Ein Kruppianer
in Kampen:
Berthold Beitz privat
Das Haus lässt ihn schaudern, so scheußlich findet er es. Bevor die Familie Beitz Ende 1953 nach Essen zieht, hat ihm die Firma ein standesgemäßes Domizil angeboten, eine alte Fabrikantenvilla: ein strenger alter Kasten, wie ein düsteres Schloss gebaut, um durch sein Äußeres die Bedeutung des Bewohners zu demonstrieren. Daher schreibt er dem zweiten Krupp-Bevollmächtigten, Friedrich Janssen: »Ich glaube, meine arme Frau würde sich mit dem Heer von Dienstpersonal totärgern. Das Haus macht einen sehr dunklen Eindruck, und ich liebe ja – Sie kennen mein Büro in Hamburg – helle und schöne Räume.«
Ferdinand Streb, der alte Freund, baut ihm dann zwei Jahre später sein Traumhaus, in dem Beitz über alle folgenden Jahrzehnte leben wird. Es gehört übrigens der Firma, auch wenn er und seine Frau hier Wohnrecht auf Lebenszeit genießen. Auf einem Hügel hoch über dem Baldeneysee errichtet Streb ein doppelstöckiges Haus mit Flachdach, einer fast schwebenden Wendeltreppe zwischen den Etagen und einem großen geschwungenen Balkon. Das Wohnzimmer führt auf eine breite Terrasse hinaus zum Garten, die Panoramafenster sind versenkbar. »Ich wollte«, erinnert sich Beitz, »gern etwas Modernes, schick, nicht so traditionell, ich wollte es locker, leicht, durchsichtig.« Beitz liebt das Haus, das heute als Meisterwerk der hellen Moderne aus den fünfziger Jahren gilt.
Der zum Wohnzimmer offene Essbereich erweist sich rasch als zu beengt, und so wird ein Esszimmer angebaut, das einem runden Tisch für sechzehn Personen Platz bietet. Während sich das Familienleben in dem bescheiden dimensionierten »Damenzimmer« abspielt, empfängt und bewirtet das Ehepaar – manchmal zweimal am Tag – in den Repräsentationsräumen Präsidenten, Minister, Botschafter und natürlich Industrielle, wobei Beitz als strahlender Gastgeber eine lockere Atmosphäre um sich verbreitet. Die gelegentliche Einbeziehung der Töchter betont die persönliche Note. Sie haben, brav angezogen, ihre Knickse zu machen und ab und an auch fremdsprachlich zu plaudern. Die kleine, erst 1958 geborene Bettina erheitert als Kind die Gäste, darunter viele Politiker aus Osteuropa, die laut Bettina »nach komischen Parfums rochen und ebenso komische Schokolade mitbrachten«.
Der Vater hat für die Kinder wenig Zeit, und es sind Sternstunden, wenn er sich überreden lässt, mit ihnen zu spielen und dabei noch beim Schummeln ertappt wird, das er mit Spaß und einigem Geschick betreibt: Im Ärmel verbirgt er Spielkarten, und beim Scrabble hortet er geklaute Buchstaben in der Hand. Gegen die Konventionen verstößt auch seine Auffassung von Hausmusik: Wenn er nach Hause kommt, wird das mehr oder weniger gelungene Spiel auf dem Flügel oder der Querflöte durch Jazzplatten abgelöst, zu denen er auch mal ausgelassen mit einer Tochter tanzt.
Die Tanzfeste, zu denen die Töchter gehen, werden kontrolliert: Sind die Eltern der Gastgeber anwesend? Die Töchter Beitz müssen zeitig nach Hause, Verstöße werden streng gerügt. Etwas mehr Freiheit kann die spätgeborene Bettina genießen. »Er hat uns«, erinnert sie sich, »auch später nicht vorgeschrieben, welche Freunde wir treffen oder was wir nach der Schule machen sollten. Ich wurde zur Selbständigkeit erzogen. Aber er hat klare Vorstellungen davon gehabt, wie das Leben laufen soll. Allzu wilde Partys und pubertäres Gehabe hätten wir uns nicht herausnehmen dürfen.«
Tochter Susanne heiratet 1967 Christian-Peter Henle, einen Sohn von Krupps Konkurrenten und Widersacher Günter Henle, Großaktionär bei der Klöckner-Gruppe, Musikverleger und Freund Adenauers. Als Beitz die Verlobung seinem Chef mitteilt, fragt Alfried Krupp: »Muss das sein?« Beitz meint heute dazu: »So war das mit ihm. Das mochte er nicht, dass ausgerechnet durch meine Tochter jetzt so ein einflussreicher Schwiegervater in die Familie kam. Alfried Krupp wollte mich für sich alleine haben.«
Dennoch stellt er die Wahl der Tochter nicht in Frage. Er tut es auch nicht bei der Jüngsten, Bettina, die an der Universität Münster Thomas Poullain kennenlernt und 1981 heiratet, den Sohn von Ludwig Poullain, der als Chef der WestLB in den Jahren 1967 bis 1977 enge, wenn auch keineswegs spannungsfreie Beziehungen zu Beitz und zur Firma Krupp pflegt. Bettina Poullain sagt heute, nur halb im Scherz: »Was wir am Anfang auf allen Seiten oft gehört haben, ist das Wort ›ausgerechnet …‹.« Aber das ficht sie nicht an, und den Vater auch nicht.
