UNTERWEGS
Der Käfigwagen ruckelte unter der grellen
Mittagssonne dahin. Schweiß glänzte im Nacken des glatzköpfigen
Hünen auf dem Kutschbock, die Ritter auf den Pferden vor und hinter
dem Wagen hatten ihre Helme abgenommen, dennoch klebten ihre Haare
auf der Stirn. Die Tiere schnauften schwer in der Hitze.
Im Käfig kauerte Anula. Obwohl sie sich in eine
dicke Decke gehüllt hatte, fror sie. Die Sonne konnte die Kälte des
weißen Drachen in ihr nicht wärmen.
»Ist schon eine Hübsche«, sagte in dem Moment einer
der beiden Ritter, die direkt hinter ihrem Käfig folgten, der mit
der kurzen breiten Nase. »Nur schade, dass sie uns immer die kalte
Schulter zeigen muss.«
Sein hochgewachsener Kamerad brüllte los vor Lachen
und klopfte sich auf den dünnen Oberschenkel. Seit sie Falcenzca
verlassen hatten, musste sich Anula zahlreiche Scherze über Kälte
und Eis gefallen lassen, mal derb, mal einfach dumm, immer wieder
nach demselben Muster. Die wenigsten waren lustig.
Sie solle doch nicht so frostig dreinschauen.
Gelächter.
Einer von ihnen verfüge schon über das richtige
Werkzeug, um das Eis zu brechen, sie müsse nur darum bitten.
Anzügliches Gelächter.
Sie sei schön wie eine Blume... eine Eisblume.
Prustendes Gelächter.
Ob sie mit ihrem Finger mal bitte kurz das Wasser
kühlen
könne, sie hätten vergessen, einen Eisblock aus einem Gletscher
mitzunehmen. Begeistertes Schenkelklopfen.
Ein Wortspiel jagte das nächste, sie wurden der
Sache einfach nicht überdrüssig.
Zitternd sah Anula zwischen den Gitterstäben
hindurch, hinaus auf die helle, sonnenüberflutete Ebene, durch die
sie fuhren. Sie blickte einer kleinen Herde Wollrinder mit
ausgelassen hüpfenden Jungtieren hinterher, die von der Kutsche
davontrabte. All das versuchte sie aufzusaugen, doch selbst der
schönste Anblick bedeutete ihr nichts. Die Kälte in ihr war zu
stark.
Niemand hatte ihr gesagt, wohin sie gebracht wurde.
Doch die Gesprächsfetzen, die sie hier und da aufgeschnappt hatte,
hatten ihr das Wichtigste verraten. Sie sollte ein weiteres Mal
verhört werden, dieses Mal von jemandem, der zu bedeutend war, um
seine Zeit mit einer Reise in ihr Gefängnis zu verschwenden,
weshalb sie zu ihm gebracht werden sollte. Der König, ein Fürst
oder wer auch immer das sein mochte. Er würde sie befragen. Dabei
hatte der Ritter das Wort so deutlich betont.
Befragen.
Anula starrte auf ihre steifen Finger und dachte
unwillkürlich an Daumenschrauben. Die Kälte hatte sie so gefühllos
gemacht, dass sie nicht einmal Angst empfinden konnte.
Würde sie die Schrauben spüren, oder würden ihre
Finger einfach Risse bekommen und knackend springen wie Eis?
Glühende Eisen und rostige Zangen erschienen vor
ihrem geistigen Auge, doch sie empfand nichts.
Er würde sie befragen, doch sie wusste nichts und
spürte nichts. Kein Schmerz würde der Befragung ein Ende setzen. Es
war nicht schwer, sich vorzustellen, wo das hinführte.
Wieder sah sie aus dem Wagen, hinauf in den blauen
Himmel. Irgendetwas regte sich in ihr. Trotz aller Kälte wollte sie
nicht sterben.
Die Ritter lachten wieder über einen Scherz, den
sie nicht gehört hatte.
Sie schloss die Augen und legte die Decke zur
Seite. Egal, wie kalt ihr war, es war wahrscheinlich das letzte
Mal, dass sie die Sonne sah. Sie wollte ihre Strahlen auf ihrer
Haut wissen, auch wenn sie sie kaum spüren konnte.