ihr über Damon sprechen wollte. Madison registrierte außerdem, dass er sich so hingesetzt hatte, dass er ihr nicht seine verletzten Rippen zuwandte – er schien ihr immer noch nicht zu vertrauen. Sie stieß ein frustriertes Seufzen aus.
Ihre Stimmung verdüsterte sich noch mehr, als sie feststellte, wie warm und kuschelig es war, so nah bei ihm zu sitzen. Es war nicht das erste Mal, dass sie zusammen in einer Nische saßen. Wenn sie zusammen ausgegangen waren, hatten sie oft so nebeneinandergesessen, damit sie unter dem Tisch Händchen halten oder eine innigere Berührung austauschen konnten – wie zum Beispiel einen Kuss auf den Nacken, einen zärtlichen Biss ins Ohrläppchen oder eine Hand, die auf dem Oberschenkel des anderen ruhte.
Der Gedanke ließ sie erbeben. Pierce warf ihr einen fragenden Blick zu, und sie sah weg.
Die Kellnerin erschien an ihrem Tisch und nahm ihre Getränkebestellung auf. Schweigend saßen sie da, bis ihre Getränke gebracht wurden, und bestellten die Kartoffelscones, die die Kellnerin empfohlen hatte.
Madison biss von einem der Scones ab, kostete jedoch kaum von der Mandelcreme und der Himbeermarmelade, die dazu serviert wurden. Sie versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen, die ihr durch den Kopf gingen, um auf seine Fragen eingehen zu können, doch die körperliche Nähe zu ihm machte es ihr nahezu unmöglich, sich zu konzentrieren.
Sie konnte sich gerade noch daran hindern, ihre Nase in seiner Schulter zu vergraben, um den berauschenden Duft – eine Mischung aus Seife und Eau de Cologne – zu inhalieren, der zu ihm gehörte. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn vermisst hatte oder wie viel er ihr immer noch bedeutete – bis zu dem Augenblick, in dem er sich vor die Kugel geworfen hatte, die für sie bestimmt gewesen war.
Zitternd atmete sie ein.
Trotz seiner Bemerkung über das gemeinsame Bier hatte Pierce sich ein Wasser bestellt. Er trank einen Schluck und drehte sich dann zu ihr herum, so als ob er ihr eine Frage stellen wollte.
Madison biss noch einmal von ihrem Scone ab.
»Ganz gleich, wie viel Zeit du zu schinden versuchst«, sagte er, »ich werde nicht gehen, ehe du mit mir redest.«
Der Scone in ihrer Kehle fühlte sich an, als wäre er aus Sand. Sie spülte ihn mithilfe eines großen Schlucks Diätcola hinunter und schob ihren Teller beiseite. »Es besteht wirklich kein Anlass für eine weitere Inquisition. Wie du sehen kannst, hat heute niemand auf mich geschossen. Niemand ist mir gefolgt.«
Er zog eine Augenbraue hoch.
»Okay, mal abgesehen vom FBI. Aber sonst hat mich niemand verfolgt.« Sie konnte sich einen weiteren Blick zur Tür nicht verkneifen. Sofort wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sein Stirnrunzeln und sein Blick sagten ihr, dass er genau wusste, warum sie den Eingang im Auge behielt.
»Ich bin einfach noch ein bisschen nervös wegen gestern«, erklärte sie. »Und müde. Davon abgesehen bin ich in Ordnung. Du brauchst dich meinem Bruder gegenüber nicht länger verpflichtet zu fühlen. Du kannst zu Tammy zurückkehren und vergessen, dass es mich gibt.«
Er seufzte schwer. »Tessa. Ihr Name ist Tessa. Und wir haben nur zusammengewohnt, weil wir gemeinsam eine verdeckte Ermittlung durchgeführt haben.«
Die Eifersucht durchzuckte sie so heftig, dass ihr fast schwindlig wurde. »Und was waren das für Decken, unter denen ihr zusammen ermittelt habt?«
Er rollte mit den Augen und ignorierte die Frage. »Da wir gerade von Häusern sprechen: Es ist zu gefährlich für dich, in deins zurückzukehren. Bis wir wissen, ob der Schütze zurückkommt, wäre es besser, wenn du woanders wohnst.«
Sie umklammerte die Tischplatte so fest, dass eigentlich das Holz hätte splittern müssen. Sie würde sich nicht schon wieder von einem Mann herumkommandieren lassen. Sie legte die Hand auf Pierce’ Oberschenkel und blickte ihn mit verführerischem Augenaufschlag an, wobei sie sich gleichzeitig eng an ihn schmiegte. »Es macht Terry doch nichts aus, wenn ich bei euch einziehe, nicht wahr?«
Er blickte hinunter auf die Stelle, an der sie ihre Brüste gegen seinen Arm presste, ehe er ihr in die Augen sah. »Vorsicht, Mads. Wenn du dich nicht vorsiehst, bringe ich zu Ende, was du angefangen hast.«
Die Kellnerin blieb an ihrem Tisch stehen, um zu sehen, ob sie noch etwas bestellen wollten.