Else Beitz führt seit dem Umzug nach Essen ein Leben mit vielen Aufgaben, die sie dazu zwingen, ihre jüngste Tochter Bettina immer wieder dem Personal anzuvertrauen. Sie muss den anspruchsvollen Haushalt organisieren und das Personal anleiten, als Gastgeberin agieren, sie muss sich um die verwitwete Schwiegermutter und bald darauf um ihren verwitweten Vater kümmern, denn beide ziehen in das benachbarte Gästehaus, wo sie nach einigen Jahren ihr Leben beschließen. Zeitweise beleben fünf Hunde Haus und Garten. Vor allem aber ist Else Gesprächspartnerin und engste Vertraute ihres Mannes und spielt, stets makellos frisiert und gekleidet, perfekt die ihr zugewiesene Rolle in seinem Berufsleben. Denn in den ersten Nachkriegsjahrzehnten sind die Frauen der Industriellen wie selbstverständlich dabei – bei den festlichen Essen und Empfängen in den Festsälen der Villa Hügel oder den großen Bällen des BDI, dem Ball des Sports, dem Bonner Presseball –, und sie waren Gastgeberinnen für größere Gesellschaften. »Das alles wurde erwartet«, bestätigt der ehemalige Protokollchef Kurt Schoop im Rückblick, »die Damen saßen nicht wie heute oft daheim und warteten, wann ihre Männer endlich zurückkommen.« Else Beitz begleitet also ihren Mann, wenn die Königin von Thailand oder der Kaiser von Äthiopien auf den Hügel kommt. Manchmal, wenn es dann doch zu später Stunde ums Geschäft geht, ziehen sich die Herren mit einem Cognac ins Raucherzimmer zurück. Eine reine Männerwelt ist diese Gesellschaft aber dennoch nicht. »Man muss sich das so vorstellen«, sagt Liselotte Schoop heute, »der Beruf der Männer hat unser Leben damals dominiert, das ist wahr. Aber wir sind einfach ein Teil davon gewesen, und das hat es viel leichter gemacht.«
Else Beitz hat noch eine weitere Aufgabe, und die heißt – Alfried Krupp. Nach der Scheidung von Vera hat sich der stille Mann noch weiter zurückgezogen. Wenn er daheim einen seiner seltenen Empfänge gibt, organisiert Else Beitz wie selbstverständlich das Essen, sie tritt dann auf wie die nichtexistente Dame des Hauses.
Im Jahr 2010 sind Else und Berthold Beitz beeindruckende 71 Jahre verheiratet. Dafür müssen beide im Verlauf dieser langen Zeit vieles tun, denn auch die dauerhafteste Ehe besteht nicht nur aus Zeiten des Glücks. Für Else Beitz ist das Leben nicht immer leicht an der Seite eines Mannes, der rund um die Welt reist, viele Sieben-Tage-Arbeitswochen absolviert, dazu noch der Jagd verfallen und gesellschaftlich vielfach verpflichtet ist. Trotz all seiner Aktivitäten oder doch gerade ihretwegen ein überzeugter Familienmensch, hat Berthold Beitz es nie goutiert, wenn manche Vorstandsmanager wie routinemäßig ihre Gattin gegen eine jüngere eintauschen; solches Verhalten ist in seinen Augen ein Zeichen von Halt- und Charakterlosigkeit.
Als auch die jüngste Tochter, Bettina, nach dem Abitur das Haus verlässt, beschließt Else Beitz, endlich nachzuholen, was ihr in den dreißiger Jahren die Umstände verwehrten: Sie holt das Abitur nach, studiert und promoviert noch im Alter von 73 Jahren mit »magna cum laude« über »Industriepädagogik in den Großbetrieben des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel der Firma Fried. Krupp«. Wie ihr Vater August Hochheim hat sie einen großen Wissensdrang, Freude am lebenslangen Lernen und viele Interessen: Literatur, Musik, Geschichte. Nebenbei bringt sie sich selbst das Schreiben am PC bei; am Computer verfasst sie ihre Dissertation. Dem Journalisten Roland Kirbach sagt sie über diese späte akademische Leistung: »Mein Gesichtskreis hat sich stark verändert«; sie sei »viel selbstbewusster« geworden.
