Ausgerechnet Gesine!

In der Innenstadt herrschte Hochbetrieb. Joschis Vater quälte sich mit dem Wagen im Schrittempo durch die verstopften Straßen.

Drei Autos vor ihnen schaltete die Ampel auf Rot. Sie hielten am Bürgersteig.

„Wir steigen hier aus und laufen die paar Schritte zu Fuß“, schlug Marlene Faber vor.

Sie gingen durch eine Passage zur Parallelstraße, in der das Kaufhaus lag, in dem sie erwartet wurden.

Sandra und Joschi erreichten es vor den beiden Damen und blieben wartend am Haupteingang stehen.

„Ach, herrje!“ sagte Sandra und deutete mit einer Kopfbewegung auf den gegenüberliegenden Bürgersteig, wo ihre Mutter sich mit einem Mädchen unterhielt.

Das Mädchen war Gesine. Sie wohnte seit etwa fünf Wochen bei ihren Großeltern in der Landwehrstraße, nur wenige Häuser von Sandra und Joschi entfernt.

„Mensch, sie bringen sie mit! Die hat mir gerade noch gefehlt. Meine Mutter übertreibt es wirklich mit ihrer Gefälligkeit. Was gehen uns denn die Bollerheys an? Sie kennt sie ja kaum“, schimpfte Sandra.

Gesines Großeltern waren Patienten des Arztes, der auch Sandras Mutter wegen ihrer Kreislaufschwäche behandelte. Es blieb nicht aus, daß sie sich in der Arztpraxis miteinander unterhielten, und schließlich war so etwas wie eine Wartezimmerfreundschaft zwischen dem Ehepaar Bollerhey und Frau Faber entstanden.

Dann kam Gesine zu ihren Großeltern. Denn nach dem Tod von Gesines Vater, der lange krank war, arbeitete Gesines Mutter für eine Haushaltsgerätefabrik. Sie führte als Propagandistin Haushaltsneuheiten in großen Kaufhäusern vor und war deshalb ständig unterwegs.

Frau Bollerhey erfuhr, daß ihre Enkeltochter Sandras Klasse in der Gutenbergschule zugeteilt worden war. Sie bat Frau Faber, eine Freundschaft zwischen den Mädchen anzubahnen, um Gesine die Eingewöhnung in die fremde Umgebung zu erleichtern.

Frau Faber entsprach dieser Bitte.

Doch zu ihrem Bedauern hatten ihre Bemühungen keinen Erfolg.

Die schüchterne, humorlose Gesine entsprach nicht Sandras temperamentvoller und selbstbewußter Wesensart.

Trotzdem gab Sandra sich anfangs Mühe, mit Gesine freundschaftlich zu verkehren. Sie nahm Gesine sogar zu ihrer Großmutter mit. Dies war eine Auszeichnung, deren außer Joschi sich nur wenige aus ihrer Clique rühmen konnten.

Doch dann fiel Sandra auf, daß Joschi sich mit Gesine besonders gut zu verstehen begann.

In Gesine fand Joschi eine willige und teilnehmende Zuhörerin für seine Sorgen.

Das mißfiel Sandra. Sie meinte, daß aus einer Freundschaft zu dritt nichts Gutes entstehen könne. Einer war da immer zuviel. Und Sandra wollte nicht, daß sie diese eine werden würde. Deshalb ging sie Gesine aus dem Weg.

Doch nun brachte ihre Mutter schon wieder diese Gesine an!

„Ist doch egal“, meinte Joschi gutmütig.

„So, du findest das in Ordnung!“ sagte Sandra spitz. „Dir ist es gleich, daß sie uns überallhin nachläuft. Vielleicht willst du sie auch noch ins Kino mitnehmen?“

„Was hast du denn plötzlich gegen sie?“ fragte Joschi verwundert.

Sandra warf ihm einen giftigen Blick zu, beantwortete die Frage jedoch nicht. Sie würde sich hüten! Damit Joschi vielleicht noch dachte, sie wäre eifersüchtig.

Lachhaft! Sie doch nicht. Und schon gar nicht auf Joschi. Joschi benahm sich zwar manchmal, als ob mehr als nur Kameradschaft zwischen ihnen wäre. Es war nur gut, daß Sandra nicht darauf eingegangen war. Wenn sie Joschi ernstgenommen hätte, wäre sie jetzt blamiert. Es brauchte doch bloß so eine Gesine zu kommen — schon vergaß er, daß er versucht hatte, Sandra zu küssen.

