»Was soll nur
einmal aus Krupp werden?«:
Das Jahr der Entscheidung (1966)
DER TRAURIGE PRINZ: ARNDT VON BOHLEN
Der Junge wartet schon, ungeduldig, voller Vorfreude und stiller Furcht. Er ist ein Kind mit weichen Zügen, treibt ungern Sport, ist keiner, der zu den Wortführern der Schülercliquen zählt. Das Heim ist im unteren Schloss untergebracht, direkt zu Füßen der Nagelfluhwand. Dort droben hauste nach der am Ort sehr beliebten Legende ein berüchtigter Raubritter namens Heinz vom Stein in seiner Höhlenburg; die beeindruckenden Räume einer Felsenfestung sind noch immer über eine steile Treppe zu erreichen. Das untere Schloss dagegen ist von heiterem Charakter, neben großen alten Bäumen erstreckt sich ein vielgliedriger Palazzo in warmen Farben, Sitz des Landerziehungsheims Stein an der Traun,eines nach den Maßstäben der Zeit fortschrittlichen Internats – nicht die Sorte, in denen heimwehkranken Schülern mit Strenge und Rohrstock das Gehorchen beigebracht wird. Und doch, hier, in der Abgeschiedenheit der bayerischen Provinz, wird 1951 ein unglückliches Kind verwahrt, man kann es nicht anders sagen.
Über die Landstraße entlang der Traun nähert sich in rascher Fahrt ein Wagen, wie man ihn hier nicht oft sieht: ein silberner Porsche, wie ein Kindertraum aus dem Wirtschaftswunderland. Und ginge es nach Arndt von Bohlen und Halbach, dann nahte in diesem schnittigen Wagen der Erlöser. »Mein Vater besucht mich, und wer weiß, vielleicht nimmt er mich gleich mit«, ruft der 13-Jährige aufgeregt seinen Schulfreunden zu.
Aber es geht nicht nach ihm, heute so wenig wie gestern oder in Zukunft. Es geht so wenig nach ihm, wie es in der Jugend des Vaters nach dessen Wünschen ging. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wird in den Empfangsraum der Schule geführt, wo der Sohn mit pochendem Herzen auf ihn wartet. Der Vater drückt ihm still die Hand, wie immer außerstande, Gefühle zu zeigen. Er lässt sich, ohne viel zu sagen, von den Lehrern die schulische Lage Arndts erläutern. Bald steigt er in den chromglänzenden Sportwagen und fährt wieder fort. Arndt bleibt zurück. Dieser Vater ist kein Erlöser.
Arndt, geboren 1938, ist Alfried Krupps einziges Kind. Die Mutter, Annelise Bahr, wurde zu Beginn des Krieges von der Villa Hügel verbannt, die Ehe geschieden. Annelise Bahr wird das nicht verzeihen, sie verfällt immer mehr in die Rolle einer geltungsbedürftigen Königsmutter, die ihren Sohn dominiert und keine Gelegenheit auslässt, diesem die eigene Bedeutung vor Augen zu führen: »Du bist so jung, du bist so reich, du bist so schön!« Du bist ein Krupp!
Arndt hat den Vater kaum kennengelernt. Er entwickelte in dieser unruhigen, dem Kind so bedrohlich erscheinenden Kriegszeit, in der die Mutter sein einziger Halt war, eine überaus enge Bindung an sie. Die Nachkriegsjahre verbrachte er in Internaten, eine Zeit, die er später schlicht als »die reinste Hölle« bezeichnet, eine Hölle der Heimatlosigkeit. Seinen Vater sieht er in Landsberg wieder. Welch eine Begegnung für ein Kind: den Erlaubnisschein in der Hand, durch die Gefängnistore, entlang düsterer Korridore, die schmale Zelle, eine Viertelstunde Besuchszeit.
Der empfindsame Arndt, so Annelise Bahr kurz vor ihrem Tod, »war ein Kind für Eltern, die einander wirklich verstehen«. Davon könnten Annelise und Alfried nicht weiter entfernt sein: hier die beherrschende Mutter, die für Arndt und seine Mitschüler wilde Kostümpartys schmeißt und ihren Sohn einmal als Hummer verkleidet, von dessen Scheren bunte Lämpchen blinkten, die die Lehrer mit Sonderwünschen und Eingaben peinigt und ihr Kind mit zugesteckten Geldscheinen verwöhnt; dort der fremde Vater, unnahbar, aber mit großen Plänen für den Sohn. Er will es mit ihm versuchen. Arndt ist volljährig, er soll seine Chance bekommen. Nach dem Tod von Bertha Krupp, Alfrieds Mutter, holt dieser den Jungen 1957 tatsächlich nach Essen. Arndt soll ein Krupp werden. Das ist Alfrieds Art, Nähe zu bekunden. Nur Gefühle zu zeigen, das vermag er nicht. Aber er ernennt Arndt schon 1956 testamentarisch zum Alleinerben.
Ein großer Schritt und ein enormer Vertrauensbeweis. Aber nicht groß genug, um das Schweigen zwischen Vater und Sohn zu überwinden. Der Sohn kann dieses Schweigen nicht brechen. Berthold Beitz macht im Rückblick auch die Familie Krupp dafür verantwortlich, dass der Junge, besonders während der Gefängnisjahre des Vaters, isoliert geblieben ist: »Ich glaube, dass sich die Familie viel zu wenig um Arndt gekümmert hat. Er blieb vollkommen in den Händen der Mutter.« In den Händen von Annelise Bahr, der Verstoßenen und tief Gekränkten. Jener Frau, der Bertha Krupp Geld versprochen haben soll, viel Geld, wenn sie nur endlich aus der Villa Hügel und dem Leben des Sohns verschwinde.
Nach außen hin tut Arndt das, was nun, von 1957 an, als seine Pflicht gilt. Er vertritt den Konzern, steht an der Seite des Vaters, spielt die Rolle, die ihm dieser und das Schicksal zugedacht haben: als Firmenerbe, als kommender Mann, als der nächste Krupp. In Essen verliert Arndts Gesicht die Pummeligkeit der jungen Jahre. 1961, als Alfried Krupp den Ehrenring der Stadt Essen verliehen bekommt, sitzt Arndt neben dem Vater, ernst wie dieser, mit klaren Augen, in denen Distanz zu sehen ist, Scheu und eine unbestimmbare Traurigkeit. Für kurze Zeit zeigt er die Züge der Familie Krupp, ähnelt er dem Vater: das klare Gesicht, die hohe, intelligente Stirn, die kräftigen Augenbrauen.
Arndt von Bohlen und Halbach ist ein hochintelligenter junger Mann, und eine tragische Gestalt. Noch heute bestimmt oftmals Häme den Blick auf den Erben, der den Rollen nicht gewachsen war, die andere ihm auferlegen wollten; der zerrissen war zwischen der Konkurrenz der Mutter und des Vaters, ein Suchender, nirgendwo daheim. In den sechziger Jahren tritt seine Homosexualität immer deutlicher hervor; er ist wohl nicht der Erste in der Krupp’schen Dynastie: 1902 ist etwa Friedrich Alfred Krupp im Alter von 48 Jahren gestorben, vielleicht war es Selbstmord, nachdem ihn der Vorwärts der Homosexualität geziehen und einen Skandal ausgelöst hatte. Arndts ohnehin massive innere Konflikte werden angesichts seiner sexuellen Orientierung zum seelischen Drama. Arndt von Bohlen und Halbach hätte das Erbe des Vaters als Konzernherr nur um den Preis der Selbstverleugnung antreten können – ein homosexueller Firmenchef wäre in seiner Umwelt auf völlige Ablehnung und Ächtung gestoßen. Die wachsende Verzweiflung, in die er auf der Suche nach der Rolle in seinem Leben geriet und die ihn in den späten Jahren in manche unglückliche Lebensweise trieb, hat viel grausamen Spott ausgelöst; der Mensch verschwindet häufig hinter der Karikatur.