So kommt es, dass Altkanzler Helmut Schmidt bei seiner Rede anlässlich der Feier von Bertold Beitz’ 90. Geburtstag 2003 sagt: »Wenn heutzutage eine Ehe so lange hält und wenn die Familie zusammenhält, dann ist das zumeist im überwiegenden Maße ein Verdienst der Frau. Frau Beitz hat aber auch außerhalb von Ehe und Familie gezeigt, was in ihr steckt …: ein wirklich erarbeiteter Doktortitel und kein Ehrendoktor, wie Berthold Beitz und ich sie gesammelt haben!«
Else Beitz liest gern und viel, während ihr Mann von sich sagt, er lese eigentlich nicht, dazu fehle ihm die Geduld. Mehr als Literatur oder das Theater, das er ebenfalls nach Möglichkeit meidet, fasziniert ihn die moderne Kunst. So erwirbt er mit der Zeit, für noch vergleichsweise bescheidene Summen, mehrere Werke Emil Noldes. Das bekannteste ist das Frauenporträt Vera. Vor diesem glutäugigen Antlitz warnte Großvater Hochheim die heranwachsende Susanne: »Das ist ein ganz böses Weib, die sollte hier nicht hängen.« Beitz identifiziert sich gern mit einem der beiden Clowns auf seinem Gemälde Max Beckmanns Clown mit Frauen und kleiner Clown. Weit über den Zeitgeschmack hinaus reicht Beitz’ Begeisterung für die Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976). Er entwickelt ein recht enges Verhältnis zu dem expressionistischen Maler. Farbenfroh, jenseits gängiger Konventionen, wild, spannungsgeladen und lebendig sind viele seiner Gemälde, und wie bei kaum einem anderen Künstler erkennt Beitz darin sein eigenes Lebensgefühl wieder. Zwei farbige Werke vom Beginn der zwanziger Jahre mit heftig deformierten Figuren – Fischer auf der Düne und Heuernte – erinnern ihn an die bäuerliche Welt seiner Kindheit. Sie kommen seinem eigenen Hang zur Ursprünglichkeit, wie ihm die Maler der expressionistischen Gruppe »Brücke« frönten, sehr entgegen. Zwischen den beiden Männern entsteht eine lebhafte Korrespondenz, allerdings stets in Beitz’scher Kürze, so wie in einem Brief von 1959: »Das Bild [Fischer auf der Düne] hängt an der schönsten Stelle in unserem Haus, und wir würden uns freuen, wenn Sie einmal vorbeikommen, um sich Ihre Bilder anzusehen.« Der erfreute, schon 75-jährige Maler antwortet: »Das Bild wird gewiß ausgezeichnet zu Ihnen passen. Sollte ich noch mal durch einen Jungborn tauchen, werde ich gewiß noch nach Essen kommen – sehr gern sogar!« Oft schickt der Künstler Bilder, die Beitz dann probeweise aufhängt. Für die, die er am Ende auch kauft, zahlt er beachtliche Summen, mal 12 000, mal 20 000 Mark. Bei einem Angebot für 44 000 streicht er dann aber die Segel: »Zu teuer.«
Die Gemälde sind heute natürlich ein Vielfaches ihres ursprünglichen Ankaufspreises wert – was Beitz gern zum Anlass nimmt, zu erklären, warum er niemals an der Börse spekuliert hat: »Wenn die Aktien fallen, verliere ich mein Geld; wenn meine Bilder fallen, hänge ich sie wieder auf.« Als Ruhrbischof Hengsbach einmal zu Besuch ist, gehen sie an Badeszenen-Bildern des Malers Otto Mueller vorbei, und Beitz scherzt angesichts der nackten Mädchen auf den Gemälden: »Herr Bischof, nun schauen Sie aber besser in die andere Richtung.«
Überhaupt ist Beitz ein Freund der schönen Dinge. Er verdient bei Krupp viel Geld, aber er steckt es nicht in Immobilien oder riskante Wertanlagen, die ihm oft angeboten werden, und eben auch nicht in Aktien. So kann er sich ganz ohne Sorgen mehr leisten, als er es sich jemals erträumt hat. 1939 etwa stand er gern vor den Schaufenstern der Hamburger Mercedes-Niederlassung in der Hamburger Innenstadt und bewunderte die Karossen, eine so schön und unerschwinglich wie die andere. 1964 kauft er Else ein ledergepolstertes Mercedes-Sportcoupé 230 SL Roadster neuester Bauart, ein Schmuckstück, das unter dem Spitznamen »Pagode« noch heute eingeschworene Fans in aller Welt hat. In Sylt fährt Beitz gern mit einem gemieteten blauen Käfer herum – passend zu dem einfachen Leben, das er dort genießt. Und er liebt das Fotografieren; bald besitzt er eine große Kamerasammlung. Noch als alter Herr lernt er den Umgang mit digitalen Geräten. Liebstes Motiv ist durch alle Jahre seine Familie.
