GEFANGEN
Die Fesseln schnitten Ben ins Fleisch. Er hätte heulen können vor Wut. Warum nur hatten sie einem fremden Jungen einfach so vertraut? Die Ritter hatten sich gründlich davon überzeugt, dass Nica wirklich eine Ketzerin war. Jeder von ihnen hatte die Tätowierung genau in Augenschein genommen. Nun saß sie am Tisch und biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen.
Ben und Yanko hatten sich ausziehen müssen, und als nirgendwo ein Drache auf ihrer Haut entdeckt worden war, hatte man sie wieder in ihre Kleider gesteckt. Dem Jungen waren fünf Gulden in die Hand gezählt worden. Fünf! Mit einem schuldbewussten Blick zu Nica war er schließlich gegangen.
Du weißt nicht, wie viel du eigentlich für uns hättest bekommen, können, dachte Ben bitter. An Händen und Füßen gefesselt kauerte er neben Nica und Yanko in der hintersten Ecke der Gaststube. Zwei große bärtige Ritter saßen ihnen gegenüber und behielten sie im Auge, die Schwerter griffbereit vor sich auf dem Tisch.
Wenn auch Margulv nicht wusste, was sie wert waren, so schienen es die Ritter zu ahnen. Triumphierend wedelte einer von ihnen mit einem Steckbrief vor Bens Gesicht herum. »Erkennst du dich wieder?«
»Von was sprichst du?« Ben bemühte sich um einen irritierten Gesichtsausdruck.
»Davon.« Der Ritter drückte Ben den Steckbrief fast auf die Nase. Er war ein kleiner kräftiger Mann von etwa vierzig Jahren, der nur noch spärliches braunes Haupthaar hatte. Seine kleinen, eng stehenden Augen huschten ständig unruhig hin und her, und beim Sprechen befeuchtete er nach jedem zweiten Satz die dünnen Lippen mit einem schnellen Wischer der spitzen Zunge.
Ben wich zurück und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe überhaupt nichts.«
»Bist du dir sicher, Arthen?«, mischte sich ein großer drahtiger Ritter mit hoher Stirn ein, dessen Gesicht von einer mächtigen, zweimal gebrochenen Hakennase dominiert wurde. Das rechte Auge war blau und gelb geschwollen, als hätte er vor wenigen Tagen einen kräftigen Tritt abbekommen.
»Natürlich. Zwei Jungen, ein Mädchen, alle im richtigen Alter, auch die Haarfarbe stimmt. Nur die Länge nicht, aber Haare kann man schneiden.«
Der Drahtige nahm sich den Steckbrief und starrte mit seinem gesunden Auge lange darauf. »Die Kleidung stimmt auch nicht.«
»Mensch, Friedbart! Wer sich die Haare schneidet, kann sich auch umziehen.«
»Ja, klar.«
»Und schau dir den Kerl mit all den Schnitten auf dem Kopf doch an: verwahrlostes Aussehen passt. Das Mädchen hat dunkelbraune Augen und eindeutig ein schmales, wenn auch dreckiges Gesicht. Meinst du nicht?«
»Doch, aber was ist mit dem Dritten? Er lächelt überhaupt nicht, und schon gar nicht scheinheilig.«
»Friedbart! Kein Mensch lächelt den ganzen Tag! Und schon gar nicht, wenn er gerade gefangen wurde!«
Brummend nickte Friedbart, doch ganz überzeugt schien er noch nicht zu sein. Immer wieder sah er vom Steckbrief auf die drei und wieder zurück. »Bist du dir wirklich sicher? Da steht...«
»Was heißt schon sicher? Es geht um tausend Gulden! Tausend! Verstehst du das? Weißt du, wie viel das ist? Wir müssen einfach nur ein weißes Kleid für das Mädchen auftreiben und eine Hose mit hundert bunten Flicken für den störrischen Burschen. Das muss sich doch problemlos schneidern lassen. Wir kriegen es schon hin, dass sie genau so aussehen wie auf dem Steckbrief beschrieben.« Listig zwinkerte Arthen seinem Kameraden zu.
»Ja, aber wenn sie es nicht sind?«
»Friedbart! Bist du echt so schwer von Begriff?«, dröhnte Arthen.