In Essen zwingt er sich nun dazu, sich als denjenigen zu betrachten, »auf dessen Schultern einmal alles ruhen soll«. Oft ist er nun neben dem Vater zu sehen, ob bei Empfängen, Geschäftstreffen oder auf Auslandsreisen. 1960 gehen die beiden über die Hannover-Messe. Ein Foto zeigt Vater und Sohn vor einem gewaltigen Schaufelrad, auf dem groß der Name »Krupp« steht, beide Männer in Anzug und Krawatte, feinen langen Mänteln. Doch was ein Bild der familiären Harmonie sein könnte, der Gegenwart und Zukunft einer Dynastie, ist eher ein Dokument der Entfremdung, der Kälte, der Unnahbarkeit. Sie stehen dicht beieinander und sind doch seelisch weit von der Welt des jeweils anderen entfernt.
»DOCH SIE SIND DA, UM MIR ZU HELFEN«:
VATER ZWEI
Es fehlt Arndt, anders als dem Vater, freilich eine Eigenschaft, die alle Krupps, die je die Firma führten, besaßen, ob sie diese nun zum Guten nutzten oder nicht: Härte. Härte gegen sich und gegen andere. Arndts Wille ist nicht stark genug, um das zu tun, was von ihm erwartet wird. Immer öfter vertraut er sich deshalb Berthold Beitz an, einem der wenigen Menschen in Essen, bei denen er Wärme und Freundschaft findet. Schon bald sagt er, wohl nicht nur im Scherz, »Vater zwei« zu Beitz. 1963 schreibt Arndt einen Brief an Berthold Beitz, in dem er so offen wie nie über seine Gefühlswelt und seine inneren Konflikte spricht:
Ich möchte Ihnen danken dafür, daß das Schicksal es so gut mit mir meinte, mir eine Stütze zu geben, gütig, verständnisvoll und mit einem weiten großen Herzen, eine starke Hand, die mich ohne Härte, nur mit einem zarten Druck, auf den richtigen Weg brachte, wenn der junge, verwirrte Mensch im Widerstreit der Gefühle zu straucheln drohte. Ich habe in meinem Leben immer den Vater vermißt, das zärtliche, anhängliche Gefühl, das man dem Menschen entgegenbringt, dem man sein Leben verdankt und von dem man Hilfe und Schutz erwartet. Der ernste, unglückliche, in sich selbst verschlossene Mann, der unser aller Vorbild ist, konnte, so sehr er es sich wünschte, seinen Sohn nie mit liebevoller Wärme umgeben. So empfinde ich für ihn liebevolle Achtung, respektvolle Bewunderung und beklemmende Angst. Doch Sie sind da, um mir zu helfen, immer und unter Aufbietung aller Kräfte. Welche Sicherheit gibt mir das grenzenlose Vertrauen zu Ihnen, die Gewißheit, sagen zu können: »Herr Beitz ist da. ER HILFT!«
Und er fährt fort: »Durch das manchmal rauhe Äußere, die angedeutete Strenge spüre ich die guten Augen, aus denen die Herzlichkeit und manchmal der Schalk blitzt und in der ruhigen Stimme klingt ein weicher Unteron an … Tiefste aufrichtige Freundschaft … unendliches Vertrauen und liebevolle Zuneigung meinerseits machen Sie heute für mich zu dem Faktor meines Lebens, den man gemeinhin als Vater bezeichnet.«
Berthold Beitz ist gerührt von der kindlichen Verehrung des Jungen. Zugleich respektiert er ihn, hilft ihm auf vielfache Weise, gibt ihm Rat, hat Zeit für ihn. Arndt ist öfters zu Gast bei Familie Beitz; die kleine Bettina albert gern einmal mit ihm im Haus herum. Beitz richtet Arndt, wenn er ihm schreibt, manchmal »besondere Grüße von Bettina an den Kitzelmann« aus. Er kümmert sich auch um Schreiben wie jene des Juwelierhauses Rudolf Schallmeier aus der feinen Münchner Maximilianstraße, die »im Auftragdes Herrn Arndt von Bohlen und Halbach« 4250 Mark für einen Brillant-Clip in Rechnung stellt, mit vorzüglicher Hochachtung.
Das sind Kleinigkeiten gegen eine andere Aufgabe: Beitz ist es, der zwischen Vater und Sohn moderieren, die Loyalität zu Alfried Krupp in dieser hochsensiblen Dreiecksbeziehung wahren und gleichzeitig Arndt einen Halt bieten muss. Manchmal mahnt er Arndt sanft: »Ich glaube, Ihr Vater würde sich auch über eine Nachricht freuen.« Heikel wird es besonders dann, wenn Arndt gegen Entscheidungen des Vaters aufbegehrt. Die direkte Konfrontation wagt er nicht. Er versucht es stattdessen über Berthold Beitz.
1963 hält sich Arndt in Brasilien auf. Der Job in einer Fabrik für Gesenkschmiedeteile, einem der Krupp’schen Auslandswerke, mag nicht zu Arndts Präferenzen gehören, aber er blüht auf, dem Schatten des Vaters und den düsteren Korridoren des Essener Konzernsitzes entronnen. »Das vergangene Jahr«, schreibt er an Beitz, »hat mir das Gefühl echter Verantwortung, den Willen zu konstruktiver Mitarbeit und zum ersten Male in meinem Leben Zufriedenheit und vollkommenes Glück für meine Person, den Menschen Arndt, den Sie kennen, gegeben.«
Er lebt in der Gegenwart, fern jeder Aufsicht und in Gesellschaft eines wachsenden Freundeskreises, der sich wie ein Hofstaat um den reichen Erben aus Übersee schart. Bald feiert er Feste, die man in Essen voll Verdruss als »Jetset-Partys« bezeichnet. Bei einem Besuch stellt Mutter Annelise alarmiert fest, dass Arndts Begleitung »leider sehr wenig erfreulich« sei. Einer der jungen Männer ist in ihren Augen »wie eine klebrige Qualle, die aus Arndt alles herausholt. Äußerste Vorsicht, bitte!«, schreibt sie an Beitz.