Madisons Lippen verzogen sich zu einem aufgesetzten Lächeln, und sie fuhr ihm liebkosend mit der Hand über die Brust. »Ich bin nicht mehr hungrig, Liebster«, sagte sie, wobei sie bewusst das Kosewort wählte, das sie bei Tessa gehört hatte, und auch deren Tonfall imitierte.
Pierce hielt ihre Hand fest und schenkte der Kellnerin eins seiner sexy Lächeln. Den anderen Arm legte er um Madison und drückte sie fest an sich. »Bitte ignorieren sie die schlechten Manieren meiner Braut. Sie ist etwas verärgert, weil ich sie gegen ihren Willen aus dem Bett gezerrt habe. Ich habe ihr gesagt, dass wir bei Kräften bleiben müssen.« Er zwinkerte, woraufhin die Kellnerin feuerrot anlief.
Madisons Lächeln blieb unverändert strahlend, während sie mit dem Absatz ihres Turnschuhs seine Schuhspitze bearbeitete. Der Anblick seines schmerzlich verzogenen Gesichts war extrem befriedigend.
»Wir mussten das Zimmer ohnehin verlassen«, sagte sie in demselben verführerischen, koketten Tonfall, den er benutzt hatte. »Wir brauchten unbedingt noch ein paar von diesen kleinen, blauen Pillen.« Sie sprach hinter vorgehaltener Hand und senkte konspirativ die Stimme. »Sie wissen schon, wegen seines kleinen … Problems.«
Der Kellnerin blieb der Mund offen stehen. Sie blinzelte wie ein vom Tageslicht überraschter Maulwurf.
Pierce’ Hand glitt an Madisons Arm entlang, um sie dann unsanft zu kneifen.
Mit einem empörten Quieken versuchte sie seiner Hand zu entkommen, wobei sie sich noch enger an ihn drückte.
»Immer mit der Ruhe, Liebes. Das sparen wir uns doch lieber für das Motel auf. Und mach dir keine Sorgen. Ich habe Unmengen Batterien gekauft – für dieses ganze Sexspielzeug, auf das du stehst.« Er grinste, als sie entrüstet nach Luft schnappte.
Madison wand sich unter seinem Arm hindurch, stürmte aus der Nische und überließ es ihm, die Rechnung zu begleichen. Sie ging nach draußen und marschierte aufgebracht den Bürgersteig hinunter. Ihr Gesicht brannte so heiß, dass sie den kalten Wind auf ihrer Haut kaum wahrnahm. Als er sie ein paar Minuten später einholte, blieb sie stehen und blitzte ihn wütend an, die Hände in die Hüften gestemmt. »Batterien? Sexspielzeug?«
»Blaue Pillen? Mein kleines Problem? Dachtest du, ich würde das einfach so hinnehmen?«
»Nach deinem Kommentar darüber, wie du mich aus dem Bett gezerrt hast, hattest du das verdient.«
Er lachte kurz und freudlos auf. »Immerhin hast du damit angefangen, indem du dich so an mich rangeschmissen hast. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, dass du eifersüchtig bist.«
»Ha, eifersüchtig? Auf wen?«
»Oh, lass mich mal nachdenken. Theresa, Terry oder war es Tammy?«
Sie drehte sich herum, doch er umrundete sie mit einigen wenigen Schritten, sodass er wieder vor ihr stand. Als sie ihm ausweichen wollte, packte er sie an den Schultern und hielt sie fest.
»Lass mich los!«, verlangte sie.
»Nicht, bevor du mir geantwortet hast.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir eine Frage gestellt hättest.«
»Bist du eifersüchtig?«
»Warum sollte ich eifersüchtig sein auf …«, ihre Stimme brach. Sie war gerade dabei gewesen, einen weiteren T-Namen zu erfinden, entschloss sich aber, ihm nicht noch mehr Munition zu verschaffen. »Warum sollte ich auf Tessa eifersüchtig sein?«
Er runzelte mit der Stirn. »Gute Frage. Warum solltest du? Wenn ich dich daran erinnern dürfte: Du hast mich verlassen, nicht umgekehrt.«
Sie boxte ihn in den Magen, achtete aber darauf, nicht seine Rippen zu erwischen. »Ich habe dich nicht verlassen. Es war einfach … vorbei. Wir beide sind fertig miteinander.«
Er umgriff ihre Hand, seine funkelnden Augen befanden sich nur Millimeter vor ihrem Gesicht. »Du warst vielleicht fertig mit mir, Baby, aber ich war gerade erst warmgelaufen.«
Sie wusste nicht, wer den ersten Schritt gemacht hatte, aber plötzlich lagen sie einander in den Armen. Sie drückte ihn gegen die Wand des Gebäudes, neben dem sie standen, und erwiderte seinen Kuss mit derselben Leidenschaft, die in ihm loderte.