Die anderen Ritter, die sich nach der Gefangennahme wieder ihrem Frühstück zugewandt hatten, lachten und schüttelten vergnügt die Köpfe: »Der Friedbart wieder. Riesige Stirn, aber nichts dahinter.«
»Ich...«, sagte Friedbart.
»Was meinst du, wem der Hohe Abt mehr Glauben schenken wird?«, unterbrach ihn Arthen. »Sollen die drei auch hundertmal beteuern, dass sie unschuldig sind, wem wird er glauben? Ihnen oder uns?«
»Aber wenn sie...«
»Hast du jetzt etwa Mitleid mit so ’ner dreckigen Ketzerin?«
»Nein, aber...« Langsam hellte sich Friedbarts Gesicht auf, er begann zu grinsen. Ein schrecklich breites Grinsen, das von einem kleinen Ohr zum anderen reichte. »Jetzt verstehe ich. Tausend Gulden. Und wir haben nur fünf bezahlt.«
Lachend prosteten sich die Ritter am Tisch zu. »Auf Friedbart, den schnellsten Denker des Ordens!«
»Friedbart und die tausend Gulden.«
»Tausend!«
Ben schloss die Augen und sackte auf der Bank zusammen. Mit keiner List der Welt konnten sie sich aus ihren Fesseln reden, wenn es den Rittern vollkommen egal war, ob sie schuldig waren oder nicht.
Arthen beugte sich zu ihm herunter, so dass ihre Gesichter beinahe zusammenstießen, sog die Luft ein und leckte sich über die Lippen. Seine kleinen blaugrauen Augen bohrten sich kalt in seine. »Leugne es, solange du willst, doch du bist es wirklich. Ich kann das riechen. Ich wusste, du würdest kommen.«
Ben presste die Lippen demonstrativ zusammen. Er würde nichts sagen, würde sie nicht verraten. Solange die Ritter dachten, sie würden ihren Abt um die Belohnung prellen, konnten sie sich immer noch verplappern. Vielleicht bekam auch einer ein schlechtes Gewissen, weil er plötzlich Angst hatte, Hellwah selbst zu betrügen. Das war ihre einzige Chance. Nein, Ben würde sich nicht verplappern, nicht noch einmal.
»Ganz wie du willst. Doch du wirst schon noch reden, glaub mir.« Mit einem bösen Grinsen wandte sich der Ritter ab und seinen Kameraden zu. »Wer als Erster ein weißes Kleid auftreibt, das dieser jungen Dame passt, darf mir helfen, es ihr anzuziehen.«
Schwein, dachte Ben, während Nica Arthen hasserfüllt anstarrte. Yanko knurrte etwas Unverständliches und zerrte an seinen Fesseln.
Derweil sprangen die Ritter von ihren Plätzen auf, Schüsseln, Becher und Stühle wurden umgestoßen, fast alle drängten aus der Wirtsstube. Selbst im Gesicht des Wirts zuckte es kurz, als überlegte er, sich ebenfalls auf die Suche zu machen.
Ein junger schmächtiger Ritter, der ganz hinten im Pulk stand und sich nicht traute, die älteren Kameraden beiseitezuschieben, rief verzweifelt: »Dann möchte ich ihr die ketzerischen Drachenaugen ausbrennen, Herr Arthen! Darfich, ja? Bitte! Ich habe mich als Erster gemeldet.«
»Das hast du. Aber die Augen werden nur denjenigen ausgebrannt, die ihren Irrglauben widerrufen.«
»Aber jeder hat bisher widerrufen. Wer widerruft denn nicht?«
»Sie.« Arthen lächelte. »Wir geben ihr nämlich keine Gelegenheit dazu. Schließlich wollen wir sie als unversehrte Ketzerin zum Hohen Abt schaffen. Sie soll ja noch ihr Kopfgeld wert sein, nicht wahr?«
»Oh«, sagte der Junge. »Oh, ja. Natürlich.«
Dann eilte er als Letzter in die Stadt hinaus, auf der Suche nach einem weißen Kleid. Keiner der Ritter hatte Nicas Maße genommen. Zurück blieben nur Arthen, Friedbart und die zwei großen bärtigen Ritter, die die Gefangenen reglos im Auge behielten.