Der Sohn, auch von der dominierenden Mutter endlich befreit, will nicht zurück. Er bittet Beitz, bei Alfried Krupp eine Verlängerung des Brasilienaufenthalts durchzusetzen: »Meine Rückkehr nach Deutschland würde für mich persönlich einer Katastrophe gleichkommen!« In Brasilien sei er für Krupp weit nützlicher. Beitz trägt dem Firmenchef Anfang September 1963 das Anliegen vor. Alfried Krupp, der seinerseits den Kontakt mit dem Sohn scheut und Beitz als Medium nimmt, lehnt ab. Arndt soll heimkommen, sich einen Repetitor nehmen, das BWL-Studium beenden. Beitz selbst, eigentlich kein Mann langer Briefe, schreibt ausführlich an Arndt: »Ich glaube, wenn Sie nicht kommen, würde es für Ihren Vater, der schon sehr viel in seinem Leben an menschlichen Enttäuschungen erlitten hat, eine erneute schwere seelische Belastung sein. Ich schreibe Ihnen das als Vater, der selbst drei Töchter hat, und ich schreibe Ihnen als väterlicher Freund. Der es sehr gut mit Ihnen meint und der in der Sorge um Ihren Vater und um die Firma sie nochmals bitten möchte zu kommen.«
Er ist nicht hartherzig, beileibe nicht. Er weiß um die Seelenpein des Jungen. Er sieht und schätzt den Menschen hinter Arndts Identifikationskonflikten, die mit jedem Jahr deutlicher werden. Er gehört nicht zu jenen, die abschätzig lächeln über den Erben, der sich so offenkundig unwohl fühlt mit der Rolle, die ihm das Schicksal zugewiesen hat.
Er weiß aber auch: Arndt ist nicht reif genug. In Brasilien flieht der schon vor der Wirklichkeit, vor dem Leben eines Großindustriellen, noch ehe dieses eigentlich begonnen hat. Jetzt muss er zurück nach Deutschland, aber er möchte seine Clique aus Bahia mit nach Köln nehmen, und der eine oder andere wird ihm tatsächlich folgen, zum Entsetzen der Mutter, die spürt, dass sich Arndt ihrer Umklammerung zu entziehen beginnt.
»Arndtlein«, schreibt sie ihm Mitte September, »wenn ich all meine Gedanken und meinen Verstand zusammennehme und die Situation überdenke, dann bleiben Dir nur zwei Möglichkeiten:
1. Du bejahst den Wunsch Papas mit allen Konsequenzen. Das heißt, Deine Freunde bleiben in Brasilien und Du selbst entschließt Dich zu einer ernsten beruflichen Arbeit zur Freude Deiner Eltern.
2. Du bleibst in Brasilien und entschließt Dich für immer, den Wunsch Deines Papas nicht zu erfüllen und damit alle Brücken hinter Dir abzubrechen. Treffe (!) keine Fehlentscheidung.«
Es rührt an, mit welcher Unbeholfenheit sie den verzweifelten Sohn zu trösten versucht: »Papas Freude auf Dein Kommen ist groß. Er hat Dich so gern; mehr als Du jemals gedacht hast, Arndt!« Resigniert gibt Arndt schließlich nach. Er komme zurück, schreibt er an Beitz, aber »nur Ihnen zuliebe, den ich wie einen Vater verehre!«
Er verspricht, sich in Köln ernsthaft den Studien zu widmen, flüchtet aber bald erneut – diesmal zum Jurastudium nach London. Die Umstände erinnern an Brasilien, und entsprechend verzweifelt schreibt Annelise an Beitz: »Warum geht Arndt mit großem Gefolge und Rolls-Royce mitten aus dem Kölner Studium heraus, um in London Jura zu studieren? Dann dieser Junge aus Brasilien! Das ist doch alles Wahnsinn im Hinblick auf Alfried und Fried. Krupp.«
Vater und Sohn aber klären ihr Verhältnis nicht. In seiner Biographie über den »letzten Krupp« zitiert Hans-Bruno Kammertöns Arndt mit einem Satz, der alles über seine Beziehung zum Vater sagt: »Herr Beitz hat zwischen meinem Vater und mir als Katalysator gewirkt. Er war eigentlich der Übersetzer. Wenn ich meinem Vater etwas mitteilen wollte, und ich hatte natürlich viel zu viel Angst, um ihm das ins Gesicht zu sagen, dann sagte ich: ›Bitte, Herr Beitz, gehen Sie doch zu meinem Vater …‹ Und mein Vater, scheu wie er war, sagte: ›Bitte, Herr Beitz, gehen Sie zu meinem Sohn …‹«
Und Beitz geht zum einen wie zum anderen. Immer wieder. Je mehr ihm aber der Junge sein Herz öffnet, desto schmerzlicher wird dem Generalbevollmächtigten eines bewusst: Krupp junior ist nicht der Mann, der den Konzern führen kann. Im Rückblick sagt er: »Arndt wollte eigentlich nichts tun – nicht arbeiten, nicht studieren.« Mitte der sechziger Jahre ist Arndt nur noch selten in Essen zu sehen. Der Junge ist nun Student der Volks- und Betriebswirtschaft, erst in Freiburg, dann in München. Und was er dort erlebt, gefällt ihm besser als die strengen Regeln des Geschäftslebens.
Arndt von Bohlen und Halbach, designierter Erbe des größten Familienunternehmens Deutschlands, ist plötzlich der Liebling der Regenbogenpresse. Zu seinen Münchner Bekannten gehört der örtliche Klatschkolumnist Michael Graeter, das Vorbild für die Gestalt des Baby Schimmerlos in Helmut Dietls TV-Satire Kir Royal über die Schönen und Reichen von München. Jahrzehnte später blickt Graeter auf das Treiben des traurigen Stahlprinzen zurück: »Arndt, vom Auftreten her ein bisserl König Ludwig II. und ein bisserl Inka-Herrscher, pflegte schon in seiner Studentenzeit Lifestyle, da wussten die meisten noch gar nicht, was das heißt.« Im Spiegel schreibt Rudolf Augstein 1967 mit erkennbar geringerem Wohlwollen: »Arndt … hat demonstriert, daß er nicht geneigt und kaum fähig ist, an die Spitze des Konzerns zu treten. Seit einiger Zeit tummelt er sich mit seinem Rolls Royce an den Plätzen der internationalen Snobiety. Bei einem Bar-Bummel in Nizza verlor er 1965 einen Platinring mit einem vierzehnkarätigen Solitär im Wert von 120 000 Mark.«
Jeden, der Alfried Krupp nur ein wenig kennt, muss es schaudern bei der Vorstellung, wie der Konzernherr derlei Nachrichten über seinen Erben aufnimmt. Und leider wird es keineswegs besser, wenn ihm sein Sohn persönlich unter die Augen tritt. Mehr und mehr gibt sich Arndt weiblich, er pudert mitunter sein Gesicht, benutzt Schminke; seine homosexuellen Neigungen sind nur noch schwer zu übersehen. Je offener sich Arndt aber dazu bekennt, desto weniger kann er die Rolle des künftigen Konzernherrn ausfüllen – sie wäre gesellschaftlich nicht akzeptiert worden. Mitte der sechziger Jahre ist er wieder einmal bei »Vater zwei« zu Besuch und tollt mit der kleinen Bettina herum, der Jüngsten im Haus, sie ist jetzt sieben Jahre alt. Als sie das Spiel zu wild treibt, mahnt Arndt sie: »Bettina, so etwas macht eine junge Dame aber nicht.« Darauf sagt die Kleine schlagfertig, wenn auch mit altersbedingter Taktlosigkeit, worüber die anderen nur raunen: »Und du sollst dir nicht die Wimpern tuschen, Arndt! Du bist doch ein Mann!«
Kein Mann, befindet Vater Alfried schließlich, der geeignet wäre, Krupp zu führen.