Es war schon recht gescheit von ihr gewesen, ihm dafür eine runterzuhauen — obschon es eigentlich deshalb geschah, weil es sie so überrascht hatte. Aber das brauchte Joschi ja nicht zu wissen.

„Hallo, ich habe Gesine mitgebracht“, tönte ihre Mutter fröhlich und ganz überflüssig, wie Sandra bei sich bemerkte.

Sandra zwang sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte, und murmelte begrüßend: „Gesine.“

„Sandra! Grüß dich, Joschi“, erwiderte Gesine strahlend. „Deine Mutter sagt, daß ihr bei der Modenschau mitmacht, Sandra. Finde ich toll. Mich würde das schrecklich aufregen. Ich glaube, ich würde vor Lampenfieber vom Laufsteg fallen.“

„He, müssen wir über einen Laufsteg gehen?“ fragte Joschi entsetzt.

„Nein“, beruhigte ihn Sandra. „Wir führen da vor, wo wir geprobt haben: in der Cafeteria. Wir gehen an den Tischen vorbei, damit die Leute sich die Modelle aus der Nähe betrachten können.“

„Zeigst du dich auch im Bikini?“ fragte Gesine aufgeregt.

Frau Faber lachte. „Das übernehmen die beiden Berufsmannequins.“

„Ich führe Strandmodelle vor und Sachen für die kühleren Sommertage. Eine schicke Lurexhose ist

Frau Ansbach unterbrach Sandra. „Ihr solltet besser hinaufgehen, Kinder, sonst kommt ihr zu spät.“

„Tschau, Gesine“, sagte Sandra in der Hoffnung, Gesine damit verabschieden zu können.

Doch Frau Faber legte ihren Arm um Gesines Schulter und sagte: „Ich habe Gesine zum Tee eingeladen. Ihr braucht doch geneigtes Publikum.“ Sie wendete sich erklärend an Gesine: „Wer den meisten Applaus erhält, wird zur nächsten Modenschau wieder verpflichtet. Wir müssen uns also sehr anstrengen.“

„Für mich nicht!“ protestierte Joschi. „Ich mache da nicht mehr mit.“

„Aber wenn niemand klatscht, sind wir blamiert“, gab Sandra zu bedenken.

Gesine versprach, bei Sandras und Joschis Auftritten heftig zu klatschen und mit den Füßen zu trampeln.

„Ein paar aus unserer Klasse wollen auch kommen“, sagte Sandra, damit Gesine nicht meinte, sie wären auf ihren Beifall angewiesen.

Doch da sich gerade eine Familie auf dem Weg ins Kaufhaus durch ihre Gruppe zwängte und Sandra von Gesine trennte, hörte Gesine die unfreundliche Bemerkung nicht.

Sie gingen einträchtig ins Kaufhaus und fuhren mit der Rolltreppe zur Konfektionsabteilung in der ersten Etage. Rechts von der Rolltreppe befand sich die Abteilung für Kinder- und Teenagermoden. Links ging es über ein breites Podest zur Cafeteria, die eine Glaswand von den Verkaufsräumen trennte.

Sandra und Joschi wurden bereits vermißt.

Joschis Mutter empfing sie aufgeregt und vorwurfsvoll. „Wo bleibt ihr denn? Die Direktrice sucht euch. Los, los, verschwindet in euren Umkleidekabinen!“ Sie scheuchte Sandra und Joschi händeklatschend quer durch die Konfektionsabteilung.

Frau Faber betrat mit ihrer Mutter und Gesine die Cafeteria. Ein nettes, freundliches Mädchen, an das sie sich wandten, zeigte ihnen den Tisch, den Joschis Mutter für sie hatte reservieren lassen.

Eine jugendliche Instrumentalgruppe unterhielt die Gäste mit den neuesten Hits.

Frau Faber stellte verwundert fest, daß vorwiegend ältere Leute gekommen waren, um sich die Modenschau anzusehen. Sie teilte, besorgt um den Erfolg der Schau, ihre Beobachtung ihrer Mutter mit.

„Na ja“, schmunzelte Frau Ansbach. „Rentnerehepaare haben eben genügend Zeit für solche Veranstaltungen. Vielleicht verlockt sie auch das verbilligte Kaffeegedeck, das heute serviert wird.

Frau Ansbach behielt recht.

In den letzten Minuten vor Beginn der Schau drängten die jungen Familien, die das Kaufhaus mit dieser Modenschau anzusprechen hoffte, mit ihren Kindern in die Cafeteria. Auch Teenager erschienen, paarweise oder in Gruppen, und eroberten die letzten freien Plätze.