Es war lange her, zu lange, seit sie sich das letzte Mal so gut gefühlt hatte. Heißes Verlangen stieg in ihr auf, unwillkürlich bewegte sie die Hüften und schmiegte sich enger an ihn. Ihre Finger glitten in seinen Hosenbund und nestelten an seinem Hemd herum, um die Wärme seiner Haut unter ihren Fingern spüren zu können.
Er stöhnte tief auf und unterbrach ihren Kuss, um ihre umherstreifenden Fingern festzuhalten. Nach Luft ringend gebot er ihr Einhalt. »Hör auf«, sagte er rau.
Sie runzelte die Stirn und entzog ihre Hände seinem Griff. »Warum?«
Wieder atmete er tief ein. »Unter anderem, weil wir uns in der Öffentlichkeit befinden.«
Ihre Augen weiteten sich, als sie merkte, dass sie Publikum hatten: Ein älteres Paar, das im Vorbeigehen die Köpfe schüttelte, zwei männliche Teenager, die grinsend und flüsternd ein paar Meter entfernt standen und sich keine Mühe gaben, ihr Interesse zu verbergen.
Sie zuckte mit den Achseln. Die köstliche Hitze, die er in ihr entfachte, schickte immer noch kleine Wellen der Lust durch ihren Körper. Sie hatte das hier vermisst. Sie hatte ihn vermisst. Sie fuhr mit dem Finger über seine Brust bis hinunter zum Hosenbund. »Dann lass uns zu mir fahren, dort sind wir ungestört.«
Er griff nach ihrer Hand und schob sie entschlossen weg. »Was ist mit deinem Ehemann? Wenn dein Stalker der ist, für den du ihn hältst, dann bist du immer noch verheiratet.«
Sie drehte ihre Finger so lange in seiner Hand, bis sich ihre Finger verschränkten. »Wir sind nicht mehr verheiratet. Ich habe mich von Damon scheiden lassen.«
Er stand regungslos da. »Was hast du gesagt?«
Sie zog die Hand weg und begann, mit dem Haar in seinem Nacken zu spielen. »Es gibt keinen Grund, warum wir nicht zusammen ein bisschen Spaß haben sollten – wie in alten Zeiten.«
Wieder griff er nach ihrer Hand. »Das wird ganz bestimmt nicht passieren. Du kannst dir einen anderen Trottel für deine Spielchen suchen. Auf diese Achterbahnfahrt lasse ich mich ganz bestimmt nicht noch einmal ein.« Er zog sie zum Auto und riss die Beifahrertür auf. »Steig ein.«
Sie ließ sich auf den Sitz fallen und blinzelte die unerwarteten Tränen weg, die ihr bei seiner Bemerkung über die Achterbahn in die Augen gestiegen waren. Ihr Ziel, ihm keine weiteren Hoffnungen zu machen, hatte sie definitiv erreicht. Vielleicht hätte sie sich dabei nicht ganz so sehr ins Zeug legen sollen.
Er warf die Tür zu und ging um das Auto herum zur Fahrerseite. Nachdem er eingestiegen war, nahm er, statt den Motor zu starten, ihre Handtasche an sich.
»Hey, was machst du da?« Sie versuchte, sich ihre Tasche zurückzuholen, aber er hielt sie außer Reichweite.
»Ich versuche zu verhindern, dass du im Gefängnis landest, und du machst es mir wirklich nicht leicht.« Er zog die .357 Magnum aus ihrer Tasche und schüttelte den Kopf, während er die Pistole unter seinen Sitz schob. »Hast du noch mehr Waffen versteckt, von denen ich wissen sollte?«
Sie blitzte ihn böse an. »Warum durchsuchst du mich nicht und findest es heraus?«
Sein Gesicht wurde starr, und er warf ihr die Tasche in den Schoss. Er drehte den Schlüssel herum, und der Motor sprang dröhnend an.
»Wohin fahren wir?«, wollte sie wissen.
Pierce trat das Gaspedal so heftig durch, dass sie gegen ihren Sitz geschleudert wurde. »Neutrales Territorium.«
Madison stellte sich vor das Schild, auf dem »9. Oktober 1779. In Erinnerung an jene, die auf diesem Schlachtfeld gekämpft haben« geschrieben stand. Neben ihr stand Pierce und musterte die weitläufigen, bräunlich-grünen Grasflächen des Battlefield Parks.