»GRÜNDEN SIE DOCH EINE STIFTUNG«:
DIE ZUKUNFT DES KONZERNS
Auch im Unternehmen zweifeln die Manager an der Eignung des designierten Firmenerben. »Playboy«, das gilt damals unter hart arbeitenden Menschen als Schimpfwort, und welcher Konzern stünde mehr für harte Arbeit als die Männerwelt von Krupp mit ihren Stahlkochern, Bergarbeitern und Ingenieuren? Mitte der sechziger Jahre herrscht Befremden über die immer seltener werdenden Besuche des jungen von Bohlen und Halbach in Essen.
Mehrfach revidiert Alfried Krupp sein Testament, zum ersten Mal schon 1962. Er berät sich mit seinem Vertrauten: Berthold Beitz. Der mag den jungen Mann zwar, aber in der Sache kann er dem Vater nur recht geben.
Alfried Krupp verfolgt nun bei der Regelung seines Erbes drei Ziele. Erstens: Die Familie von Bohlen und Halbach soll mit Krupp nichts mehr zu tun haben. Zweitens: Die Einheit des Traditionsunternehmens soll gewahrt bleiben. Drittens: Eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft würde dem engen Band zwischen Krupp und den Kruppianern widersprechen. Für denalternden Patriarchen sind anonyme Aktionäre und die soziale Verpflichtung des bisherigen Familienunternehmens unvereinbar.
Der erste Punkt klingt hartherzig, dabei zeigt sich hier letztlich eine tief verwundete Seele. Waren nicht andere Krupps viel überzeugter vom »Führer« gewesen als er? Hatte die Familie während der Landsberger Gefängnisjahre nicht den kleinen Arndt links liegen lassen? Und waren nicht diese Briefe gekommen, die er nach der Postausgabe in der Haftanstalt mit hilflosem Zorn lesen musste? Beitz, mit dem er später einmal darüber sprach, erinnert sich: »Es hat ihm kaum jemand geschrieben.« Und wenn doch, sei das nicht immer Grund zur Freude gewesen. »Henry Thomas, der Mann seiner Schwester Waldtraut, forderte ihn sogar brieflich auf, er, Alfried, der Alleininhaber, solle das Vermögen der Krupps unter den Geschwistern aufteilen – er wolle das so haben. Solche Dinge haben Alfried tief getroffen.« Zwar pflegt Alfried Krupp noch gute Kontakte zu seinen Brüdern Berthold und Harald. Zeitweilig überlegt er sogar, Berthold zum Miterben einzusetzen, neben Arndt. Aber auch Berthold erscheint ihm zu unstet und nicht stark genug. Grundsätzlich hat Alfried kein Vertrauen in den weitverzweigten Familienclan.
Ebenso wichtig ist der zweite Pfeiler, auf den Alfried Krupp den Konzern stellen will: die Einheit des Unternehmens. Mit Arndt erlischt absehbar die Tradition, Krupp, das Privatunternehmen ohne Aktionäre oder Aufsichtsrat, immer nur in eine Hand zu geben. Andere Kinder gibt es nicht, und es steht zu befürchten, dass Arndt als Erbe mehr als versucht wäre, den Konzern zu verkaufen.
Diese Überlegung führt schließlich zum dritten Punkt: Geht es nach Alfried Krupp, so wird es auch in Zukunft keine Aktionäre geben, denen die Dividende am Ende wichtiger ist als das Wohl des Unternehmens und seiner Belegschaft. Viele in seinem Umfeld, vor allem seine Kritiker, verkennen dieses tief verwurzelte Gefühl sozialer Verpflichtung für Menschen, die sich als »Kruppianer« bezeichnen, eine traditionsstolze Arbeiterschaft, die, anders als Karl Marx meinte, durchaus mehr zu verlieren hat als ihre Ketten. Genau deshalb hält der letzte Krupp nichts von anonymen Kapitalgebern – eine Einstellung, die heute, fast fünfzig Jahre später, in Zeiten von Hedgefonds, Shareholder Value und dem Absturz einer von Gier geprägten, überhitzten Finanzwelt plötzlich wieder aktuell anmutet.
Beitz erklärt, er selbst habe dem düster grübelnden Konzernchef in den frühen sechziger Jahren die Stiftungsidee wieder nahegebracht. »Ich sagte bei einem unserer Gespräche: Herr von Bohlen, gründen Sie doch eine Stiftung.« Und zwar eine unabhängige, frei von selbstsüchtigen Aktionären oder unberechenbaren Erben. Sie solle von einem Kuratorium gelenkt werden, das allein dem Wohl der Firma verpflichtet wäre. Die Stiftung als Besitzerin solle auf den Gewinn des Unternehmens angewiesen sein und und gemeinnützige Aufgaben wahrnehmen.
Auch der nun schon greise Tilo von Wilmowsky kommt 1964 auf seine Idee zurück, angetrieben von Sorgen um die Zukunft der Firma. In einem Brief an Alfried warnt er nun klarsichtig vor »der Gefährdung der Einzelunternehmen. Die Ausdehnung der Mitbestimmung wird ebenso schwer zu vermeiden sein wie die Offenlegung der Bilanzen.« Dafür müsse das Unternehmen krisensicher aufgestellt sein. »Ich brachte damals Dir gegenüber die Gründung einer Stiftung zur Sprache; Du sagtest mir, daß Du das lange erwogen hättest, aber auch hier sage ich mir, daß jetzt doch allmählich der Zeitpunkt für einen Entschluß herannaht.«
Und der Entschluss wird fallen. 1965 erwähnt Alfried Krupp »aus Sorge um Arndt« die Stiftungsidee einem alten Freund gegenüber, Enzio Graf von Plauen, auf dessen Schloss Wiesenburg er 1937 geheiratet hat. Es ist Herbst 1966, als die Entscheidung endgültig fällt. Nicht zufällig hängt sie damit zusammen, dass Krupp bereits finanziell angeschlagen ist und die Rezession düstere Schatten auf den Konzern wirft. Die Stiftung ist die Lösung. Bleibt ein, nein, das Problem: Arndt. Ohne seine Zustimmung sind alle Pläne hinfällig. Er ist der Erbe, und selbst wenn er nur den Pflichtteil erhalten würde, wäre die Stiftungsidee tot. Beitz und Alfried Krupp bereiten ein Angebot vor, das Arndt zum Erbverzicht bewegen soll. Aber wie sagt man es ihm, und vor allem: wer? Alfried will nicht mit dem Sohn sprechen, er kann nicht, zu viel steht schon zwischen ihnen. Nichts wäre nun schlimmer als eine Trotzreaktion von Arndt. Also sagt der Vater zu Beitz: »Das müssen Sie machen.«
NACHT DER ENTSCHEIDUNG
Es ist der Abend des 16. September 1966, an dem sich das Schicksal des Großkonzerns Krupp entscheiden wird. Arndt von Bohlen und Halbach ist zu Hause bei Berthold Beitz eingeladen. Man sitzt beim Essen, parliert nett, dann zieht sich Else Beitz zurück und lässt die Herren allein. Sie weiß, warum. Ihr Mann bittet den Jüngeren ins Wohnzimmer und kommt zur Sache: »Arndt, nun lass uns einmal reden. Wie denkst du dir eigentlich dein weiteres Leben?«