Noch wichtiger ist ihm freilich gute, maßgeschneiderte, seinen hohen ästhetischen Ansprüchen genügende Kleidung. Beitz kauft die Stoffe für seine Anzüge bei dem Berliner Herrenausstatter Heinrich Dietel auf dem Kurfürstendamm. Dietel, ein Gentleman alter Schule, berät Beitz, der ihm jahrzehntelang die Treue hält. Entsprechend ist sein Ruf. »Beitz kommt, eleganter denn je, aus Peking zurück«, notiert Willy Brandts Berater Klaus Harpprecht 1973 nach einem Besuch von Beitz im Bonner Kanzleramt. Der frühere Regierungssprecher Klaus Bölling meint: »Berthold Beitz ist einer der am besten angezogenen Männer der bundesdeutschen Gesellschaft – ohne das Britische daran zu übertreiben wie Walter Scheel, der mit seinen Manschettenknöpfen und dem Tüchlein immer ein bisschen zu viel Savile Row aufgetragen hat.«
Man könnte das Achten auf Äußerlichkeiten nun für Attitüde halten, aber darum geht es nicht. Für Beitz ist ein gepflegtes Erscheinungsbild schlicht eine Frage des Respekts vor dem Gegenüber. Tatsächlich verabscheut er bei seinen Mitarbeitern verstrubbelte Haare, ungeputzte Schuhe und schrille modische Extravaganzen jedweder Art. Das muss auch Kurt Schoop erleben, und zwar gleich an seinem ersten Arbeitstag in Essen 1954. Beschwingt betritt der spätere Protokollchef Beitz’ Vorzimmer an der Altendorfer Straße, aber Beitz’ Sekretärin Irma Heitmann, die mit ihrer tiefen Stimme ein strenges Regiment führt, sagt nicht etwa: »Willkommen, Herr Schoop. Herr Beitz erwartet Sie.« Sondern: »Was ist denn das? Mit den Schuhen kommen Sie da nicht rein.« Seine modischen hellen Wildlederschuhe, so bedeutet sie Schoop, würden mit Sicherheit das Auge des Generalbevollmächtigten beleidigen, und das wäre doch ein denkbar schlechter Einstand. Sie schickt den Neuen in die Stadt: »Kaufen Sie sich bitte ein ordentliches Paar Schuhe und kommen Sie wieder.« Wenn die Enkelsöhne zu Besuch kommen, bewundern sie in Großvaters Schrank »diese fantastische Sammlung von Krawatten, in so vielen Farben; wir Kinder dachten, das ist wie in einem Königspalast«, so Robert Ziff. Bis heute sind die Enkel dieser Gewohnheit treu geblieben. Noch im Alter zieht Beitz seine Schlüsse aus dem Erscheinungsbild seiner Mitmenschen, wie Wolfgang Clement als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen einmal erlebt hat: Bei einem Festakt, dessen Redner der akademischen Neigung zur Ausführlichkeit nicht widerstehen, sieht er, wie Beitz neben ihm die Socken und Schuhe der Umsitzenden mustert, um dann ihm, Clement, zuzuflüstern: »Schauen Sie mal, der hat schöne Schuhe; aber der da hinten …«
Schon in Hamburg hat sich Berthold Beitz einen außerordentlichen Sinn für Pünktlichkeit zugelegt – weshalb er bei seinem entscheidenden Treffen mit Alfried Krupp in den »Vier Jahreszeiten« fünf Minuten vorher zur Stelle war. Pünktlichkeit gehört aber auch zu den Regeln gesellschaftlicher Etikette in Industriekreisen, zumal im Ruhrgebiet, dem Stammland der strengen Stahlpatriarchen. So gerät das Ehepaar Beitz, als in Essen erstmals Gäste zum Abendessen eingeladen waren, in eine gewisse Verlegenheit: »Pünktlich mit dem Glockenschlag« fuhren die Wagen der Gäste vor, wie Susanne Henle erzählt; sie erinnert sich noch an erstaunliche Gepflogenheiten: »Häufig gab es regelrechte Wagenstaus ein, zwei Straßenzüge vor der Adresse des Gastgebers. Die Leute waren so frühzeitig abgefahren, um nur ja nicht zu spät zu kommen. Fünf Minuten vor der Zeit begann die Kolonne dann anzurollen.«
In Essen hat Beitz an Macht und Freiheit gewonnen, er hat aber auch etwas verloren, nämlich die relative Unbeschwertheit des Hamburger Freundeskreises. Dort ist er einer der »Könige von Hamburg« gewesen, die gemeinsam zu feiern verstanden. In Essen ist seine Stellung wesentlich exponierter, und er muss sich gegen ein Heer von Neidern und Feinden durchsetzen – von den Ruhrbaronen und Adenauers BDI-Freunden bis zu den Widersachern im eigenen Haus und in der Krupp’schen Großfamilie. Er ist, wie die Briten sagen, lonely at the top, auch wenn er zu viele Menschen trifft und zu gesellig ist, um wirklich einsam zu sein. Aber es ist nicht mehr dasselbe wie damals, als die Freunde Mitternachtsdrinks in den »Vier Jahreszeiten« orderten, ganz und gar nicht. »Du bist ein großer Mann und hast viele Feinde«, schreibt er Springer 1957, »und auch ich habe, wie Du weißt, viele Feinde.«