»Während sich die Kameraden also um angemessene Kleidung für die junge Dame kümmern«, sagte Arthen mit gespielter Höflichkeit, »zeige ich euch nun eure Unterkunft für die nächsten Tage.«
Die Ritter bugsierten sie aus einer Seitentür des Schankraums. Der Wirt putzte noch immer beiläufig Gläser und blickte ihnen ohne die geringste Regung hinterher.
 
Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel. Ben kauerte auf den groben Bohlen und hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht. Nur ab und zu schielte er zwischen den Fingern hindurch, doch eigentlich wollte er nicht sehen, was dort vorging.
Zusammen mit Nica und Yanko saß er in einem drei Schritt langen und knapp zwei Schritt breiten Käfig, der auf der Ladefläche eines Pferdewagens befestigt war. Seit zwei oder drei Stunden stand der Wagen ohne Pferde auf dem ovalen Marktplatz mitten auf der zweiten Zinne der Stadt und wurde von den zwei bärtigen Ordensrittern bewacht. Sie bewegten sich kaum – nicht einmal ihre Gesichter zuckten, wenn eine Fliege auf ihnen landete – und sagten nichts. Nur wenn sie nach den drei Gefangenen befragt wurden – woher diese stammten, was sie verbrochen hatten -, antworteten sie schlicht: »Samothanbeter.«
Eine überreife Wasserbirne zerplatzte an Bens Ohr, und das matschige Fruchtfleisch drang ihm in den Gehörgang und tropfte seinen Hals hinab, sein eingerissener Hemdkragen war schon vollkommen von der klebrigen Feuchte zahlloser Früchte durchweicht. Ein paar kleine schwarze Kerne rieselten zu Boden.
»Schäm dich!«, brüllte eine alte Frau mit eingefallenen grauen Wangen, und das blonde Mädchen an ihrer Hand, höchstens acht Jahre alt und wahrscheinlich ihre Enkelin, spuckte nach Yanko, kam aber nicht weit genug, weil sie sich nicht bis ganz an den Käfig herangetraut hatte. Als säßen wilde Tiere darin.
»Komm, versuch es noch mal«, ermunterte die Alte sie und schob sie ein Stück vor.
Ben sah, wie Yanko stumm die Augen schloss.
Sie waren die Sündenböcke für alles. Ben kannte das aus Trollfurt, doch noch nie hatte er sich so elend gefühlt; dort war er nie hinter Gittern gewesen, wenn die anderen ihn gepiesackt hatten. Stets hatte er noch seine Freiheit gehabt. Sobald er seine Abreibung bekommen hatte, hatte er nach Hause schleichen und seine Wunden lecken können. Er hatte sich wehren können, egal, wie hoffnungslos es gewesen war. Und trotz allem hatte er doch zu ihnen gehört. Nie war es tatsächlich um sein Leben gegangen.
Hier hingegen waren sie Fremde, namenlose Eindringlinge von irgendwo, an denen man sich straflos abreagieren konnte. Für die tief sitzende Wut auf die selbstherrlichen Ordensritter, die man herunterschlucken musste, für das schmerzhafte Ausbrennen der Drachenaugen, das man erduldet hatte, für die Toten vor dem Tor, für das Gefühl der Ohnmacht, wenn man seinem Glauben abschwören musste, für einfach alles, was in den letzten Tagen geschehen war. Und dabei konnte man den Ordensrittern zugleich beweisen, dass man wirklich konvertiert war, dass die Feinde des Ordens nun auch die eigenen Feinde waren.
Wutverzerrte Gesichter schrien und spuckten sie an, übermütige junge Männer bewarfen sie mit Obst, denn sie machten ein Spiel daraus, wer aus größter Entfernung noch immer einen Kopf traf. Selbst Steine waren nach ihnen geschleudert worden, doch als Yanko heftig aus einer Platzwunde über dem Auge geblutet hatte, waren die beiden Ordensritter doch eingeschritten. Schließlich verlangte der Steckbrief, die Gesuchten lebend abzuliefern.
Ben hatte schon lange aufgegeben zu protestieren, zu schreien, er sei überhaupt kein Samothanbeter. Stur hielt er den Kopf unten und ließ einfach alles über sich ergehen. Irgendwann würden sie aufbrechen, und dann wäre zumindest diese Tortur vorbei.