Beitz weiß nach all den Jahren, die er Arndt schon kennt, dass der Junge nicht die Absicht hegt, sein Leben an der Altendorfer Straße zu verbringen. Er redet daher offen: Ein Verzicht auf das Stahlimperium wäre für Arndt doch geradezu eine Befreiung, die Befreiung von einer Last, an der er zu schwer tragen würde. Und er macht dem Jungen ein Angebot: Unterschriebe er einen Verzicht auf dieses Erbe, würde ihm dieser Schritt vergolten durch eine jährliche Apanage in Höhe von zwei Millionen Mark. Der letzte Krupp sagt erst einmal nichts, dann blickt er auf und fragt: »Was meinst denn du, Berthold?«
»Ich halte es für richtig, Arndt. Es ist richtig für dich, richtig für deinen Vater und auch richtig für die Firma, wenn du es annimmst.«
Es wird ein langes Gespräch, bis über Mitternacht hinaus. Am Ende steht Arndts Entschluss fest: »Ja, du hast recht.«
Nun könnte es für Arndt naheliegen, dem väterlichen Sendboten zu misstrauen, selbst wenn es »Vater zwei« ist. Immerhin würde ihn die Zustimmung zum Erbdeal zwischen zweieinhalb und fünf Milliarden Mark kosten, so viel, wie Krupp eben wert ist. Andererseits ist er jetzt ein freier Mann und noch dazu einer, der für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben dürfte. Beitz selbst dagegen geht noch heute davon aus, dass für Arndt etwas anderes den Ausschlag gegeben hat: Vertrauen. Beitz ist ein Freund, ein echter in einer Welt aus falschen Freunden. »Es hat ihm«, so Beitz im Rückblick, »wahrscheinlich den letzten Schub gegeben, dass er mir keine bösen Absichten, keine anderen Gründe unterstellte, als ihm und dem Vater zu helfen. Arndt hat gedacht: Der meint das anständig.«
Und gewiss, so Beitz weiter, habe sich Arndt in diesem Moment der Entscheidung daran erinnert, dass es der Generalbevollmächtigte gewesen war, der seiner Mutter geholfen hat, damals, 1955, als es Annelise Bahr finanziell so schlecht ging, wohl auch, weil sie im Krieg viel Geld verloren hatte, und als Alfried Krupp machtvoll seinen Anspruch auf den verlorenen Sohn anmeldete. Damals hatte Arndt Beitz aus dem Schweizer Lyceum in Zuoz um Beistand gebeten. »Ich weiß ganz genau, daß mein Vater nicht gewillt ist, ihr nochmals Geld zu geben … Vielleicht können Sie mit meinem Vater in dieser Angelegenheit sprechen, denn ich habe nicht die nötige Erfahrung, um Gegenargumenten meines Vaters wirksam entgegentreten zu können.« Beitz hatte daraufhin Alfried Krupp auf die Sache angesprochen und ihn vor einem Rosenkrieg der Eltern um das Kind gewarnt. »Herr von Bohlen, es ist ja richtig, das Geld ist weg. Aber ob sie es vergeudet oder vertrunken hat, das ist doch eine zweite Frage.« In der Tat ist das Geld fort, das Alfried ihr gezahlt hatte. Gleichwohl mahnt Beitz: »Aber sie ist doch die Mutter Ihres Sohnes. Sie können sie doch nicht dazu bringen, ihn gegen Sie zu erziehen, Sie müssen sie doch unterstützen.«
Beitz, selbst Vater und ein Mann, dem die Familie viel bedeutet, verstand die Haltung des Firmeninhabers nicht, und er überzeugte ihn. Krupp lenkte auf die für ihn typische Weise ein: »Machen Sie das mal, Herr Beitz. Ich will davon nichts wissen.« Auf diese Weise ist Annelise von Bohlen und Halbach zu einer stattlichen Pension sowie zu einem Haus am Tegernsee gekommen, in dem sie lebenslang Wohnrecht genießt.
Ebenso wie für Arndt war Berthold Beitz damals, Mitte der fünfziger Jahre, für Annelise ein Rettungsanker, freilich in einem anderen Sinne. Vor allem konnte sie nicht mit Geld umgehen. »Unkraut, jedenfalls das meinige, vergeht nicht!«, teilte sie Beitz einmal leutselig, aber in Verkennung ihrer Lage mit. Der Bank schuldet sie 1956 bereits 84 000 Mark, und wieder und wieder sorgt Beitz dafür, dass sie zahlungsfähig bleibt. Als er ihr einmal erneut durch einen Sonderkredit aus der Klemme hilft, warnt er sie: »Ich bitte Sie zu verstehen, daß weitere Überweisungen nicht möglich sind, da ich Gefahr laufe, in ernsthafte Differenzen mit Herrn Krupp v. Bohlen zu geraten.« Arndt weiß also, was der Mann, der ihn zum Erbverzicht überredet, für ihn und seine Mutter getan hat.
Arndts Biographen Hans-Bruno Kammertöns kommt die nächtliche Szene im Hause Beitz 1966 dennoch »gespenstisch« vor: »Wie immer in den entscheidenden Stunden in seinem Leben war er allein und einem Stärkeren ausgeliefert, wie seinerzeit seine Mutter jener Bertha, der Soldatin der Familie. Sein Vater war auch in jener Schicksalsnacht abwesend wie immer.« Eine Wiederholung der Geschichte also? Der Sohn, der die traumatische Niederlage der Annelise Bahr gegen die übermächtige Familie Krupp noch einmal durchleidet?
Die Vorstellung ist nicht ohne düsteren psychologischen Reiz, und doch spricht wenig dafür. Annelise Bahr wusste damals, was sie wollte: ihren Mann, ihre Ehe, ihr Glück. Sie hatte gekämpft um Alfried Krupp und verloren. Die Niederlage war vollständig, und das exzentrische, besitzergreifende Auftreten der Mutter an der Seite des Sohnes in späteren Jahren bestätigt dies eher noch, als dass es etwas zu ändern vermocht hätte. Aber Arndt? Was er will, weiß er nicht. »Arbeiten – das wäre ja noch schöner!«, scherzt er auf seinen Münchner Kostümpartys. Die Verantwortung, die Pflicht, das wenig einladende Vorbild seines einsamen, unnahbaren, unglücklichen Vaters: Das alles hat ihn doch erst in die Schwabinger Nächte flüchten lassen.
Vielleicht hat Arndt in einer Aufwallung echter Krupp’scher Wesensart das Wohl des Ganzen über seine persönlichen Interessen gestellt, oder er hat erkannt, dass er der enormen Verantwortung nie und nimmer gewachsen gewesen wäre. Er selbst hat doch in seinen Tagebüchern über die Bürde des Reichtums geklagt.
Als künftiger Firmenerbe hätte er zudem noch lange warten müssen – zumindest muss er 1966 davon ausgehen. Sein Vater ist noch nicht einmal sechzig Jahre alt. Nie hat er Absichten erkennen lassen, vorzeitig abzutreten. Der junge Arndt aber ist seiner Rolle so müde, so überdrüssig wie der Konflikte mit dem Vater und der Enttäuschung über dessen Kälte, einer Enttäuschung, die umso schlimmer wird, je mehr sie sich Tag für Tag neu bestätigt. Als ihm nun Beitz das Angebot unterbreitet, gibt Arndt daher der Versuchung nach, das alles hinter sich zu lassen. Bemerkenswerterweise, berichtet Berthold Beitz, verhandelt Arndt nicht einmal um die Höhe der jährlichen Apanage; zwei Millionen Mark im Jahr, das ist 1966 sehr viel Geld. Er bittet lediglich, es schon zu Beginn des jeweiligen Jahres zu überweisen.