»Inwiefern ist das hier neutrales Territorium?«, fragte Madison.
»Keine Polizei.« Pierce sah sie an. »Keine Waffen. Nur du und ich, auf einem Schlachtfeld. Das erscheint mir passend. Wir beide werden jetzt kämpfen. Und wir werden erst wieder gehen, wenn einer von uns beiden gewonnen hat.«
Mit dieser unheilvollen Bemerkung nahm er ihre Hand und schleifte sie zu einer Bank, von der aus man die grasbewachsene Festung überblicken konnte. Widerwillig nahm sie neben ihm Platz und entzog ihre Hand seinem festen Griff. Dieser Mann war viel zu herrschsüchtig.
Und viel zu attraktiv.
Wie kam es nur, dass sie ihn gleichzeitig schlagen und küssen wollte?
Er lehnte sich zurück und legte den Arm auf die Rückenlehne der Bank. »Wir müssen reden.«
Als sie nicht reagierte, seufzte er schwer, zog den Arm zurück und drehte sich so herum, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Bitte.«
Dieses kleine Wort, das aus seinem Mund so sanft klang, war ihr Verderben. Pierce hatte die Kugel aufgefangen, die für sie bestimmt gewesen war. Sie konnte zumindest seine Fragen beantworten – oder zumindest so viel sagen, dass er zufrieden war, sie jedoch nicht alles preisgeben musste. Sie hatte bereits wieder einen bitteren Geschmack im Mund, da sie wusste, dass sie es nicht würde vermeiden können, ihn anzulügen.
»Warum warst du im MacGuffin’s?«, fragte Pierce. »Das Restaurant hatte nicht einmal geöffnet.«
Madison sah ihn aus großen Augen an und Pierce bemerkte den panischen Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte. Er konnte geradezu sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Gehirn in Gang setzten, auf der Suche nach einer ausweichenden Antwort, einer Lüge, die ihn dazu bringen würde, sie in Ruhe zu lassen.
Pech gehabt. Und wenn sie ihn den ganzen Tag anlügen sollte, es spielte keine Rolle. Er würde sie nicht in Frieden lassen, ehe sie ihm nicht die Wahrheit erzählt hatte.
»MacGuffin’s«, wiederholte er.
Ihr Blick schweifte über das Schlachtfeld. »Damon … hat das Lokal ein paarmal erwähnt. Ich hatte gehofft, dass sich dort jemand an ihn erinnert, oder vielleicht mit ihm gesprochen hat und weiß, wo er sich aufhält.«
»Du hieltest es für eine gute Idee, dorthin zu gehen, wo der Mann herumhängt, der dich deiner Meinung nach töten will?«
Sie zuckte zusammen. »Wenn man es so ausdrückt, hört es sich tatsächlich nach keiner besonders guten Idee an. Aber ich habe immer eine Waffe dabei.« Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Zumindest hatte ich das bis jetzt.«
Er hätte sie am liebsten geschüttelt, damit sie endlich ihren Verstand einschaltete. Ein Glück, dass Casey einen Agenten damit beauftragt hatte, sie im Auge zu behalten. Der FBI-Agent hatte ihm später erzählt, dass er direkt vor dem FBI-Gebäude mit ihr gesprochen hatte. Sie hätte Kopfschmerzen vorgeschützt und aufgebracht gewirkt. In diesem Augenblick jedoch war Pierce derjenige mit den Kopfschmerzen.
Und seine hatten einen Namen: Madison.
Er musste sich darauf konzentrieren, mit neutraler Stimme zu sprechen und sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Er brauchte Informationen, und wenn Madison sich querstellte, kam er nicht an sie heran.
»Und was ist dabei herausgekommen?«, fragte er. »Hat sich im MacGuffin’s jemand an Damon erinnert?«
»Nein. Und bevor du fragst – auch in den anderen Unternehmen erinnerte sich niemand an Damon. Ich bin heute keinen Schritt weitergekommen.« Sie wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Ganz ehrlich, bei so wenig Ansatzpunkten ist es mir rätselhaft, wie ihr Polizisten herausfindet, wer die bösen Jungs sind und wo sie sich aufhalten.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Vielleicht überprüfe ich morgen die Museen. Damon hat sich immer sehr für Kunst interessiert. Wenn er tatsächlich in Savannah ist, wird er einem Museumsbesuch nicht widerstehen können. Irgendjemand muss sich an ihn erinnern.«
Ohne ihn würde sie nirgendwohin gehen, aber das würde er ihr später klarmachen. Er beobachtete sie genau, als er ihr seine nächste Frage stellte. »Bitte gib mir eine ehrliche Antwort, Mads. Hat Damon dich jemals geschlagen?«