In dieser Welt an der Ruhr gibt es, außer Else, fast niemanden, dem er sich mit seinen Problemen, seinen Gedanken und Gefühlen vorbehaltlos anvertrauen könnte. Vielleicht noch den Bildhauer Jean Sprenger, der 1980 stirbt. Der Fotograf Otto Steinert, einer der Pioniere der modernen und experimentellen Fotografie, wird ein guter Bekannter. Es bleiben die alten Freunde in der Ferne, wie Streb und Blumenfeld. Seinen besten Freund aber kennt er nicht aus Hamburg, sondern von einer zufälligen Begegnung im oberbayerischen Jägerwinkel. Es ist der Unternehmer Max Grundig (1908–1989). »Max«, so erinnert sich Beitz, »war ein Mann, den ich nachts anrufen konnte, um zu sagen: Hör mal zu, ich habe Schwierigkeiten, ich brauche deinen Rat. Und er hat von mir gesagt, ich sei sein einziger wahrer Freund. Er war auch ein Einzelgänger, wie ich.« Einmal schreibt er Grundig (und so etwas schreibt er selten): »Ich darf mich bei Dir herzlich für all die erwiesene Großzügigkeit mir gegenüber bedanken und baue weiterhin auf Deine bewährte Freundschaft.«
Grundig, der in der Fürther Sternstraße mit einem kleinen Reparaturladen für Rundfunkgeräte begonnen und nach dem Krieg das legendäre Radio Heinzelmann zum Selberbauen erfunden hat, ist schon 1952 Europas größter Hersteller von Rundfunkgeräten. Schnell und trendsicher steigt er ins Geschäft mit den neuen Fernsehapparaten und Tonbandgeräten ein. Der patriarchalischen Firmenphilosophie bei Krupp nicht unähnlich, gibt er die Devise aus: »Bei uns wird niemand entlassen.«
Tatsächlich gibt es neben einem ausgeprägten sozialen Bewusstsein gewisse weitere Parallelen zwischen Grundig und Beitz: Beide haben aus dem Nichts heraus beeindruckende Karrieren gemacht und führen zwei der wichtigsten Unternehmen des Landes, jedes auf seine Weise ein Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders. Beide halten sich sehr weit fern von den Industrieklüngeln und Verbandsfürsten. Beide zählen nicht zu denen, die eine einfache Herkunft vergessen wollen oder vergessen machen wollen, im Gegenteil, sie sind stolz darauf. »Wir sprachen dieselbe Sprache und blieben mit beiden Beinen auf dem Boden«, sagt Beitz heute, der über Grundig einmal gemeint hat: »Den sicheren Freund erkennt man in unsicherer Sache.« 1987 hält er eine Festrede für ihn: »So sind mir Max Grundigs Hände aufgefallen: sensible Hände, Künstlerhände, Bastlerhände. Hände, die gestalten und die Form geben wollen, auffällig eigentlich erst in Verbindung mit einer dickschädeligen Kraft und Zähigkeit – und die braucht es in unserer Welt, um das unternehmerisch durchzusetzen, was er mit seinen Händen geformt hat; geschickt und sicher im Geschmack.«
Sie sehen sich oft, fahren zusammen zum Segeln in die Karibik oder besuchen sich gegenseitig. Außerdem sind sie Mitglieder der Aufsichtsräte in den Unternehmen des jeweils anderen.
Es gibt aber noch etwas, was sie verbindet. Beitz spricht es aus, als er 1989 tief erschüttert die Trauerrede für den Freund hält, der seinem schweren Krebsleiden erlegen ist: »Er war und blieb ein Einzelgänger, ein kraftvoller, unabhängiger, unerhört durchsetzungsfähiger Mann. Er mißtraute zutiefst der Pose, der Glätte, der bloß höflichen Form. Hinter seinem oft kantig wirkenden Äußeren verbarg sich der empfindliche Kern, das leicht verletzbare Ich.« Es ist, als spräche Beitz zugleich über sich selbst – nur dass er »das leicht verletzbare Ich« nicht hinter einem kantigen Äußeren, sondern, noch schwerer erkennbar, hinter dem Charisma der Lebensfreude verbirgt, was ihn wiederum markant von seinem Freund unterscheidet.
Dort, wo er Max Grundig kennengelernt hat, lebt eine weitere gute Freundin von Beitz: Trudel Hardieck, die Inhaberin der noch heute bestehenden »Privatklinik Jägerwinkel« in Bad Wiessee. Sie trägt fast stets ein Dirndl, dabei ist sie Berlinerin und auf der Flucht hier am Tegernsee gestrandet, in einer der schönsten Landschaften Bayerns. Mit zielstrebiger Energie hat sie sich ab 1956 ein Sanatorium aufgebaut – jedenfalls sollen die Gäste sich wohlfühlen und den Stress vergessen. Beitz, der hier öfter Urlaub macht, mag ihre direkte Art, ihre unverblümte Redeweise, ihr unternehmerisches Geschick und ihre Begabung, mit Menschen umzugehen. Bei »Muttern«, wie Trudel Hardieck sich selber gern nennt, trifft sich eine bunte Mischung von Leuten, die meist nicht so sehr Heilung, sondern eine lebensfrohe Atmosphäre suchten: die jüdische Sängerin Fritzi Massary feiert dort ihren 80. Geburtstag. Zita, die letzte Kaiserin von Österreich, verbringt in der Privatklinik Jägerwinkel ihre Ferien, ebenso der Jazz-Geiger Helmut Zacharias. Auch Zarah Leander hält sich regelmäßig bei ihrer Freundin Trudel Hardieck auf; die Sängerin besucht in Bad Wiessee ihren Textdichter Bruno Balz (»Kann denn Liebe Sünde sein«).
Der im Dritten Reich beliebte Maler Mathias Padua, derein Haus am See bewohnte, taucht gern zu den Abenden in der »Rapunzelstube« auf, wo »Muttern« ausgewählte Gäste mit besonderen Leckereien verwöhnt; und der Schlagerkomponist Franz Grothe, der gleich nebenan wohnt, spielt dazu am Klavier: »Man kann sein Herz nur einmal verschenken.« Schwermütige Anflüge ihrer weiblichen Gäste pflegt Frau Hardieck mit Beschäftigungstherapie zu heilen: Sie schickte die Damen in die Küche zum Kartoffelschälen, damit sie sich wieder nützlich fühlen können.