Ein nachdenklicher Arndt verlässt in jener Septembernacht das Haus von Berthold Beitz, und der ruft sogleich bei dem Vater an: »Herr von Bohlen, Ihr Sohn hat zugestimmt.« Am nächsten Morgen frühstücken die drei zusammen. Alfried Krupp hat seinen Willen bekommen. Wenige Tage später, am 20. September 1966, unterschreibt Arndt von Bohlen die Verzichtserklärung. Dabei sind Justitiar Schürmann und Beitz. Als der Sohn unterzeichnet hat, fragt Beitz den Vater: »Und jetzt, Herr von Bohlen?« Der sagt: »Ach ja, Arndt, würdest du einmal so freundlich sein und den Herren einen Drink anbieten?« Und Beitz, wie stets meisterhaft darin, schwierige Situationen mit freundlicher Ironie aufzulockern: »Herr von Bohlen, einen Drink? Das ist die bedeutendste Sache, die in der Firma gemacht wurde, die Sie da entschieden haben mit Ihrem Sohn. Da können Sie uns doch wenigstens zu einem erstklassigen Essen einladen.« Kaum eine Woche nach dem Besuch Arndts bei Beitz beurkundet Alfried Krupp von Bohlen und Halbach seinen letzten Willen bei einem Züricher Notar: Alleinerbin seines gewaltigen Vermögens und damit des Konzerns wird die nach ihm benannte Stiftung sein. Sie soll die Einheit des Unternehmens gewährleisten und aus den ihr zukommenden Erträgen des Unternehmens gemeinnützige Zwecke verfolgen.
Niemand ahnt, wie nah dieser Tag des Erbfalls bereits ist. Schon im Jahr darauf stirbt Alfried Krupp. Rückblickend sagt Beitz: »Arndt vom Erbverzicht zu überzeugen war meine wichtigste Tat für Krupp. Ohne seinen Verzicht gäbe es die Firma nicht mehr und ich würde heute nicht hier sitzen.« Er ist aber auch sicher: »Hätte Arndt gewusst, wie bald sein Vater sterben würde, hätte er meinem Vorschlag damals nicht zugestimmt – nie und nimmer.«
»DAS IST UNVERANTWORTLICH!«:
KAMPF UM DIE STIFTUNG
1971 geht Carl Hundhausen, Beitz’ Public-Relations-Mann, auf Sylt mit Arndt zum Mittagessen. Hundhausen ist überrascht, wie schmallippig Arndt, der einen Rechtsanwalt namens Möhring als »Vertreter seiner Interessen« beauftragt hat, wird, als Beitz’ Name fällt. Er fragt ihn nach dem Grund. Sichtbar irritiert antwortet Arndt von Bohlen: »Beitz muss entsetzlich über mich geschimpft haben, als er mit Möhring über mich sprach. Wenn ein Faß mit Jauche dort gestanden hätte, hätte Beitz es in Gegenwart von Möhring über mir ausgeschüttet.« Auch bekleide Beitz inzwischen zu viele Ämter im Unternehmen: »Er ist Vorsitzender der Stiftung, des Aufsichtsrates und dazu auch noch Testamentsvollstrecker. Das geht zu weit.«
Hundhausen ist bestürzt. So hat er Arndt noch nie reden hören. Er erinnert diesen daran, wie wenig er stets als Teil der Familie gegolten habe: »Herr von Bohlen, wenn je jemand ein Faß Jauche über Ihnen ausgeschüttet hat, dann ist das Ihr Onkel Berthold gewesen … Und wenn Sie einen wirklichen Freund haben, dann ist das Berthold Beitz.« Hundhausen hat den Eindruck, dass die Brüder des verstorbenen Vaters einen unheilvollen Einfluss auf den jungen Mann ausüben. Offenbar, so Hundhausen, haben auch Berthold und Harald von Bohlen besagten Rechtsanwalt Möhring bestimmen wollen, »um die Interessen der Familie zu vertreten«; außerdem möchten sie Arndt ins Boot holen. Arndt selbst hat eigentlich wenig Grund, herzliche Gefühle für die Verwandtschaft zu hegen, denn während seiner trüben Internatsjahre hatte sie sich wenig um ihn gekümmert. In der Familie von Bohlen indessen grollt es in den Jahren nach Alfrieds Tod vernehmlich. Niemand von ihnen hält Anteile an der Firma Krupp, so wie Alfried es gewollt hat. Nur Beitz ist immer noch da, und Hundhausen kann die Einflüsterer geradezu hören: Wo bleibt die Familie? Warum ist sie nicht an der Stiftung beteiligt? Warum bekommt sie keinen Sitz im Kuratorium der Stiftung und damit Einfluss in dem Großunternehmen, mit dem sie über mehr als 150 Jahre so eng verbunden war? Berthold von Bohlen, so Arndt, möchte der Familie anscheinend ebendiesen Sitz verschaffen.
Die Geschwister wurden, wie sich Ludger Linnemann, Abteilungsdirektor in der Krupp-Verwaltung, erinnert, »von Alfrieds Entscheidung, das gesamte Krupp-Unternehmen in eine Stiftung einzubringen, überrascht. Die Entscheidung wurde von ihnen mit Entrüstung und allen Vorbehalten zur Kenntnis genommen.« Waldtraut Burckhardt, Alfrieds Schwester, klagt Anfang 1967 in einem Brief an Alfried, »daß ein sachliches Gespräch unter den Geschwistern unmöglich ist … Ich kann mich mit dem Gedanken nicht abfinden, daß nun durch diese Stiftung wir und unsere Kinder getrennt sein sollen von einem Werk, das unsere Eltern und Großeltern aufgebaut haben.« Waldtrauts zweiter Mann, Walter Burckhardt, droht offen mit einer Klage vor Gericht. Zu Linnemann sagt er, niemals hätten die Geschwister eine Abfindungserklärung unterschrieben, wenn sie damals schon von Alfrieds Stiftungsplan gewusst hätten: »Alfrieds Handeln ist den Geschwistern gegenüber unverantwortlich.« Sie alle seien »mit der Einbringung des gesamten Krupp-Vermögens in eine Stiftung wesentlich geschädigt worden«.
Wie die Geschwister nach Alfried Krupps Tod in einem Schriftsatz formulieren lassen, ist »im Jahre 1953 das Vermögen des Familienunternehmens Fried. Krupp aufgrund alliierter Anordnungen an Herrn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach übertragen worden, ohne daß eine geregelte Auseinandersetzung mit den dadurch ausscheidenden Familienmitgliedern stattgefunden hätte«; folglich bestünden erhebliche weitere »Geldansprüche«. Dass Alfried die Geschwister damals, aufgrund des Mehlemer Abkommens von 1953, schon mit je fast elf Millionen Mark abgefunden hat, lassen sie nicht gelten. Dabei geht es um zwei Dinge: Zum einen fechten sie die Übertragung des Gesamtvermögens an die Stiftung an, zum anderen verlangen sie eine Beteiligung an deren Kuratorium. Der Zorn richtet sich nun gegen Beitz.