Dann würden sie zu ihrer Hinrichtung gekarrt werden. Manchmal hob er doch den Kopf, blickte sehnsuchtsvoll in Richtung Klamm und beschimpfte seine eigene Dummheit. Dort drüben lagen Aiphyron, Juri und Feuerschuppe, und er selbst hatte ihnen gesagt, sie sollten sich keine Sorgen machen, der Ausflug nach Vierzinnen könne dauern.
Was hatte er sich nur dabei gedacht?
Wahrscheinlich würden die Drachen drei Tage lang warten, im Bach baden und sich die Sonne auf die Schuppen scheinen lassen, bevor sie zum ersten Mal überhaupt einen Gedanken daran verschwendeten, nach ihren menschlichen Freunden zu suchen. Ach, Ben hat doch gesagt, das kann dauern, würde Juri sagen und den anderen irgendeine langatmige Anekdote erzählen, wie er einmal sieben Wochen auf jemanden hatte warten müssen. Den drei Schuppenlosen geht es bestimmt prächtig.
Doch bis dahin wären sie schon längst unterwegs zu diesem Hohen Abt, und wenn die Drachen endlich doch nach ihnen sehen würden, würden sie sich eine Stadt vornehmen, in der es von Drachenrittern wimmelte. In Bens Vorstellung wurden Aiphyron erneut die Flügel abgeschlagen, ebenso Juri und Feuerschuppe, sie wurden versklavt, und alles nur seinetwegen.
Warum hatte er die Drachen nicht gebeten, nach sechs Stunden nach ihnen zu sehen?
Warum hatten sie diesem verdammten Jungen vertraut?
Wütend schlug er sich gegen die Stirn und langte so in die breiige Überreste einer Frucht. Vielleicht war es auch das rohe Ei, das der Bäckerlehrling mit dem roten Gesicht nach ihm geschleudert hatte.
Oder hatte vielleicht sogar Hellwah selbst ihnen das eingebrockt? Mit ihrem Schwur hatten sie sich gegen seinen Orden gewandt, wie auch gegen die Ketzer, die ihn ebenso verehrten, wenn auch auf andere Art. Aber sie alle lagen falsch, was die Drachen anbelangte. Trotzig presste Ben die Zähne aufeinander. Sie lagen falsch! Drachenflügel waren nicht verflucht. Und wenn Hellwah selbst das glaubte, dann lag eben auch er falsch! Warum sollten Götter nicht irren können?
Eine Frucht sauste über Ben hinweg, traf jemanden jenseits des Käfigs. Beschimpfungen wurden hin und her geschleudert, irgendwer lachte, doch Ben hielt den Kopf unten. Solange sie sich dort draußen stritten, wurden sie hier drin wenigstens in Ruhe gelassen.
Kurz schielte er zu Yanko hinüber. Schützend hatte er den Arm um Nica gelegt, das Blut auf seiner Stirn war getrocknet und hatte sich mit allem Möglichen vermischt. Yankos Haar war vollgeschmiert mit zahllosen Essensresten, seine Kleidung von dunklen Flecken übersät.
»Betet ihr wirklich zu Samoth?«, fragte da eine leise Stimme neben Ben. Es war das erste Mal, dass diese Frage gestellt wurde.
Verwundert sah er auf und entdeckte Margulv, der auf seiner Unterlippe kaute und unruhig hin und her tippelte.
»Das fragst du jetzt?«, fauchte er. »Nachdem du uns verkauft hast? Bisschen spät, was?«
»Betet ihr zu Samoth oder nicht?« Margulv starrte Ben hartnäckig an. In seinen versteinerten Zügen war nicht zu lesen, was in ihm vorging.
»Warum sollte ich mit dir reden?«, knurrte Ben. »Dreckiger Verrätergnom.«
»Ihr betet zu Samoth«, stellte Margulv schlicht fest, und Erleichterung zeigte sich auf seinem Gesicht. Als hätte er jetzt nachträglich die Gewissheit, richtig gehandelt zu haben.