Zu Beitz’ großen Leidenschaften gehört die Jagd. Schon Beitz’ Vorfahren haben eine gewisse Neigung dazu gezeigt, es aber nicht über kleine Wildereien auf den ausgedehnten Besitzungen der Barone von Sobeck hinausgebracht: Er selbst aber hat in seinem Essener Haus ein Jagdzimmer mit Erinnerungsstücken und Trophäen von Afrika bis zu den Karpaten. Die Jagd ist in den Nachkriegsjahren, was der Golfplatz heute ist: Hier trifft sich abseits der gesellschaftlichen Förmlichkeiten, wer in Unternehmerkreisen dazugehört, hier knüpft man Kontakte und sogar Freundschaften. In den Männerrunden entsteht beim Fachsimpeln über Fragen wie die, ob die amerikanische Weatherby 300 deutschen Gewehren in der Geschossentwicklung nicht doch überlegen sei, ein soziales Netzwerk; und dass man abends nach der Treibjagd in der Jagdhütte das Waidmannsheil feiert, ist diesen Beziehungen ebenfalls nicht abträglich. Sehr beliebt ist das Schüsseltreiben, das gemeinsame Abendessen in den Jagdhütten und -häusern. Hier darf man nicht fehlen, aber Beitz will auch gar nicht fehlen. Er ist, wie wir gesehen haben, in den mächtigen Ruhrkreisen der Adenauer-Ära ein Außenseiter; doch für die Jagd gilt das nicht, zumal er nun selbst als Gastgeber die Wahl treffen kann, wen er in die exklusiven Krupp’schen Jagdgründe im österreichischen Blühnbach und in Gerlos einlädt und wen nicht.
Sehr hilfreich ist diese Passion auch in Osteuropa, dessen kommunistische Nomenklatura das Waidwesen ebenso und aus denselben Gründen schätzt, wie es die Klassenfeinde im Westen tun. Wenn Beitz und Polens Premier Cyrankiewicz in den dichten Wäldern Polens jagen, sind sie unbehelligt von Höflingen, Lauschern und jedwedem Protokoll. Gleich nach dem historischen Besuch mit Kanzler Brandt in Warschau 1970 geht Beitz mit den polnischen Freunden auf die Pirsch; er kehrt erst Tage später nach Deutschland zurück, »noch ganz beeindruckt von der hervorragenden Jagd, zumal ich noch nie in meinem Leben einen solch starken Keiler geschossen habe wie abends im Nieselregen«. Ein Jagdfreund ist auch sein Mittelsmann Leonard Lachowski, der polnische Handelsrat in Deutschland. »Vielleicht«, schreibt Beitz ihm, »läßt es sich einrichten, daß wir beide anläßlich meines Aufenthaltes eine kleine Jagd unternehmen? Wie ich auf Ihrem Bild sah, haben Sie einen besseren Hirsch als wir.«
Dem rumänischen Minister für Schwerindustrie, Carol Loncear, schreibt er 1958, zu einem Zeitpunkt also, da persönliche Briefe von westlichen Industriellen an Politiker hinter dem Eisernen Vorhang noch völlig ungewöhnlich sind: »Zu einer Jagd in den so verlockenden Jagdgebieten hat es bei diesem Besuch leider nicht gereicht. Ich hoffe aber, daß sich mir hierfür noch einmal Gelegenheit bieten wird. Als kleinen Vorschuß auf diese Jagdfreuden möchte ich Ihnen ein Buch eines meiner Freunde zusenden, das sehr schöne Aufnahmen aus der afrikanischen Tierwelt enthält.« Und es kommt vor, dass Berthold Beitz bei der Wiedereinreise nach Deutschland die Frage, ob er etwas zu verzollen habe, den erstaunten Grenzbeamten wie folgt beantwortet: »Jagdbeute aus der Staatsjagd des polnischen Staatspräsidenten: Wildschweine, Hirsche und Rehe.«
Freilich hat die Jagd für Berthold Beitz nicht allein die Funktion des geschäftsfördernden »Ballerns und Becherns« im »handverlesenen Kreise« der Industrieeliten, die mühelos ihre Karrieren aus dem Dritten Reich in der Bundesrepublik fortsetzen und die Nina Grunenberg in ihrem Buch Die Wundertäter so anschaulich wie sarkastisch beschreibt. Ohnehin ist Beitz selbst wohl kaum zu dieser Gruppe zu rechnen. Für ihn ist die Jagd auch ein Stück Freiheit, mit all ihren Riten, der Natur, dem Handwerk des Jagens. Es ist eine Freiheit, die einem Leben unter dem Diktat eines übervollen Terminkalenders viel zu oft fehlt: die Freiheit, einmal durchzuatmen, eine Freiheit in der Natur, im einfachen Leben, die er bis heute unbedingt benötigt.
Zum Inbegriff des Freiseins von Zwängen, Termin und Pflichten aber wird für Berthold Beitz die Insel Sylt und vor allem Kampen. Bis Ende der vierziger Jahre ist die Nordseeinsel eher ein beschaulicher Ort gewesen. Nach dem Krieg entstehen dann legendäre Kneipen und Treffs wie die »Kupferkanne«, das »Rote Kliff« oder das »Gogärtchen«. In der »Kupferkanne«, einer ehemaligen Bunkeranlage am Watt, von Günter Riek zu einer Parklandschaft gestaltet, trifft sich die Prominenz; hier lernt Beitz in den Nachkriegsjahren Jean Sprenger kennen, über den er dann später mit Alfried Krupp zusammentrifft. Sprenger verbringt lange Sommer auf Kampen, aus denen genügend Aufträge resultieren, dank derer er sich weitere Sommer leisten kann.