Noch 1988 wird Diana Maria Friz, Waldtrauds Tochter, schreiben: »Niemand konnte fortan BB widersprechen, wenn er – aus der vollen Überzeugung seines Herzens heraus – erklärte, was er sei oder was er tue, entspreche Alfrieds Willen … Beitz wollte in seiner Hand alle Macht vereinen, die Alfried besessen hatte. Er wollte, auch ohne den Namen, ein Krupp sein.«
Diese Schuldzuweisung macht die Sache für die Unterlegenen psychologisch einfacher: Ein Sündenbock ist immer gut. Hier entsteht, so Beitz zu Golo Mann, »eine Dolchstoß-Legende«, ein Mythos, der Teile der Familie von Bohlen und Halbach noch über viele Jahre in immer neue Attacken und Prozesse gegen Berthold Beitz treibt, die sie am Ende alle verliert. Sie verkennt nämlich, dass es Alfried Krupp selbst gewesen ist, der die Familie aus der Firma heraushalten wollte und der dies in seinem Testament festschrieb. Den Platz, den sein Testamentsentwurf für persönliche Legate enthält, lässt er bewusst frei.
Beitz, den Alfried Krupp gemeinsam mit Arndt und dem Krupp-Juristen Dr. Dedo von Schenck zum Testamentsvollstrecker ernannt hat, ist es sogar, der, wie er später sagt, den »Versuch eines Entgegenkommens« macht: Im ersten Entwurf für die Satzung der Stiftung will er der Familie einen Sitz im Kuratorium einräumen. Noch zu Alfrieds Lebzeiten trifft sich die Krupp-Spitze, freilich ohne den Firmenchef, am 9. Juni 1967 im Gästehaus der Villa Hügel, um eine Satzung für die Stiftung zu entwerfen. Den Vorsitz hat Beitz. Nach längerer Debatte soll ein Passus aufgenommen werden, der besagt, dass »nach dem Ausscheiden des Stifters [gemeint ist wohl: nach dem Tod des Stifters; J. K.] nach Möglichkeit immer mindestens ein männlicher Abkömmling von Gustav und Bertha Krupp von Bohlen und Halbach … dem Kuratorium angehören« solle.
Alfried Krupp jedoch lehnt ab, als Beitz mit diesem Vorschlag zu ihm kommt. »Als Alfried Krupp den Entwurf sah«, erinnert sich Beitz später, »hat er die entsprechende Passage gestrichen und gesagt: Keiner von der Familie soll einen Anspruch auf einen Sitz im Kuratorium haben, das gibt nur Ärger.« Zeuge dieses Gesprächs am 23. Juli 1967, nachmittags um halb fünf, ist der frühere nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat, der zu Beitz’ Beraterkreis für die Gründung und Rechtsstellung der Stiftung gehört und einige Jahre später ebenfalls zu den Testamentsvollstreckern zählen wird. Er hat das Gespräch protokolliert: »Im Verlauf dieser Sitzung schnitt ich gegenüber Herrn Alfried Krupp auch die Frage an, ob nach Ausscheiden des Stifters aus dem Kuratorium immer ein Mitglied der Familie von Bohlen und Halbach im Kuratorium vertreten sei.« Und weiter: »Herr Alfried Krupp lehnte unmißverständlich eine Vertretung seiner Familie im Kuratorium ab. Mit sehr bestimmten Worten erklärte er, § 8 Abs. 3 des vorliegenden Entwurfes, der eine Berücksichtigung der Familie vorsah, fände nicht seine Billigung«, und »er entschied, daß die Stiftungssatzung entsprechend seinem Wunsche zu korrigieren sei«.
Das widerlegt eindeutig die Behauptung von Bertha Krupps Enkelin Diana Maria Friz, wonach Beitz’ Version bloß eine »Legende« sei. Ebenso falsch ist ihre Darstellung, »ein ominöser Strich« von Alfrieds Stift, im Entwurf der Stiftungssatzung quer durch jenen Passus gezogen, der der Familie einen Kuratoriumssitz einräumte, sei das einzige – und aus ihrer Sicht gewiss wenig hinreichende – Indiz, dass Alfried das so gewollt habe: »Der berüchtigte Strich hält nun bereits seit über 20 Jahren [1988; J. K.] dafür her, daß Berthold Beitz keinen weiteren Versuch machte, einen von Bohlen in das Stiftungskuratorium zu berufen.« Vom »Strich-Gespenst« war nachher in der Familie die Rede. Dabei ist Mikats Bericht unmissverständlich. Alfried Krupp wollte die Familie nicht dabeihaben, und er hat die Satzung deshalb ändern lassen. Am Ende sieht die Satzung ein geschäftsführendes Mitglied des Kuratoriums vor, das nicht nur den Vorstand führt, sondern auch den Vorsitz im obersten Stiftungsorgan, dem Kuratorium. Ausgestattet mit besonderen Rechten und Vollmachten, wird Beitz diese Position einnehmen, um über den Tod des Stifters hinaus das fortzusetzen, was mit der Generalvollmacht für ihn begann: eine unumschränkte Handlungsfreiheit orientiert am Willen Alfried Krupps.
Die Ansprüche der Familie gehen ohnehin weit über einen Sitz im Stiftungsrat hinaus. Nach Alfried Krupps Tod fordert sie, gestützt auf ein Gutachten des Frankfurter Erbrechtsexperten Professor Helmut Coing, »eine finanzielle Abfindung in Höhe von mindestens 100 Millionen Mark«. Außerdem erhebt sie Anspruch darauf, »daß die Mehrheit der Mitglieder des obersten Organs der Stiftung von der Familie bestimmt wird«. Mit anderen Worten: Sie will das Geld, und sie will die Macht. Sie wirft Beitz den Fehdehandschuh hin.
Gemeinsame Ansprüche bringen Alfrieds Geschwister Berthold, Harald, Irmgard und Waldtraud sowie sein Neffe Arnold vor. Beitz aber bleibt für immer bei der Linie, die er schon im August 1969 einem der Anwälte der Familie, Otto Kranzbühler, darlegt. Der Anwalt kommt in die Stiftung, um im persönlichen Gespräch mit Beitz und Krupp-Justitiar Dedo von Schenck einen Vergleich oder ein Verfahren vor einem Schiedsgericht auszuhandeln. Doch die beiden lehnen rundheraus ab und lassen ihn später schriftlich wissen: »Als Testamentsvollstrecker sind wir an den im Testament niedergelegten Willen des Erblassers gebunden und können nicht über das Vermögen der Stiftung verfügen. Schon deshalb sehen wir uns nicht in der Lage, nur zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung einen Vergleich anzustreben.« Alfried Krupp habe dies so gewollt, obwohl er »über die von seinen Geschwistern … 1967 angemeldeten Ansprüche durchaus unterrichtet gewesen ist«.
Noch 1995 wird die Familie Sitze im Kuratorium der Stiftung fordern, noch 1997 werden Alfrieds Neffen Eckbert und Friedrich und weitere Familienmitglieder deshalb vor Gericht ziehen und verlieren. Beitz ist bei seiner Haltung geblieben, er sei Vollstrecker von Alfrieds letztem Willen »und kein Testamentsveränderer«.
DER LETZTE RITTER
Und Arndt? Er wird am Ende nicht gegen den Willen des Vaters aufbegehren, wird seine eigene Entscheidung nicht revidieren. Vor allem wird er dem juristischen Feldzug gegen Berthold Beitz fernbleiben, mit dem die Familie Alfrieds letzten Willen anzufechten sucht.