Der Geschäftsführer kam mit einem dicken, schwitzenden Mann in einem roten Samtanzug herein.

Die Band spielte einen Tusch.

Das Schwatzen der Gäste verstummte, nur ein paar Kinder quengelten lautstark weiter.

Der Geschäftsführer wartete, bis auch sie zur Ruhe gebracht worden waren. Dann dankte er den Anwesenden für ihr Kommen, versprach ihnen einen bunten, interessanten Modereigen und stellte den schwitzenden Mann im roten Samtanzug als Conferencier vor, der die Gäste unterhalten und die vorgeführten Modelle erläutern würde.

Herr Schaller, der Conferencier, trat hinter das Mikrofon. Sein Leib, der in ein Korsett gepreßt zu sein schien, was seine Fülle jedoch kaum minderte, wölbte sich gegen das Mikrofonstativ — und dann zog er eine Schau ab, so gekonnt, daß Marlene Faber, die ihn heimlich bemitleidet hatte, ihr vorschnelles Urteil bereute.

Das Publikum trampelte vor Vergnügen.

Glücklich strahlend über seinen Erfolg sagte der Conferencier: „Und nun lade ich Sie ein, sich mit mir an den Kindern zu erfreuen, die uns zeigen, was das Haus, dessen Gäste Sie hier sind, an wundervollen Modellen für Sie eingekauft hat: Eine Markenkleidung, die nicht nur den Kindern schmeichelt, sondern auch die Qualitätsvorstellungen der Eltern voll berücksichtigt.“

Die breite Eingangstür aus Glas war während seiner letzten Worte geöffnet worden, und dann kamen sie herein, begleitet von der Musik der Band und vorgestellt und kommentiert vom Conferencier.

„Sylvia, elf Jahre alt, freut sich, daß sie dieses bezaubernde Sommerkleid in einem duftigen Blüten-Composé aus Batist tragen darf.

Nicole, vier Jahre alt, fühlt sich wohl in ihrem Baumwollhänger mit Biesen-Rüschen-Top und luftigen Volants.

Marion, sechzehn Jahre alt, trägt rustikale Island-Folklore mit Leinencharakter, leger und bequem für die heißen Sommertage.

Sandra, vierzehn Jahre alt, ist glücklich über ihren sportlichen Jeansdress mit Balkancharakter, ein Anzug aus grobem Jersey mit gestickter Borde und weiten, tiefangesetzten Ärmeln.

Ricarda, sieben Jahre alt, strahlt über ihren romantischen Biedermeierlook aus Baumwoll-Feinjersey.

Joschi, vierzehn Jahre alt, sieht aus wie ein Großwildjäger in seinem flotten Safarianzug...“

So ging es weiter, Modell auf Modell, begeistert empfangen und beklatscht von den gut gelaunten Gästen in der Cafeteria.

Die Mannequins und Dressmen strahlten über diesen überwältigenden Erfolg.

Nur Joschi weigerte sich, ein zweites Mal in der Cafeteria zu erscheinen. „Großwildjäger!“ schnaubte er wütend. „Der da draußen spinnt doch. Als nächstes stellt er mich als Tarzan vor. Ich trete nicht mehr auf.“

Seine Mutter schimpfte mit ihm. Die Direktrice rang die Hände. Erst Sandra gelang es, Joschi zum Anziehen eines neuen Modells zu bewegen. „Der Mann gerät aus dem Konzept, wenn du nicht erscheinst. Er hat alles auswendig gelernt und bringt die Modelle durcheinander, wenn jemand von uns fehlt“, hielt sie ihm vor.

Widerstrebend und aufreizend langsam nahm Joschi sein nächstes Modell vom Kleiderbügel.

„Und schon geht es weiter, meine Herrschaften!“ schallte die Stimme des Conferenciers durch den Lautsprecher.

„Bist du fertig?“ fragte Frau Ruge aufgeregt vor dem geschlossenen Vorhang von Joschis Kabine.

„Ich krieg die blöde Schnalle vom Gürtel nicht zu!“ schimpfte Joschi.

„Laß sie offen. Unter dem Jackett fällt das nicht auf. Ihr müßt raus, sonst läßt das Interesse nach“, sagte die Direktrice.

Die ersten Mannequins hatten die Tür zur Cafeteria schon erreicht.

Die Hose rutscht! spürte Joschi entsetzt.

Doch da stolperte er bereits hinter den anderen her.

Wenn er jetzt wieder einen faulen Witz über mich reißt, bringe ich ihn um, nahm Joschi sich vor.