Der angesagteste Strandtreff der Wirtschaftswunderjahre ist »Buhne 16«, wo man, seinerzeit unerhört freizügig, auch nackt baden darf, ein Privileg, das Beitz zurückhaltend ausübt. »Die hübschesten Mädchen«, so erinnert sich eine Sylt-Veteranin, »standen meist nackig an Buhne 16, auch die meisten Männer, nur Gunter Sachs und Berthold Beitz hatten immer eine Badehose an.«
Unabhängig von der nicht zu klärenden Frage, ob letztere Angabe historisch korrekt ist, beschreibt die Journalistin Antje Johl das damalige Prominentenleben in mare: »Auf fällt, wer bekleidet bleibt: Rudolf Augstein zum Beispiel und der Verleger Ernst Rowohlt. Letzterer, von enormer Fülle, trägt stets Badehose und auf dem kahlen Schädel ein an den vier Ecken geknotetes Taschentuch. Sitzt so wie ein Buddha im Sand oder bis zum Hals im Wasser, je nach Wetter.« Für weniger Empfindsame ist die Freikörperkultur wohl schlicht Ausdruck eines exklusiven und neuen Freiheitsgefühls nach schweren Jahren, der Freude, die strengen Konventionen der fünfziger Jahre für einen Moment hinter sich zu lassen. Beitz trifft am Strand einmal einen unbekleideten Herrn, der gerade eine Sandburg gräbt und freundlich grüßt: Es ist Major Jones, der ihn 1946 eingestellt hat.
»Man traf sich am Meer«, so Beitz, »und gegen fünf oder sechs ging man dann zu ›Karlchen‹, wo Werner Höfer schon auf seinem Stammplatz saß und Hof hielt. Plötzlich war es elf geworden, man hatte Hunger, Karlchen Rosenzweig machte in seiner winzigen Bar Schmalzbrote. So ging das eben zu, ganz unfeierlich und zwanglos. In Kampen fuhr bis 1969 noch diese Bimmelbahn von Westerland hinauf bis nach List, und dort, auf der Bahn, fanden Maskeraden statt wie beispielsweise ›Wikingerfest‹ oder ›Südsee-Nacht‹. So war Kampen damals.«
Kampen ist das Refugium von Berthold Beitz, ein Ort der Ruhe und Erholung oder zumindest dessen, was Berthold Beitz darunter versteht. Dazu gehört Sport mit Rudi Drust, der zum Leidwesen von Else bereits zum Frühstück erscheint, sich in die Küchenbank klemmt, die Bildzeitung ausbreitet und Kaffee trinkend daraus vorliest. Unter der Anleitung dieses kernigen Essener Trainers findet sich bei jedem Wetter eine Gruppe von Freunden am Strand zu schweißtreibenden Übungen zusammen. »Rückwärts die Dünen hoch, ihr Jammerlappen!« Erholung ist für ihn einerseits die Abwesenheit seines Büros, andererseits aber die Anwesenheit von Freunden und Gästen, die er freigiebig in sein kleines, erst gemietetes und 1972 gekauftes Reetdachhaus einlädt. Oft serviert er hausgemachte Erbsensuppe oder grillt seine vielgerühmten Steaks. Oder es gibt gekochten Hummer, der mit den Händen gegessen wird. Häufig ist es auch so, dass der Hausherr gut gelaunt vom Strand zurückkehrt und – so als sei es die erfreulichste Nachricht der Welt – zur Gattin sagt, dass am Abend vielköpfiger Besuch zum Essen vorbeikommt. Zu seinen Gästen gehören Gerhard Schröder, Horst Ehmke, der Regierungssprecher Conny Ahlers, Hans-Ulrich Kempski von der Süddeutschen Zeitung, und der Fernsehjournalist Gerd Ruge. Spontane Besuche vor allem dienstlicher Natur dagegen mag er nicht, weshalb er ein Schild anbringt, auf dem zu lesen ist: »Zur Zeit in Urlaub – Besuche nur nach Vereinbarung«.
Zu Gast im »Gogärtchen« ist in den fünfziger Jahren die junge Bühnenschauspielerin Rena Liebenow, die mit ihrer Mutter oft hier Urlaub macht und nun einem Herrn »mit einem sehr ausdrucksvollen Kopf« gegenübersitzt: Alfried Krupp. Wie Beitz aus Pommern stammend, erfreut sie Krupp an diesem Vormittag mit Bauernsprüchen ihres Großvaters: »Im Winter ist der Pommer/ noch dümmer als im Sommer.« So entsteht eine freundschaftliche Beziehung zu dem mächtigen Mann aus Essen und über ihn schließlich zu Else und Berthold Beitz.