Zunächst ist Arndt, bei allen Terminen seriös im Anzug gekleidet und ohne feminine Accessoires, pflichtbewusst neben Berthold Beitz ein untadeliger Testamentsvollstrecker des alten Krupp. Arndt behält auch nach dem Tod des Vaters und trotz der Episode mit Hundhausen ein herzliches Verhältnis zu Berthold Beitz, was er kaum getan hätte, wäre ihm der Freund als derjenige erschienen, der ihn zum »Verlierer« gemacht oder gar zum Erbverzicht gepresst hätte.
Und so erscheint ein freundlich lächelnder Beitz im Februar 1969 als Arndts Trauzeuge in der Blühnbacher Schlosskapelle. Schnee liegt auf den Gipfeln des Hochköniggebirges, zahlreiche Reporter und Fotografen vertreten sich vor dem Gotteshaus fröstelnd die Füße. Der Bräutigam fährt mit einem Pferdeschlitten vor wie weiland der Märchenkönig Ludwig II. Arndt heiratet die vier Jahre ältere Henriette Prinzessin von Auersperg. Es ist, trotz der homosexuellen Neigungen Arndts, eine Beziehung, die auf tiefer menschlicher Zuneigung beruht. Und doch wird sie scheitern an Arndts eifersüchtiger Mutter Annelise, an seiner inneren Unruhe, an zu großen Gegensätzen. Arndts Kampf um das Glück ist schon verloren, bevor er begonnen hat. Berthold Beitz hat wie mit Arndt auch mit Henriette von Auersperg über Jahre einen freundlichen Kontakt behalten.
Arndt genießt die ersten Jahre nach dem Erbverzicht. Am Anfang zieht er nach München, wo er ein Stadtpalais bewohnt und sich im Rolls-Royce durch Schwabing zum Damenfriseur Herbert Seidlitz kutschieren lässt, einem Star der Münchner Bussi-Gesellschaft. Hildegard Knef, die Schauspielerin und Sängerin, schenkt ihm ein Foto mit einer Aufschrift: »Man hat mich gewarnt / vor dem Kind namens Arndt / doch war es schon zu spät / was dieses Lächeln verrät / und so bin ich benommen / schließlich auf den Krupp gekommen. Love, Püppi.«
Auf den Krupp respektive Bohlen und Halbach gekommen ist auch die Regenbogenpresse. Deren Gunst aber erweist sich als wechselhaft. Bald beginnen die Klatschblätter über »Deutschlands jüngsten Frührentner« zu lästern. Manchmal wehrt er sich noch und will kämpfen wie ein Krupp – etwa als William Manchesters erfindungsreiches Anti-Krupp-Buch ihn zum besonderen Ziel hohntriefender persönlicher Sottisen macht. Arndt beschwört Beitz 1968 per Eiltelegramm, mit ihm gemeinsam eine einstweilige Verfügung gegen die deutsche Ausgabe zu erwirken, »in Ihrem eigenen Interesse sowie im Andenken meines Vaters sowie meinem persönlichen Ansehen als letzter Sproß der Familie«. Leider befindet sich Arndt anschließend wieder mit seiner Yacht auf hoher See, was die Antwort nicht erleichtert. Dabei drängt die Zeit. Beitz will den vor Zorn bebenden Arndt dringend davor warnen, Manchester auf den Leim zu gehen – nichts würde der Provokateur sich mehr wünschen als einen Rechtsstreit mit Krupp, in dem er sich als Opfer sinistrer deutscher Großindustrieller stilisieren könnte. Über Radio Norddeich versucht Berthold Beitz, Arndt telegrafisch zu kontaktieren: »Herrn Arndt von Bohlen und Halbach, an Bord der MS ›Antinous II‹, z. Zt. im Raum Lissabon, fährt unter Panama-Flagge: Ich rate dringend in Ihrem eigenen Interesse und im Interesse des Hauses Krupp, keine einstweilige Verfügung zu beantragen. Ein solcher Schritt würde die Publizität des Buches unabsehbar verstärken und äußerst negative Folgen zeitigen. Stopp. Siehe Fall Kennedy.« Manchester hatte sein Buch über die Kennedys mit ähnlichen Methoden publik gemacht.
Doch die Antinous II antwortet nicht. Dafür findet Beitz einige Tage später in seiner Mappe eine Postkarte von der Praia dos tres Irmãos an der Algarve: »Wandeln auf Ihren Spuren in Algarve. Hauen uns viel Wein vor den Latz! Arndt.« Die Firma Krupp hat sich derweil vorsorglich von einer Klage Arndts gegen Manchester distanziert. Beitz verhilft Arndt durch seinen Rat und juristische Expertisen zu einem Vergleich, bei dem sich der Kindler-Verlag, der die deutsche Ausgabe herausgibt, verpflichten muss, Beleidigungen wie jene, Arndt sei »ein spektakulärer Versager«, zu streichen und bereits ausgelieferte Bücher mit diesen Passagen zurückzuholen. Der schon angesetzte Termin vor dem Münchner Landgericht wird zur erheblichen Enttäuschung der vor der Saaltür versammelten Klatschreporter aus aller Welt in letzter Minute abgesagt. Beitz redet Arndt am Telefon auch die Idee aus, Manchester auf Schadenersatz zu verklagen. Sich vor Gericht darüber streiten zu müssen, ob man als »affektierte Null« bezeichnet werden dürfe, sei ein Spiel, bei dem man unabhängig vom Urteil nur verlieren könne. Geld habe er doch genug.
Aber bald fehlt es Arndt daran. Hatte auf dem rauschenden Polterabend in Salzburg noch der Pianist Peter Kreuder am Klavier »Ich brauche keine Millionen« intoniert, so braucht Arndt für seinen aufwendigen Lebensstil sehr wohl viele Millionen, mehr, als ihm die Apanage zubilligt. Seine letzten Jahre sind jedenfalls traurig, trauriger noch als das einsame Leben des eigenen Vaters, denn die Tristesse, die ihren Schatten immer häufiger und immer länger über ihn wirft, ist verborgen hinter einer demonstrativen Ausgelassenheit. Gern trägt er maßgefertigte smaragdgrüne Samtanzüge mit Stehkragen und halblanger Jacke, auch wenn er dieses Aufzugs wegen aus dem Wiener Hotel »Sacher« gewiesen wird. »Sie müssen hier im Jackett erscheinen«, belehrt ihn der Oberkellner, »dös, was Sie trag’n, is ka Jackett, dös is a Mantel. Dös geht bei uns net.« Man wirft ihn hinaus, wie einen Fremden in dieser Welt.
Am Ende ist aus dem Prinzen ein Ritter der traurigen Gestalt geworden, als sich Arndt zum »Ritter des patriarchalischen Ordens vom Heiligen Kreuz zu Jerusalem« schlagen lässt. Sein einst so schönes Gesicht ist von Krankheit und vergeblichen Schönheitsoperationen aufgeschwemmt, und keine noch so dicke Schicht von Schminke kann das verdecken. Seine vielen Millionen sind dahin, ausgegeben für seine Paläste und Yachten, für falsche Freunde und Schmeichler, aber auch für viele gute Zwecke; besonders viel Geld hat er der Armenfürsorge in Thailand gegeben. Am 8. Mai 1986 stirbt Arndt von Bohlen und Halbach in einer Münchner Klinik an Mundbodenkrebs. Er wird beerdigt in der Gruft bei Schloss Blühnbach. Berthold Beitz kommt, um Abschied zu nehmen.