Ben schielte zu den beiden Rittern, die jedoch mehr auf den Tumult um den Wagen achteten als auf ihre Gefangenen. Bürger beschuldigten sich gegenseitig, hier schrie einer »Absicht«, dort einer »Versehen!«, doch ohne Entschuldigung. Früchte wurden als Beweismittel geschwenkt, Fäuste geschüttelt. Und irgendwer schrie: »Ein Versehen? Das hat schon dein stinkender Großvater behauptet, als er den Hamster meiner Großmutter angezündet hat! Ihm sei die Fackel aus den fetten Fingern geglitten. Pah! Ausreden, alles Ausreden!«
»Lass meinen Großvater aus dem Spiel, der ist seit fünfzehn Jahren tot.«
»Der Hamster schon viel länger!«
Es schien, als würde jeder noch so lange vergrabene Groll ausgegraben werden, alle waren wild darauf, einen anderen zu beschuldigen, irgendwen bestraft zu sehen, gerächt, für was auch immer.
Möglichst unauffällig rutschte Ben Richtung Käfigrand. Margulv stand nah am Gitter, vielleicht konnte er ihn packen und es ihm heimzahlen. Seinetwegen saßen sie im Käfig, seinetwegen würden sie hängen. Ben wollte dem Kerl wehtun, schrecklich wehtun. Doch dazu musste er ihn erst einmal lange genug in ein Gespräch verwickeln, bis er zupacken konnte.
»Glaubst du wirklich, wir beten zum Gott der Tiefe?«, fragte er. »Glaubst du, wir opfern ihm kleine Kinder? Und fressen die größeren roh? Warum haben wir dich dann nicht gleich gepackt und noch vor dem Tempel geröstet?«
»Weil es ein Hellwah-Tempel war und ihr Samothanbeter am liebsten um Mitternacht tötet, wenn die Nacht am dunkelsten ist.«
»Wer sagt das?«
»Jeder.«
»Dann irrt wohl jeder. Wir jagen auch bei Tag gern.« Ben schnellte vor, prallte mit der Schulter schmerzhaft gegen das Gitter, doch das war egal. Sein ausgestreckter Arm ragte zwischen zwei stählernen Stäben hindurch, und die Hand krallte sich in Margulvs Kragen.
Der war so überrascht, dass er sich weder wehrte noch schrie. Voller Wut zerrte Ben ihn heran, so dass das Gesicht des Jungen gegen eine Käfigstange schlug und nur noch eine Handbreit von seinem entfernt war. Die Wangen wurden gegen die Stangen gepresst, Schmerz spiegelte sich in Margulvs Augen.
»Warum hast du uns verraten? Was haben wir dir getan?«, knurrte Ben und packte immer fester zu, so dass der Hemdkragen in Margulvs Hals schnitt. »Schau doch vor das Stadttor, was der Orden euch angetan hat. Und ihnen hilfst du?«
»Ich will ihnen nicht helfen, aber ich brauch das Geld«, flüsterte Margulv mit dünner Stimme. Er versuchte nicht einmal, sich loszureißen.
»Und deshalb verrätst du eine Glaubensgenossin? Wegen ein paar Münzen? Ihr tragt dieselbe Tätowierung!«
»Bislang wurde doch keiner von uns eingekerkert. Ich dachte, sie verbrennen die Drachenaugen und lassen euch dann wieder laufen. Das bisschen Schmerz ist auszuhalten, das weiß ich.« Seine Stimme zitterte. »Meine Mutter ist doch krank.«
»Und ein solcher Verrat macht sie gesund? Wenn sie wüsste, woher das Geld kommt, würde sie bestimmt vor Scham sterben.«
Eine winzige Träne zeigte sich in Margulvs Auge, doch dann verzerrten sich seine Züge und er spuckte Ben ins Gesicht. Um sich schlagend, riss er sich los. Ben war von dem plötzlichen Angriff so überrascht, dass er den Jungen tatsächlich entwischen ließ.
»Du sagst mir nicht, was richtig und falsch ist! Du nicht!«, schrie er aus mehreren Schritt Entfernung. Zornig kratzte er eine Handvoll Splitt und Dreck von der Straße und schleuderte sie nach dem Käfig. Ben konnte gerade noch rechtzeitig Augen und Mund schließen, bevor er im Gesicht getroffen wurde. »Wer Samoth anbetet, hat kein Recht, über andere zu urteilen!«
Dann rannte er davon.