Doch der geübte Blick des Conferenciers schien seine Not zu erkennen. Als Joschi mit schreckensbleichem Gesicht an ihm vorbeikam, hielt er ihn fest.

„Dies ist ein besonders attraktives Modell“, stellte er Joschi vor und flüsterte, halb vom Publikum abgewandt: „Was nicht in Ordnung?“

Joschi nickte stumm.

„Bleib hier stehen“, raunte der Conferencier und bewahrte damit Joschi vor einer entsetzlichen Blamage.

Als die Schau zu Ende war, gingen viele der jungen Familien in die Konfektionsabteilung, um sich über die Preise der vorgeführten Modelle zu informieren.

Daß an diesem Nachmittag trotzdem nur wenig gekauft wurde, sagte nichts über den Erfolg der Schau aus. Wichtig für das Kaufhaus war es, daß es Aufsehen erregt und Interesse geweckt hatte. Es galt als sicher, daß in den kommenden Wochen viele Mütter ihre Kinder in diesem Kaufhaus einkleiden würden.

Frau Faber und Frau Ansbach kamen mit Gesine, um Sandra und Joschi zu gratulieren.

Sandra sah sie und lief ihnen entgegen.

„Ihr wart absolut perfekt!“ lobte ihre Mutter.

„Wie gelernte Mannequins“, meinte Sandras Großmutter.

„Ich habe zweimal Sonderbeifall bekommen“, erinnerte Sandra stolz.

„Wo ist Joschi?“ fragte Frau Faber.

„Drüben.“ Sandra deutete zum Hintergrund der Konfektionsabteilung. Dort war ein kleines Büfett mit Erfrischungen für die Teilnehmer der Modenschau angerichtet. Joschi unterhielt sich mit dem Conferencier, der sich von den Anstrengungen der Schau bei einem Glas Sekt erholte.

„Joschi hätte einmal fast seine Hose verloren. Sie war ihm zu groß. Bei der Anprobe paßte sie ihm. Aber weil er gerade fürs Schulsportfest trainiert, hat er abgenommen. Und der Gürtel hakte und ließ sich nicht schließen“, berichtete Sandra. „Herr Schaller hat‚s aber gemerkt und Joschi beim Mikrofon behalten, damit es den Leuten nicht auffiel.“

Frau Ruge, mit Kunden im Gespräch, winkte herüber und kam einen Augenblick herbei, um ihre Nachbarn zu begrüßen.

„Sandra sah wundervoll aus“, sagte sie. „Die Geschäftsleitung fand auch, daß sie ankam. Bei der nächsten Modenschau ist sie wieder dabei.“

„Oh, wirklich?“ Sandra rieb sich die Hände.

„Ganz bestimmt“, versprach Frau Ruge. Sie fragte: „Hast du dir für deinen Gutschein schon etwas ausgesucht?“

„Das hat Zeit. In dem Trubel heute ist das ja fast unmöglich“, meinte Frau Faber.

„Sicher. Kommen Sie irgendwann nächste Woche. Dann habe ich Zeit für Sie“, sagte Frau Ruge und eilte zu ihren Kunden zurück.

Sandra fiel ein, daß über den Kauf der Lurexhose noch nicht entschieden worden war. „Hast du bemerkt, Oma, daß ich den meisten Beifall für die silbergraue Lurexhose erhielt?“ fragte sie mit roten Wangen und sah dabei gleichzeitig ihre Mutter beschwörend an, damit sie ihre Chancen bei Oma nicht verderbe.

„Ja, sie kleidete dich besonders gut“, bestätigte Frau Ansbach.

„Soll ich sie mal holen? Willst du sie dir ansehen?“ schlug Sandra eilig vor.

Ihre Großmutter lachte. „Weshalb ich?“ fragte sie augenzwinkernd, denn natürlich kannte sie ihre Enkeltochter und wußte, was Sandras Eifer bedeutete. „Was meint denn deine Mutter zu der Hose?“

„Mama findet sie zu teuer“, bekannte Sandra ehrlich.

„Ich finde sie nicht nur zu teuer, sondern auch unpraktisch“, erwiderte Frau Faber. „Wann jemals willst du sie tragen? Es ist eine ausgesprochene Partyhose, und wann gehst du schon mal zu einer Party?“

„Man kann sie auch in einer Disko tragen“, wandte Sandra ein.

„Dazu bist du zu jung. Dein Ausflug ins ,Big Boys“ damals dürfte wohl eine Ausnahme gewesen sein, nicht?“ meinte Frau Faber.