Auch der Firmenherr hat auf Sylt ein kleines Haus, nicht weit von der Beitz’schen Reetdachkate entfernt. Die vertrautesten Momente zwischen den beiden Männern entstehen hier auf der Insel; manchmal sitzen sie nächtelang in Beitz’ kleinem Haus, trinken Whiskey bis halb drei Uhr morgens, und in solchen Stunden der menschlichen Nähe nennt Alfried Krupp seinen Vertrauten »Bautz«, für seine Verhältnisse der Ausdruck außergewöhnlicher persönlicher Sympathie. Er spricht dann offen, auch über seine Gefühle und was er von vielen Menschen hält. Dann lässt er den Porsche stehen und geht zu Fuß durch die Nacht zu seinem Haus. »Aber am nächsten Morgen«, erinnert sich Beitz, »haben wir uns wiedergetroffen und mit ›Guten Morgen, Herr von Bohlen‹ begrüßt und mit ›Guten Morgen, Herr Beitz‹.«
In den Anfängen sind die Sommertage auf Kampen eher Männersache. Der ihm gut bekannte Richter Eberhard Penning schreibt Beitz 1951 nach Sylt gar eine Postkarte aus dem Park-Hotel Badenweiler, einem prächtigen, wenngleich etwas angestaubten Kasten aus der Belle Époque, zu dessen Besuch ihn offenbar seine Frau gezwungen hat. Im biederen Idyll des Kurbetriebs vor Langeweile ächzend, notiert Penning: »Oh, wäre ich doch solo in Kampen.« Einer von Beitz’ Essener Mitarbeitern, Ekhard Freiherr von Maltzahn, dankt seinem Chef 1957 nachträglich dafür, dass er ihn nach Kampen begleiten durfte: »Ich glaube, Sie haben empfunden, wie gut mir die Fröhlichkeit unseres ›Junggesellen-Hauses‹ bekommen ist.«
Ende der fünfziger Jahre beginnt sich der Charakter der Insel zu ändern, die man dann nur schwerlich als Geheimtipp bezeichnen kann. Der Ruf seines Refugiums als »versnobtes Modebad Kampen« ärgert Beitz, wie er im Sommer 1961 an Axel Springer schreibt: »Alfried Krupp und ich sind gestern aus Kampen zurück gekommen und sehen mit Sorge, wie Kampen allmählich diskriminiert wird. Dazu kommt noch, daß ein ›Stern‹-Reporter Aufnahmen machte, um einen Fortsetzungsbericht ›Die Nackten und die Reichen‹ zu bringen …«
Sylt bleibt er noch in hohem Alter treu. Zwar sind seine Eisbeinessen für die Rettungsschwimmer inzwischen Legende, aber er besucht noch den Feuerwehrball, zu dem ihn ein Feuerwehrauto abholt, und schaut bei seinem Freund Herbert vorbei, dem Parkplatzwächter an Buhne 16. Berührungsängste gegenüber jenen, die von manchen anderen Industriellen »die kleinen Leute« genannt werden, hat er nie gehabt.
Bis Mitte der sechziger Jahre spielen Sicherheitsfragen kaum eine Rolle, doch das wird sich rasch ändern. 1965 meldet die Siegener Zeitung, die Kripo habe bei dem 33-jährigen Lüdenscheider »Berufsverbrecher« Manfred H. »schriftliche Pläne für die Entführung von Millionärskindern (u. a. derer des Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz)« gefunden. Es gibt Gerüchte, dass sich H., der angeblich stets eine gestohlene Bundeswehr-Maschinenpistole mit sich führt, mit einer Haushaltsgehilfin von Beitz angefreundet habe, um Wege in die Villa auszuforschen. Wie Essens Polizeipräsident Hans Kirchhoff an Beitz schreibt, »konnten wir jedoch feststellen, daß diese Nachrichten unzutreffend sind … Eine konkrete Absicht, bei Ihnen einen Einbruch oder Raubüberfall durchzuführen, bestand bei diesem Mann nicht.«
Wirkliche Sorgen um Beitz’ Sicherheit macht sich die Polizei allerdings Anfang der siebziger Jahre. Es ist die bleierne Zeit des Linksterrorismus. Beitz hat nun eine ständige Eskorte von Kriminalbeamten; die schweren Wagen und die ernsten Männer beeindrucken die kleinen Enkel aus Amerika, Barbaras Söhne, bei ihren Besuchen außerordentlich. Für den Bewachten selbst sind die bewaffneten Begleiter ebenso eine Notwendigkeit wie eine Last, und die Gefahr ist durchaus real. Gleich mehrere Männer, die er gut kennt, werden in den folgenden Jahren Opfer der Terroristen: Jürgen Ponto, der Hausbankier von Krupp, Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Detlev Karsten Rohwedder, einst Hoesch-Chef und später Leiter der Deutschen Treuhand. Berthold Beitz erklärt, wie er heute sagt, seinen Mitarbeitern im Büro: »Wenn ich jemals entführt werden sollte, will ich nicht ausgetauscht werden.«
Dass die Sorgen in diesen Jahren der Unsicherheit nicht unbegründet sind, zeigt sich etwa daran, dass Unbekannte einen Brandanschlag auf Axel Springers Ferienhaus auf Sylt verüben, das dabei vollständig zerstört wird.
Wenn Beitz trotz seines enormen Arbeits- und Terminpensums nicht das ist, was man später einen Workaholic nennen wird, dann deshalb, weil er sich ein Privatleben bewahrt. Im hohen Alter wird er einmal sagen: »Ich lebe gern und habe gern gelebt.« Rena Liebenow, die alte Freundin des Ehepaars Beitz, hat ihre eigene Erklärung, warum Berthold Beitz anders sei als so viele andere und speziell viele Prominente. Sie hat ja etliche davon in Kampen und am Theater kennengelernt: wichtige Menschen, so durchdrungen vom Glauben an die eigene Bedeutung, dass ihnen ihre Mitmenschen als völlig unbedeutend erscheinen und entsprechend behandelt werden. »Bei Berthold«, sagt sie, »beeindruckt mich bis heute die natürliche Herzlichkeit gegenüber Leuten aus allen Schichten. Das ist eine seltene Gabe. Er hat keinen Dünkel und keine Standesmentalität. Er ist bei all seinen Erfolgen einfach Mensch geblieben.«