»Ich hoffe, deine Mutter verreckt jämmerlich!«, brüllte Ben ihm nach. Ihm war egal, dass sie wohl am wenigsten für all das hier konnte, wenn sie krank daniederlag, er wollte einfach nur diesem verräterischen Margulv wehtun. Und er wollte die Wut auf sich selbst hinausbrüllen, die Wut darüber, dass er Margulv nicht hatte halten können, dass er ihm nicht wenigstens die Nase gebrochen oder ein blaues Auge verpasst hatte. »Wahrscheinlich bist du eh nicht aus ihrem Bauch geschlüpft, sondern aus einer schwarzeitrigen Pestbeule an ihrem ungewaschenen Hintern!«
»Halt’s Maul«, rief irgendwer aus der Menge, und Ben wurde mit voller Wucht von einer angeschimmelten Zwiebel getroffen. Hart schmetterte sie gegen seine Nase, es knirschte. Er hätte heulen können vor Wut und Schmerz, doch er verbiss sich alle Tränen und verzog sich wieder in die Käfigmitte, das Gesicht zwischen den Knien, die Hände schützend vor den Ohren. Reglos ließ er weitere wüste Beschimpfungen und matschiges Obst über sich ergehen und versuchte, an nichts zu denken, weder an die Schmerzen noch an die Angst oder die Wut auf sich selbst.
Schließlich tauchten Herr Arthen und die anderen Ritter auf und spannten zwei große kräftige Pferde mit wilden Mähnen vor den Käfigwagen.
»Sind das wirklich die Leute, die die armen Höhlenhamster töten?«, fragte ein kleiner schmächtiger Junge aus der Menge die Ritter.
»Ja. Es sind sehr, sehr böse Menschen.« Herr Arthen strich dem Jungen ernst über das Haar.
»Na, was habe ich dir gesagt?«, sagte sein Freund oder Bruder, der einen halben Kopf größer war und eifrig die Ordenskrieger anlächelte, während sich der kleine Junge dem Käfig zuwandte. Seine Hände waren leer und zu Fäusten geballt.
»Das ist für Kaschbi«, stieß er mit rotem Gesicht und verquollenen Augen hervor und spuckte nach Ben, Yanko und Nica. »Mörder!«
Dann zog er schniefend und mit hängendem Kopf ab. Der andere Junge schloss rasch zu ihm auf und legte ihm tröstend den Arm um die Schulter.
»Na, ihr habt wohl nicht allzu viele Freunde hier«, sagte Arthen und musterte den mit Fruchtresten und Speichel übersäten Käfigboden. Mit dem Dolch kratzte er ein Stück Feuerapfel von den Bohlen, beäugte es und ließ es wieder fallen. »Aber wenigstens haben sie euch gut gefüttert. Verhungern lassen sie hier wirklich keinen. Das Essen sollte noch bis morgen langen. Meint ihr nicht?« Laut lachend wandte er sich wieder ab und rief nach seinem Pferd.
Währenddessen nahmen ein junger Bursche mit zahlreichen Muttermalen im Gesicht und eine hübsche blonde Frau – wohl ein Knappe und eine Jungfrau – auf dem Kutschbock Platz, in dem auch die Habseligkeiten, die den drei Freunden abgenommen worden waren, verstaut waren.
Herr Arthen, Herr Friedbart und ein weiterer Ritter, der selig lächelnd ein weißes Kleid mit zahlreichen Rüschen und Schnüren auf seine Satteltaschen gebunden hatte, würden sie zu Pferd begleiten. Ruckelnd setzte sich der Wagen in Bewegung.
Langsam zuckelten sie aus der Stadt, und Ben blickte durch die Gitterstäbe zurück. Nicht wenige Menschen starrten ihnen zornig oder voll Abscheu nach, die Fäuste geballt, doch niemand schien noch weitere Früchte oder Steine übrig zu haben, um sie nach ihnen zu schleudern. Auch Margulv entdeckte er in der Menge, doch seine Miene konnte er nicht deuten. Die Käfigstangen hatten zwei geschwollene rote Linien in seinem Gesicht hinterlassen, und wenigstens das verschaffte Ben eine kleine, dumpfe Befriedigung.