„Aber es gibt so viele andere Gelegenheiten. Und sie ist irre schick! Sag selbst, Oma!“

„Wenn Oma dir etwas schenken möchte, warum kann es dann nicht eines der hübschen Baumwollkleider sein, in denen du mindestens ebenso vorteilhaft aussiehst?“ sagte Frau Faber.

„Ich hab mal einen pinkfarbenen Lurexpullover gehabt“, meldete sich Gesine arglos zu Wort. „Der kratzte ganz entsetzlich, Sandra. Und überall zogen sich Fäden heraus. Meine Mutti hat ihn bei einer Altkleidersammlung dem Roten Kreuz gespendet.“ Gesine wollte Frau Faber, die immer freundlich zu ihr war, gefällig sein und bedachte dabei nicht, daß sie Sandra damit schadete.

„Sehr richtig, Gesine“, pflichtete Frau Faber ihr bei. „Dieses Material ist oft wenig strapazierfähig. Ich will nicht, daß hier Geld für eine Anschaffung ausgegeben wird, die uns nur Ärger einbringt.“

Sandra hätte Gesine umbringen können. Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief zu Joschi.

Frau Faber und Frau Ansbach folgten ihr.

Gesine, der endlich aufging, was sie angestellt hatte, getraute sich nicht, sich ihnen anzuschließen. Sie blieb zurück und mischte sich unter die Kunden.

„Ihre Ansage hat uns sehr gefallen. Ich habe mich selten so gut bei einer Modenschau unterhalten“, sagte Frau Faber zu Herrn Schaller, dem Conferencier.

Der dicke Mann wendete ihr sein rotes, verschwitztes Gesicht zu. Er lächelte erfreut. „Ich bin glücklich, daß es Ihnen gefiel, gnädige Frau. Aber es ist auch leicht, gut zu sein bei einem so charmanten Publikum.“

„Erzählen Sie immer die gleichen Sachen?“ fragte Sandra.

„Das kommt auf mein Publikum an.“

„Ich finde, Sie machen das prima. War schon gekonnt, wie Sie dem Joschi halfen“, sagte Sandra.

„Herr Schaller, bitte ins Büro!“ rief jemand.

Herr Schaller trank sein Glas aus und verabschiedete sich hastig.

„Jetzt holt er seine Kohlen ab“, meinte Joschi.

„Was machst du mit deinem Gutschein?“ fragte Sandra.

Joschi zuckte die Schultern. „Meine Mutter hat ihn.“

„Ich krieg die Hose nicht“, sagte Sandra mit vorwurfsvollem Blick zu ihrer Mutter.

Frau Ansbach wollte sie beruhigen. Sie besann sich jedoch und schwieg. Sie würde Sandra mit der Hose überraschen. Dann war die Freude doppelt groß.

„Gehen wir, Joschi?“ fragte Sandra.

„Du bist bitte um neun Uhr zu Hause“, verlangte ihre Mutter. „Wo ist denn Gesine?“

„Komm, Joschi!“ drängte Sandra. Sie war nicht begierig darauf, Gesine erneut zu begegnen.

Doch ihre Mutter hielt sie auf. „Möchtet ihr Gesine nicht mitnehmen? Ich habe ihr erzählt, daß ihr ins Kino geht. Sie schien euch sehr gern begleiten zu wollen.“

„Wozu müssen wir die immer mitnehmen, Mama?“ begehrte Sandra auf. „Sie frißt immerzu Popcorn im Kino. Neulich hat sie uns mit ihrer knisternden Tüte die ganzen Lacher verdorben. Die Leute vor uns haben sich auch beschwert, nicht, Joschi?“

Joschi beeilte sich, nachdrücklich zu nicken.

„Das kannst du ihr abgewöhnen. Weshalb bist du so unfreundlich zu Gesine? Das ist doch sonst nicht deine Art, Sandra.“ Frau Faber schüttelte bekümmert den Kopf. „Nun nehmt Gesine heute noch einmal mit. Vielleicht trefft ihr vor dem Kino Mädchen aus eurer Klasse, denen Gesine sich anschließen kann.“

„Die will doch keiner. Sie hängt ja bloß immer stumm herum. Überhaupt ist sie ja auch schon weg“, sagte Sandra.

Doch da hatte Frau Faber sie gerade entdeckt.

Gesine stand vor einem hohen, schalenförmigen Tisch, in dem Modeschmuck zur Selbstbedienung aufgeschüttet war, und wühlte selbstvergessen in den Ohrclips, Broschen, versilberten Anhängern und Folkloreketten.